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Freya Klier: (Über)leben in einer Diktatur

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am 18. Oktober 2004 im Gymnasium Renningen

Artikel aus der Leonberger Kreiszeitung vom 20.10.04, von Henning Maak

"50 Prozent der Friedensbewegung waren Stasi-Leute"

Die von der DDR ausgebürgerte Autorin Freya Klier erzählt Renninger Schülern vom Leben in dem Staat

RENNINGEN - "Lassen Sie das Licht ruhig heller, dann sehe ich mein Publikum wenigstens ein bisschen", bat die Autorin und Filmregisseurin Freya Klier am Montagabend in der Aula des Renninger Gymnasiums. Ihr Publikum waren etwa 80 Zuhörer, darunter zahlreiche Schüler, die der DDR-Dissidentin andächtig lauschten, als sie vom Überleben in der Diktatur erzählte. Und das war hoch spannend.

In schwarzem Rock und grünem Pullover saß die 54-Jährige auf der Bühne. Ein Tisch zwei Stühle bilden eine schlichte Kulisse, die nicht ablenken sollte von dem, was die Berliner Autorin und Filmregisseurin zu erzählen hatte. Nach zwei Geschichten aus ihrem Buch "Wir Brüder und Schwestern" stellte sich Freya Klier den Fragen des überwiegend jugendlichen Publikums. Schon bei der Schilderung ihres Lebenslaufes hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch kam sie im Alter von 18 Jahren ins Gefängnis, "unter lauter Prostituierte, und ich war noch Jungfrau". Viel schlimmer erwischte es jedoch ihren Bruder, der sich im Alter von 30 Jahren in einer Nervenheilanstalt das Leben nahm. Das war für Freya Klier das Signal zum Wiederstand. 1980 gründetet sie zusammen mit Gleichgesinnten die Friedensbewegung und brachte Leute zusammen, die zehn Jahre später die Leipziger Montagsdemos organisieren sollten. Das blieb der Stasi nicht verborgen. Nachdem sie sich 1984 weigerte, die DDR zu verlassen, erteilte man der Schauspielerin und Regisseurin ein Berufsverbot. Die Repressalien wurden in den folgenden Jahren härter und gipfelten 1987 in einem Giftgasanschlag auf sie und ihren Mann, den Liedermacher Stephan Krawczyk. 1988 wurde sie schließlich ausgebürgert.

Der Kritische Blick auf das ehemalige Regime hat sie seitdem nicht verloren. Seit dem vergangenen Jahr leistet sie - unterstützt durch die Konrad-Adenauer-Stiftung - verstärkt Aufklärungsarbeit an Schulen. Dass gerade Ostdeutsche auf der gegenwärtigen Ostalgie-Welle mitschwimmen, erklärt sie sich mit der "40-jährigen Abwanderung von kritischer Intelligenz". Dennoch gebe es noch offene Menschen dort. "Fahren sie hin und sprechen sie mit den Leuten", riet sie den Zuhörern. Auch für die guten Ergebnisse der PDS bei den Wahlen hatte sie eine Erklärung: "In Ost-Berlin sind die Hälfte der alten Kaderleute Lehrer geworden. Die erziehen sich ihre neuen Wähler mit einseitigen Geschichten aus der Vergangenheit." In den dortigen Schulen sei sie kein gerngesehener Gast. "Die laden lieber den ehemaligen Spionage-Chef Markus Wolf ein."

Ob denn die Stasi auch ihre Friedensbewegung unterwandert hätte, wollte eine Schülerin wissen. "50 Prozent der Mitglieder waren Stasi Leute", eröffnete sie dem staunenden Zuhörern. Seit der Öffnung der Stasi-Akten weiß sie, dass 83 Spione sie und ihren Mann beobachtet hatten, "unter anderm auch das Kindermädchen". In ihrer kleinen Wohnung seien 23 Wanzen versteckt gewesen, selbst auf dem Klo war eine. "Die gleuben wohl, man würde da Selbstgespräche führen", erzählt Freya Klier rückblickend ironisch. Auch das Schlafzimmer sei verwanzt gewesen, "da fand dann natürlich sexuell erst mal nichts mehr statt". Eine kleine Rache bestand darin, dass sie den ungebetenen Zuhörern mit ihrem Mann eine Sado-Maso-Nummer vorspielte, die auch prompt als "merkwürdige Geräusche" in den Stasi-Akten vermerkt wurde.

In diesem Zusammenhang frage sie sich machmal, ob die Deutschen aus ihrer Geschichte lernen würden: "Die Unterlagen sind frei zugänglich, aber keiner interessiert sich dafür." In der DDR seien auf sechs Millionen Einwohner 500 000 Häftlinge gekommen. Drei ihrer vier Familienmitglieder hätten in Gefängnissen gesessen. "Dieser Staat darf nicht nur im Zusammenhang mit Jubelshows auftauchen", sagt Freya Klier, "vom Dritten Reich werden auch nicht nur Heinz-Rühmann-Filme gezeigt."

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