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Wir sind alle Bardo

Tunesien nach dem Attentat

Gut eine Woche nach dem schrecklichen Attentat im tunesischen Nationalmuseum Bardo, dem nach aktuellen Stand 21 Menschen zum Opfer fielen und das darüber hinaus knapp 50, zum Teil Schwerverletzte hinterließ, rüstet sich die Hauptstadt Tunis zum Widerstand gegen den Terrorismus und Extremismus. Unter dem Titel „Wir sind alle Bardo“ hat sich für kommenden Sonntag, 29. März 2015, eine breite Allianz mobilisiert, die mit einem Marsch durch die Hauptstadt und zum Gelände des Bardo-Museums ein deutliches, weit über Tunesien hinaus wahrnehmbares Zeichen setzen will.

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Angeführt von nationalen Persönlichkeiten wie Staatspräsident Béji Caïd Essebsi, Regierungschef Essid und Parlamentspräsident Ennaceur sowie Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände und der Zivilgesellschaft werden mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande, Italiens Regierungschef Matteo Renzi, Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, der EU-Außenbeauftragten Frederica Mogherini sowie Innenminister Thomas de Maizière auch zahlreiche internationale Gäste erwartet. Die Symbolik des sich ankündigenden Ereignisses könnte daher nicht größer sein: Zum ersten Mal manifestiert sich der Widerstand gegen Terrorismus und Extremismus innerhalb der arabischen Welt in einer derartigen Form und eint nationale wie internationale Akteure.

Während die Vorbereitungen für dieses Ereignis, insbesondere die Planung der dafür notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, auf Hochtouren laufen, hat der tunesische Innenminister, Najem Gharsalli, im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag, dem 26. März 2015, in Tunis weitere Details zu dem schrecklichen Attentat bekannt gegeben. Die tunesischen Behörden waren zuvor für ihre aus Sicht von Medienvertretern schleppende und unzureichende Informationspolitik bereits kritisiert worden. Nach den Darstellungen des Innenministeriums habe der Angriff durch zwei Terroristen am Mittwoch, 18. März, um 12.06 Uhr begonnen. Dabei hätten diese unmittelbar nach dem Betreten des Bardo-Geländes bereits auf einen Touristen-Bus geschossen, wobei acht Menschen ums Leben kamen. Anschließend sind sie ins Innere des Museums gelangt, wo sie 12 weitere Menschen erschossen. Nach Darstellungen des Ministers sei es insbesondere dem schnellen Eingreifen der Schnellen Nationalen Interventionsbrigade, der Anti-Terroristen-Brigade sowie Einheiten der Sicherheit des Präsidialamtes zu verdanken gewesen, dass nicht noch mehr Opfer zu beklagen seien. Unter den Getöteten waren 20 ausländische Touristen sowie ein tunesischer Polizist, der bei dem Einsatz ums Leben kam. Nach gut zweieinhalb Stunden konnten die Eingreifkommandos der tunesischen Sicherheit das Drama beenden, indem sie das Gebäude stürmten und dabei auch die beiden Hauptattentäter, Yassine Laabidi und Jabeur Khachnoui, erschossen.

Hintermänner im Visier

Innenminister Gharsalli nahm auf der Pressekonferenz auch zu den möglichen Hintermännern und terroristischen Netzwerken Stellung, die mit der Tat in Verbindung gebracht werden. Bislang konnten demnach aufgrund intensiver Ermittlungen 23 Verdächtige festgenommen werden, die in Verbindung mit der Terrorgruppe „Okba Ibn Nafaa“ stehen soll, die ihrerseits der Al Quaida im Maghreb (AQMI) nahesteht. Auch Verbindungen zur islamistischen Terrorgruppe Ansar Al Scharia werden angenommen. Bei der Okba Ibn Nafaa-Gruppierung handelt es sich um eine Terrorgruppe, die bereits seit Monaten dem tunesischen Militär und der Nationalgarde in den Bergen um das Chaambi-Gebirge in der Nähe der tunesisch-algerischen Grenze zu schaffen macht, wo sie sich vom schwer zugänglichen Gelände profitierend einerseits immer wieder verschanzen und andererseits das Gebirge als Ausgangsbasis für Anschläge und Übergriffe bislang vorrangig auf Militär und Sicherheitskräfte nutzen. Wenngleich aktuell in der Region eine klare Trennschärfe bei der Unterteilung der unterschiedlichen Terrorgruppen und Milizen kaum möglich ist, dürfte damit eine unmittelbare Beteiligung des „Islamischen Staates“, wie zunächst durch ein noch in der Nacht vom 18. auf den 19. März 2015 in den sozialen Netzwerken aufgetauchtes Bekennervideo nahegelegt wurde, wenn nicht in Gänze ausgeschlossen, so jedoch zumindest eher als Versuch einer Gruppe anzusehen sein, „Profit“ aus dieser Tat schlagen zu wollen.

Nach den Darstellungen des Innenministeriums gilt der Algerier Hamadi Khaled Chaibi, auch unter dem Synonym Lokmen Abou Sakher bekannt, als strategischer Kopf hinter dem Attentatsplan auf das Museum. Unter den nunmehr festgenommenen Verdächtigen befindet sich auch der Tunesier Mohamed Amine Guebli, der als Chef der Terrorgruppe den Angriff vor Ort geleitet haben soll. Bei den Verhören sollen die Festgenommenen zudem ausgesagt haben, dass ein weiteres Attentat in Tunesien geplant war, zu dessen Ausführung es jedoch nicht kam. Gleichwohl hätte allein das Attentat im Bardo noch weit größeren Schaden anrichten können, da Gharsalli bestätigte, dass zumindest bei einem der beiden Terroristen ein Sprengstoffgürtel mit SEMTEX gefunden wurde. Drei der festgenommenen Personen hätten ebenso wie die beiden getöteten Attentäter zuvor eine Ausbildung in libyschen Terrorcamps erhalten. Insgesamt gehen die Sicherheitskräfte derzeit davon aus, etwa 80 Prozent der in mehrere Untereinheiten aufgeteilten Terrorzelle festgesetzt zu haben. Mit Hochdruck setze die Polizei derzeit die Fahndung nach weiteren Flüchtigen fort, darunter zwei Marokkaner und ein Algerier, die der Minister als „gefährliche Terroristen“ bezeichnete.

Das Attentat als Anschlag auf den politischen Prozess

Wenngleich Tunesien zu Recht als mitunter leuchtendes Beispiel für seinen bislang relativ erfolgreichen politischen Übergang angesehen wird, hat das Land seit Beginn der Umbrüche im Januar 2011 immer wieder mit Sicherheitsproblemen und dem Erstarken islamistischer Terrorgruppen zu kämpfen gehabt. Aus Sicht vieler Beobachter erstaunte es daher eher, dass es inmitten eines gewalttätigen und mit terroristischen Bedrohungen reich besäten regionalen Umfeldes bis dato zu keinem größeren Anschlag kam. Andererseits ist auch festzuhalten, dass in letzter Zeit kaum eine Woche verging, in der das Innenministerium nicht berichtete von der gelungenen Aushebung von Terrorzellen, insbesondere im Süden sowie in Nähe zur algerischen Grenze, oder von der Entdeckung von Waffen- und Sprengstofflagern. Die Erinnerung an das „Schwarze Jahr“ 2013, gekennzeichnet von zwei politischen Attentaten auf tunesische Oppositionelle und der Intensivierung der Kämpfe mit islamistischen Gruppen in den Chaambi-Bergen, trat durch politische Fortschritte im Rahmen der Verabschiedung der neuen Verfassung im Januar 2014 und den durchgeführten Wahlen zum Parlament und zum Präsidentenamt in den Hintergrund. Gleichwohl zieht die tunesische Armee eine bittere Bilanz: Seit 2012 hat sie allein über 60 Gefallene zu beklagen; zuletzt fielen am 17. Februar 2015 vier Soldaten einem Hinterhalt zum Opfer.

Das Bardo-Attentat offenbarte jedoch eine neue Qualität, sowohl was den zeitlichen Rahmen als auch das Ziel als solches angeht. Die Tatsache, dass in dem unmittelbar neben dem Museum gelegenen Parlament zeitgleich die Diskussion des neuen Anti-Terrorismus-Gesetzes auf der Tagesordnung stand, sowie die Entscheidung der Attentäter, ausgerechnet an einem Mittwochvormittag zu agieren, der bekanntermaßen zahlreiche Touristen insbesondere von den im Hafen liegenden Kreuzfahrtschiffen anzieht, kann nicht als Zufall angesehen werden. Zugleich bereitete sich das Land auf die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 20. März vor, der erstmals nach der Revolution wieder in gebührender Feierlichkeit begangen werden sollte.

Waren in Tunesien bislang vor allem abgelegene Regionen Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen Terroristen und Sicherheitskräften, so hat es nun mit der Hauptstadt Tunis sowie dem Bardo ein Ziel getroffen, das in dieser Größenordnung bislang nicht vorstellbar war. Der historische Gebäude-Komplex Bardo im gleichnamigen Stadtteil von Tunis ist der ehemalige Fürstenpalast, der Parlament und Museum beherbergt. Mit dem im Oktober 2014 frisch gewählten Parlament wurden daher auch die junge demokratischen Institutionen des Landes angegriffen.

Reaktionen in Tunesien – in Wut und Trauer vereint gegen den Terror

Politik und Gesellschaft in Tunesien haben unmittelbar nach dem Anschlag mit Bestürzung und zugleich großer Einigkeit und Entschlossenheit auf die Ereignisse reagiert. Staatspräsident Béji Caïd Essebsi kündigte bereits umgehend am Nachmittag, als er Verwundete im Krankenhaus besuchte, „eine Generalmobilmachung“ gegen den Terrorismus an. „Tunesien befindet sich im Kriegszustand mit dem Terrorismus. Wir werden diesen Krieg gewinnen.“, erklärte er am Abend während einer Direktansprache an die tunesische Bevölkerung. Mit starken, wenngleich verständlichen Worten, zeigte er Entschlossenheit: Die Terroristen würden „ohne Unterlass und Atempause“ bekämpft und von „der Karte ausgemerzt“. Zugleich setzte er mitunter bereits aufkommenden Bedenken, inwieweit der demokratische Übergang nunmehr zugunsten einer Politik der eisernen Hand gegen den Terror in Frage stehen würde, unmittelbar entgegen, dass „die Entscheidung für Demokratie, nationale Versöhnung und Stabilität“ durch den Anschlag nicht umgekehrt werden können. Zu spontanen Trauerfeiern und Demonstrationen fanden sich am Tag und in den Folgetagen des Anschlags Tausende im Stadtzentrum von Tunis und in vielen anderen Städten des Landes zusammen. In den sozialen Netzwerken wurde unter Überschriften wie „Je suis Bardo“ Solidarität mit den Opfern zum Ausdruck gebracht. In mehreren Medien wurde eine möglichst rasche Verabschiedung des Anti-Terrorismus-Gesetzes gefordert und zu vermehrten Bemühungen um sozialen Frieden aufgerufen. In den letzten Wochen hatten mehrere Streiks, unter anderem im Bildungsbereich, das öffentliche Leben und die Wirtschaft des Landes zusätzlich belastet. Die Feierlichkeiten zum 59. Unabhängigkeitstag am 20. März standen ebenfalls unter dem Zeichen der Einigkeit. Alle maßgeblichen politischen Kräfte, einschließlich der Opposition, waren der Einladung von Staatspräsident Essebsi in den Präsidentenpalast von Karthago gefolgt.

Wenngleich Aufrufe zur nationalen Einheit zum gemeinsamen Kampf gegen Terror den öffentlichen Diskurs klar dominierten, zeigten sich erste mögliche politische Konfliktlinien. Vor allem aus Wirtschafts- und Sicherheitskreisen wurde ein entschiedeneres Vorgehen gegen den Terrorismus gefordert. So plädierten beispielsweise Kommentatoren in der wichtigsten französischsprachigen Tageszeitung Tunesiens La Presse dafür, die Terrorismusbekämpfung nun ganz oben auf die politische Agenda zu setzen und, wie es im Gastbeitrag eines Unternehmers hieß, nicht länger „die Partitur der Menschenrechte zu spielen, um Barbaren und Attentäter zu schützen.“ In einem vom Online-Informationsportal Kapitalis veröffentlichten Beitrag wurde darüber hinaus dazu aufgefordert, endlich „die wirklich Verantwortlichen des Terrorismus in Tunesien“ ins Visier zu nehmen, nämlich die Ennahda-Partei, die „den religiösen Extremismus und seine Folgeerscheinung, den Terrorismus,“ habe aufblühen lassen. Der frühere Übergangspräsident Moncef Marzouki warnte in einer Pressekonferenz am Tag nach dem Anschlag hingegen davor, nun die Errungenschaften der Revolution wie die Meinungsfreiheit aufzuheben: „Der Rückgriff auf die Tyrannei wird die Probleme der Tunesier nicht lösen.“ Staatspräsident Essebsi, und mit ihm weitere Vertreter von Regierung und Regierungsparteien, versicherten gleichwohl, den Sicherheitsapparat nun stärken zu wollen, ohne dabei demokratische Rechte aufzugeben. Essebsi setzt darüber hinaus stark auf einen Diskurs der nationalen Einheit und Versöhnung, also der Inklusion und Mobilisierung aller politischen Kräfte sowohl im Kampf gegen den Terrorismus als auch für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Staatspräsident und Regierung kündigten nach dem Attentat an, die Sicherheitskräfte zu stärken. Dafür würde der entsprechende Haushaltstitel erhöht. Ministerpräsident Habib Essid nannte dabei auch explizit die mögliche Unterstützung „befreundeter Staaten“, um die Ausrüstung von Armee und Polizei zu verbessern. Zudem soll die Koordination zwischen der Armee und den dem Innenministerium unterstellten Sicherheitskräften verbessert werden. Eine Untersuchung des Attentats soll Schwachpunkte im Sicherheitsapparat aufzeigen, die dann bei der Reform des Sicherheitsapparates berücksichtigt werden sollen. Mehrere Verantwortliche im Sicherheitsapparat, die für die Sicherheit in Tunis und im Bardo zuständig waren, wurden bereits entlassen. Das seit Monaten diskutierte Anti-Terror-Gesetz wurde inzwischen vom Kabinett verabschiedet und an das Parlament zur weiteren Beratung übersandt; bereits in den nächsten Woche soll darüber abgestimmt werden. Die Sicherheitsmaßnahmen an neuralgischen Punkten vor allem in den urbanen und touristischen Zentren wurden verstärkt.

Sicherheitspolitischer Hintergrund – interne und regionale Bedrohungen

Das Bardo-Attentat macht die prekäre Sicherheitslage Tunesiens deutlich, das sich sowohl internen als auch regionalen Bedrohungen ausgesetzt sieht. Nach dem Sturz des ancien régime und während der Übergangsregierungen haben sich verstärkt islamistische Milieus und Netzwerke herausgebildet. Dazu gehörte insbesondere die im April 2011 gegründete salafistische Organisation Ansar al Sharia, die sich neben karitativen und missionarischen Tätigkeiten in den Armenvierteln auch für eine Reihe gewaltsamer Übergriffe verantwortlich zeichnete und der unter anderem die Attentate auf Oppositionspolitiker zugeschrieben werden. Gleichwohl wurde sie von der damaligen Regierung erst im August 2013 verboten. Ehemalige Mitglieder von Ansar al Sharia operieren mittlerweile in eigenen Untergruppen. Die Brigade Okba Ibn Nafaa, die in den Chaambi-Bergen gegen die tunesische Armee kämpft und sich Al-Quaida im Maghreb (AQMI) unterstellte, hat noch am Vortag des Bardo-Attentats mit neuen Aktionen in Tunesien gedroht. Andere tunesische Djihadisten schlossen sich dem „Islamischen Staat“ in Libyen an.

Neben dem Erstarken „heimischer“ Terrorgruppen stellt der Staatszerfall in seinem östlichen Nachbarland für Tunesien ein zweites gravierendes Sicherheitsproblem dar. Die 460 Kilometer lange Grenze zu Libyen lässt sich nur schwer sichern. Gerade im Süden Tunesiens, der traditionell enge Verbindungen nach Libyen unterhält, haben sich kriminelle Schmugglernetzwerke herausgebildet, die sich teilweise mit islamistischen Gruppen vermischen. Eine dritte Herausforderung, die auf die tunesische Politik zukommt, ist die Rückkehr der nach Syrien und in den Irak ausgereisten Djihadisten. Geschätzte 3.000 Tunesier kämpfen dort für den „Islamischen Staat“ und stellen dort neben Saudi-Arabien das größte Kontingent ausländischer Kämpfer. Weder Politik, Gesellschaft noch der Sicherheitsapparat sind derzeit adäquat darauf vorbereitet, wie mit diesen potentiellen Rückkehrern nicht nur juristisch, sondern auch gesellschaftlich umzugehen ist. Eine entsprechend breitere Diskussion darüber verstärkte sich gerade in den Tagen nach dem Attentat.

Dem gegenüber steht ein Sicherheitsapparat, der als weithin wahrgenommenes Unterdrückungsinstrument des ancien régime nicht nur abgebaut und um wesentliche Teile reduziert, sondern um dessen Funktionalität beraubt wurde.

Die seit F ebruar im Amt befindliche Regierung hat die Anstrengungen im Sicherheitsbereich weiter erhöht. Laut einer Erklärung von Ministerpräsident Essid von Anfang März wurden allein im ersten Monat seiner Amtszeit 400 Djihadisten festgenommen. Gleichwohl hat das Bardo-Attentat eklatante Schwächen in der Sicherheitsstruktur Tunesiens aufzeigt. Trotz der von Innenminister Gharsalli verkündeten Erfolge im Nachgang zu dem Attentat sind die grundsätzlichen Unzulässigkeiten beim Schutz des Museums offensichtlich geworden, in das die Attentäter ungehindert eindringen konnten. Auch in der tunesischen Politik und Öffentlichkeit wird der Zustand der Sicherheitsvorkehrungen bzw. die Fähigkeit des Sicherheitsapparates zunehmend kritisch hinterfragt.

Ökonomischer Hintergrund – Sorge um Tourismusindustrie und wirtschaftliche Entwicklung

Die offensichtlich gezielte Ermordung ausländischer Touristen hat in Tunesien die Sorge vor einem Einbruch des Tourismus aufkommen lassen. Dieser hatte seit der Revolution in Tunesien und den Umbrüchen in der arabischen Welt seit 2011 bereits gelitten. Noch 2014 waren die Besucherzahlen mit knapp über sechs Millionen 12 Prozent niedriger als 2010. Die Tourismusindustrie macht sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus und beschäftigt jeden zehnten Tunesier.

Zwar wurden unmittelbar nach dem Attentat mit Ausnahme einiger Kreuzfahrtgesellschaften, die Tunis aus dem Programm gestrichen haben, keine größeren Stornierungswellen oder neue Reisewarnungen vermeldet. Dennoch droht sich das Attentat, das mitten in die Buchungsphase der für Tunesien wichtigen Pauschalreisen fällt, negativ auf die diesjährige Saison auszuwirken. Mit einer speziellen Informationskampagne will das tunesische Tourismusministerium dem entgegenwirken. Nach dem Attentat von Djerba 2002, dem auch 14 Deutsche zum Opfer fielen, hatte sich die Zahl der deutschen Touristen halbiert und stieg erst nach Jahren langsam wieder an.

Zugleich könnte die nun offensichtlich gewordene prekäre Sicherheitslage die dringend benötigten ausländischen Investoren abschrecken. Das Attentat trifft das Land zu einem Zeitpunkt, in dem – nach der erfolgreichen politischen Transition – nun die fortbestehenden ökonomischen Probleme endlich entschieden in Angriff genommen werden sollten. Bereits im Vorjahr 2014 gingen die Investitionen im Vergleich zu 2013 um 21 Prozent zurück, im Vergleich zu 2010 gar um 32 Prozent, hatte Premier Essid in der Vorwoche erklärt.

Wie sehr sich Sicherheit und ökonomische Entwicklung gegenseitig bedingen, wird erneut anhand der Herkunft der beiden getöteten Attentäter deutlich, die aus dem vernachlässigten Westen des Landes und einem Armenviertel aus Tunis kamen. Die wirtschaftliche Misere und Perspektivlosigkeit gerade vieler junger Menschen war nicht nur eine der Triebfedern für die Revolution, sondern stellt nach wie vor auch ein - wenngleich nicht ausschließlich -fruchtbares Feld für die Rekrutierungsbemühungen terroristischer Gruppen dar.

Ausblick und politische Implikationen

Das Bardo-Attentat hat der tunesischen Politik und Öffentlichkeit drastisch vor Augen geführt, wie bedroht der weitere Transformationsprozess des Landes weiterhin ist. Zuvorderst ist nun die Reform des Sicherheitssektors entschieden anzugehen. Dabei gilt es deutlich zu machen, dass auch eine Demokratie „wehrhaft“ sein muss und entsprechende Institutionen wie Geheimdienste benötigt, die nach der Revolution in Misskredit geraten waren. Zugleich ist sicherzustellen, dass diese den Erfordernissen eines demokratischen Rechtsstaates genügen. Für die Aufrüstung und Ausbildung der Sicherheitskräfte ist Tunesien auf handfeste internationale Unterstützung angewiesen, wobei auch die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle spielen könnten.

Mittelfristig ebenso entscheidend ist der Kampf gegen die materiellen und ideologischen Grundlagen von Extremismus und Terrorismus. Die parteilose Technokraten-Regierung hatte sich 2014 bereits bemüht, extremistische islamistische Diskurse einzudämmen und beispielsweise die Moscheen wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen. Diesen Weg gilt es fortzusetzen, wobei sich insbesondere auch die religiös-konservativen Kräfte klar zu positionieren haben, um Extremismus keine gesellschaftliche Resonanz zu geben. Letztlich bleibt indes die Schaffung ökonomischer Perspektiven für die bislang vernachlässigten Landesteile und Bevölkerungsschichten unabdingbar, um den Nährboden terroristischer Gruppen auszutrocknen. Schließlich bleibt Tunesien bedroht, solange der latente Bürgerkrieg im benachbarten Libyen andauert.

Die zahlreichen internationalen Solidaritätsadressen nach dem Bardo-Attentat wurden in Tunesien mit großer Dankbarkeit und Erleichterung aufgenommen, da sie als echt und authentisch begriffen wurden. Wenn man bedenkt, dass Solidarität aus einer gemeinsam wahrgenommen Bedrohung entsteht, dann sind wir am Sonntag alle im Bardo.

Den gesamten Länderbericht inklusive Fußnoten können Sie im pdf lesen.

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19. März 2015
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