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Das Kapitol - Raub der Europa

Ein Stadtspaziergang

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Unvorstellbar, dass die Gründungsväter der EWG nach Abschluss des Abkommens 1957 nicht einen Gang durch die Kapitolinischen Museen machten, um dort einige Meisterwerke anzuschauen, das Bronzeoriginal der ‚Wölfin mit den Zwillingen‘, den ‚Dornauszieher‘, den ‚Sterbenden Galater‘. Undenkbar auch, dass sie nicht in die Pinakothek gingen, um wenigsten das Gemälde von Paolo Veronese „ Raub der Europa “zu sehen, denn dieser Mythos gab unserem Kontinent den Namen. Zum Thema „Raub der Europa“ sind heute über 200 Kunstwerke in den großen Museen Italiens und Europas erhalten. Das älteste, ein Marmorrelief aus dem 6.Jahrhundert v. C, befindet sich im Archäologischen Museum in Palermo.

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Kapitolinische Museen, P. Veronese, Raub der Europa

Die Geschichte vom „Raub der Europa“ wird seit Homer in verschiedenen Varianten, vor allem von Ovid erzählt. In der Renaissance ging sie in die europäische Kunst und Literatur ein, immer wieder neu geschrieben und ausgelegt. Mit der Geburt des heutigen Europa erwachte auch der Mythos vom „Raub der Europa“ zu neuem Leben. Seither stimuliert er Politiker und Schriftsteller zu immer neuen Deutungen und bietet Künstlern anregenden Stoff. Der „Raub der Europa“ ist eine prickelnd erotische Geschichte von Göttern, Entführung, Liebe und Meer….

Europa, die schöne, junge phönizische Prinzessin, spielte mit ihren Gefährtinnen am Meeresstrand, als der Gott Zeus sich ihr in Gestalt eines weißen Stiers näherte und sich vor ihr niederlegte. Er war so zahm und sanft, dass sie gleich zutraulich wurde, ihn streichelte, mit Girlanden schmückte und dann auf seinen Rücken kletterte. Da erhob sich der Stier und lief mit ihr davon, sie hielt sich an seinen Hörnern fest und er entführte sie übers Meer auf die Insel Kreta. Dort gab er sich dem Mädchen als Zeus zu erkennen. Er machte Europa zu seiner Geliebten und sie hatten drei Kinder. Bevor Zeus sie verließ und auf den Olymp zurückkehrte, machte er ihr drei Geschenke, einen immer treffenden Speer, den schnellsten Hund der Welt und den Bronzemann, der täglich dreimal um die Insel Kreta lief, um Eindringlinge zu verjagen. Europa lebte dennoch traurig und alleine auf der Insel, als ihr im Traum die Göttin Aphrodite erschien und ihr verkündete: du wirst unsterblich werden, denn der namenlose Erdteil, auf dem du dich befindest, wird für immer deinen Namen EUROPA tragen. Getröstet heiratete Europa den König von Kreta, der ihre drei Kinder von Zeus adoptierte. Der Sohn Minos wurde später König von Kreta, Sarpedon König von Lykien in Asien (heute Südtürkei) und Rhadamanthys herrschte auf der Insel der Seeligen - wo immer das war. Den Stier hängte Zeus als Sternbild an den Himmel.

Schauen wir uns an, wie Paolo Veronese (1528-1588) den „Raub der Europa“ in seinem Gemälde in der kapitolinischen Pinakothek darstellt. Veronese stammte aus Verona, wie sein Name sagt, lebte und arbeitete aber seit seinem 25. Lebensjahr in Venedig. Mit Tizian, Tintoretto und Lorenzo Lotto gehört er zu den berühmten Malern der Lagunenstadt.

Vor bühnenhaften Hintergrund wird die Geschichte in drei Episoden nachgespielt: die Pyramide weist auf das Land der Phönizier, aus dem die schöne Prinzessin Europa stammte, im Vordergrund die große Verführungsszene mit dem Raub und rechts die Entführung übers Meer. Mit üppiger Pracht und erotischen Details scheint Veronese auch den Betrachter bezirzen zu wollen. Dem antiken Mythos getreu zeigt er den Raub als gewaltlose Verführung- als Triumph der Liebe. Nur ist Europa hier kein junges Mädchen, sondern eine erwachsene, sinnliche und zeitgenössisch reich gekleidete Frau der venezianischen Oberschicht, vielleicht auch eine ironische Anspielung des Künstlers auf das allzu ausschweifende Leben der venezianischen Gesellschaft seiner Zeit?

Wie hatte man in der Antike den Mythos „Raub der Europa“ verstanden? Zunächst als eine große Liebesgeschichte, einen Liebesakt. Aber es verbarg sich dahinter ein weiterer Bezug. Europa war die Tochter des Königs Agenor von Phönizien und seiner Frau Telephassa. (Die Phönizier lebten an den Küsten des heutigen Syrien und Libanon und hatten ihre Grenzen entlang der Mittelmeerküsten bis nach Karthago im heutigen Tunesien ausgedehnt). Die Entführung der „Europa“ durch den Gott Zeus auf die Insel Kreta wurde als eine friedliche Entführung verstanden. Also kein Konflikt, sondern eine Vereinigung zweier Kontinente.

Somit wäre der Mythos vom „Raub der Europa“ als Vereinigung verschiedener Völker zu verstehen. Griechen, Kreter, Phönizier und Ägypter werden zu einer kulturellen Einheit verbunden - mehr noch, im Mythos verbinden sich Himmel, Meer und Erde und die Götter mit den Menschen! Eine wunderbare Vorstellung.

Herodot von Halikarnassos hatte im 5. Jahrhundert v.C. erstmals den Begriff EUROPA als Bezeichnung für die Länder nördlich des Mittelmeeres eingeführt, um sie von Asien zu unterscheiden. Aber es waren damit nicht die geografischen Grenzen des heutigen Europa gemeint, in der Antike verschoben sich die Grenzen zwischen Osten und Westen ständig.

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Literatur

  • Almut-Barbara Renger, Hrsg. Mythos Europa. Texte von Ovid bis Heiner Müller; 2003
  • Anette Kuhn, Warum sitzt Europa auf dem Stier?

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