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Lehren aus der Landtagswahl in Brandenburg

Eine Nachlese zu den Wahlanalysen und den Folgerungen daraus

In drei Vortragsveranstaltungen des Politischen Bildungsforums Brandenburg im Herbst 2019 und einem Workshop wurden die Landtagswahlen am 1. September 2019 analysiert. Bemerkenswerte Ergebnisse und Folgerungen daraus fasst der Bericht zusammen.

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Gerade Demokratien sind darauf angewiesen, gegenüber der Konjunktur des Postfaktischen, des politischen Meinungsrelativismus und der Inszenierung im politischen Marketing durch nüchterne Analysen die Fakten, die „Wahrheit der Tatsachen“, im Blick zu behalten. Nach Wochen des Wahlkampfes, der erfolgten Wahl und Regierungsbildung  ist es deshalb gut und notwendig, die Gründe für den Ausgang von Wahlen zu untersuchen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Das gilt insbesondere dann, wenn durch die Wahlen erhebliche politische Verschiebungen deutlich werden und Verluste zu Buche schlagen.

Deshalb analysierte Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Parteien- und Wahlforscher  von der Freien Universität Berlin, für das Politische Bildungsforum Brandenburg anhand einer PowerPoint-Vorlage die Wahl in Brandenburg bei drei Vortragsveranstaltungen in Potsdam, Werder und Oranienburg und einem Workshop  im Herbst 2019, wobei er stichpunktartig auch auf die jeweiligen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zu den Wahlen in Sachsen einging. Erläutert wurden etwa:

  • Der Unterschied zwischen Prozent und Prozentpunkten, was in den Medien oft gleichgesetzt oder vertauscht wird. So hat die CDU in Brandenburg zwar „nur“ 7,4 Prozentpunkte verloren von 23 auf 15,6 Prozent. Das bedeutet aber einen Verlust von 32,2 Prozent, also von knapp einem Drittel, gegenüber ihrem Wahlergebnis von 2014. Die Linke verlor ebenfalls 7,9 Prozentpunkte, was bei ihr aber ein Minus von 42,5 Prozent ausmacht, weil sie von 18,6 auf 10,7 Prozent abrutschte. Dagegen gewann die AfD 11,3 Prozentpunkte auf 23,5 Prozent hinzu. Sie konnte damit ein Plus von 92,6 Prozent verbuchen, ihr Ergebnis also fast verdoppeln.
  • Die Entwicklung der Gewinne und Verluste der Parteien auf längere Sicht laut der sogenannten Sonntagsfrage, bei der SPD, Linke und CDU bis kurz vor der Wahl absolute Tiefpunkte erreichten, die AfD dagegen Höchstwerte erzielte.
  • Die spezifische Lage, die sich durch die Polarisierung zwischen SPD und AfD in den letzten Wochen vor der Wahl ergeben hat und der SPD am Ende einen gewissen Aufschwung brachte.
  • Die Folgen der von 47,9 auf 61,3 Prozent, also um 22 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung: Von den bisherigen Nichtwählern gaben rund 115.000 der AfD ihre Stimme, mehr als SPD (65.000) und CDU (43.000) zusammen. Bei den Erstwählern schnitten die Grünen mit 12.000 am besten ab und bekamen damit genauso viel wie SPD (7.000) und Linke (5.000) zusammen. Und auch bei den Zugezogenen bekamen die Grünen mit 24.000 die meisten Stimmen vor der der AfD mit 19.000.
  • Die Wählerwanderungen, bei denen die CDU knapp ein Achtel (12,3 %) ihrer Stimmen an die AfD verlor, wogen die Abwanderung nach links mit 6,1 Prozent nur die Hälfte ausmachte (3,1 % zu den Grünen, 2,6 % zur SPD, 0,4 zur Linken).
  • Das unterschiedliche Wahlverhalten der einzelnen Altersgruppen.

Das Wahlverhalten insgesamt wurde anhand eines Modells analysiert, das 1. die längerfristige Parteibindung, die nur noch bei etwas unter 30 Prozent der Wähler ausschlaggebend sei, 2. die aktuellen Inhalte und Sachthemen, 3. die Kandidaten (nach Bekanntheit, Kompetenz, Glaubwürdigkeit, Führungsqualität, Sympathie) und 4. die bundespolitischen Einflüsse anhand von Umfragedaten untersucht. Ein Fazit in Bezug auf die Union: Bei bröckelnder längerfristiger Parteibindung konnte die CDU in Brandenburg – teilweise im Gegensatz zu Sachsen – weder mit Themenkompetenz – Hauptthemen waren: Infrastruktur (von 28 % gennannt) , Bildung (17 %) sowie Umwelt (13 %), Arbeit und Flüchtlinge (je 12 %) - noch mit ihrem Personal besonders punkten, sondern schnitt in den Umfragen unterdurchschnittlich ab. Trotz einer Unzufriedenheit mit der Landesregierung von 51 Prozent (2014 nur 37 %) lag die SPD bei der Zuschreibung von Problemlösungskompetenz weiter klar vor der CDU, die als größte Oppositionspartei nicht als die adäquate Regierungsalternative angesehen wurde, wobei sie auch aus der Bundespolitik keinen Rückenwind erhielt, im Gegenteil. Letzteres galt aber für die SPD mindestens ebenso.

Die AfD im Fokus

In einem Exkurs ging Prof. Niedermayer auf die Wählerschaft der AfD ein, die nach der SPD mit 26,2 Prozent mit 23,5 Prozent die zweitstärkste Kraft wurde. Hier müsse man zwischen ideologischen Hardlinern wie dem völkisch-nationalistischen "Flügel“ (Höcke, Kalwitz u.a.) und dessen Anhängern, bei dem nicht klar auszumachen sei, welchen Anteil diese in der Partei hätten, und dem größeren Teil der Denkzettel- und Protestwähler unterscheiden, die sich in unterschiedlicher Weise politisch, kulturell oder ökonomisch depriviert fühlten, also zu wenig beachtet, benachteiligt, politisch nicht mehr beheimatet.  Das gehe mittlerweile über das seit 2015/16 gesetzte Megathema der Flüchtlingspolitik, das lange absolut dominant gewesen sei, hinaus und greife auf andere Politikbereiche über, bei denen die AfD ein Alleinstellungsmerkmal im Parteienspektrum habe.  Während alle anderen Parteien also von gut Zweidritteln ihrer Wähler aus politischer Überzeugung gewählt würden, sei dies bei der AfD genau andersherum: so hätten in Brandenburg 56 Prozent die AfD primär aus Enttäuschung über die anderen Parteien und nur 36 Prozent aus politisch-programmatischer Überzeugung gewählt. Früher sei der Anteil der Protestwähler bei der AfD noch höher gewesen, was zeige, dass sie sich mittlerweile auf dem Weg von einer Protestpartei zu einer Richtungspartei befände.

In diesem Zusammenhang seien zwei weitere Umfragen von Interesse. Zum einen sagten 78 Prozent, die Politik vernachlässige die Bürger auf dem Lande, während keiner der gegenteiligen Meinung war; zum anderen meinen 59 Prozent, die Ostdeutschen seien noch immer „Bürger zweiter Klasse“ (77 % bei AfD-Wählern, 70 % bei Linken-Wählern, 56 % bei SPD-Wählern, 38 % bei CDU-Wählern). Gleichzeitig konzedierten 56 Prozent, die AfD spreche aus, was in anderen Parteien nicht gesagt werden dürfe.

Auf die Frage, wie rechtspopulistisch bzw. rechtsextrem die AfD eigentlich sei, gab Niedermayer eine differenzierende Antwort. Der Begriff des „Rechtspopulismus“ sei als politischer Kampfbegriff hinsichtlich seiner inhaltlichen Bestimmung und Abgrenzung wissenschaftlich sehr umstritten. Aus einschlägigen Umfragen gehe hervor, dass es in Deutschland einen Bodensatz von 8 bis 10 Prozent von Menschen mit Anklängen an rechtsradikales Gedankengut gebe. In Bezug auf die AfD deuten Untersuchungen darauf hin, dass hier der Anteil bei ca. 27/28 Prozent liege, also rund dreimal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Im Umkehrschluss bedeute dies aber auch: gut 70 Prozent der AfD-Anhänger seien eben nicht rechtsradikal oder rechtsextrem.

Wie weiter?

Was den Ausblick auf die Koalitions- und Regierungsbildung angeht, verwies Niedermayer auf die deutliche Präferenz bei Linken (84 %), Grünen (82 %) und SPD (66 %) für eine Linkskoalition. Andererseits hätten die Linken nun zweimal hintereinander in der Regierung mit der SPD verloren: 8,6 Prozent 2014 und 7,9 Prozent jetzt 2019, was den Gang in die Opposition nahe lege. Zudem könnten sich bei den Grünen auch 57 Prozent eine Kenia Koalition zwischen SPD, CDU und Grünen vorstellen, bei der CDU 69 Prozent und bei der SPD 49 Prozent. So ist es ja dann auch gekommen, obwohl vor der Wahl diese Variante von rund 45 Prozent abgelehnt und nur von einem Drittel gewünscht wurde.

Im Gespräch mit den Teilnehmern wurden weiter Aspekte der Wahl vertiefend behandelt, so etwa die generelle Ausrichtung der CDU, der Charakter der Linkspartei, die Gründe für die Gewinne der Grünen und vor allem der AfD besonders im Osten, die weltanschauliche Polarität zwischen AfD und Grünen an der Scheidelinie von Nationalität und Multikulturalität, die Gründe für die gestiegene Wahlbeteiligung, die Rolle der Medien, die Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses nach links bzw. nach rechts je nach Wahrnehmung und Standpunkt und die Erwartungen an die Regierungsbildung.

Herausforderungen und Aufgaben

Für die Union in Brandenburg ergeben sich aus dieser Analyse des Wahlergebnisses einige zentrale Aufgaben. Zunächst in Bezug auf die drei Kernpunkte: die Kandidatenwahl an der Spitze und in den Wahlkreisen, die thematische Profilierung und die programmatische Ausrichtung. Sodann in Bezug auf die Wählergruppen, bei denen sie schlecht abgeschnitten hat: bei den bisherigen Nichtwählern und den Neuwählern und bei den jüngeren Wählern bis Mitte 40, also denen, die die Gesellschaft künftig tragen werden. Schließlich bleibt die Kardinalfrage, ob und wie man die größere Zahl an Protestwählern, die die AfD als Ventil für ihr Nicht-Einverständnis in zentralen politischen Fragen nutzen, zurückgewinnen kann. Ohne eine gute, pragmatische Sacharbeit der Union in der Landesregierung an der Seite von Sozialdemokraten und Grünen wird es nicht gehen. Das wird aber nicht ausreichen, um politisch zu reüssieren. Die Politik muss gleichzeitig wieder mehr mit einem klar erkennbaren Standpunkt des Grundsätzlichen in Verbindung gebracht und kommuniziert werden, also mit christdemokratischen Grundorientierungen, die sich auf die Mitte und den rechten Bereich des politischen Spektrums beziehen, denn links von der Mitte tummeln sich mit Grünen, Sozialdemokraten und Linken schon genügend Parteien. Nur so lässt sich wieder ein stärkeres politisches Profil, Deutungs- und Diskursmacht, Integrität und damit Vertrauen gewinnen bzw. zurückgewinnen. Dies gilt für die anderen Wahlverlierer, also SPD und Linke, im übrigen spiegelbildlich in gleicher Weise mit Blick auf die Mitte und das linke Spektrum. In der Koalition von SPD, CDU und Grünen wird der Erfolg der einzelnen Parteien maßgeblich davon abhängen, inwieweit den Parteien diese unterschiedliche Profilierung und damit Erkennbarkeit auch aus der gemeinsamen Arbeit heraus gelingen wird.

 

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Stephan Georg Raabe

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Brandenburg

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