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Die arabische Welt im Umbruch

von Dr. Céline-Agathe Caro, Kevin Kandathil

Handlungsoptionen für Deutschland, Frankreich und die EU

Am 11. und 12. Mai 2011 luden die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und das Institut français des relations internationales (Ifri) zum 12. Deutsch-Französischen Strategieforum nach Berlin ein. Das Strategieforum trifft sich im halbjährlichen Rhythmus, abwechselnd in Berlin und Paris, um über aktuelle Herausforderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie daraus resultierende Konsequenzen für Deutschland, Frankreich und die EU zu diskutieren.

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Hochrangige Vertreter des Deutschen Bundestags, des Bundesverteidigungsministeriums, beider Außenministerien und der EU-Kommission sowie Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen bestätigten durch ihre zahlreiche Teilnahme und ihre Beiträge die Bedeutung dieses bilateralen Forums. Die aktuellen Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten ermöglichten schließlich genügend Raum für lebhafte und konstruktive Diskussionen zum Thema „Die arabische Welt im Umbruch: Handlungsoptionen für Deutschland, Frankreich und die EU“.

Arabisches Erwachen

Zuerst erörterten die Teilnehmer die Ursachen des arabischen Frühlings sowie dessen Konsequenzen für die Region. Es wurde gleich zu Beginn betont, dass die aktuellen politischen Umbrüche eine historische Entwicklung darstellen und den arabischen Raum in der Zukunft stark prägen werden. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Implikationen dieser Ereignisse langfristig zu analysieren. Eine kurze Revue der vergangenen Jahrzehnte im Nahen Osten zeigt allerdings, dass die politischen Umwälzungen dort stets von Unsicherheit geprägt waren, was eine Vorhersage über die weiteren dortigen Entwicklungen sehr schwierig macht.

Zur historischen Bedeutung des arabischen Frühlings wurde angemerkt, dass es sich bei den Veränderungen in Nordafrika nicht nur um einen nationalen Aufstand handelt, sondern auch um eine gesellschaftliche Revolution, die auf die Freiheit des Individuums abzielt. Insofern verglich ein Teilnehmer des Forums die Umwälzungen in Nordafrika nicht nur mit der Revolution von 1989 in Osteuropa, sondern auch mit den französischen Revolutionen von 1789 (politischer Umbruch), 1848 (nationaler Umbruch ohne entscheidenden ausländischen Einfluss) und 1968 (kultureller und sozialer Umbruch).

Zugleich wurde festgehalten, dass die Situation in Nordafrika und dem Nahen Osten natürlich auch eigene Charakteristiken aufzeigt. Aus den Unruhen in Ägypten und Tunesien sind z. B. durch die Erstarkung des Militärs neue Akteure hervorgegangen, deren zukünftige Rolle noch unklar ist. Ob die jungen Aufständischen, die nicht zuletzt durch das Internet und die neuen Kommunikationswege eine entscheidende Rolle in den Umbrüchen in Tunesien und Ägypten gespielt haben, in Zukunft an der Gestaltung ihres Landes teil haben werden, bleibt ebenfalls abzuwarten. Zudem wurde über den langfristigen politischen Einfluss der Islamisten diskutiert.

Einig waren sich die Teilnehmer, dass die jungen Demonstranten vom Tahrir-Platz in Kairo keine fundamentalistische Ideologie vertreten, sondern eher säkulare und universell gültige Forderungen zum Ausdruck gebracht haben. Jedoch ist auch bei Ihnen ein Abdriften in alte politische Muster und Verhaltensweisen möglich, denn auch wenn die autokratischen Führer Ägyptens und Tunesiens verdrängt werden konnten, ist das herrschende System noch intakt. Im schlimmsten Fall könnten religiöse Kräfte das politische Chaos nutzen, um eine islamische Ordnung zu etablieren. Allerdings wurde dies von den Teilnehmern des Strategieforums als keine unmittelbare Gefahr für die Region betrachtet.

Keine Garantie für die Entstehung von Demokratien

Mit größerer Vorsicht bewertete ein Teilnehmer die Ereignisse im Nahen Osten. Die Protestmärsche sollten seiner Meinung nach nicht als Demokratiebewegung fehl-interpretiert werden, sondern als ein Einfordern von Würde und Freiheit. Diese zwei Schlüsselbegriffe können als Sehnsucht nach Rechtsstaatlichkeit gewertet werden. Das Verlangen nach Rechtsstaatlichkeit ist aber nicht zwingend mit einem Verlangen nach Demokratie gemäß westlichem Verständnis gleichzusetzen. Ob sich die betroffenen Länder wirklich zu standhaften Demokratien entwickeln, ist also noch unklar.

In diesem Zusammenhang forderten mehrere Diskussionsteilnehmer eine stärkere Differenzierung zwischen den Staaten des arabischen Frühlings, da diese über keine gemeinsame politische Identität verfügen, zurzeit unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und sicherlich nicht alle in Demokratien nach westlichem Modell münden werden. Sollten sich Tunesien und Ägypten auf dem Pfad zur Demokratisierung befinden, kann dies für Libyen noch nicht gelten. In den Golf-Staaten, u. a. im Jemen und in Bahrain, oder in Ländern wie Syrien ist die Situation ebenfalls noch sehr ungewiss. Außerdem ist es schwer zu sagen, ob Revolutionen in weiteren Staaten der Region, z. B. in Marokko, Algerien oder in Saudi-Arabien, ausbrechen werden.

„Die EU braucht mehr Mut zum Fehler!“

Welche konkreten Handlungsoptionen für Deutschland, Frankreich und die EU ergeben sich aus diesen Analysen? Die Diskutanten waren sich einig, dass es keine außenpolitische Arbeitsteilung der Mitgliedstaaten geben darf. Eine Schwerpunktsetzung nach geografischer Nähe und politischer Bedeutung wäre zwar verlockend, würde aber europäisches Handeln zum Scheitern verurteilen. In diesem Sinne ist der Zusammenhalt in der Union maßgebend für den Erfolg der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP).

Was ihre Soft Power betrifft, hat die EU, z. B. mit humanitärer Hilfe, bereits bewiesen, dass sie im Rahmen der politischen Umbrüche in der arabischen Welt Unterstützung leisten kann. Diese Zusammenarbeit muss sich, so die vorwiegende Meinung, nun intensivieren, um bestmöglich auf die Erwartungen der Bevölkerung vor Ort zu antworten. Dies würde ebenfalls den Interessen der EU-Länder – u.a. in Bezug auf Wirtschaftskooperationen oder für die

Eindämmung der Flüchtlingsproblematik – entgegen kommen.

Um die Zusammenarbeit effektiv zu gestalten, waren sich die Forumsteilnehmer einig, dass die EU als erstes ihre Hilfsangebote konditionieren muss, anstatt eine bloße Verteilungspolitik zu betreiben. Auf diese Weise könnten z.B. Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Good Governance in den arabischen Ländern gefördert werden. Zudem sollten sich die europäischen Partner zu flexiblem und schnellem Handeln durchringen: Europäische Aktionen müssen sichtbare und spürbare Veränderungen für die Bürger vor Ort, nicht nur für die Elite, mit sich bringen. Dies setzt konkrete Projekte voraus.

Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, in dem die EU Kompetenzen aufgebaut hat und zahlreiche Erfahrungen in Auslands-einsätzen sammeln konnte, sollte sich dies z.B. gut realisieren lassen. Darüber hinaus wäre eine enge Vernetzung zwischen den Zivilgesellschaften auf beiden Seiten des Mittelmeers wünschenswert. Ein Erasmus-Programm für die Region würde den individuellen und intellektuellen Austausch zwischen Europa und der arabischen Welt fördern. Die Notwendigkeit einer Marktöffnung für arabische Produkte sollte außerdem nicht unterschätzt werden.

Auch wenn die EU sicherlich keinen Marshall-Plan für die Region anbieten können wird – darüber herrschte unter den Experten auch Konsens – hat sie die moralische und politische Verpflichtung, die Veränderungen in der arabischen Welt kraftvoll zu unterstützen, ohne als westlicher Lehrmeister aufzutreten. Ein Redner fasste zusammen: „Die Europäische Union muss den Mut zum Handeln aufbringen, auch wenn dies impliziert, Fehler zu machen. Der größte Fehler wäre, gar nicht zu handeln.“ Die deutschen politischen Stiftungen, die bereits vor Ort sehr gut vernetzt sind, können mit ihren zahlreichen Projekten zur Demokratieförderung, Medienfreiheit, politischer und gesellschaftlicher Liberalisierung oder zu kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen einen sehr konstruktiven Beitrag leisten.

Gemeinschaftsgeist gesucht

Zusammenfassend kann man sagen, dass die politischen Umbrüche in der arabischen Welt, die auf einen großen Modernisierungsprozess in der Region hoffen lassen, für Europa gleichzeitig eine Chance und eine Herausforderung darstellen. Im Bereich ihrer Nachbarschafts- und Entwicklungs-politik verfügt die EU über gute Instrumente, um die Transformationen vor Ort zu begleiten sowie die Zusammenarbeit mit ihren südlichen Nachbarn in verschiedenen Bereichen zu intensivieren.

Auch die jeweiligen EU-Länder, nicht zuletzt Deutschland und Frankreich, können auf einer bilateralen Ebene viel bewegen. Vor allem neue konkrete Projekte sollen nun erarbeitet und implementiert werden. Mehrmals wurde im Rahmen des Forums auch betont, wie wichtig es ist, dass die Europäer sich diesbezüglich anspruchsvolle Ziele setzen und sich mit bestimmten Themen, wie der Frage der Eindämmung der Einwanderung nach Europa, offen auseinandersetzen.

Die politischen Umbrüche in der arabischen Welt haben aber auch die Schwächen der GSVP in ihrer konkreten Umsetzung gezeigt. Für die Mehrheit der anwesenden Experten bleibt dennoch eine gut koordinierte europäische Sicherheits- und Verteidigungs-politik unabdingbar. So wurde die These vom unentrinnbaren Auseinanderdriften der gesamten Union in dieser Frage überwiegend abgelehnt – trotz der britisch-französischen Vereinbarung zur militärischen Kooperation aus dem vergangenen Jahr, die außerhalb des EU-Rahmens entstanden ist.

Entscheidend für die Zukunft der GSVP ist der politische Wille. Die Teilnehmer des Strategieforums waren sich darüber einig, dass der dafür notwendige Impuls nur von Deutschland und Frankreich kommen kann. Dies unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit eines kontinuierlichen strategischen Dialogs zwischen Sicherheitsexperten beider Länder. In diesem Sinne wurde zum Schluss die Relevanz des Deutsch-Französischen Strategieforums der KAS und des Ifri wieder betont. Das nächste Treffen wird aller Voraussicht nach im Herbst dieses Jahres in Paris stattfinden.

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Dr. Olaf Wientzek

Olaf Wientzek bild

Leiter des Multinationalen Entwicklungsdialogs Brüssel

olaf.wientzek@kas.de +32 2 669 31 70
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29. April 2010
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