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Veranstaltungsberichte

Die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund"

von M.A. Regina Dvořák-Vučetić

Ergebnisse aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses

Seit Anfang 2012 hat sich der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit den der rechtsextremistischen Terrorzelle zugeschriebenen Morden und Sprengstoffanschlägen befasst. Dabei wurden rund 100 Zeugen und Anhörpersonen geladen und weit mehr als 8.000 Aktenordner gesichtet. Welche Motive hatten die Rechtsterroristen? Wie konnten sie mehr als 10 Jahre unerkannt schwerste Straftaten begehen? Welche offenen Fragen bleiben? Clemens Binninger, der als Obmann die Arbeit der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss leitet, erörterte diese Fragen.

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Trotz des warmen Wetters wurden während der Veranstaltung alle Fenster geschlossen, um jedes Wort, das Cemens Binninger zum Nationalsozialistischen Untergrund zu sagen hatte, genau zu hören. Gespannt lauschten die Teilnehmer dem fast einstündigen Vortrag über die Arbeit des Untersuchungsausschusses im Bundestag.

"Ich lasse mich dabei von mehreren Fragen leiten" strukturierte er seinen Vortarg: Wie konnte es dazu kommen, dass das NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach seinem Abtauchen 1998 nicht gefunden wurde? Welche Chancen hätte es gegeben, die Untergetauchten in den folgenden 13 Jahren zu finden? Warum wurden diese Chancen nicht genutzt? Warum ist es nicht gelungen, die Zusammenhänge von zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen sowie zahlreichen Banküberfällen zu erkennen und rechtsterroristischen Tätern zuzuordnen? Wäre es sogar möglich gewesen, sie konkret dem NSU-Trio zuzuordnen?

Die Defizite in der Arbeit der Sicherheitsbehörden betreffen allerdings keineswegs nur den vielgescholtenen Verfassungsschutz. Auch die Polizei und nicht zuletzt die Justiz haben schwere Fehler gemacht.

Folgenede Punkte wurden hier angeführt:

_Mangelnde Analysefähigkeit_

Bei der Durchsuchung der Garage in Jena im Januar 1998 wurde neben Sprengstoff auch eine Telefonliste des Uwe Mundlos gefunden, die sich wie ein Auszug aus dem "who-is-who der rechtsextremen Szene" liest. Die Liste mit Adressen im gesamten Bundesgebiet lässt Schwerpunkte genau dort erkennen, wo die Terrorgruppe später untergetaucht ist (Chemnitz) und Mordtaten begangen hat. Sowohl das Thüringer Landeskriminalamt (LKA) wie auch ein dort tätiger Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) bewerteten die Liste aber als unwesentlich.

_Unkultur des Zurückhaltens_

Verschiedene Verfassungsschutzbehörden und Polizeidienststellen hatten Erkenntnisse zu dem untergetauchten Trio, die für die zuständigen Ermittler anderer Dienststellen von großer Bedeutung gewesen wären. Hinweise wie "Die Drei brauchen Geld", "Die Drei brauchen Waffen" oder "Die Drei brauchen jetzt kein Geld mehr, weil sie 'jobben'", hätten elektrisiert und wertvolle Ansätze für weitere Untersuchungen gegeben. Aus oft nicht nachvollziehbaren Erwägungen wurden solche Hinweise aber nicht weitergegeben, sondern verblieben ungenutzt in den Akten. Die hierfür meist genannte Begründung "Schutz der eigenen Quellen" vor Enttarnung überzeugt mich in ihrer Pauschalität nicht, es hätte sicher Wege gegeben, die Informationen so weiterzugeben, dass die Quelle nicht enttarnt wird.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Ausschusses ist: Die zukünftige Arbeit der Sicherheitsbehörden muss frei von Engstirnigkeit und "Betriebsblindheit" sein, sie muss in größeren Zusammenhängen denken und mit erkennbar wertvollen Informationen auch dann sachgerecht verfahren, wenn diese für eigene Zwecke von geringer Relevanz sein mögen.

_Kompetenzstreitigkeiten_

Es wurde festgestellt, so Binninger, dass es insbesondere zwischen dem BKA und den Polizeidienststellen der Länder bei den Ermittlungen zur Ceska-Mordserie Auseinandersetzungen über die Frage der Federführung gab. Aus diesem Wirrwarr sind Lehren zu ziehen: Komplexe, mehrere Bundesländer betreffende Ermittlungsverfahren müssen in der Federführung einer Polizeidienststelle und möglichst auch einer Staatsanwaltschaft liegen. Die Federführung kann, muss aber keineswegs auf polizeilicher Seite beim BKA liegen. Hierüber sollte einzelfallbezogen entschieden werden.

_Ermittlungen in alle Richtungen?_

Die meisten Ermittler haben bei der Ceska-Mordserie und den Sprengstoffanschlägen in Köln auf eine bestimmte Ermittlungsrichtung ihren Schwerpunkt gesetzt - die "Organisierte Kriminalität" .Bei Gewaltstraftaten an ausländischstämmigen Mitbürgern muss deshalb zukünftig immer auch ein mögliches fremdenfeindliches Motiv erwogen und sorgfältig abgeklärt werden.

_Erkenntnisgewinn durch V-Leute?_

Das Aufklärungsmittel "V-Person" wird auch in Zukunft grundsätzlich ein unverzichtbares Instrument bleiben. Auch im Phänomenbereich Rechtsextremismus. Im konkreten Fall des untergetauchten Trios haben die Untersuchungen zwar ergeben, dass die Sicherheitsbehörden im Umfeld über ausreichend V-Leute verfügten - die Ertragslage aber dennoch spärlich blieb. Auf das Untertauchen in Chemnitz gab es noch Hinweise, auf das Leben in Zwickau ab 2000 dann nicht mehr. Insgesamt standen Aufwand und Nutzen des Instruments "V-Person" in keinem Verhältnis.

_Fehleinschätzungen_

Die Behörden haben mit großem Engagement die rechte Musikszene und den entsprechenden Vertrieb von Tonträgern aufgeklärt und verfolgt. Dies ist auch zu begrüßen, tragen diese abstoßenden Texte doch nicht unerheblich zu einer Radikalisierung gerade junger Menschen bei. Zu kritisieren ist aber, dass die Konzentration auf den "Kampf gegen CDs" dazu führte, dass Hinweise auf Waffenbesitz oder Waffenhandel in der Szene gleichsam links liegen gelassen wurden. Hier müssen künftig die Gewichte wieder stimmen - gerade dem Besitz von Waffen und Sprengstoff in der Szene muss der Staat mit Entschiedenheit entgegentreten.

_Fehler der Justiz_

Deutlich kritisierte Binninger den zu oft inkonsequenten Umgang der Justiz mit rechtsextremistischen Straftätern. Mit Betroffenheit wurde beim Blick auf Straftaten aus der rechtsextremistischen Szene in der Zeit, als die spätere Terrorgruppe sich zusammenfand und radikalisierte, das Verhältnis von Verfahrenseinstellungen zu Anklageerhebungen oder gar Verurteilungen sowie die oft überlangen Verfahrensdauern zur Kenntnis genommen. Ob dies an mangelnder Sensibilität oder an fehlenden Ressourcen lag, ist im Einzelfall schwer zu entscheiden - fest steht aber, dass bei zahlreichen Vorgängen der Eindruck entstehen musste, dass kein wirklicher Verfolgungsdruck gegenüber rechtsextremistischen Straftätern und Strukturen bestand.

_Schlussbemerkung_

Es ist viel Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden verloren gegangen, so Binninger. „Unser Auftrag war und ist es, die Grundlagen für dieses Vertrauen wieder zu festigen - durch rückhaltloses Aufklären der Mängel. Dies sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig – und unserem demokratischen Rechtsstaat“. Der Ausschuss wird sachlich, vorurteilsfrei und ohne Scheuklappen Vorschläge machen, wie die Sicherheitsstruktur der Bundesrepublik Deutschland verbessert werden kann. Längst ist begonnen, die erkannten Mängel abzustellen. Und dann sind alle gefordert ihren Beitrag dazu zu leisten, dass sich diese Fehler nicht wiederholen.

Die anschließende Diskussion moderierte Frau Birgit Kipfer vom Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie"

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