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Veranstaltungsberichte

Verfassung und „Gegenmächte“ in der Demokratie

von Dr. Edmund Ratka, Imen Nefzi

Fachkonferenz der KAS in Tunis

„Eine ewige Erfahrung lehrt, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt.“ Montesquieus Aphorismus, den der Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Karthago Prof. Lotfy Chedly in seinem Grußwort anführte, wirft eine für Demokratien zentrale Frage auf: Wie kann politische Macht kontrolliert und ausbalanciert werden?

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Eine Fachkonferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung (Rechtsstaatsprogramm Naher Osten/Nordafrika sowie Länderbüro Tunesien der KAS) widmete sich in diesem Kontext „Gegenmächten“ (contre-pouvoirs) in demokratischen politischen Systemen. Die Konferenz, die in bewährter Zusammenarbeit mit der Forschungseinheit Völkerrecht, internationale Rechtsprechung und vergleichendes Verfassungsrecht (URDIJIDCC) der Universität Karthago organisiert wurde, fand am 19. und 20. Februar 2015 in Tunis statt.

Dass für Tunesien die Frage nach der Organisation, Verteilung und eben auch Kontrolle politischer Macht derzeit besonders relevant sei, machte der Leiter des KAS-Rechtsstaatsprogramms Naher Osten/Nordafrika Peter Rimmele in seiner Eröffnungsansprache deutlich. Tunesien hat 2014 eine neue Verfassung verabschiedet und auf deren Grundlage erfolgreich demokratische Wahlen abgehalten. Gleichwohl gelte es nun, auch in der Verfassungspraxis rechtsstaatliche Grundsätze wie Gewaltenteilung zu verankern. Rimmele versicherte, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung auch in Zukunft die Umsetzung der Verfassung in Tunesien und die Verfassungsprozesse in der arabischen Welt insgesamt begleiten werde. Für die Forschungseinheit begrüßte anschließend deren Koordinatorin Dr. Hajer Gueldich die rund hundert Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Nach einem Überblick über den Forschungsstand zu dem Konferenzthema durch Wafa Zaafrane Ladolsi, Doktorandin und Mitglied der Forschungseinheit, ordnete Prof. Slobodan Milacic das Konzept der Gegenmächte in ein liberales Paradigma ein. Das Prinzip des Wettbewerbes habe sich, dem Verfassungsjuristen aus Bordeaux zufolge, von der Wirtschaft hin zur Politik ausgebreitet. Dem Staat komme nur mehr eine regulative Rolle zu, den Wettbewerb verschiedener politischer Kräfte zu organisieren. Dabei gelte es, stets erneut ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gleichheit zu finden. Dass diese Suche nach einem innerstaatlichen Mächtegleichgewicht wesentlich komplexer geworden ist, wurde in Emira Chaouchs Exposé deutlich. Die Juradozentin und Doktorandin an der Universität Karthago verwies auf Konzepte wie die deliberative und partizipative Demokratie und zeigte auf, wie sich dabei die an der Entscheidungsfindung beteiligten Akteure – und damit auch die Gegenmächte zur Exekutive bzw. parlamentarischen Mehrheit – multiplizierten. Dass die Verfassung an sich schon einen Beitrag im Sinne von Gegenmacht leiste und dem „volonté générale“ einen entsprechenden Rahmen vorgebe, erörterte Prof. Rainer Arnold von der Universität Regensburg, der sich dabei auch auf Beispiele auf Deutschland stützte.

Nach den vorwiegend theoretischen und konzeptionellen Arbeiten des ersten Teils nahm der zweite Teil der Fachkonferenz konkrete Ausformungen und Möglichkeiten von Gegenmächten in den Blick. Dabei standen Tunesien und die anderen nordafrikanischen Transformationsstaaten im Mittelpunkt. Zwei tunesische Nachwuchswissenschaftler und Mitglieder der Forschungseinheit, Nadia Akacha und Khaled Debbabi, widmeten sich dabei dem künftigen tunesischen Verfassungsgericht sowie den unabhängigen Verfassungsinstanzen. Diese Institutionen sind in der neuen Verfassung vom 27. Januar 2014 festgeschrieben, aber derzeit noch im Aufbau begriffen. Dr. Mouna Kraiem, die ebenfalls an der Universität Karthago unterrichtet, zeigte anhand der tunesischen und marokkanischen Verfassung die Rechte und die Rolle der Opposition auf, die mit den Verfassungsreformen in beiden Ländern 2011 bzw. 2014 erheblich gestärkt wurde.

Über die klassischen verfassungsmäßigen Akteure hinausgehend untersuchten die Teilnehmer der Fachkonferenz auch nicht-institutionalisierte Gegenmächte. Sich auch auf Beispiele aus Subsahara-Afrika stützend, unterstrich Dr. Patrick Lessene (African Innovation Foundation, Genf) die elementare Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Kontrolle der Regierung. Der tunesische Politikwissenschaftler Prof. Hatem M’rad zog Tunesien und Ägypten als Fallstudien für die neue Macht der „arabischen Straße“ heran, die sich 2011 wieder re-politisiert habe. Dass Gegenmächte wiederum ihrerseits starkem Druck der Herrschenden ausgesetzt sein können, erörterte die tunesische Journalistin und Medienwissenschaftlerin Hager Ben cheick Ahmed anhand Entwicklungen im Mediensystem Tunesiens.

In seiner abschließenden Synthese konstatierte Prof. Rafaa Ben Achour, dass das Konzept der Gegenmächte in der Rechtswissenschaft und in Nachbardisziplinen wie der Politikwissenschaft erst in jüngerer Zeit – und immer noch vergleichsweise wenig – Beachtung finde. Der Leiter der Forschungseinheit Völkerrecht, internationale Rechtsprechung und vergleichendes Verfassungsrecht sowie Richter am Gerichtshof der Afrikanischen Union freute sich deshalb umso mehr über die hohe Qualität der Konferenzbeiträge. Auf deren Inhalte verweisend betonte Ben Achour, dass Gegenmächte nicht gegen den Staat und zwangsläufig auf Obstruktion ausgerichtet seien, sondern eine notwendige und bestenfalls konstruktive Ergänzung zur Regierungsgewalt darstellten.

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