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„Es gibt eine Spaltung unter den Palästinensern“

Thomas Birringer, Leiter des KAS-Auslandsbüros in den Palästinensischen Autonomiegebieten, zum Gaza-Konflikt

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Auch am zwölften Tag der Kämpfe im Gaza-Streifen zwischen Israel und der Hamas ist keine Lösung für den Konflikt in Sicht. Immerhin haben sich beide Parteien auf eine dreistündige Waffenruhe geeinigt, um Hilfslieferungen zu ermöglichen. Für Thomas Birringer, Leiter des KAS-Auslandsbüros in den Palästinensischen Autonomiegebieten, ist dies aber nur ein erster Schritt, um die humanitäre Lage im Kampfgebiet zu verbessern. „Letztlich kann die Situation nur nach dem Ende der Kampfhandlungen nachhaltig verbessert werden“, stellt er im Interview mit KAS.de heraus. Zudem spricht er über die unterschiedlichen Positionen im Lager der Palästinenser, die Rolle der Vermittler und die mögliche Zukunft des Gaza-Streifens nach Beendigung der Kämpfe. Ein Überblick über die Lage in Gaza in neun Antworten.


Was will Israel mit den Kampfhandlungen gegen die Hamas erreichen?

Birringer: Das operative Ziel ist offen. Ein sicheres Ende des Raketenbeschusses durch die Hamas lässt sich nur mit der Zurückeroberung des Gaza-Streifens erreichen, was sehr schwierig und verlustreich sein würde. Eine Waffenruhe zu besseren Konditionen würde Gespräche mit Hamas erfordern, wozu Israel im Moment nicht bereit ist. Eine dauerhafte Wiederbesetzung des Gaza-Streifens durch Israel wäre allerdings nicht sinnvoll und wird nach allen Aussagen aus Israel auch nicht angestrebt.

Wie reagiert die palästinensische Bevölkerung auf die Kämpfe im Gaza-Streifen?

Birringer: Die Palästinenser sind betroffen und sehr aufgebracht. Im Westjordanland, in Ostjerusalem und auch in den arabischen Städten in Israel kommt es zu teilweise gewalttätigen Protesten gegen diesen Angriff. Ich rechne nicht mit einer dritten Intifada, aber die Aufregung ist schon groß. Es gibt eine kleine aber wichtige Minderheit, vor allem in der Westbank, die nach der gewaltsamen Übernahme des Gaza-Streifens durch die Hamas noch eine Rechnung mit den Islamisten offen hat und das gegen die Hamas gerichtete militärische Vorgehen tendenziell eher befürwortet, da Hamas mit äußerster Brutalität gegen die innenpolitischen Gegner im Gazastreifen vorgegangen war.

Wie hat bisher die Fatah im Westjordanland auf den Angriff reagiert?

Birringer: Bemerkenswert sind die Stellungnahmen von Präsident Abbas, sowie einiger Fatah-Vertreter, aber auch aus Ägypten und Saudi-Arabien. All diese Stimmen geben Hamas zumindest eine Mitschuld an dieser Eskalation. Es gibt also eine Spaltung unter den Palästinensern, aber auch innerhalb der Fatah. So rief beispielsweise der Führer der „jungen Garde“ innerhalb von Fatah, der in Israel inhaftierte Marwan Barghouti, seine Parteifreunde auf, gemeinsam mit Hamas gegen Israel zu kämpfen.

Wie lange könnte der Konflikt noch andauern?

Birringer: Der bewaffnete Konflikt wird vermutlich bei der Amtsübernahme von Barack Obama (20. Januar, die Red.) zu Ende sein. Ob er schon vorher zu Ende ist, hängt davon ab, wie verlustreich er ist, wie stark die Vermittlungsversuche sind und ob Israel seine Ziele schon früher erreicht sieht. Israel hat mit Sicherheit eine Exit-Strategie, wahrscheinlich eine international sanktionierte Resolution. Ob das die Übergabe des Gaza-Streifens an die Palästinensische Autonomiebehörde oder sogar internationale Truppen beinhaltet, ist momentan allerdings noch völlig unklar.

Welche Rolle spielt der Übergang von George W. Bush zu Barack Obama während des Konflikts?

Birringer: Auch Obama hat klar Verständnis für Israel gezeigt, unterscheidet sich allerdings in Nuancen zu Bush. Von israelischer Seite will man die Amtseinführung nicht mit einem Krieg im Nahen Osten belasten, daher will man die Militäraktionen in Gaza bis dahin sicherlich beendet haben.

Wie kann eine bessere humanitäre Versorgung der Palästinenser im Gaza-Streifen gewährleistet werden?

Birringer: So wie die Kämpfe sich momentan gestalten ist es sehr schwierig, flächendeckend Hilfsgüter an die Bevölkerung zu bringen. Die aktuell beschlossenen Hilfskorridore während mehrstündiger Kampfpausen sind ein erster Schritt. Letztlich kann die Situation aber nur nach dem Ende der Kampfhandlungen nachhaltig verbessert werden. Langfristig kann der Gaza-Streifen nur befriedet werden, wenn er auch wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt.

Wie sind die Informationen der beiden Kriegsparteien über den Verlauf des Konflikts einzustufen?

Birringer: Wie bei allen asymmetrischen Konflikten sind die Medien und die Berichterstattung Teil der Kriegsführung, beide Seiten kämpfen auch mit Bildern. Hamas ist daran interessiert, dass möglichst viele Opfer der Angriffe gezeigt werden, und Israel will das eigene Leid darstellen. Neu ist, dass Israel internationalen Berichterstattern nicht erlaubt, auch nur in die Nähe des Gaza-Streifens zu kommen. Es gibt aus Gaza momentan also nur Bilder von palästinensischen Kameraleuten, was Hamas die Möglichkeit gibt, die Darstellung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Welche Institution bzw. welches Land hat die besten Voraussetzungen für eine Vermittlerrolle?

Birringer: Verschiedene kommen in Frage: Ägypten ist allerdings stark in der Kritik der anderen Araber, in einer ähnlichen Situation ist Saudi-Arabien. Die Türkei ist wichtiger geworden und könnte eine Rolle einnehmen, ebenso die EU, die aber unbedingt mit einer Stimme sprechen muss. Der entscheidende Vermittler ist nach wie vor die USA, einfach weil sie die größte „Hard Power“ aufbringen können.

Wie könnte es nach Ende des Konflikts mit den verschiedenen Parteien im Gaza-Streifen weitergehen?

Birringer: Eine Variante ist, dass die Fatah das Gebiet auf irgendeine Art und Weise zurückgewinnt. Das ist das Best Case Szenario, wir hätten dann wieder eine Stimme die für die Palästinenser spricht, und zwar unter dem prowestlichen Abbas. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass eine solche Lösung nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung hätte. Vielleicht kann aber Hamas die militärische Niederlage auch in einen politischen Sieg ummünzen, so dass sie unter der Oberfläche doch Nutzen aus dem Konflikt zieht und die Islamisten im arabischen Raum insgesamt gestärkt werden.

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