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Einzeltitel

Leipzig liest

од Prof. Dr. Michael Braun

Neuerscheinungen zur Frühjahrs-Buchmesse, vor allem von KAS-Literaturpreisträgern

Auch Kafka war da. Ende Juni 1912 hatte er die Bücherstadt besucht, nörgelte herum, weil er am Platz von Auerbachs Keller eine Baustelle vorfand, und verkniff sich nicht die listige Bemerkung, dass die Verleger „den Tagesdurchschnitt der deutschen Literatur“ beeinflussten. Der wird auf der Leipziger Buchmesse zuverlässig überboten. Und das nicht nur, weil diesmal Tschechien Gastland der Buchmesse ist und weil der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (an Masha Gessen) und der Preis der Leipziger Buchmesse (für den auch Anke Stelling nominiert ist) verliehen werden.

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Was die Literaturpreisträger der Stiftung machen, wenn sie nicht gerade an einem neuen Buch schreiben wie Patrick Roth (Thema bleibt noch geheim) und Rüdiger Safranski (eine Hölderlin-Biographie) oder auf Reisen sind wie Louis Begley, der Anfang März den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet besuchte, das ergibt sich aus ihren aktuellen Büchern:

Mit der Schere dichten: Herta Müllers neue Text-Bild-Collagen

Im Sommer 2018 zeigte und las Herta Müller (Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2004) auf Einladung der Stiftung in Bad Iburg ihre Collagen. Auf der Bühnenleinwand stand eine zu lesen: „Und in der ersten Person Singular wohnt der durchsichtige Narr,“. Die Zuhörer waren natürlich neugierig, warum hinter „durchsichtige Narr“ ein Komma steht. Ganz einfach, erklärte Herta Müller: Es sei ihr zu umständlich gewesen, das Komma hinter dem dünnen „r“ wegzuschneiden. Der Satz kann also weitergehen, durchsichtig werden auf die Wirklichkeit, aus der heraus Herta Müller schreibt. Geboren im rumäniendeutschen Banat, erlebte sie die Schikanen einer osteuropäischen Diktatur. Dem Teufelskreis von Angst und Dauermisstrauen entwand sie sich mit der „verwunschenen Logik“ der Wörter, einer poetischen Wahrheit, der die Securitate nichts entgegenzusetzen hatte. Teil dieser Wahrheitssuche ist es, die Feinde der Freiheit mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, mit der Schere! Seit über 20 Jahren schneidet sie Wörter und Bilder aus Zeitungen aus und montiert sie zu Wortkunstbildern, die eine eigene, eine freie Wirklichkeit erschaffen, und das mit dem "Heimweh" nach einem Ort, an dem es keinen Verrat gibt, und im Bewusstsein des Dauerrisikos: „vielleicht haben auch Wörter ein schimmerndes Gemüt und betreiben Amtsmissbrauch“. Soeben ist ihr fünfter Collagenband „Im Heimweh ist ein blauer Saal“ erschienen, Stücke daraus wurden kürzlich im Rahmen einer Ausstellung des Zentrums für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen mit einer Lesung von Herta Müller und einer Rede von Norbert Lammert präsentiert.


Wohin verschwindet der Mönch am Meer? Hartmut Langes neue Novellen

Hartmut Lange hat den Literaturpreis der KAS 1997 bekommen. Sein ihm ebenbürtiger Laudator, der philosophische Skeptiker Odo Marquard wies nach, warum sich Zweifeln und Erzählen nicht ausschließen müssen. Diese Kunst beherrscht Lange meisterhaft. Zuverlässig erscheinen alle Jahre wieder – und das seit Anfang der 1980er Jahre – Novellen, neulich: „An der Prorer Wiek und anderswo“. Langes lüpft metaphysischen Vorhang vor den Dingen nur ein wenig. Was dahinter ist, bleibt unbeobachtbar, wirft aber Schatten oder Lichtstreifen. Etwa in der Novelle „Der Mönch am Meer“. Man muss sich das einmal so vorstellen, im Wortsinn: Da geht ein kunstbeflissener Zeitgenosse in die Alte Nationalgalerie und findet den Mönch auf Friedrichs berühmtem Gemälde nicht mehr. Wo ist er hin? Wenig später begegnet unser Held einem Mönch am Meer; das wirkt unheimlich und wird am Ende nur halbwegs aufgeklärt. „Meine Geschichten entstehen aus der Erfahrung der Unheimlichkeit und aus dem Willen zur Form, die surrealistisch ist“, sagte der 82-jährige Hartmut Lange am 12. März auf einer Lesung in Düren.

Moderne Frauenleben: Burkhard Spinnens Fontane-Buch

Es ist ein Fontane-Jahr. Zum 200. Geburtstag des Schriftstellers wurde der Romancier Preußens (Hans Dieter Zimmermann), der Kriegsreporter und Romancier der Hauptstadt (Iwan-Michelangelo D'Aprile), der Erzähler der tausend Finessen (Norbert Mecklenburg) wiederentdeckt. Burkhard Spinnen, KAS-Preisträger 1999, wählt einen anderen Weg. Er wendet sich in seinem Buch „Theodor Fontanes zeitlosen Heldinnen“ zu. Darin folgt er Wolfgang Matz, der in seinem Buch über die „Kunst des Ehebruchs“ (in Romanen des 19. Jahrhunderts!) nachgewiesen hat, warum Madame Bovary leidet, Effi Briest lügt und Anna Karenina liebt. Spinnens Lesart liegt im Haupttitel seines Buchs verborgen: "Und alles ohne Liebe". Unsere Gegenwart, so Spinnen, stecke voller Fontanescher Frauenleben. Aus acht Berliner Romanen Fontanes lässt Spinnen eine „Riege der inneren Rebellion“ aufmarschieren, die in ihrer Gesellschaft nicht das werden konnten, was sie heute hätten werden können. Effi führe ein „verstecktes Kinderleben“, die verwitwete Adlige Poggenpuhl versuche festzuhalten, was längst weggerutscht ist, nur die ebenfalls verarmte Mathilde Möhring lässt sich von ihrem Untermieter heiraten, „coacht ihren Ehemann, schubst ihn in die richtigen Positionen und steuert sein Self-Marketing.“ Ein Buch, das Lust macht, Fontane wiederzulesen.

Warum reisen? Cees Nooteboom Venedig-Buch

„Laufen und Lesen“ sind für den niederländischen Autor Cees Nooteboom nicht nur pathetische Vokabeln der Freiheit, der libertà, sie gehören auch zusammen, wie Denken und Reisen. Der nachdenkliche Gang durch Länder und Bücher zeichnet Nootebooms Werk aus. Auch in seinem neuen Buch Venedig. In „Der Löwe, die Stadt und das Wasser“ zeigt sich Nooteboom als philosophierender Weltbürger, als poetischer Wanderer zwischen den Welten und Zeiten. Seine Venedig-Beobachtungen strahlen das aus, was die Franzosen genie du lieu nennen, eine „gesteigerte Form des Ausdrucks“, der Nooteboom „mit einer gesteigerten Form des Schauens“ begegnet: „mit Schreiben und Fotografieren“ (die Bilder in seinen Büchern stammen von seiner Frau Simone Sassen). 1964 war er das erste Mal in Venedig, die erste Gondelfahrt fand erst Jahrzehnte später statt. Aus einem längeren Aufenthalt 2018 ist dieses Buch entstanden. Nooteboom hat seine „Erinnerungen an Schemen, Monteverdi, Proust, Wagner, Mann“ in Venedig gesammelt, er erzählt von seinen Besuchen in der Accademia, in San Marco, auf den Kanälen – und entdeckt ein Venedig im Plural, eine fluide Stadt, die das Reisen aus Neugier und Kunstsinn belohnt. Ein Entdeckerbuch.

Wie feiert man einen 90.? Günter de Bruyn kehrt zum Roman zurück

Günter de Bruyn, Jahrgang 1926, hat in der ehemaligen DDR unangepasste, listige Romane geschrieben und sich dann, nach einer Autobiographie über ein Leben in zwei deutschen Diktaturen, einen Namen als Erzähler der Geschichte Brandenburgs und Berlins einen Namen gemacht. Nun folgt nach drei Jahrzehnten wieder ein Roman. „Neunzig Jahre“ spielt im August 2015, also mitten im Jahr der Willkommenskultur. Hedwig Leydenfrost feiert in der märkischen Provinz ihren 89. Geburtstag, und die Familie überlegt, was man an ihrem 90. anfangen kann. Vielleicht eine Spendenaktion für Flüchtlinge? Das würde Hedwig gefallen: weil sie schon früher, als Wortführerin der außerparlamentarischen Opposition, „verlangt hatte, möglichst viele Fremde ins Land zu holen, um die deutsche Kultur zu einer globalen, also weniger deutschen werden zu lassen“, fühlte sie sich jetzt – anders als ihr Bruder – „verpflichtet, die von der Kanzlerin geforderte Freude über die ungeregelte Ankunft der vielen Kriegs- und Armutsflüchtlinge mitzuempfinden, obwohl ihr dabei das eigentlich doch auf Opposition getrimmte Gewissen schlug.“ Der Roman erzählt von einem langen Leben im kurzen 20. Jahrhundert und den Lektionen aus der Geschichte für die Gegenwart, es geht um Glauben und Gewissensnot, Fortschrittsangst und Mut zu Altbewährtem, die Grenzen des Genderns und die Schönheit der deutschen Sprache, alles in einem gelassenen Ton wie bei Fontane, in dem sich Idylle und Zeitkritik nicht ausschließen.

Und die Lyrik? Ein Band mit Liebesgedichten von Albert Ostermaier

Albert Ostermaier hat eine Ode auf Oliver Kahn verfasst, er schreibt über Film, Musik und Sport, ist ein bekannter Dramatiker – und hat seit seinen ersten Büchern „Herz Vers Sagen“ und „Verweigerung der Himmelsrichtung“ mit seinem Empfindsamkeits-Rap und nach eigenen Worten freimetrischen „Labyrinthen“ und die deutsche Lyrikszene mächtig aufgemischt, wovon er auch die Teilnehmer einer Autorenwerkstatt der Stiftung in Cadenabbia überzeugte. Den neuen Gedichtband „Über die Lippen“ kann man auf zwei verschiedene Weisen lesen. Entweder nimmt man die Gedichte als das, als was sie angekündigt sind: als Liebesgedichte über Emotionen, Leidenschaften, Liebesleid und Lust, Hingerissenheit und Sehnsucht. Dann bekommt man Verse in konsequenter Kleinschreibung, ohne Punkt und Komma, die aus dem abgegriffenen Wortschatz der Liebe immer wieder kleine Perlen bergen, etwa in dem Gedicht über das unfassbare "herz" oder über die "verausgabung" eines Liebenden, der nur die Geliebte gewinnen will, sonst nichts. Man kann aber auch der Leseanleitung im Klappentext des Buches folgen und den Gedichten mit einem der schönsten Bücher über Liebe folgen, den "Fragmenten einer Sprache der Liebe" von Roland Barthes (1977 erschienen). An den Sprachszenen in Barthes' Buch orientiert sich Ostermaier, inhaltlich und auch formal. Barthes inszeniert die Ausdrucksweisen des liebenden Subjekts in Grundsituationen von der "Abhängigkeit" über "Klatsch" und "Kleidung" bis zum "Verbergen"; und Ostermaier bedient sich dieser Figuren in den Gedichttiteln mit großer Kunstfertigkeit und gewinnt poetische Einsichten in die Liebe, die man Roland Barthes nur in ihrer Existenz, nicht in ihrer Essenz wahrnehmen kann.


Günter de Bruyn: Der neunzigste Geburtstag. Ein ländliches Idyll. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2018.

Hartmut Lange: An der Prorer Wiek und anderswo. Novellen. Zürich: Diogenes, 2019.

Cees Nooteboom: Venedig. Der Löwe, die Stadt und das Wasser. Mit farbigen Fotografien von Susanne Sassen. Berlin: Suhrkamp, 2019.

Albert Ostermaier: Über die Lippen. Gedichte. Berlin: Suhrkamp, 2019.

Burkhard Spinnen: Und alles ohne Liebe. Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen. Frankfurt am Main: Schöffling, 2019.

Herta Müller: Im Heimweh ist ein blauer Saal. Berlin: Hanser, 2019.

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