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"Sie erhielten dann mehrmals Spritzen..."

von Maria Bewilogua
"Tante Marianne": Ein Projekt zur historisch-künstlerischen Auseinandersetzung mit den Krankenmorden in Großschweidnitz

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„1944 beobachteten wir zunehmend häufiger, zunächst bei den Bettlägerigen, dass diese auffällig viel schliefen, dann nicht mehr gefüttert werden konnten. Sie erhielten dann mehrmals Spritzen. Wenn sie dann tot waren, wurden sie mit dem Betttuch herausgetragen und in einen Kasten mit Rädern getragen. Als es immer kritischer mit der Politik wurde, wurde das Elend noch schrecklicher und schlimmer für uns. Die armen kranken Kinder starben in den letzten Wochen häufiger nacheinander als bisher. Darunter waren auch Kinder aus Klein-Wachau, von denen ich als einzige übrigblieb. Ich schwebte täglich in Angst und Gefahr, denn woran konnte ich es merken, wenn sie auch mir irgendwelche Mittel ins Essen gaben, um einzuschlafen und nicht wieder aufzuwachen?“

Die vorangegangen Worte stammen aus dem Erinnerungsbericht von Marianne Kühn aus dem Jahr 1987. Sie wurde als junges Mädchen im Mai 1943 in die Landesanstalt Großschweidnitz verlegt und ist eine der wenigen Menschen, die die nationalsozialistischen Krankenmorde überlebt haben.

Während des Zweiten Weltkriegs töteten die Nationalsozialisten systematisch Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Dabei war auch Sachsen Ort dieser Verbrechen. In der ehemaligen Landesanstalt Großschweidnitz, die unweit von Bautzen lag, töteten Ärzte und Pflegekräfte gezielt Patienten mit erhöhten Medikamentendosen. Zudem wurden viele Patienten auch Opfer von Mangelernährung, Unterversorgung und schlechter Lebensbedingungen. Man geht heute von ca. 5700 Opfern aus. Geistige Grundlage für diese Mordaktionen waren der Sozialdarwinismus und die nationalsozialistische Rassenhygiene. Nach deren Vorstellung wurden arme und kranke Menschen sowie Menschen mit Behinderung als „minderwertig“ und „lebensunwert“ angesehen. Die heutige Gedenkstätte Großschweidnitz erinnert an diese Opfer.

Mittlerweile ist das Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als 70 Jahre her. Doch das vorangestellte Zitat von Marianne Kühn verdeutlicht, dass die Stimmen der Opfer und einzelne Schicksale uns trotz der zeitlichen Distanz immer noch bewegen können. Letztendlich kommt der Erinnerung daran eine besondere Bedeutung zu. Denn dadurch werden abstrakte, weit entfernte historische Ereignisse greifbar. Aus Ihren Geschichten kann eine Sensibilität für die Gegenwart und Zukunft erwachsen.

Ausgangspunkt für das Projekt „Tante Marianne“ war ebenfalls solch ein persönliches Einzelschicksal. Der Maler Gerhard Richter fertigte 1965 ein Gemälde von seiner Tante Marianne Schönfelder an, welche Opfer der Krankenmorde in Großschweidnitz geworden war. Mit seinem Werk setzte er seiner Tante ein Denkmal und rückte zudem die „Euthanasie“-Verbrechen in den Fokus der Öffentlichkeit.

Ausgehend von Gerhard Richters Werk „Tante Marianne“ hat die Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen in Kooperation mit der Gedenkstätte Großschweidnitz letztes Jahr zwei Exkursionstage durchgeführt. Die Schüler der Sorbischen Oberschule Bautzen und des Gymnasiums Dresden-Bühlau haben die Gedenkstätte Großschweidnitz, das Staatliche Hauptstaatsarchiv und Gerhard-Richter-Archiv Dresden besucht. Danach haben die Schüler ausgewählte Patientenakten von Opfern erhalten. Diese Patientenakten enthalten die Krankengeschichte und zahlreiche andere Dokumente wie Briefe. Auf Grundlage der Exkursionstage und dieser Quellen haben die Schüler dann die Biographien dieser Menschen erstellt und künstlerisch verarbeitet.

Wir möchten nun die Gelegenheit nutzten, um Ihnen eine Auswahl der künstlerischen Auseinandersetzungen der beiden Schulen vorzustellen. Die Schüler haben auf eindrucksvolle Art gezeigt, wie man Erinnerungskultur gestalten und verstehen lernen kann.

Darüber hinaus möchten wir ganz besonders dem Verein der Gedenkstätte Großschweidnitz für die Kooperation sowie dem Gerhard Richter Archiv und dem staatlichen Hauptstaatsarchiv in Dresden für gute Zusammenarbeit danken.

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Dresden Deutschland

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