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Ein schlimmes Problem für das Politbüro

autori Prof. Dr. Arkadiusz Stempin, Stephan Georg Raabe

Johannes Paul II. – „Der Löwe aus dem Vatikan“: Zum Einfluss des Papstes in Polen, auf den Fall des „Eisernen Vorhangs“ und auf die Mitgliedschaft Polens in der EU

Interview mit Prof. Dr. Arkadiusz Stempin vom Konrad-Adenauer-Lehrstuhl für europäische Integration an der Tischner Hochschule Krakau zum 100. Geburtstag von Karol Wojtyła / Papst Johannes Paul II. am 18. Mai 2020.

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Papst Johannes Paul II. mit Kreuz Wikipedia
Sonderbriefmarke der deutschen Post 2005

Lieber Arkadiusz, Lech Wałęsa, der frühere Führer der Gewerkschaft Solidarność und erste Staatspräsident des freien Polens 1990, sagte über Johannes Paul II., er habe mit der Aufforderung an die Polen bei seiner ersten Reise als Papst in sein Heimatland 1979, sie sollten alle Angst vergessen und auf den Geist Gottes vertrauen, „das Land aufgeweckt“. Was meinte er damit?

Kurz nach der Wahl von Kardinal Wojtyła zum Papst 1978 (16. Oktober) konnte sich der neue sowjetische Botschafter in Polen, Borys Aristow, das Schmunzeln nicht verkneifen, dass die Volksrepublik in 35 Jahren des Aufbaus des Kommunismus als einzige wahre Leistung diesen Papst produziert hätte.

„Genossen, wir haben ein Problem!“ Mit diesen Worten eröffnete einen Tag nach der Wahl der Vorsitzende der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“ Edward Gierek (1913-2001) die Sitzung der Parteispitze in Warschau. Sein Nachfolger im Amt der berüchtigte General Wojciech Jaruzelski, damals Verteidigungsminister, erzählte nach Jahren, er habe über die Hotline aus Moskau einen Anruf bekommen, in dem die Genossen im Kreml nervös nachbohrten, was die Entscheidung in Rom für das kommunistische System in Polen bedeuten werde. „Es ist das Schlimmste, was uns zustoßen konnte“, jammerte Jaruzelski ins Telefon. Nur ein Politbüromitglied versuchte die bestürzte Atmosphäre etwas aufzuheitern: „Wojtyła als Papst in Rom ist noch besser, als Wojtyła als neuer Primas in Warschau“. Damit spielte er auf die gewisse Flexibilität des Krakauer Kardinals an, der den regierenden Kommunisten in Warschau zuvorkommender und weniger prinzipientreu als der hartgesottene Kardinal-Primas Wyszyński (1901-1981) erschien.

Nun: Gierek & Co. sollten sich gravierend täuschen. Johannes Paul II. trat sofort in Wyszyńskis Fußstampfen und warf den Gefolgsleuten von Marx und Lenin, nicht nur in Polen, sondern im ganzen sowjetischen Block den Fehde-Handschuh hin. Seine zweite Auslandsreise führte ihn gleich 1979 ins Heimatland. Und die Befürchtungen der Parteispitze erfüllten sich nun gänzlich. Die neutägige Pilgerfahrt im Juni 1979 war ein Triumpf für die katholische Kirche in Polen. Zwar genoss sie sowieso schon gewisse Freiheiten, aber mit so einer gewaltigen öffentlichen Manifestation des Glaubens nicht „intra muros“, sondern auf allen möglichen Straßen und Plätzen, untergrub die Kirche die Macht der regierenden Kommunisten. Die Polen atmeten den Hauch der Freiheit. Diese erste Pilgerfahrt '79 nach Polen vereinte die Intellektuellen und Bürger im Land, die Arbeiter und Bauer  - im „Land der Arbeiter und Bauern“ - und die katholische Kirche unter einem Dach.

 

Es heißt, bei dieser ersten Polenreise 1979 hätten über neun Millionen Polen, rund ein Viertel der Bevölkerung, ihren Papst gesehen. Es folgten acht weitere Polen-Besuche 1983 während des Kriegsrechts im Land, 1987, 1991 gleich zweimal, 1995, 1997, 1999, 2002. Hast Du selbst den Papst einmal bei diesen Reisen gesehen und welche Erinnerungen verbindest Du damit?

Natürlich, die erste Pilgerfahrt brannte sich am meisten ins Gedächtnis ein. Ich war bei der Abschlussmesse in Krakau. Auf einer Wiese, von der man auf den Wawel-Hügel, den Sitz und die Nekropole der polnischen Könige und zugleich Wojtyłas Bischofsitz als Krakauer Kardinal schauen konnte, versammelten sich gut drei Millionen Menschen. Fast ein Zehntel der damaligen polnischen Bevölkerung. Auf dem Gelände, wo die Messfeier stattfand, hielten sich rund 500 Sicherheitsbeamte auf. Nun, die waren machtlos als aus drei Millionen Kehlen die Hymne ertönte „Wir loben Gott!“ Die Autorität des kommunistischen, atheistischen Staates war dahin. Da die Abschlussmesse am Sonntag stattfand, konnten viele Polen am Tag darauf wegen des miserablen Zustandes der öffentlichen Verkehrsmittel nicht in ihre Wohnorte zurückkehren. Aber die Lehrer in den Schulen oder die Vorgesetzten bei der Arbeit - es gab ja nur staatliche Betriebe - fragten gar nicht erst nach derer Abwesenheit. Übrigens, viele Lehrer und Vorgesetzte gehörten ja selbst zu den drei Millionen auf der Wiese in Krakau.

 

Wie konnte so etwas überhaupt sein in einer kommunistischen Volksrepublik mit einer atheistischen Ideologie?

Der Papst als Staatsoberhaupt des Vatikan-Staates wurde von der Staatspitze und vom polnischen Episkopat eingeladen. Zwei Jahre nach der ersten Pilgerfahrt, nachdem in deren Folge 1980 die erste unabhängige Gewerkschaft, die „Solidarność“ entstanden war und als „Ersatzpartei“ für die polnischen Bürger das Monopol der Kommunisten im Land gebrochen hatte, schlugen diese zurück und führten 1981 das Kriegsrechts ein. Der Westen unter US-Präsidenten Ronald Reagan verhängte wirtschaftliche Sanktionen. Um die marode Wirtschaft und zugleich den Kommunismus zu retten und dem US-Präsidenten entgegenzukommen, ließ die Parteispitze im Juni 1983 den Papst erneut für acht Tage in Polen einreisen. Und dieser „las ihr die Leviten“, er stärkte die Gewerkschaft „Solidarność“, die nunmehr im Untergrund agierte, und sprach den Polen Mut zu. Unter diesen Vorzeichen erfolgte auch die dritte Pilgerfahrt im Jahre 1987. Um den Bruch mit der eigenen Bevölkerung zu kitten, ließen die Kommunisten den Papst erneut im Juni für eine Woche ins Land. Er erwies sich sozusagen als „trojanisches Pferd“. Die Erosion der Volksrepublik Polen wurde vollbracht.

 

Diese Papstbesuche mit den öffentlichen Messfeiern mit Hunderttausenden von Menschen waren ja eigentlich religiöse Ereignisse, sie seien aber, so wird immer wieder berichtet, faktisch zu politischen Kundgebungen geworden. Inwiefern waren diese Besuche politisch?

Alle drei Pilgerreisen demontierten und unterhöhlten die Diktatur von innen. Der Papst entlarvte die Lügen, indem er das kommunistische System bloßstellte und seine Landsleute dazu ermutigte, dem Kommunismus Paroli zu bieten. Er predigte und bestärkte ja nicht nur den Glauben, sondern forderte auch soziale Reformen, die Einhaltung der Menschenrechte und kritisierte immer wieder das Verbot der „Solidarność“. Obendrein wurde vom Vatikan für die Gewerkschaft „Solidarność“ Geld eingeschmuggelt. Auch die finanzielle Unterstützung aus dem Westen floss über kirchliche Kanäle.

 

Worin bestand kurz gesagt der Beitrag des polnischen Papstes zum Fall des „Eisernen Vorhangs“, der Deutschland, Europa und die Welt jahrzehntelang teilte? Die Stadt Berlin schenkte ihm zum Dank dafür sogar ein Stück der Berliner Mauer, das heute in den Vatikanischen Gärten steht.

Heute wissen wir ziemlich genau, in welchem Ausmaß der Papst den Kommunismus im ganzen sowjetischen Block demontierte, indem er mit Ronald Reagan sozusagen eine „Heilige Allianz“ zwischen der führenden geistlichen und politischen Weltmacht gegen das „Reich des Bösen“ geschmiedet hat. Die engste Zusammenarbeit galt vor allem dem Austausch von Informationen. Die wichtigsten Berater Reagans, Richard Allen, William Clark, Alexander Haig, und die höchsten Mitarbeiter der CIA, William J. Casey, William Wilson und Vernon Walters, alles „brave“ Katholiken, saßen dem Papst direkt gegenüber in dessen Bibliothek am Mahagoni-Tisch und erörterten die antisowjetischen Maßnahmen des Weißen Hauses. Es darf daher nicht verwundern, dass im Rahmen dieser „Heiligen Allianz“ der Vatikan und Washington 1984 offizielle diplomatische Beziehungen aufnahmen. Nach 117 Jahren erkannten sie sich gegenseitig wieder an (1867 – 1984 hatten keine diplomatischen Beziehungen bestanden).

 

Johannes Paul II. hat später den EU-Beitritt seines Heimatlandes unterstützt. Inwiefern war das wichtig und hilfreich auf dem Weg Polens zum Beitritt zur EU?

Immens wichtig, der Papst ging von Europas Einheit aus. Er sprach von einer „westlichen und östlichen Lunge“ Europas. Als katholischer Pole ordnete er sein Land natürlich in die westliche Zivilisation ein. Darum entpuppte sich der Papst nochmals als Löwe im Vatikan und plädierte vehement für den EU-Beitritt Polens, als nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost-Europa und ausgerechnet in Polen unter dem katholischen, stark national orientieren Teil der Bevölkerung der Begriff „dekadenter Westen“ die Runde zu machen begann und dieses Milieu bereit war, sein Votum für den so lang ersehnten polnischen EU-Beitritt zurückzuziehen. Die Stimme des Papstes gab wohl den Ausschlag.

 

Welche Rolle spielt Johannes Paul II. oder die Erinnerung an ihn heute in Polen für Kirche und Gesellschaft?

Natürlich fehlt es nicht an jenen, welche die Erinnerung an ihn verkitschen oder ihn selbst verklären. Die Kirchen und Straßen, die nach ihm benannt sind, oder die im Land verstreuten hässlichen Denkmäler, sind seiner eigentlich unwürdig und zeugen eher von nationalen Affekten derjenigen, die sich den Papst auf die Fahnen schreiben und ihn zu vereinnahmen versuchen. Der Papst war Patriot aber kein Nationalist. Auf die Gefahr hin, einer Anmaßung bezichtigt zu werden, würde ich behaupten, dass sein wirkliches Erbe in Polen eher verblasst. Zum Glück mangelt es aber nicht an denjenigen, die seinen weiten Horizont verinnerlicht haben.

 

Welche drei Begriffe verbindest Du persönlich mit diesem Mann der Geschichte?

Gerechtigkeit, Deutschland und Juden.

 

Warum diese drei Aspekte? Kannst Du sie kurz erläutern?

„Gerechtigkeit“ geht auf seine hervorragende Sozialenzyklika „Centesimus annos“ zurück (1991 zum 100. Jahrestag der ersten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ und zum Ende der kommunistischen Herrschaft in Europa erschienen). Für diejenigen allerdings, für die dies zu stark kirchlich klingt, mag ein anderes Beispiel den Begriff erläutern. Als US-Präsident George Bush Jr. den Irak-Krieg 2003 begann, erhob dagegen der Papst seine Stimme. In Deutschland, wo er für seine konservative theologische Moraltheologie stark kritisiert wurde, erntete er dafür einen immensen Beifall. Sogar „Die Zeit“ nannte ihn den Löwen vom Vatikan, der sich vom Gerechtigkeitsprinzip leiten lässt.

Damit sind wir beim zweiten Begriff „Deutschland“. Als Pole, der den Zweiten Weltkrieg als junger Mann erlebt hatte und unter deutscher Besatzung im Krakauer Steinbruch Zwangsarbeit leisten musste, wusste er um die Wunden, die Polen vom nationalsozialistischen Deutschland erlitten hatte. Aber im Jahre 1965 unterschrieb er als damalige Nummer vier in der Rangfolge des polnischen Episkopats den berühmten Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Brüder im Amt mit den Worten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Er befürwortete diesen Brief, obwohl der polnische Primas Kardinal Wyszyński große Bedenken dagegen hegte. Noch als Krakauer Kardinal und längst bevor die Oder-Neiße-Grenze als eine neue polnische Grenze durch die Bundesrepublik (am 7.12.1971) und den Vatikan (28.6.1972 Gründung sechs neuer Bistümer im Westen Polens) anerkannt wurde, hatte Kardinal Wojtyła Besuche deutscher Katholiken empfangen. Ungeachtet dessen, dass der unbestrittene Führer der polnischen Katholiken, Primas Wyszyński, dies mit Argusaugen betrachtet hatte. Schließlich gehörte auch die deutsche Einheit für Johannes Paul II. zu derselben Selbstverständlichkeit, wie die Zugehörigkeit Polens zum westlichen Abendland.

Dass er Edith Stein (geb. 12.10.1891 in Breslau, ermordet am 9.8.1942 in Auschwitz, Seligsprechung 1987, Heiligsprechung 1998) zur Ehre der Altäre erhob, erklärt sowohl sein inniges Verhältnis zu Deutschland, als auch zu den Juden. Als Pole im Zweiten Weltkrieg nicht weit von Auschwitz aufgewachsen hat er das Schicksal seiner jüdischen Kommilitonen aus der Nähe erlebt. Am 18. Januar 2005, als der Papst bereits im Sterben lag, kamen zu ihm 160 Rabbiner, die sämtliche Richtungen der jüdischen Religion vertraten, um ihm zu danken. Wofür? Für die Liste mit den Gründen müssten wir uns zu einem nächsten Gespräch verabreden.

(Johannes Paul II. gilt als Vorkämpfer der Versöhnung und Brüderlichkeit zwischen dem Christen- und Judentum. Am 13.4.1986 besuchte mit ihm erstmals ein Papst die römische Synagoge. Er erkannte die Diskriminierungen und das zugefügte Leid gegenüber Juden an, verurteilte die Judenverfolgungen und alle Ausdrucksformen des Antisemitismus „in allen Zeiten und von welcher Seite auch immer“ und bezeichnete die Juden mit Blick auf das Alte Testament als "Lieblingsbrüder". Ende 1993 nahm der Vatikan diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Im Jahr 2000 besuchte der Papst auf einer historischen Reise das Land.)

 

Bardzo serdecznie dzękujemy za rosmowę, drogi Arkadiuszu!
Wir danken Dir sehr herzlich für das Gespräch, lieber Arkadiusz.

(Das Interview wurde am 15. Mai 2020 von Stephan Raabe geführt)

 

Zum Gesprächspartner:

Arkadiusz Stempin, geb. 1964, ist seit 2009 Inhaber des Konrad-Adenauer-Lehrstuhls für europäische Integration an der Józef Tischner Hochschule in Krakau; er studierte Geschichte in Krakau und Freiburg i.Br., wo er 2003 mit einer Arbeit über „Das Maximilian-Kolbe-Werk. Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung 1960-1989“ promoviert und 2008 mit einem Werk über „Das vergessene Gouvernement. Deutsche Besatzungspolitik in Polen im Ersten Weltkrieg. Kultur, Konfession und Bildungspolitik“ habilitiert wurde. In Polen ist er Kommentator für unterschiedliche Medien und Kooperationspartner der Konrad-Adenauer-Stiftung.

2014 veröffentlichte er in Polen das Buch „Angela Merkel – Cäsarin Europas (Angela Merkel – cesarzowa Europy); 2016 „Verbündete. Von Friedrich und Katharina den Großen bis Merkel und Putin“ (Sojusznicy od fryderyka I katarzyny wielkiej do merkel I putina) über die deutsch russischen Beziehungen in den letzten drei Jahrhunderten, das in Polen als „wirklich spannende Lektüre“ empfohlen wird. Am 22. Oktober 2019 hat er in der Reihe der Geschichtslectures der Konrad-Adenauer-Stiftung Brandenburg und des Historischen Instituts der Universität Potsdam den Vortrag zum „Zweiten Weltkrieg aus polnischer Sicht“ gehalten.

Bücher in deutscher Sprache:

Das Maximilian-Kolbe-Werk (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 107), Ferdinand Schöningh Verlag 2006, 471 Seiten.

Das vergessene Generalgouvernement. Die Deutsche Besatzungspolitik in Kongresspolen 1914-1918, Ferdinand Schöningh Verlag 2019, 553 Seiten.

 

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Stephan Georg Raabe

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Brandenburg

Stephan.Raabe@kas.de +49 331 748876-0 +49 331 748876-15

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