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Veranstaltungsberichte

Die Unsicherheit des Unvorhersehbaren

von Dr. Céline-Agathe Caro, Peter Gilardoni, Carla Weinhardt

Analysen zur Zukunft der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Am 28. und 29. November 2012 fand in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) das 14. Deutsch-Französische Strategieforum statt, das die KAS seit einigen Jahren in Kooperation mit dem Pariser Institut für Internationale Beziehungen (Ifri) abwechselnd in Berlin und Paris veranstaltet.

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Dieses Forum bietet Parlamentariern, Regierungsvertretern und Experten aus Deutschland und Frankreich Gelegenheit, über langfristige außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen zu beraten. Im Rahmen des diesjährigen Forums diskutierten die Teilnehmer folgende Problemstellung: „Kann sich Europa noch verteidigen? Handlungsoptionen für Deutschland, Frankreich und die EU“.

Am Abend des 28. Novembers trafen sich die fachkundigen Referenten und die französische Delegation zu einem Abendessen mit den Bundestagsabgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff und Roderich Kiesewetter, um deren Initiative zur Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik („Europas sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit stärken: Es ist höchste Zeit“) zu diskutieren.

Am 29. November begann das Forum mit der Eröffnungsrede von Botschafter Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Im ersten Panel wurde dann die Frage diskutiert, weshalb die EU eine GSVP braucht. Die Referenten gingen dabei insbesondere auf die internationale Machtverschiebung, die Umbrüche in der arabischen Welt sowie die veränderte amerikanische Prioritätensetzung und die daraus resultierende neue europäische Eigenverantwortung ein. Im zweiten Panel schilderten die Vortragenden ihre Ansichten zu der Frage: „Wo steht die deutsch-französische Kooperation innerhalb der GSVP?“. Meinungen zum Gent-Prozess, Weimarer Dreieck sowie zur britisch-französischen Kooperation im Verteidigungsbereich konnten in diesem Rahmen ebenfalls ausgetauscht werden. Abschließend lautete das Thema des dritten Panels: „Wie gelingt es uns, besser zu werden?“. Diskutiert wurde insbesondere über die Frage, ob die Kooperationsinitiative der nordischen Staaten („NORDEFCO“) eine Vorbildfunktion für die gesamte GSVP haben könne und ob unterschiedliche Geschwindigkeiten im Bereich der militärischen Kooperation unter den Mitgliedstaaten notwendig bzw. zielführender seien.

Nachstehend einige Analysen und Handlungsempfehlungen aus den Vorträgen und Diskussionen:

  • Die heutige Zeit ist von der Unsicherheit des Unvorhersehbaren gekennzeichnet, im Gegensatz zu der Zeit des Kalten Krieges, die durch die Unsicherheit des Unvorstellbaren geprägt war. Das Unvorhersehbare bewirkt jedoch bei jedem Betrachter eine eigene Vorstellung im Hinblick auf mögliche Gefahren. Für mehr Kohärenz ist daher eine deutlich verbesserte Analysefähigkeit nötig, von der ausgehend die Abstimmung und Integration konkretisiert werden kann.
  • Die europäische Sicherheit kann nicht nur durch Gefahrenabwehr an den unmittelbaren Außengrenzen gewährleistet werden, sondern auch in der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit außerhalb des eigenen Territoriums.
  • Trotz der Heterogenität der EU-Mitgliedstaaten bedarf es einer Formulierung gemeinsamer Interessen bzw. eines strategischen Konsenses und der Definition von Gefährdungen der europäischen Sicherheit. Dies wird weiter ein langwieriger Prozess sein, der deshalb umso schneller angegangen werden muss.
  • Die Ausgaben für Verteidigung sind nicht nur zu niedrig, sondern auch der Ertrag der derzeitigen Aufwendungen ist zu gering. Kurzfristiges Haushaltsdenken kann zu einer ungleich höheren Rechnung in der Zukunft führen, wenn Europa nicht mehr sicherheits- und verteidigungspolitisch handlungsfähig ist.
  • Die Notwendigkeit einer soliden Sicherheitspolitik muss insbesondere im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit verankert werden. Die friedensgewohnten Gesellschaften Europas müssen für die außenpolitischen (Bedrohungs-)Realitäten stärker sensibilisiert werden. Deutschland braucht daher eine kohärente außenpolitische Strategie sowie eine institutionalisierte sicherheitspolitische Generaldebatte im Bundestag. Ferner muss klar herausgestellt werden, wofür eine stärkere europäische Integration in diesem Bereich notwendig ist und welchen Mehrwert durch sie erreicht werden kann.
  • Europa wird sicherheitspolitisch nur wirksamer agieren können, wenn die Nationalstaaten den entsprechenden politischen Willen aufbringen. Die (partielle) Verlagerung von nationaler Souveränität auf die Gemeinschaftsebene ist letztendlich die einzige ernsthafte Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen die EU konfrontiert ist. Nur dadurch kann sogar die Souveränität der Mitgliedstaaten – im Sinne der Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer sicherheitspolitischen Interessen – langfristig wirklich bewahrt werden. Grundvoraussetzung hierfür ist ein verlässlicheres und vorhersehbareres Agieren insbesondere der militärisch relevanten Staaten, hier vor allem Deutschlands.
  • Institutionelle Vertiefung darf allerdings kein Selbstzweck sein, sondern muss vor allem zur Stärkung der militärischen Handlungsfähigkeit erfolgen. Im Bereich der GSVP müssen daher die Symbolik überwunden und substantielle Fortschritte erreicht werden. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit kann vor diesem Hintergrund ein Instrument sein, sofern sie zu einem tatsächlichen nachhaltigen Fortschritt führt, sonst sind andere Formen der (regionalen) Kooperation unterhalb der EU-Ebene gegebenenfalls besser geeignet.
  • Bestehende regionale Kooperationen wie NORDEFCO können jedoch nicht zwangsläufig – u.a. aufgrund der jeweiligen historischen, kulturellen und geografischen Besonderheiten – als Blaupause für die gesamte EU herangezogen werden. Viele Inseln der Kooperation können allerdings als Fundament einer zukünftigen stärkeren Integration dienen. Insofern sollten Pragmatismus sowie Bottom-up-Ansätze bei der Entwicklung von Kooperationen vorherrschen, und dies ohne auf den „großen Wurf“ zu warten.
  • Deutschland sollte zum einen ein „Anlehnungspartner für Staaten mit vergleichbaren sicherheitspolitischen Kulturen militärischen Eingreifens“ sein. Zum anderen könnte die Bundesrepublik als verbindendes Scharnier zwischen den unterschiedlichen geografischen und sicherheitskulturellen Ausrichtungen der Mitgliedstaaten fungieren.
  • Gleichzeitig muss die deutsch-französische Kooperation mit neuem Geist erfüllt werden. Sie darf nicht nur aus historischer Gewohnheit heraus erfolgen, sondern aufgrund unabwendbarer Notwendigkeit sowohl für die beiden Staaten als auch für Europa. Für eine effizientere deutsch-französische Zusammenarbeit ist insbesondere Offenheit und Pragmatismus notwendig – auf politischer, operationeller und industrieller Ebene.
  • Die unterschiedlichen Ansätze „Breite vor Tiefe“ und „Tiefe vor Breite“ bei den verschiedenen nationalen Streitkräftereformen können nur in koordinierter Form zu einem guten Ergebnis führen. Sonst droht ein gefährlicher Fähigkeitsverlust in Europa. Die EU-Institutionen sind hier zur Koordinierung gefordert. Im Ergebnis können beide Ansätze nur durch Pooling & Sharing zum Erfolg führen.
  • Bei Pooling & Sharing gibt es zwei Ebenen: Die eine ist technischer Natur (z.B. gemeinsame Ausbildung), die andere politisch-strategischer Natur (im Hinblick auf den Einsatz von Soldaten und Material). Die konkrete Entscheidung über den Einsatz von Soldaten wird in absehbarer Zeit weiterhin auf nationaler Ebene verbleiben. Für Pooling & Sharing bieten sich dennoch viele Möglichkeiten. Dafür muss allerdings wesentlich mehr Vertrauen zwischen den Kooperationspartnern herrschen.
  • Ohne eine Konsolidierung der Verteidigungsindustrie in Europa wird diese nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben. Hierdurch könnte Europa einen irreparablen Fähigkeitsverlust erleiden. Fraglich ist, ob aufgrund der geringeren Abnahme von Rüstungsgütern durch die europäischen Staaten das rein marktwirtschaftliche Prinzip die beste Lösung ist, oder ob es von öffentlicher Seite insbesondere einer stärkeren Unterstützung von Forschung und Entwicklung bedarf, um zu verhindern, dass die Industrie aus Kostengründen bestimmte Güter nicht mehr produziert. Fakt ist auf jeden Fall, dass bereits jetzt viele Projekte nur noch durch gemeinsame Beschaffung realisierbar sind.
  • Der Europäische Rat im Dezember 2013 wird voraussichtlich für die künftige sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU von großer Bedeutung sein. Wünschenswert wäre, dass die Staats- und Regierungschefs sich bei diesem Gipfel auf eine tragfähige „Road Map“ für die dringend notwendige substantielle Vertiefung der GSVP einigen.

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