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15. September 1949: Interview des Bundeskanzlers, Adenauer, mit der französischen Nachrichtenagentur Agence France-Presse

Keesing's Archiv der Gegenwart. 19. Jg. (1949), 2069.

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Frage: Glauben Sie, daß der Beitritt Deutschlands zum Atlantikpakt möglich oder wünschbar sei?

Antwort: Ein Beitritt zum Atlantikpakt setzt eine bewaffnete Nation voraus. Deutschland ist abgerüstet. Außerdem hat es während des Krieges riesige Verluste an Menschen und Reichtümern erlitten. Zudem haben wir nicht den Wunsch, unser Volk einer neuen blutigen Prüfung auszusetzen. Diejenigen, die uns entwaffnet haben, besitzen die moralische Pflicht, über unsere Sicherheit zu wachen und uns gegebenenfalls zu verteidigen.

Frage: Wie werden nach Ihrer Ansicht die Beziehungen der Bundesrepublik mit der westlichen Welt beschaffen sein?

Antwort: Deutschland gehört der westlichen Welt an. Seine Beziehungen mit ihr verlangen die ganze Aufmerksamkeit des Westens. Unsere Zugehörigkeit zum Westen darf von niemand bezweifelt werden. Wir hoffen auch, daß unsere Beziehungen mit dem Westen sich allmählich bessern.

Frage: Wie werden sich die Beziehungen der Bundesrepublik mit Westeuropa entwickeln?

Antwort: Ich hoffe, daß Deutschland bald in die Gemeinschaft der europäischen Völker aufgenommen werde. Was unsere Aufnahme in den Europarat betrifft, müssen wir indessen klug sein und den Eindruck vermeiden, als ob wir die Türe gewaltsam öffnen wollten. Ich glaube, daß es weise sein wird, unsere Kandidatur erst zu stellen, wenn wir die Gewißheit haben, daß Deutschland alle Aussichten hat, aufgenommen zu werden.

Frage: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die deutsche Einheit wiederherzustellen?

Antwort: In der nächsten Zukunft können wir nichts Bestimmtes tun, da das Problem der deutschen Einheit in vieler Hinsicht von den Beziehungen zwischen den westlichen Alliierten und Rußland abhängig ist. Wir müssen indessen alles tun, damit die 20 Millionen Deutschen in der Ostzone nicht den Eindruck erhalten, verlassen und vergessen zu sein. Die Bundesrepublik muß ein Anziehungspol für Ostdeutschland werden und die psychologischen Beziehungen mit dem Osten wahren und stärken. Unsere Politik darf indessen nicht zu dem Glauben verleiten, daß wir das in der Sowjetzone errichtete kommunistische Regime anerkennen.

Frage: Was denken Sie von den französisch-deutschen Beziehungen?

Antwort: Ich teile den Standpunkt Winston Churchills, daß die französisch-deutschen Beziehungen den Angelpunkt des europäischen Zusammenschlusses bilden. Ich habe diese Ansicht in Deutschland schon vor 25 Jahren verteidigt. Es wäre äußerst schädlich, wenn Probleme wie diejenigen der Saar diese Beziehungen ungünstig beeinflussen könnten. Frankreich hat im Saargebiet wirtschaftliche Interessen, und die saarländische Wirtschaft ist in vielen Beziehungen nach Frankreich orientiert. Auch Deutschland hat jedoch in der Saar wirtschaftliche Interessen. Darüber hinaus besitzt es dort politische Interessen, die Frankreich nicht besitzt. Es ist also nötig, daß das Saarproblem in europäischem Sinn gelöst wird.

Frage: Welches sind Ihrer Ansicht nach die dringendsten und wirksamsten Maßnahmen, die von der Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland getroffen werden müssen?

Antwort: Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, ein umfangreiches Wohnbauprogramm aufzustellen. Ich hoffe, daß es uns auf diese Weise gelingen werde, gleichzeitig das Problem der Arbeitslosigkeit und das ebenso schwere Problem der Unterbringung der Millionen Ostflüchtlinge und der im Krieg Geschädigten zu lösen.

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Dr. Ulrike Hospes

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Landesbeauftragte und Leiterin des Politischen Bildungsforums NRW /
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