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Johanna Frank

Veranstaltungsberichte

„Was tun wir im Bereich Sicherheit unserer Daten?“

von Johanna Frank, Dr. Jan Philipp Wölbern

11. Hohenschönhausen-Forum

In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat die Stiftung am 5. November das 11. Hohenschönhausen-Forum zum Thema „Überwachungsstaat?!“ Observation in Geschichte und Gegenwart“ ausgerichtet. Expertinnen und Experten diskutierten über Überwachung in der Diktatur und der Demokratie.

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Mit freundlicher Unterstützung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen fand das Forum erstmals in den Räumen der früheren Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in der Ruschestraße in Berlin statt. Marianne Birthler, ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, und Michael Borchard, Leiter der Hauptabteilung WD/ACDP der Stiftung, begrüßten die 140 Teilnehmer. Marianne Birthler hob den grundsätzlichen Unterschied zwischen den staatlichen Überwachungspraktiken einer Diktatur und einer Demokratie hervor: Diktaturen bräuchten die Überwachung für die totale Kontrolle ihrer Bürger, wohingegen freie Gesellschaften über das richtige Maß der Überwachung diskutieren und bestimmen könnten. Bei der Umsetzung der Überwachung müsse der demokratische Rechtsstaat umsichtig agieren, mahnte Michael Borchard. Er zitierte dafür das Bild des israelischen Historikers Hariri von der „Fliege im Ohr des Elefanten im Porzellanladen“: Die Fliege – Bedrohungen der Sicherheit wie z. B. Terroristen – reizten den Elefanten, damit er in seiner Wut das Porzellan – den Rechtsstaat – zertrümmere.

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hob in seinem Eingangsstatement hervor, dass Deutschland kein Überwachungsstaat sei, denn zum demokratischen Rechtsstaat gehörten unabhängige Datenschutzbeauftragte und eine unabhängige Justiz. Schon mehrfach hätten Gerichte Entscheidungen des Gesetzgebers kassiert. Die Möglichkeiten der Überwachung seien heute freilich ungleich größer als noch vor 30 Jahren. Digitalisierung, Miniaturisierung und technische Innovationen ermöglichten es, wesentlich größere Datenmengen zu sammeln. Besonders die repressiven Regime der Gegenwart seien an ihnen interessiert. Angesichts der Entwicklungen sei es daher die entscheidende Frage, wie die Gesellschaft die Kontrolle über ihre Daten zurückerlangen könne. Projekte wie die Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz sehe er deshalb grundsätzlich kritisch, sagte Schaar.

Panel I: Überwacher und Überwachte

Dr. Christoph Nehring, Leiter der Forschung im deutschen Spionagemuseum Berlin, wies im ersten Panel darauf hin, dass Überwachung seit der Antike eine Säule der Herrschaftssicherung sei. Geheimdienste und Geheimpolizeien seien jedoch eine Erfindung der Neuzeit gewesen. Der Politikwissenschaftler Rudolf van Hüllen erklärte, dass „Observation“ und „Überwachung“ zwei sehr verschiedene Dinge seien: Observation gehöre zu den „Jedermannsrechten“, sei jedoch durch den hohen Personalaufwand sehr teuer und biete häufig nur einen geringen Erkenntnisgewinn. Dass Polizei und Verfassungsschutz „Gefährder“ durchgängig observieren könnten, sei schon alleine deshalb eine abwegige Vorstellung.

Stefan Trobisch-Lütge, Psychologe und Leiter der Beratungsstelle „Gegenwind“ für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur, schilderte am Beispiel der Staatssicherheit der DDR die komplexen psychischen Prozesse, die bereits die Androhung einer Überwachung bei Betroffenen auslösen konnte. Besonders eindrücklich schilderte er einen Fall, in dem ein Patient die Überwachungsandrohung der Staatssicherheit derart verinnerlicht hatte, dass dies zu einer Zwangsneurose führte.

Dr. Thorsten Wetzling, Mitarbeiter der Stiftung Neue Verantwortung, plädierte in seinem Kurzvortrag für das vom Bundesverfassungsgericht angeregte Projekt einer „Überwachungsgesamtrechnung“. Die Praxis der Überwachung in Deutschland müsse außerdem in vergleichender Perspektive betrachtet werden, um deutsche Besonderheiten herauszuarbeiten. Kontrovers diskutierten die Panelisten über die Frage, ob die Judikative die Geheimdienste effektiv kontrolliere – oder manchmal nicht sogar behindere, wie Rudolf van Hüllen kritisierte.

Panel II: Überwachung in der Diktatur

Im zweiten Panel gaben Prof. Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, und Prof. Daniela Münkel, Projektleiterin in der der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, einen historischen Überblick über die Geheimpolizeien der NS-Diktatur und des SED-Regimes. Während die Gestapo im Jahr 1944 über 32.000 hauptamtlich tätige Mitarbeiter verfügte, hatte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR 1989 rund 90.000 hauptamtliche Bedienstete. Aus heutiger Sicht sei es erstaunlich, sagte Nachama, dass die Gestapo ein „relativ gutes“ Ansehen in der Bevölkerung genossen habe. Das sei demgegenüber bei der Staatssicherheit nicht der Fall gewesen sei, legte Daniela Münkel dar.

Dr. Jan Behrends vom Zentrum für Zeithistorische Forschung wies auf die Kontinuitäten zwischen der sowjetischen Geheimpolizei NKWD/KGB sowie seinen Nachfolgern in der heutigen Russischen Föderation hin. Zwar habe es in den frühen 1990er Jahren ein Zeitfenster gegeben, in dem ihre Abschaffung möglich gewesen wäre, doch sei diese nicht genutzt worden. Dass mit Wladimir Putin ein ehemaliger KGB-Mitarbeiter Präsident sei, zeuge vom Wiedererstarken des Geheimdienstes und seiner Netzwerke.

Besonders eindrücklich waren die Ausführungen von Prof. Christian Soffel, Sinologe an der Universität Trier, über das Sozialkreditsystems in der Volksrepublik China. Mit Punktegutschriften einerseits und harschen Sanktionen andererseits wolle das Regime die Menschen erziehen und damit Vertrauen in die Wirtschaft schaffen. Trotzdem habe das Programm eine wichtige politische Bedeutung. Für den europäischen Beobachter irritierend sei es, dass das System von vielen Chinesen als legitimes Mittel zur Bekämpfung von Missständen akzeptiert werde. Dennoch bestehe die große Gefahr, dass es die Entstehung einer Jasager-Kultur befördere, Kreativität ersticke und die Gesellschaft auf Dauer erstarre.

Panel III: Überwachung und Demokratie – eine Gratwanderung

Eingangs betonte Patrick Sensburg MdB, wie wichtig der Schutz privater Daten sei. Das Problem eines effektiven Datenschutzes sei nicht neu, doch hätten die Enthüllungen von Edward Snowden die Diskussion über das Thema befeuert. Das sei gut, denn der Staat habe Verantwortung für die Sicherheit der Daten seiner Bürger, so der Jurist. Der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Linus Neumann wies darauf hin, dass heute massenhaft Metadaten gesammelt würden. Dadurch entstehe eine „Überwachung, die sehr viel mächtiger ist, als es eine inhaltliche Überwachung je werden könnte“, erklärte Neumann. Die meisten Daten würden von Unternehmen wie Facebook gesammelt, stellten die Panelisten fest. „Egal ob etwas kostenlos ist oder nicht, man bezahlt immer mit Daten“, kritisierte Britta Rottbeck, die das Team für Digitalisierung, Infrastruktur, Landwirtschaft, Medienpolitik und Demoskopie der CDU-Bundesgeschäftsstelle leitet. Weiter forderte sie eine größere Aufmerksamkeit für das Thema Datenschutz.

Die Konsumenten hätten zudem meist kaum noch Möglichkeiten, ihre Daten vor Überwachung zu schützen, ergänzte Linus Neumann. Am Beispiel der aktuellen Plakatwerbung von Facebook, in der das Unternehmen mit neuen Privatsphäre-Einstellungen wirbt, zeigte Neumann, wie irreführend solche Aussagen sind. Schließlich bleibe das Unternehmen trotzdem im Besitz der Daten, führte der Hacker aus. Die Diskutanten waren sich einig, dass das Problem des Datenschutzes bei Unternehmen auf internationaler Ebene geklärt werden müsse. Datenströme nähmen schließlich keine Rücksicht auf nationale Grenzen und Rechtsräume.

Laut dem Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, könnten Kameras durchaus zur Sicherheit des öffentlichen Raums beitragen. „Kameras werden Folgetaten verhindern“, erklärte Jendro weiter. Deshalb seien sie nützlich, um Kriminalität zu bekämpfen und terroristischen Aktivitäten vorzubeugen. Durch die Veröffentlichung von Überwachungsvideos könnten Straftäter schneller überführt werden. So habe zum Beispiel der Mann, der im U-Bahnhof Hermannstraße in Berlin im Oktober 2016 einer Frau in den Rücken getreten hatte, rasch gefasst werden können. Trotzdem sei der „Wunsch nach Sicherheit“ immer „eine Gratwanderung“. Zur Besorgnis der Bürger, dass mittels Gesichtserkennungskameras im öffentlichen Raum in ihre Privatsphäre eingegriffen werde, sagte Linus Neumann, dass diese Systeme „Personen analysieren, nicht erkennen“. Auch deshalb sei Deutschland weit von einem Überwachungsstaat entfernt, ergänzte Benjamin Jendro.


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