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Länderberichte

Weiterhin keine Lösung der politischen und sozialen Krise

von Michael Lingenthal
Während die Opposition der Opfer des 11. bis 14. April 2002 gedenkt und der durch ihre Unfähigkeit verlorenen Chance des Machtwechsels nachtrauert, zelebriert Präsident Chávez mit einer Fülle von Feierstunden und Reden den Jahrestag seiner Rückkehr ins Amt und verstärkt die Bolivarianische Revolution, die immer deutlichere Züge gegen Privatwirtschaft und Meinungsvielfalt annimmt.

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Standortbestimmung der Opposition

Ein Jahr nach dem gescheiterten Machtwechsel vom 11./12. April 2002, scheint es so, dass die Opposition „auf der Stelle tritt“. Sie geht auf den Lösungsvorschlag der Staatskrise ein, den Präsident Chávez schon 2002 vorbrachte: das Abberufungsreferendum „Referendo Revocatorio“ nach Art. 72 der Verfassung. Der überwiegende Teil der Opposition scheint enttäuscht, desillusioniert und orientierungslos die Tagespolitik zu verfolgen. Generalstreik, Massenproteste, Einkommensverluste, Aus am Arbeitsplatz, dies alles scheint nichts gebracht zu haben. Chávez sitzt weiter im Präsidentenpalast von Miraflores, verunglimpft und verhöhnt die Opposition und schließt die Reihen seiner Revolution enger.

Folgten am 11. April 2002 mehr als eine Million Menschen dem Aufruf zum friedlichen Marsch auf Miraflores, so versammelten sich am Abend des 11. April 2003 zum Gedenken an die 19 Toten und fast 300 Verletzten nur noch knapp 10.000, also gerade mal 1% des April 2002. Die Menschen reagieren auf die Hauptdefizite der Opposition: das Ausbleiben einer eindeutigen Botschaft und Strategie sowie das Fehlen von wirklichen Führungspersonen.

Welches sind ein Jahr nach dem 11. April die Vor- und Nachteile der Opposition?

Die Opposition ist international anerkannt. Sie teilt gleichberechtigt mit der Regierung den OAS-Verhandlungstisch. Sie hat sich in ihrer Mehrheit zu einer friedlichen und demokratischen Lösung des Konflikts ausgesprochen. Eine Programmarbeit für die Zukunft des Landes hat begonnen. Die „Coordinadora Democrática“ als eines der Oppositionszentren hat sich im Einvernehmen mit dem größten Teil der Zivilgesellschaft und der Parteien eine verbesserte Organisationsform gegeben.

Die Schattenseiten der Opposition sind allerdings täglich sichtbar. Es ist in erster Linie der alte Egoismus der (Latino-)Führer, die immer noch Eigennutz vor Gesamtinteresse stellen. In der Opposition sind mindestens drei Lager vertreten: Erstens der Verfassungsweg über das Abberufungsreferendum. Dies bedeutet in letzter Konsequenz auf die Bedingungen von Chávez einzugehen. Auch eine neue Wahlbehörde und veränderte Wahlbestimmungen zu akzeptieren, um dann – unter starker internationaler Kontrolle - Chávez mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Zweitens die Gruppe, die bereit wäre, eine Vereinbarung mit Chávez bis zum Ende seiner Amtsperiode (2006) einzugehen, um dem Land ein Minimum an Stabilität und Entwicklung zu offerieren. Drittens der Teil der Opposition, der unverhohlen das Militär in die Verantwortung ruft, was letztlich einen gewaltsamen Machtwechsel beinhaltet.

Die Opposition hat noch nicht die Kraft gefunden, sich für einen Weg zu entscheiden. Die Mehrheit der Coordinadora Democrática ist für den 1. Weg (Abberufungsreferendum). Diese Mehrheit hat aber weder Willen noch Kraft, die übrigen Tendenzen, insbesondere die 3. Option, auszuschließen. So lähmen interne Konflikte, die wie überall in der Politik öffentlich ausgetragen werden, die Schlagkraft der demokratischen Kräfte und machen es Chávez leicht, täglich ein Spottkonzert zu zelebrieren.

Augenscheinlich hat die Opposition noch keine Übereinkunft mit den privaten Medien gefunden. Augenfällig ist die im Vergleich zum Jahr 2002 deutlich geringere Motivationskampagne der Medien. Wenn Medien und Zivilgesellschaft (besonders Nachbarschaften) aber nicht die Straße mobilisieren, bleiben die Massenerfolge aus, wie es der 11. April dieses Jahres eindrucksvoll zeigte. Es bewies sich auch wieder, dass die Parteien, besonders die Altparteien, keine Mobilisierungskraft mehr besitzen. Die Parteianhänger bildeten eher „versprengte Gruppen“ denn Demonstrationskontingente. Die Versammlung pfiff zudem die Redner der Parteien gnadenlos aus und kehrte zu großen Teilen in dem Moment dem Podium den Rücken zu, wenn Politiker der Parteien sprachen.

Trotz allen Nachteilen hat die Opposition aber einen Vorteil: ihre Beteiligung an der OAS-Vermittlung. Wenn die internen Streitigkeiten der Opposition nicht weiter ihre eigene Verhandlungsdelegation schwächen, kann die Opposition über den Verhandlungstisch nationale und internationale Erfolge erzielen. Immerhin hat sie mit der Regierung ein Abkommen unterzeichnet, welches den gesetzlichen Weg über Verfassung und Wahlen festschreibt, selbst wenn viele Details ungeklärt sind und damit viele Fallen (ungeklärte Wahlregister, Möglichkeiten der Wahlfälschung) den weiteren Weg säumen. Der Opposition fehlt das Thema, das wieder ihre Mitglieder stimuliert, nachdem es Chávez gelungen ist, ihre Führung zu „enthaupten“. Gewerkschaftsboss Carlos Ortega ist in Costa Rica im Exil und verkündet weiter seine – für den Motivationsverlust seiner Anhänger mit ausschlaggebende – Botschaft, dass eher früher als später der Tyrann und Diktator fällt. Juan Fernández, der Kopf des Ölstreiks, fährt zu politischen Gesprächen in die USA. Einmal außer Landes, wird es Chávez möglich sein, ihn nicht mehr ins Land zu lassen und Unternehmerpräsident Carlos Fernández ist durch die Hektik der letzten Monate, seine Verfolgung und den Hausarrest so geschwächt, dass er für längere Zeit aus gesundheitlichen Gründen ausfällt.

Aber Chávez wäre nicht Chávez, wenn er seine politischen Gegner nicht aufbaute. Am 2. Februar 2003 hat die Opposition mehr als 4 Millionen Unterschriften für das Abberufungsreferendum und gegen Chávez gesammelt. Diese Unterschriften zählen nicht, wenn es bei der Einberufung des Referendums zum Schwur kommt, erklären Chávez und seine engsten Gefolgsleute, Vizepräsident Rangel und Infrastrukturminister (auch für die Medienkontrollbehörde zuständig) Diosdado Cabello, „keine Fälschungen und kopierten Unterschriften“ verhöhnen sie die Millionen, die am 2. Februar eindeutig politisch optierten. Wenn das Oberste Gereicht dem ständigen, öffentlichen Druck des Präsidenten nachgibt und die Unterschriftenaktion für ungültig erklärt, könnte die Wut der Menschen Stimulans für neue Massenproteste und –aktionen werden. Die Opposition hat es selbst in der Hand, diese Chance zur Neuorientierung ihrer Anhänger zu nutzen.

Bolivarianische Revolution

Während die Opposition um die Opfer trauert, feiert der Präsident, offensichtlich mit dem Einsatz großer öffentlicher Mittel, seine Revolution und seine Rückkehr ins Amt. Jugend, Frauen, Agrarsektor etc. - alle werden in der Hauptstadt versammelt, übrigens überwiegend in vergleichsweise „überschaubarer“ Anzahl in geschlossenen Sälen und nicht mehr wie noch vor Jahresfrist in Massenkundgebungen unter freiem Himmel. Präsident Chávez zelebriert seine Rückkehr an die Macht, sein Überwinden des Generalstreiks sowie die Zerstörung der Opposition. Eher zweit- und drittrangige internationale Gäste sollen die regionale Bedeutung der Bolivarianischen Revolution bezeugen und unterstreichen.

Der Irak-Krieg ist willkommenes Mittel, um gegen die USA, die Europäer mit kolonialer Vergangenheit sowie gegen die Feinde der Revolution zu hetzen. Chávez spielt mit einer von ihm und seinen Gästen behaupteten militärischen Intervention, um die Revolution zu zerstören und ihn zu ermorden. Jeder Vergleich zu Simon Bolívar wird hergestellt, der nach Chávez auch von den Indios und Schwarzen als Befreier geliebt und von den kolonialen und besitzenden Oligarchien ermordet und politisch zerstört werden sollte. Und wie nirgendwo in diesen Tagen fehlt auch nicht der Angriff, die Spitze gegen Kolumbien, weil die Kolumbianer natürlich als Gegner von Bolivar viel schlimmer waren als die Venezolaner.

Die Geschichte wird so dargestellt, dass es gar keinen anderen Schluß geben kann, als den direkten Vergleich von Bolívar zu Chávez, der nun antritt, um das politische Erbe Bolívars zum Erfolg zu führen. Nichts erinnert an die dramatischen Worte nach der Rückkehr ins Amt am 14. April 2002 und in den Tagen danach, als „Besinnung, Umkehr und Versöhnung“ versprochen und medienwirksam zelebriert wurden. Setzt man die Worte und Handlungen (Kuss des Kruzifixes vor laufender TV-Kamera) in Vergleich zu den Hetz- und Schimpftiraden dieser Tage, dann hat es den Anschein, als ob vor Jahresfrist eine „Schmierenkomödie“ inszeniert wurde. Und Vizepräsident Rangel bestätigt, dass „wir nichts zu korrigieren haben“.

Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes zeigt, dass Chávez kein Konzept für eine moderne Zukunft des Landes hat. Pläne, die eher an Subsistenzwirtschaft erinnern (vertikale Hühnerställe auf Dächern der Elendsviertel), als an Impulse für eine moderne Ernährungsindustrie, verdeutlichen dies. Ganz im Stile kubanischer und nicaraguanischer Kampagnen sollen Reservisten, Freiwillige und gesellschaftliche Gruppen handeln, um die Wirtschaft ins Rollen zu bringen. Der nachgewiesene Fahlschlag dieser Politik an anderem Ort scheint dabei nicht zu stören. Die nationale Privatwirtschaft wird über die Devisenkontrolle drangsaliert.

Die Regierung, wie zuletzt Vizepräsident Rangel in Uruguay, bemüht sich um Direktkontrakte Regierung/Regierung für „Öl gegen Waren“, mit dem klaren Ziel den privaten Zwischenhandel und die private Veredelungsindustrie außen vor zu lassen. Demgegenüber werden ausländische Investoren (Öl) und Lebensmittelkonzerne hofiert, weil dies im Zweifelsfalle die politische Opposition nicht finanziell unterstützen und sich im Konflikt zwischen Regierung und Demokratie weitestgehend neutral verhalten, wenngleich die Auslandskammern, besonders der USA und Deutschlands, deutliche Worte zu Devisenbewirtschaftung und sich dramatisch verschlechterten Standortbestimmungen gefunden haben.

Das revolutionstreue Militär bleibt der Teil, auf den sich Chávez persönlich und seine Revolution letztendlich stützt. Chávez hat unmittelbar nach dem 14. April 2002 begonnen, alle strategischen Kommandos und Kasernen (besonders die Einfallstraßen nach Caracas) mit ihm treu ergebenen Militärs besetzt. Dabei hat der den „Komment“ und die „Rangfolge“ bei den Beförderungen missachtet. Der Prostest in dieser Frage politisch korrekter Militärs und Politiker bleibt zwar nicht aus, der Erfolg aber gibt Chávez Recht. Entwaffnung der Hauptstadt- und Regionalpolizei, Unterdrückung der Opposition, Aufbau eines äußeren Feindes durch verbale Angriffe und militärische Nadelstiche gegen Kolumbien, die Treuebekundungen zur Revolution und gegen die Opposition, dies alles nimmt das revolutionstreue Militär in Erfüllung seiner integralen Aufgabe für die Landespolitik wahr.

Die protestierenden Soldaten der „Plaza Altamira“ werden als „Bajazzos“ (Clowns) verhöhnt und gezielte Festnahmen Einzelner zeigen ihnen, dass man sie jederzeit festsetzen könnte. Noch aber scheint dieser Teil der militärischen Opposition für Chávez die Aufgabe zu erfüllen, die Machtlosigkeit der opponierenden Generale täglich und öffentlich zu verdeutlichen. Die Plaza Francia ist auch nur noch ein „Abglanz“ ihrer „Hochtage“ von Oktober bis November des letzten Jahres. Parteien, Rotes Kreuz und Medien haben ihre Zelte abgebrochen, die zuvor von den Menschenmassen niedergetretenen Blumenrabatten sind erneuert und eingezäunt.

Trotzdem halten sich ständig die Putschgerüchte, für etliche wohl auch Putschhoffnungen, die der Bolivarianischen Revolution ein Ende setzen sollen. Noch aber ist Chávez im Amt, verfügt über Mittel (Ölproduktion auf fast auf Vorstreikniveau, höhere Preise und 18.000 Entlassungen füllen ihm netto die „Kriegskassen“) und verstärkt täglich seine nationale und internationale Revolution, wobei er geschickt die Abwesenheit internationaler Aufmerksamkeit ausnutzt, Feindbilder wie Kolumbien aufbaut, populäre Angriffe auf die USA (denen er aber gleichzeitig die Ölliefergarantie verspricht) und die von ihr befürwortete Freihandelszone in Lateinamerika (ALCA) fährt und seine regionalen Zersetzungstätigkeiten verstärkt.

Venezuela ist weit entfernt von der Lösung seiner politischen und sozialen Krise. Nur wenn die Opposition zur tatsächlichen Einheit in Konzept, Politik und Führung findet, kann sie eine Chance haben, um die Bolivarianische Revolution und ihren Anführer Präsident Chávez demokratisch zum Jahresende 2003/Jahresanfang 2004 zu schlagen. Auf diese Fristen muß sich das Land einstellen, wenn es den verfassungsmäßigen Weg, ohne eine andere, vorherige Konsenslösung, gehen will und eine militärische Gewaltlösung ausschließt.

Sollte Chávez besiegt werden, baut er mit seinen Helfershelfern bereits vor. Besiegt und aus dem Amt gejagt über das Abberufungsreferendum, will er dann sofort wieder als Präsident kandidieren. Mit der Kombination von „Megawahlen“ (d.h. von der kommunalen bis hin zur nationalen Ebene) hat er bei seinen relativ stabilen 30%-Zustimmung in der Bevölkerung alle Chancen, die relative Mehrheit zu halten. Er rechnet fest damit, dass die Opposition, die schon jetzt nicht in der Lage ist den politischen Konsens in der Coordinadora herzustellen, erst recht nicht in der Lage sein wird, zwischen 19 Parteien und 40 Bürgergruppen die für ihren Erfolg bei den Megawahlen notwendigen Konsens auf allen Ebenen herzustellen.

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Henning Suhr bild

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henning.suhr@kas.de +49 30 26996-1013
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