Thielicke, Helmut
Thielicke, Helmut
geb. am 04.12.1908, gest. am 05.03.1986
Der konservative evangelische Theologe Thielicke lehrte Dogmatik und Ethik – zuletzt in Hamburg. Er bekennt sich weder zur Kapitalistischen Wirtschaft noch zum Sozialismus. Für Thielicke gibt es keine Mischformen. Thielicke setzt sich nicht für eine von Gott gebotene Wirtschaftsordnung ein. Vielmehr ist es der Verantwortung des Menschen übertragen, sich um die Ausgestaltung von Sach- und Lebensgebieten zu kümmern.
Die Wettbewerbswirtschaft, die als ein Strukturgesetz der Welt gesehen werden kann, da sie sich des Egoismus als Triebkraft menschlicher Existenz bedient, hat eine besondere „Affinität zur menschlichen Natur“ (entspricht also dem Menschen am besten). Das bedeutet, dass Gott in ihr „den in der Konkurrenz sich äußernden Egoismus gegen den Egoismus der Faulheit“ zur Wirkung bringt. Aufgabe des Staates ist es, sich dafür stark zu machen, dass die Leistungskonkurrenz eingehalten wird. Er muss ordnend eingreifen, wenn der Wettbewerb, der die Tendenz zur Maßlosigkeit hat, die Sorge des Menschen für sich selbst als „ungebremste Antriebskraft“ (Alexander Rüstow) in ihren Dienst stellt.
Thielicke war einer der wenigen führenden evangelisch-lutherischen Theologen, der sich in der Nachkriegszeit ausführlich mit dem Problem der Ethik in der Wirtschaft und ihrer Ordnung auseinandergesetzt hat. Er widmete sich in seiner „Theologischen Ethik“ der freien Wettbewerbswirtschaft als einer Ordnung dieser Welt.
Seine Ethik war durch die „Äonenlehre“
(Lehre von den Zeitaltern) geprägt.
Der Mensch befindet sich danach
in einer Kontinuität und Diskontinuität
mit diesem Äon, dem
Zeitalter zwischen Schöpfung und
Weltende. Die Kontinuität besteht darin,
dass er den Gesetzen und Ordnungen
dieser Welt unterworfen ist.
Gott hat diesen Äon nicht aufgelöst;
es herrschen als seine „Strukturgesetze“
die Ordnungen des Lebens. Der
Christ ist aber als Erlöster herausgerufen
und den Mächten dieser Welt entzogen.
Er lebt unter der frei machenden
Gnade des Evangeliums in Jesus
Christus. Darin äußert sich der Aspekt
der Diskontinuität. Thielicke
stellt die lutherische Rechtfertigungslehre,
die dieses Spannungsfeld
beschreibt, in den Mittelpunkt seiner
Überlegungen. Danach ist der
Mensch in dieser Welt Sünder und
gerecht (erlöst) zugleich. Aus dem
Luthertum übernahm er den Begriff
der Ordnungen (Politik, Staat, Wirtschaft
etc.) Diese sind für ihn als Notverordnungen
(in der Zeit nach der
Schöpfung bis zum Weltende) zur
Gestaltung dieser Welt eingesetzt. Er
verstand sie als Schutz für die gefallene
Welt. Nur die Familie und Ehe
sind für ihn bereits vor der Schöpfung
zur Ordnung dieser Welt bestimmt
worden.
In einem Zeitalter, das die Eigengesetzlichkeit
(vgl. auch „Sachzwang“)
der einzelnen Lebensgebiete zur vordergründigen
Weltanschauung erklärt, ist eine ständige Warnung
durch das Gesetz (als Hinweis auf
die Vorläufigkeit des gegenwärtigen
Zeitalters) notwendig. Die Wirtschaft
dient für Thielicke der Befriedigung
von Bedürfnissen. Sie steht unter der
ihr eigenen Gesetzlichkeit. Er sieht
ihre theologisch-ethische Aufgabe darin,
die „Fahrrinne“ des Handelns zu
markieren. Das bedeutet eine Eigengesetzlichkeit
von „relativem Rang“.
Die christliche Theologie und auch
die Kirche werden deswegen nur eine
Wirtschaftsordnung befürworten,
die diesen relativen Rang der Eigengesetzlichkeit
anerkennt und dem
Menschen gerecht wird. Beide haben
als christliche Ethik „die Fallstricke
des Bösen“ sichtbar zu machen.
Für den Staat bedeutet die relative
Eigengesetzlichkeit zweierlei: „Als
strenge Marktpolizei“ aufzutreten und
Sozialpolitik zu betreiben. Der
Staat hat danach die Aufgabe, die
Wirtschaft zwischen einem Liberalismus
(Laisser-faire) und einem Dirigismus
hindurchzusteuern. Jeden anderen
Einfluss auf die Wirtschaft
lehnt er ab. Darum wendet er sich
auch gegen jede Art von Sozialismus/
Planwirtschaft.
Thielicke steht in seiner Bejahung
der Wettbewerbswirtschaft dem Gedanken
Rüstows nahe. Aber eins gilt
für ihn mit Nachdruck: Jede noch so
intakte Wirtschaft steht unter dem
Zeichen des gefallenen Äons.
Wissenschaftlicher und beruflicher Werdegang
Als ein Schüler des lutherischen Theologen Paul Althaus in Erlangen blieb er dem dortigen Luthertum ein Leben lang treu – aber nicht der politischen Ausrichtung seines Lehrers verpflichtet. Zur Zeit des Dritten Reiches stand er auf Seiten der Bekennenden Kirche. Deshalb verlor er in Heidelberg seine kommissarische Professur. Nach dem Krieg war er Professor für Systematische Theologie und Ethik in Tübingen und Hamburg, Mitbegründer der Theologischen Fakultät in Hamburg, später Rektor der dortigen Universität. An seiner Theologischen Ethik, die allein im prinzipiellen Teil über tausend Seiten umfasst, hat er von 1943 bis 1964 gearbeitet.
Die beiden mittleren Bände wurden noch kurz vor seinem Tode von ihm selbst aktualisiert. Er war darüber hinaus ein viel beachteter Prediger.
Literaturhinweise:
- THIELICKE, H. (1958 ff.), Theologische Ethik, 4 Bde., Tübingen;
- DERS. (1968 ff.), Der Evangelische Glaube, 3 Bde., Tübingen.