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Veranstaltungsberichte

ADENAUER FORUM „Parlamentarismus in der Krise? – Reformfähigkeit der parlamentarischen Demokratie“

Am 27. November 2013 fand im Hotel Corinthia Towers in Prag die von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierte feierliche Tagung „Adenauer Forum“ statt. Die Einladung zur Diskussion über ein sehr aktuelles Thema „Krise des Parlamentarismus“ war von prominenten Repräsentanten der tschechischen und slowakischen Politik angenommen worden: Prof. PhDr. Iveta Radičová, Ph.D., ehemalige Premierministerin der Slowakei, und Karel Schwarzenberg, Vorsitzender der Partei TOP 09 und ehemaliger Außenminister der Tschechischen Republik.

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An der Konferenz beteiligten sich 130 Teilnehmer und begann mit einem Grußwort von Dr. Werner Böhler, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag. Er wies darauf hin, dass obwohl man Demokratie und Frieden in Europa häufig für einen Normalzustand halte, erleben wir in Wirklichkeit eine unikale Periode der europäischen Geschichte, die nicht nur eine Folge der Marktwirtschaft und der wirtschaftlichen Performance sei, sondern auch der demokratisch von der Politik eingeführten Rechtsordnung.

Das typische System für Mitteleuropa ist die parlamentarische Demokratie, die eine entsprechende Einbeziehung von Meinungsströmungen und Interessensgruppen in der Politik garantiere, die aber gleichzeitig einen hohen Maß an demokratischer Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger sowie Disziplin bei den politischen Repräsentanten voraussetze, da durch die Vielfalt vermeintlich weniger Stabilität und Effektivität vorhanden sei. Eine parlamentarische Demokratie brauche also vor allem Demokraten. Deswegen sei ein System der Bürgerbildung nötig, um demokratische Werteorientierungen und den Verfassungskonsens in der Bevölkerung zu verankern und zu bewahren, systematische Kenntnisse über die demokratische Ordnung, ihre Funktionsweisen und Zusammenhänge zu vermitteln sowie aktive politische Partizipation der Bürger und Kompetenzen für demokratisches Handeln zu stärken. Der Staat müsse rechtliche Rahmenbedingungen für die Bürgerbildung schaffen, für das Angebot der politischen Bildung sei aber die Zivilgesellschaft verantwortlich.

Werner Böhler erwähnte, dass Tschechien die Tradition von Tomáš Garrigue Masaryk fortsetzen könne, der als der erste Präsident der Tschechoslowakei ein Gesetz über die Organisation von Volkskursen für Bürgerbildung durchgesetzt habe. Laut einer Untersuchung der STEM-Agentur aus dem Jahr 2012 seien nur 25% der tschechischen Bürger mit Demokratie zufrieden (in Deutschland betrage der Wert 68%), was deutlich zeigt, dass die Krise des Parlamentarismus eine höchst aktuelle Frage ist.

Frau Professor Iveta Radičová, ehemalige Premierministerin der Slowakei, stellte ihr Verständnis der heutigen politischen und gesellschaftlichen Situation in Tschechien und in der Slowakei vor. In ihrer Rede nannte sie mehrere Probleme, denen die beiden Gesellschaften begegnen. Klientelismus, kein funktionierender Rechtsstaat, Korruption, intransparente Umverteilung der öffentlichen Ressourcen und ein sich vertiefender Abgrund zwischen dem Gesetz und der Gerechtigkeit seien nur einige Probleme, die zeigen, dass eine gerechte und funktionierende Demokratie nicht nur durch das Schaffen der demokratischen Institution aufgebaut werden könne. Laut Prof. Radičová werde Demokratie immer mehr als Herrschaft der Mehrheit wahrgenommen, wo der Sieger alles nimmt, und es kein Platz mehr für Diskussionen gibt. Das Schwarz-Weiß-Denken und die Konfliktatmosphäre bilden gute Voraussetzungen für Extremismus und Nationalismus.

Gegenwärtig müssen sich die Gesellschaften vor allem mit 3 Herausforderungen auseinandersetzen, die eng miteinander verbunden sei: der Aufbau nationaler Identität und Legitimität, das Versagen des Staates und seiner Institutionen und das Versagen der Gesellschaft und der Medien.

Die traditionellen Werte wie Freiheit des Individuums werden mit den Werten von Gefahrlosigkeit, sozialer Sicherheit und Lebensniveau ersetzt. Gleichzeitig werde die Politik stark medialisiert, was zu langfristigen Lösungen nicht beitrage. Der Wahlkampf sei vor allem auf Versprechen und Feindbilder gegründet, um die Wähler zu mobilisieren. Demokratie werde zunehmend personalisiert und die meisten Wähler entscheiden sich nicht nach dem politischen Programm der Parteien. Prof. Radičová kritisierte auch die politischen Parteien, die keine Ansätze von Selbstkritik zeigen und Selbstverantwortung ablehnen.

In der nächsten Rede drückte auch Karel Schwarzenberg der Bedarf an einem gesellschaftlichen Wandel aus. Außer dem 50-jährigen Totalitarismus, dessen Erziehung die Fähigkeit die Selbstverantwortung zu übernehmen unterdrücke, bezeichnete er den Charakter der tschechischen politischen Parteien als die Ursache der heutigen Krise des Parlamentarismus in Tschechien. Im Gegensatz zu Westeuropa seien die tschechischen politischen Parteien auf keiner festen Tradition und ideologischen Basis aufgebaut, sie missen politische Kultur und ähneln eher Gruppierungen um starke politische Figuren. Diese Situation herrsche aber auch in Polen, Ungarn und in der Slowakei.

Karel Schwarzenberg hob die Rolle der Zivilgesellschaft in Politikherstellung hervor und bezeichnete die Bürger selbst als der wichtigste Initiator des sozialen Wandels. Ein positives Vorbild sei eine der wichtigsten politischen Verwandlungen in Westeuropa – das Jahr 1968, das eine Reihe von Sozialprozesse in Bewegung gesetzt habe, die letztendlich zur stärkeren Machtkontrolle und gehörigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geführt habe, und in Deutschland die Gründung der grünen Bewegung bewirkt habe. Obwohl die damalige Studentenrevolution auch ihre Schattenseiten gehabt habe, langfristig gesehen haben eindeutig ihre positiven Auswirkungen überdauert.

Die von Martin Ehl von Hospodářské noviny (HN) moderierte Schlussdiskussion beschäftigte sich unter anderem mit den Problemen der mitteleuropäischen politischen Parteien und mit der Rolle des Wahlsystems in der parlamentarischen Demokratie. Alle Redner hatten jedoch in ihren Beiträgen gezeigt, dass die einzige Lösung der heutigen Krise des Parlamentarismus hauptsächlich eine langfristige Verwandlung unserer Gesellschaft ist, damit sie politisch aktiv, verantwortlich, tolerant und demokratisch wird.

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