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Länderberichte

Zwischen Exklusion und Stigma

von Sebastian Grundberger, Flora Hallmann

Indigene Völker sind im politischen System Perus weiterhin stark unterrepräsentiert

In Peru leben mehr Indigene als in fast jedem anderen Land Südamerikas – mit Ausnahme Boliviens. Nichts desto trotz sind indigene Völker in den politischen Institutionen des Landes weiterhin stark unterrepräsentiert.

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Ein Dorf der Aymara-Ureinwohner am Titicacasee in Peru | Foto: © Andrew Miller / Flickr / CC BY-NC-2.0 © Andrew Miller / Flickr / CC BY-NC-2.0 https://tinyurl.com/y7f26dgs
Ein Dorf der Aymara-Ureinwohner am Titicacasee in Peru | Foto: © Andrew Miller / Flickr / CC BY-NC-2.0

Wie viele Menschen indigener Herkunft es in Peru überhaupt gibt, ist unklar. Die Volkszählung von 2007 setzt die Zahl bei nur 15,7 Prozent an, während das Interamerikanische Institut für Indigene von 38,4 Prozent der Bevölkerung spricht. Der immense Spielraum zwischen diesen beiden Zahlen ist Ausdruck für das zentrale Problem der Repräsentation indigener Völker in Peru. Denn wie kann eine Bevölkerungsgruppe angemessen in der Politik repräsentiert werden, wenn man nicht einmal genau weiß, wie groß diese Gruppe ist?

Eine im Oktober 2017 durchgeführte Volkszählung, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen, fragte erstmals nach der ethnischen Selbstidentifikation der Bevölkerung. Der Fragebogen enthielt die Option, etwa eine indigene oder afroperuanische Herkunft anzugeben. Jedoch kann trotzdem davon ausgegangen werden, dass manche Menschen sich auch aus Gründen langjähriger Diskriminierung scheuen, eine indigene Identität anzugeben und sich stattdessen lieber als „Mestizen“ (Mischlinge) bezeichnen.

Der Schutz der indigenen Bevölkerung ist seit dem Jahr 1920 in der peruanischen Verfassung verankert. Der Staat erkennt darin explizit die Existenz der indigenen Völker an und verpflichtet sich zur Förderung der Kultur und „Entwicklung“ dieser Völker im Dialog mit ihnen. Damit spricht er ihnen in der Theorie die gleichen Rechte zu wie jedem anderen Bürger auch. Aber was fehlte, war eine genaue Definition des Wortes „indigen“. Die aktuelle Verfassung von 1993 spricht von „campesinos“ (Landbewohner) und „nativos“ (Ureinwohner). Seit 1979 wurden zudem Gesetze erlassen, um das Wahlrecht auch der indigenen Bevölkerung vollumfänglich zu garantieren. Dabei ging es vor allem darum, dass zum ersten Mal auch Analphabeten uneingeschränkt wählen durften. Das Recht zu wählen bedeutete jedoch nicht zugleich, dass die betroffenen Personen auch immer die Möglichkeit hatten zu wählen. Denn nicht alle Bewohner Perus besitzen ein Dokument, mit dem sie sich ausweisen können. Dieses Phänomen ist nicht nur, aber insbesondere, unter der indigenen Bevölkerung weit verbreitet. Die Wahlzentren sind zudem oft weit entfernt von den abgelegenen Dörfern und damit nur schwer zu erreichen. Diese nicht nur geographischen sondern auch gedanklichen und emotionalen Entfernungen führen zu einer sehr nachgeordneten Beachtung der Landbevölkerung im öffentlichen Diskurs.

Die „ethnische Quote“

Ein Gesetz aus dem Jahr 2006 verpflichtet Gemeinden und regionale Regierungen zu einer „ethnischen Quote“: 15 Prozent der politischen Ämter müssen von Indigenen, („campesinos“ und „nativos“) besetzt werden. Diese Quote wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt. Im Kongress der Republik gibt es keine vergleichbare Quote, weshalb der Anteil indigener Abgeordneter traditionell sehr gering ist. Derzeit identifiziert sich nur eine der insgesamt 130 Abgeordneten offen als indígena.

Wenn gegenwärtig auch die einzige, so ist Tania Pariona von der Linksfraktion „Nuevo Perú“ jedoch nicht die erste indigene Abgeordnete. In der Legislaturperiode von 2001 bis 2006 wurde Paulina Arpasi, eine Aymara, in den Kongress gewählt, von 2006 bis 2011 saßen die Indigenen Hilaria Supa Huamán und María Sumire für die „Union für Peru“ im Kongress, sowie von 2011 bis 2016 der Awajún Eduardo Nayap. Der Parlamentsalltag war für diese indigenen Abgeordneten nicht immer einfach. Arpasi, deren Muttersprache Aymara und nicht Spanisch ist, wurde wegen grammatikalischer Fehler angegriffen und belächelt, während Huamán und Sumire vehement daran gehindert wurden, Reden in Quechua zu halten, mit der Begründung, dass die offizielle Sprache im Kongress Spanisch sei. Sowohl Quechua und Aymara sind laut der peruanischen Verfassung von 1993 neben Spanisch jedoch offizielle Amtssprachen.

Indigene Frauen haben es nicht nur im Kongress deutlich schwerer, politisch zu partizipieren: In einem Bericht aus dem Jahr 2013 sprachen die Vereinten Nationen von „dreifacher Diskriminierung“ gegen sie, da sie indigen, arm und weiblich seien.

Nichtsdestotrotz gibt es seit 2006 im Kongress die so genannte Kommission für die Völker der Anden und des Amazonas, Afroperuaner, Umwelt und Ökologie. Die Mitglieder, 31 Kongressabgeordnete aus allen Parteien des politischen Spektrums, haben sich dazu verpflichtet, für die Wahrung von Perus Multikulturalität und –ethnizität sowie der biologischen Artenvielfalt zu arbeiten. Der Schutz indigener Völker ist somit nur ein Teil der Aufgaben dieser Kommission. Dennoch haben indigene Interessen durch die Kommission so eine Art Sprachrohr im Kongress. Der Arbeitsplan der Kommission verspricht, die Rechte der Völker und Gemeinden von Afroperuanern, Anden- und Amazonasbewohnern zu respektieren und zu schützen, indem sie sich für Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit einsetzt. Von den Gesetzesvorschlägen der Kommission sind in dieser Legislaturperiode bisher vor allem solche mit Bezug zu Umweltschutz durchgebracht worden. Oft ist es die indigene Bevölkerung, die besonders stark unter den Auswirkungen des Klimawandels, der Verschmutzung von Flüssen und des Bodens sowie der Rodung von Wäldern leidet.

Auch außerhalb des Kongresses gibt es einige Non-Profit-Organisationen von und für Indigene, zum Beispiel die Interethnische Assoziation für die Entwicklung des peruanischen Regenwaldes (AIDESEP) oder das Nationalitätenbündnis des peruanischen Amazonas (CONAP). AIDESEP setzt sich auf nationaler Ebene mit einer Vielzahl an Programmen für den Schutz von Territorien, für Bildung, den Zugang zu medizinischer Versorgung und die Förderung einer stabilen indigenen Wirtschaft ein. Das Regionalprogramm der Assoziation, ARPI, unterstützt die Völker in der zentralen Regenwaldregion bei der nachhaltigen Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen und dem Schutz der Menschenrechte. Einige weitere Organisationen fördern indigene Interessen auf lokaler Ebene.

Kaum Erfolg indigener Parteien

Die Bildung eigner indigener Parteien war in Peru bisher nur sehr begrenzt erfolgreich. Die Indigenen-Bewegung des Peruanischen Amazonas (MIAP) war eine politische Partei, gegründet 1995 vom Volk der Ashaninka. Sie erlangte Sitze bei den Gemeindewahlen, doch der Mangel an Erfahrung und Bildung stand effizientem Regieren im Weg. Damals hatten nur 2,5 Prozent der Indigenen Zugang zu weiterführender Bildung und mehr als die Hälfte brach die Ausbildung an Schule, Hochschule oder Universität ab. Die MIAP musste sich gegen erfahrene Politiker durchsetzen, wozu sie aufgrund des Mangels an Bildung nicht in der Lage war. Die Partei löste sich nach nur wenigen Jahren auf.

Perus Indigene leiden weiter unter Marginalisierung in politischen Prozessen. Der Mangel an Bildung in westlichen Wissenssystemen beeinträchtigt ihre Fähigkeit zur politischen Selbstrepräsentation, wie das Beispiel der MIAP verdeutlicht. Keine oder schlechte Repräsentation drängt die Indigenen ins soziale Abseits, was wiederum dazu führt, dass die Möglichkeiten für eine gute interkulturelle und zweisprachige Bildung unter der Marginalisierung leiden. Aus diesem Grund sind insbesondere staatliche Investitionen, die auf gesellschaftliche Teilhabe zielen, vor allem in Bildung und Infrastruktur dringend vonnöten. Dies gilt auch für die digitale Infrastruktur. Die Qualität der Internetverbindungen besonders in stark indigen geprägten Hochland- und Amazonasregionen ist nach wie vor sehr defizitär. Allerdings hat die Anbindung indigener Bevölkerungsgruppen an die Modernität auch Schattenseiten. So laufen Sprachen, Traditionen und Lebensweisen Gefahr, verloren zu gehen. Oft enden Indigene in sogenannten „Pueblos Jovenes“ (junge Dörfer), ein Euphemismus für Armenviertel an den Rändern großer Städte.

Auch Umweltschutz darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Pläne der Regierung, eine Straße in die Amazonasstadt Iquitos zu bauen, die bislang nur auf Wasser- und Luftwegen erreichbar ist, würde zweifellos Vorteile für die dortige Bevölkerung mit sich bringen. Umweltaktivisten befürchten jedoch auch fatale Folgen der Straßenbauarbeiten auf die Tier- und Pflanzenwelt der Region, was sich wiederum negativ auf dort lebende indigene Völker auswirken würde.

Die peruanischen indigenen Völker haben zudem mit einem weiteren Stigma zu kämpfen. Während der Zeit des Bürgerkrieges, insbesondere während den achtziger und frühen neunziger Jahre, nistete sich die maoistische Terrororganisation „Leuchtender Pfad“ bewusst in mehrere indigene Gebiete, vor allem der Ashaninka, ein und stachelte die lokale Bevölkerung zum bewaffneten Kampf gegen den Staat auf. Menschen, die sich den totalitären Vorstellungen des „Leuchtenden Pfades“ widersetzten, wurden brutal bestraft, oft durch Folter und Hinrichtung. Während somit die indigene Bevölkerung in besonderer Weise unter dem Terror litt, werden indigene Gruppen weiterhin von gewissen Kreisen der peruanischen Elite in die Nähe von Terroristen gerückt. Diese Vorurteile sind kein guter Nährboden für den dringend notwendigen politischen Willen, die indigenen Völker stärker in politische Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen.

Abschließend ist festzustellen, dass die Möglichkeiten der politischen Partizipation der indigenen Bevölkerung in der Theorie in der Verfassung weitgehend berücksichtigt sind. Gesetze wie die ethnische Quote dienen dem Schutz ihrer Rechte und sollen einen gewissen Grad an politischer Teilhabe ermöglichen. In der Praxis aber sind die Hürden groß. Perus Indigene leiden auch heute noch unter Marginalisierung und Diskriminierung. Der Zugang zu Bildung und die aktive sowie passive Teilnahme am Wahlprozess sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Regionalwahlen 2018 als Herausforderung

Um dies zu ändern, braucht es vor allem politischen Willen und langfristiges politisch-strategisches Handeln. Leider ist dieses aufgrund der Kurzlebigkeit der peruanischen politischen Konjunktur, der häufigen Ministerwechsel und der allgemeinen politischen Instabilität nur sehr bedingt zu erkennen. Das Thema der politischen Partizipation indigener Bevölkerungsgruppen wird von der Politik in Zeiten des Odebrecht-Korruptionsskandals und der schwelenden Drohung eines neuen Amtsenthebungsprozesses gegen Präsident Pedro Pablo Kuczynski bestenfalls als sekundär betrachtet. Dabei stehen am 7. Oktober 2018 in Peru Regional- und Lokalwahlen an, bei denen viele Autoritäten bestimmt werden, die einen direkten Einfluss auf die Lebenswirklichkeit indigener Bevölkerungsgruppen haben. In dieser Hinsicht sind die politischen Parteien und Gruppierungen besonders gefordert, die Interessen der indigenen Bevölkerung in ihren Wahlprogrammen zu berücksichtigen und indigenen Politikerinnen und Politikern Platz für politische Partizipation zu gewähren.

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