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Veranstaltungsberichte

XVII. ŠTIŘÍNER GESPRÄCHE

von Milan Šimůnek

Traditionelle Konferenz

Am 19. März 2015 luden die Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag und die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer zum 17. Mal deutsche und tschechische Vertreter aus Politik und Wirtschaft zu den traditionellen Štiříner Gesprächen ein. Das Thema der diesjährigen Konferenz lautete „Berufliche Bildung - Investition in die Zukunft“. In einem interdisziplinären Rahmen wurde diskutiert, inwieweit das deutsche Modell der dualen Bildung zur Überwindung von Fachkräftemangel und Jugendarbeitslosigkeit in der Tschechischen Republik beitragen kann.

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Dr. Werner Böhler, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag, und Bernard Bauer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer, eröffneten die Konferenz mit einem Grußwort. Ing. Petr Šimůnek, Chefredakteur des Magazins FORBES Tschechien, moderierte die Veranstaltung.

In einem ersten Keynote Speech führte Dr. Michael Blank, Projektkoordinator des DIHK Berlin, in die Thematik der dualen Ausbildung in Deutschland ein. Als Leiter des AHK-Projekts VETnet, das in 11 ausgewählten Partnerländern die Implementierung von Systemelementen der dualen Berufsbildung nach deutschem Vorbild untersucht, betonte er, dass es weder möglich noch beabsichtigt sei, das gesamte deutsche System der dualen Ausbildung in andere Länder zu übertragen. Vielmehr ginge es darum, einzelne geeignete Elemente auszuwählen und unter der Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten umzusetzen. Kernelement der dualen Ausbildung sei die Zusammenarbeit von privater und staatlicher Seite. Pro Jahr verbrächten die Auszubildenden ca. neun Monate im Betrieb und drei Monate in der Berufsschule. Die privatwirtschaftlichen Unternehmen entschieden zu einem großen Teil über das Kurrikulum mit und seien für die praktische Vermittlung der Lerninhalte verantwortlich, während die staatlich finanzierten Berufsschulen die dazugehörige Theorie vermittelten. Den Nutzen der dualen Bildung sieht Dr. Michael Blank auf drei Ebenen. Die Unternehmen könnten einen an Ihren Bedarf angepassten Fachkräfteaufbau realisieren, der Staat profitiere durch eine geringe Jugendarbeitslosigkeit und der Auszubildende erfahre eine praxisnahe Ausbildung sowie eine Ausbildungsvergütung.

Ing. Bc. Petr Bannert, Leiter der Bildungsabteilung des tschechischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, erläuterte anschließend die Situation der beruflichen Bildung in Tschechien. In Tschechien sei die duale Ausbildung nach wie vor eher die Ausnahme. Die Ausbildung erfolge überwiegend an Schulen in Anlehnung an Lehrpläne, die in einem zweistufigen Verfahren erstellt würden. Zunächst gebe das Bildungsministerium ein Mindestmaß an einzuhaltenden Vorgaben heraus. Danach hätten die Schulen die Möglichkeit, die Mindestbestimmungen durch regionale Schwerpunkte zu ergänzen. Während die Jugendarbeitslosigkeit in Tschechien im EU-Vergleich derzeit noch relativ niedrig sei, steige in der Tschechischen Republik im Zuge des demographischen Wandels der Fachkräftemangel insbesondere im Bereich der technischen Berufe an. Neben der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und Förderprogramme für technische Fachrichtungen könnte auch die duale Bildung hier ein wichtiger Lösungsansatz sein. Im Jahr 2013 seien wichtige Aktionspläne in Bezug auf die berufliche Bildung in Tschechien beschlossen worden. Zur Umsetzung fehle es der Tschechischen Republik allerdings an starken Partnern. Auch würden die Kleinen und Mittleren Unternehmen nicht ausreichend eingebunden werden. Ein wichtiger Ansatz sei zum Beispiel der Aufbau eines Systems der finanziellen Anreizschaffung, das Unternehmen, die eine duale Ausbildung finanzieren, steuerliche Nachlasse gewährt.

Im ersten Panel der Konferenz mit dem Titel „Berufliche Bildung – Auftrag für die Politik. Sachstand und Vision Tschechien“ ging es um aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen, mit denen sich die berufliche Bildung in Tschechien derzeit konfrontiert sieht.

Mgr. Jana Adamcová, Beraterin des Vize-Premierministers für Wissenschaft, Forschung und Innovationen, beklagte, dass man sich zu sehr auf die Ausbildung konzentriere. Auch die Weiterbildung ermögliche vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels einen bedarfsorientierten Aufbau humaner Ressourcen. Ein weiteres Problem sei der uneinheitliche Ausbildungsstand der tschechischen Auszubildenden. Die Schuldirektoren hätten einen zu großen Gestaltungsfreiraum bei der Erstellung der Lehrpläne. In der Zukunft sollte es daher eine engere Abstimmung zwischen den Schulen der einzelnen Regionen geben. PhDr. Helena Úlovcová, stellvertretende Leiterin des Nationalinstituts für Bildung, betonte hingegen, die derzeitigen zweistufigen Lehrpläne seien notwendig und richtig. Der allgemeine Rahmen werde vom Staat festgelegt. Gleichzeitig sorge die Gestaltungskompetenz der Schulen für die Berücksichtigung spezifischer regionaler Aspekte. Úlovcová erklärte, es gäbe derzeit zahlreiche Analysen und Umfragen, durch die festgestellt werden solle, welche Probleme Schulabgänger haben, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und welchen spezifischen Arbeitskräftebedarf die Unternehmen aufweisen. Hierauf aufbauend sollten Anpassungen an die sich ändernden Entwicklungen des Arbeitsmarktes stattfinden. Ziel sei es, die Inhalte der Fachausbildung an den Bedürfnissen der Unternehmen auszurichten und auch die durch neue Technologien veränderten Inhalte und Anforderungen zu berücksichtigen. Mgr. Dušan Martinek, Abteilungsleiter für Personalentwicklung bei der Böhmisch-Mährischen Konföderation der Gewerkschaftsverbände, hielt dazu an, bei der Überwindung des Fachkräftemangels auch beim Grundproblem der demographischen Entwicklung anzusetzen. Es gelte, Druck auf die Regierungen auszuüben, um Kinderbetreuungseinrichtungen auszubauen. Auch müsste die Chancengleichheit verbessert und der Zugang zu lebenslanger Bildung erleichtert werden. Wichtig sei es außerdem, das Image der technischen Berufe zu verbessern. Diesen Aspekt hatten auch seine Vorredner hervorgehoben. Hierbei müssten nicht nur die Jugendlichen sondern insbesondere auch deren Eltern adressiert werden.

Der vierte Redner des Panels, Mgr. Jiří Mihola, Vorsitzender der Fraktion KDU-ČSL im tschechischen Abgeordnetenhaus sowie stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft, Bildung, Kultur, Jugend und Sport verfügt über zwanzig Jahre Berufserfahrung in der Lehre. Er habe beobachtet, wie die technischen Fächer an der pädagogischen Fakultät mit einem steigenden Mangel an Studierenden kämpften. Gleichzeitig mangele es auch an Lehrkräften für technische Fächer, so dass bereits einige Studiengänge und Lehrstühle schließen mussten. Mihola zufolge habe sich das deutsche System der dualen Bildung bewährt und sollte als Modell zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Tschechien herangezogen werden. Es sei nicht notwendig, einen spezifischen tschechischen Weg der dualen Bildung zu suchen. Vielmehr gelte es die „best practices“ verschiedener Länder zu untersuchen und geeignete Elemente davon zunächst auszuwerten und sofern sie geeignet sind umzusetzen.

Um die „best practices“ ging es dann auch im zweiten Panel mit dem Titel „Erfolg durch berufliche Bildung – Best practice Erfahrung aus Unternehmen“. Hier wechselte der Blick von der Politik auf die Wirtschaft. Unternehmensvertreter, die bereits Initiativen und Programme zur dualen Bildung in Tschechien durchführen, stellten ihre Ansätze vor und berichteten über ihre Erfahrungen. Dipl.-Ing. Carsten Brandes ist Leiter der ŠKODA Akademie, die in Kooperation mit Hochschulen und Berufsakademien ein duales Studium anbietet. Der theoretische Teil des dualen Studiums finde in einer der kooperierenden Schulen statt. Der praktische Teil werde hingegen direkt im Autohaus SKODA vermittelt. Brandes ist vom Nutzen des Prinzips der dualen Bildung überzeugt. Eine fundierte theoretische Ausbildung und Wissensvermittlung bleibe der Kern. Die praktische Tätigkeit gewährleiste darüber hinaus eine stärkere Identifikation der angehenden Fachkraft mit der eigenen Leistung, was sich früher oder später in einer größeren Leistungsbereitschaft und stärkeren Produktivität niederschlage. Brandes erachtet die Chancen zur breitflächigen Implementierung der dualen Bildung in Tschechien als hoch, zumal die tschechische Gesetzgebung flexibler als etwa die deutsche sei. Rudolf Fischer, Präsident der DTIHK und CFO der Siemens GmbH, erklärte, Siemens arbeite aktiv daran, das System der dualen Bildung auch in anderen Ländern zu implementieren. In Tschechien sei dies aber bisher noch nicht erfolgt. Es gäbe jedoch Kooperationen mit Berufsschulen und aktuelle Diskussionen über den Aufbau eines Trainingszentrums. Die Vorteile der dualen Ausbildung sieht er neben der Verbindung von Theorie und Praxis auch in der gemeinsamen Verantwortung von Unternehmen und Schule, bzw. Wirtschaft und Staat. Da der zukünftige Bedarf der Unternehmen nicht durch Analysen genauestens vorhersehbar sei, sollte den Unternehmen die Möglichkeit und Freiheit gegeben werden, Ausbildungspläne entsprechend ihrer Bedürfnisse zu gestalten.

Ing. Pavel Roman, Director of Corporate Communications für die Bosch Group in Tschechien, berichtete wie Bosch vor zehn Jahren die Effekte des Fachkräftemangels zu spüren begann, auf Regierungsebene aber keinen Ansprechpartner vorfand. Daher habe Bosch sich selbst helfen müssen und für das Bosch-Unternehmen zur Metallverarbeitung ein Bildungszentrum für die eigenen Auszubildenden sowie die Auszubildenden benachbarter Schulen errichtet. Für das Bosch-Werk im Bereich der Kunststoffverarbeitung und –gestaltung in Budweis sei direkt eine Berufsschule auf dem Fabrikgelände aufgebaut worden. Roman forderte, den zahlreichen Analysen der Regierung Taten folgen zu lassen und rief zu einem intensiven Dialog zwischen den Fachressorts auf. Den abschließenden Beitrag des Panels lieferte Ing. Jiří Myšák, Aufsichtsratsvorsitzender und Personaldirektor der VEBA Textilfabriken. Auch seine Geschäftsidee basierte auf dem Willen, den wirtschaftlichen Einbruch seiner Branche aufzuhalten. Nach der Wende habe die Textilindustrie erheblich an Mitarbeiterzahlen verloren. Die Anzahl an Auszubildenden sei stark gesunken. Vor zwei Jahren habe er dann eine Vereinbarung mit der Industrieschule für Maschinenbau zur Einrichtung eines Bereichs für Textil getroffen. In diesem Bereich sollten die Jugendlichen für das Unternehmen ausgebildet werden. Ergänzt wurde der theoretische Teil durch eine praktische Ausbildung im Betrieb. Rasch habe sich daraufhin unter den angehenden Auszubildenden eine große Nachfrage für das Ausbildungsmodell entwickelt.

Das Abschlusswort hielt der Anwalt Mgr. Robert Šťastný, Leiter der wirtschaftlichen Kommission der KDU-ČSL. Er beleuchtete die sozialen Aspekte des Themenkomplexes der dualen Bildung und forderte unter anderem eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben, eine stärkere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sowie die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und in diesem Zusammenhang die Nutzung des Potentials der vietnamesischen Bevölkerung in Tschechien.

Insgesamt hat die Konferenz die Möglichkeit zu einem offenen interdisziplinären Austausch von Vertretern aus Politik und Wirtschaft geboten. Durch die verschiedenen Perspektiven der Redner konnte ein umfassendes Bild zum Stand der beruflichen Bildung in Tschechien ermittelt werden. Konsens gab es dahingehend, dass das Image von technischen Berufen verbessert werden müsse. Alle Redner betonten außerdem, dass das deutsche Modell der dualen Bildung nicht 1:1 auf Tschechien übertragen werden könne. Über die konkrete Art und Weise der optimalen Umsetzung und die Hindernisse, die dieser noch im Wege stehen, gab es hingegen Differenzen. Wie und ob die Umsetzung der dualen Bildung in Tschechien letztlich erfolgen wird, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass ein sinnvoller Weg gefunden werden kann, durch den zugleich die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und der Fachkräftemangel eingedämmt werden kann.

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