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Veranstaltungsberichte

Noch einmal Schule wie zu DDR-Zeiten

von Jan Middelberg

„Leben und Überleben in der DDR“ mit Freya Klier

Am 15. und 16. Mai 2018 besuchte die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Bremen gemeinsam mit der DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier die St.-Johannis-Schule und das Kippenberg Gymnasium. Klier berichtete jeweils im Rahmen eines fünfstündigen Workshops von ihren Erlebnissen als Oppositionelle in der DDR und zeigte ihre Filme: „Flucht mit dem Moskau-Paris Express“ und „Tod, wo andere Urlaub machen“.

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Dr. Oliver Rosteck, Geschichtslehrer an der St.-Johannis-Schule, freute sich sehr, dass der „Inbegriff der DDR-Bürgerrechtsbewegung“, wie der Weser Kurier an diesem Tag über Freya Klier titelte, neben dem Kippenberg Gymnasium auch an seiner Schule einen Vormittagsworkshop übernahm. Marcus Oberstedt, Tagungsleiter der KAS, begrüßte die Schülerinnen und Schüler der beiden Schulen zum Einstieg und leitete thematisch in die Veranstaltungen ein.

Freya Klier stieg nach einem Überblick über ihre Vita mit einer Frage in den Vormittag ein: „Welche Staaten Osteuropas eroberte die Rote Armee bei ihrem Vormarsch auf Berlin gegen Ende des Zweiten Weltkriegs?“ Dies sei wichtig zu wissen, da diese Staaten nach dem Krieg den Ostblock bildeten und die drastischen Unterschiede, die vor 1990 zwischen Ost und West herrschten, auch heute noch die europäische Politik beeinflussen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten lösten die Schülerinnen und Schüler diese Aufgabe, wobei gerade EU-Staaten wie Rumänien und Bulgarien zu den unbekanntesten Ländern zu zählen schienen. „All diese Staaten wurden von Moskau aus kontrolliert!“, so Klier.

Zum Einfluss der Sowjetunion auf Osteuropa gehörte laut Klier auch, dass der Kreml bestimmte, wer in wichtigen Positionen eingesetzt wurde. Alle Politiker, Anwälte, Polizisten und auch die Mitarbeiter der Staatssicherheit mussten genehmigt werden. Aufgrund des akuten Mangels an Fachpersonal wurden unter anderem Polizisten, Ärzte und Kindermädchen aus der NS-Zeit „einfach von Hitler auf Stalin umgeschult“, so Klier. Gerade in diesem Punkt sieht sie auch heute noch Vertuschungen und Propaganda. So sei es weithin bekannt, dass viele NS-Treue nach der Befreiung durch die Alliierten in Westdeutschland – auch in hohen Positionen - wieder eingestellt wurden. Dass aber auch das sozialistische Regime in der sowjetischen Besatzungszone und später die DDR Nationalsozialisten die Möglichkeit gab, ihre Arbeit zu behalten und dort sogar auch ihre Methoden, werde zu wenig in der öffentlichen Debatte und im Schulunterricht erwähnt.

Die Methoden der Kindermädchen erlebten Klier und ihr Bruder hautnah, als sie nach einem Zwischenfall zwischen ihrem Vater und einem Polizisten ins Heim mussten. Der Polizist hatte Kliers Mutter von einer anfahrenden Bahn gerissen. Als ihr Vater ihn daraufhin anging, rief der Polizist Verstärkung und das junge Paar wurde abgeführt – ohne Zeugen zu hören, die sich vor Ort noch für Kliers Eltern eingesetzt hatten. Der Vater kam für ein Jahr ins Gefängnis, ihre Mutter wurde als mitschuldig befunden und musste ihr Studium unterbrechen. Die Kinder kamen in ein Heim, das, wie man später erfuhr, direkt an die Stasi angegliedert war.

Hier wurden die Geschwister voneinander getrennt und hatten jeden Tag nur eine Stunde, um miteinander zu reden und sich nahe zu sein. Im Heim stand eine Büste von „Väterchen Stalin“, die kultisch verehrt wurde. Die Kinder mussten täglich zweimal Appell stehen und gelegentlich auch mit dem Gesicht zur Wand „darüber nachdenken, warum die Eltern Feinde des Friedens sind“. Für Klier war diese Zeit der erste Berührungspunkt mit dem System, gegen das sie später so erbittert Widerstand leisten würde.

Nach Stalins Tod im Jahr 1953 gab es in der DDR einen großen Volksaufstand. Viele Menschen hatten das System, das ihnen aufgezwungen wurde, satt und wollten endlich wieder in Freiheit leben. An diesen Massenprotesten wäre die DDR fast zerbrochen. Etliche politische Gefangene wurden befreit und die Regierung wollte schon fliehen, als die Rote Armee mit ihren 10.000 Panzern und 500.000 Soldaten, die in Ostdeutschland stationiert waren, den Aufstand blutig niederschlug. „Nicht alle russischen Soldaten haben mitgemacht, viele waren auch froh, dass Stalin tot war“, so Klier. Letztlich hatten die Bürger aber keine Chance und die Aufstände endeten.

Mit Beginn der Schulzeit sollte Klier, so wie die gesamte Schülerschaft, endgültig auf Linie gezwungen werden, berichtete sie. Ihnen wurde beigebracht, dass der sozialistische, der gute Mensch im Kollektiv lebe, Individuen seien Egoisten. Fast zynisch begann der Unterricht mit dem Ausruf „Freundschaft“ des Lehrers, auf den das „Klassenkollektiv“ – ebenfalls im Militärton - mit „Freundschaft“ zu antworten hatte. Es wurden Ranzenkontrollen durchgeführt. Wer „Schundliteratur“ wie Texte der Rolling Stones oder der Beatles besaß, wurde bestraft und im schlimmsten Fall der Schule verwiesen. Diese Situation stellte Klier mithilfe einiger eingeweihter Schülerinnen und Schüler eindrucksvoll dar. Freya Klier fungierte als Lehrerin, zwei Schüler als Taschenkontrolleure und jeweils einer als „Petze“ und „Übeltäter“. Auch in den Schulen hatte die Stasi ihre Finger im Spiel und warb gezielt Schülerinnen und Schüler als Spitzel an. Dies störte das Vertrauen in den Klassen und wurde zum Verhängnis für solche Schüler, die ihre Missachtung für den Staat nicht für sich behalten konnten. Drei Mitschüler von Freya Klier nahmen sich während dieser Zeit das Leben.

Getrieben von dem Unrecht, dass das Regime ihr zugefügt hatte, und letztlich bedingt durch den Tod ihres Bruders in einer „Nervenheilanstalt“ versuchte Klier aus der DDR zu fliehen. Sie hatte schon vorher einmal gemeinsam mit einer Freundin den waghalsigen Plan aufgestellt, mithilfe einer Luftmatratze über die Ostsee nach Dänemark zu flüchten. Dies scheiterte an den strengen Sicherheitsmaßnahmen, die es Jugendlichen und Erwachsenen untersagten, etwaige „Schwimmhilfen“ zu benutzen. Unzählige Menschen ertranken hier bei dem Versuch, die dänische Küste zu erreichen. Kliers neuer Plan sah es vor, mithilfe eines Brieffreundes in Malmö, ein geeignetes Schiff zu finden, um nach Schweden überzusetzen. Als eine scheinbar geeignete Fähre ausgewählt war, machte sie sich auf den Weg an die Küste und wurde von der Stasi aufgegriffen, noch bevor sie das Schiff fand.

Nach elf Monaten Gefängnis gründete Klier die ostdeutsche Friedensbewegung mit und veranstaltete Konzerte mit ihrem Mann Stephan Krawczyk – unter steter Beobachtung der Stasi. In Folge ihrer Arbeit wurde sie schikaniert, bedroht und überlebte mit Glück und Hilfe einen Nervengiftanschlag. Letztlich wurde sie erneut inhaftiert und 1988 durch die Bundesrepublik freigekauft.

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Dr. Ralf Altenhof

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Bremen

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