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Wenn Verarbeitung zur Lebensaufgabe wird

von Andreas Samuel Bösche

Ein Zeitzeugengespräch mit Angelika Cholewa

Auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung besuchten zwei Bremer Schulklassen die Ausstellung des PB Bremen „DDR-Stasi – Spitzel von nebenan“. Nach einer Führung, die erste Hintergründe über Funktion, Organisation und Selbstverständnis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vermittelte, fanden die Schülerinnen und Schüler zu einem Gespräch mit der Zeitzeugin Angelika Cholewa zusammen.

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Angelika Cholewa ist 17 und besucht die erweiterte Oberschule in ihrer Heimatstadt Naumburg an der Saale. Ihr Leben ist bis dahin vor allem von zwei Zusammenhängen geprägt: Ein Elternhaus, in dem ob der erlittenen Kriegs- und Nachkriegstraumata ihrer Eltern „Unfrieden“ herrscht und die Flucht in den Leistungssport. Cholewa hat sich schon früh dem Rudern verschrieben. Die Freude über das körperliche Tun findet jedoch auf emotionaler Ebene keine Entsprechung. Sie ist gewohnt zu folgen, wenn Erwachsene etwas befehlen. Als eines Tages zwei „Herren in Trenchcoats“ auf dem Schulhof stehen, sie links und rechts unterhacken und zur Kreisleitung der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) bringen ist an Widerspruch nicht zu denken. Cholewa überlegt fieberhaft, was sie sich hätte zu schulden kommen lassen, doch außer dem jugendlichen Kirschenklau in Nachbars Garten – eine lässliche „Sünde“ – fällt ihr nichts ein. In dem Gespräch mit den beiden „Herren“, die sich ihr als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu erkennen geben, geht es dann auch gar nicht um ihre etwaigen Verfehlungen. Sie wird vielmehr aufgefordert, zu allen Schülern ihrer Klasse Informationen zu liefern. Die Stasi interessiert sich besonders für Schüler mit kirchlichem Hintergrund, eine Gruppe, die Cholewa, die selbst in der staatlich verordneten Doktrin des Atheismus aufwächst, bewundert. Weitere Treffen werden angekündigt, Cholewa soll als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) des MfS ihre Mitschüler auf dem Schulhof bespitzeln und wird zur absoluten Konspiration, auch ihren Eltern gegenüber, verpflichtet. Sie offenbart sich ihnen dennoch und macht eine weitere traumatisierende Erfahrung: Weder der Vater noch ihre Mutter können sie schützen. Sie ist auf sich allein gestellt. Mit diesem Tag endet ihre Kindheit und die „Welt wird zum unsicheren Ort“.

Schon bald erhält sie ihren ersten „Auftrag“. Eine ältere Mitschülerin hat einen Freund in der Bundesrepublik. Das Paar möchte sich, die neuen Reiseregelungen zwischen Bundesrepublik und der DDR nutzend, bald in Naumburg treffen. Cholewa soll hierüber Informationen zusammentragen und die Mitschülerin „bearbeiten“, sich von ihrer Liebe zum „Klassenfeind“ zu distanzieren. Doch ihr einziger Gedanke ist: „Wie komme ich aus der Nummer ´raus?“ Die folgende Szene ist geradezu ein Lehrstück für gelebte Courage und menschliches Handeln in einer unmenschlichen Diktatur, denn Cholewa gibt ihre Konspiration auf. Sie gibt sich der Mitschülerin als Stasiinformantin zu erkennen und warnt sie, gut „aufzupassen“. Nun weiß sie, was weiter zu tun ist. Wieder begibt sie sich zur FDJ-Kreisleitung, aber ihre Kontaktpersonen sind nicht vor Ort. Sie befreit sich schriftlich von ihren Peinigern: „Ich konnte nichts ausrichten, ich werde nicht wieder hierherkommen.“ Cholewas Leben in der DDR steht von da an unter einem steten Vorbehalt. Sie wird sich mit dem System nie mehr arrangieren können, zumal der Staat massiv Einfluss auf ihre berufliche und individuelle Entfaltung nimmt. Als schließlich eine private Existenzgründung an der erforderlichen SED-Mitgliedschaft scheitert, beschließt sie, mit ihrem damaligen Freund zu fliehen. Der eiserne Vorhang soll in der Tschechoslowakei durchlässiger sein, auch gelte dort kein Schießbefehl wie an der innerdeutschen Grenze. Der Fluchtversuch in der Nähe des Ortes Böhmisch Eisenstein misslingt unter dramatischen Umständen. Das Paar ist hiernach nicht mehr sprachfähig und die Liebe zerbricht. Cholewa wird in die DDR zurückgebracht, muss die demütigen Erfahrungen der Stasi-Untersuchungshaft über sich ergehen lassen und sitzt nach ihrer Verurteilung wegen versuchter Republikflucht im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck ein. Im Gegensatz zu vielen anderen politischen Häftlingen beschreibt sie die dort verrichtete Zwangsarbeit nicht als Fluch. Ihr ist sie ein lebenserhaltendes Strukturelement – auch nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik wird ihr die Arbeit, sie macht schnell Karriere als Leiterin und Ausbilderin eines bekannten Einrichtungshauses, Halt geben.

Doch die Folgen ihrer Begegnungen mit der Staatssicherheit verfolgen sie noch über die friedliche Revolution hinaus. Als sie Einblick in ihre Stasiakten nimmt, kommen perfide Unwahrheiten zu Tage. Die Treffen hätten bei ihr zu Hause unter ausdrücklicher Zustimmung ihrer Eltern statt gefunden – glatte Lügen, die an ihr nagen. Lange nach den traumatischen Erlebnissen beschließt Cholewa, sie im Geiste der Versöhnung mit sich und ihrer Familie zu verarbeiten. Zeitzeugengespräche wie das in Bremen sollen zur Bewältigung dieser neuen Lebensaufgabe beitragen. Den sichtlich beeindruckten Schülern gibt sie die Aufforderung zu einem wachen Umgang mit sich selbst, der Familie und der ganzen Gesellschaft mit auf den Weg. Insbesondere das Geschenk der Freiheit gelte es, „wie einen Augapfel“ zu behüten.

Wir danken der Sparda-Bank Hannover-Stiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung!

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