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Veranstaltungsberichte

Eignet sich Minsk als Verhandlungsort für internationale Konflikte?

von Dr. Wolfgang Sender

Interview mit Dr. Wolfgang Sender für "Novoje Wremja" (Ukraine)

Expertenbeitrag des Auslandsmitarbeiters für Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Wolfgang Sender, für einen Artikel der gedruckten Ausgabe der ukrainische Zeitung „Novoje Wremja“.

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Frage: Eignet sich Minsk als Verhandlungsort für internationale Konflikte?

Antwort von Wolfgang Sender:

"Ich bin der Auffassung, dass man Minsk eine Chance als Verhandlungsort geben sollte. Hierfür sprechen zwei Gründe. Erstens hat Minsk in den vergangenen Monaten gezeigt, dass es bereit und fähig ist, eine solche Rolle zu übernehmen. Für die Verhandlungen im Normandieformat hat es sich als der richtige Ort herausgestellt. Minsk war eine bewusste Entscheidung, da ein Verhandlungsort im November 2015 entweder in der Ukraine oder in Russland einerseits oder in der Europäischen Union oder gar den USA andererseits von mindestens einer Seite als politisch voreingenommen hätte wahrgenommen werden können. Natürlich besteht zwischen Belarus und Russland eine enge Bindung – in Bezug auf die Ukraine hat Belarus jedoch anders als Russland in der Summe aller Stellungnahmen und Aktivitäten eine andere Position eingenommen.

Zweitens sollte jede verantwortliche Politik nicht nur den Blick auf den unmittelbaren Gegenstand – die Friedensverhandlungen zur Ukraine – werfen, sondern auch zu den Implikationen. Nachdem Minsk im Februar 2015 Gastgeber des Normandie-Formates war, hat es sich ermutigt gefühlt, weiterhin gute Dienste zu leisten, um Frieden in der Ukraine herzustellen. Seitdem tagen verschiedene Verhandlungsgruppen und Unterhändler immer wieder auch in Minsk. Ich glaube, dass diese Erfolge in Minsk zu einem „diplomatischen Erwachen“ geführt haben. Erst vor wenigen Tagen hatte Außenminister Makej in dieser Linie sogar eine Großkonferenz der Weltmächte in Minsk vorgeschlagen. Das scheint noch zu ambitioniert im Moment, aber wichtig und richtig ist doch hier die Richtung: Minsk bringt sich positiver als bisher ein, um gemeinsame Probleme in Europa zu lösen. Dem sollte man – wo immer es möglich ist – eine Chance geben und Minsk weiterhin als möglichen Verhandlungsort betrachten. Denn Belarus ist selbstverständlich ein souveräner und unabhängiger Staat, der jedes Recht hat, wie alle anderen Staaten Verantwortung für die Sicherheitslage in der Region zu übernehmen. Präsident Lukschenkos „Schaukelpolitik“ zwischen Ost und West wurde ja verschiedentlich kritisiert, ich glaube aber, dass jemand, der diese „Schaukelpolitik“ unzweifelhaft beherrscht, auch ein guter Gastgeber sein und dabei Verständigung zwischen den Konfliktparteien unterstützen kann.

Im Übrigen meine ich, dass es für die Steigerung der Unabhängigkeit der Position von Belarus gut wäre, wenn Minsk Verhandlungsort auch außerhalb des sicherheitspolitischen Feldes würde. Viele Bereiche zwischen Ost und West, auf denen wir in Zukunft arbeiten müssen, sobald die Voraussetzungen gegeben sind, könnten in Minsk behandelt werden. Ich denke hier an Fragen der Kooperation zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion zu ökonomischen Aspekten oder eine aktive Gestaltung der weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen, die sich durch die vierte industrielle Revolution ergeben.

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Kontakt

Dr. Wolfgang Sender

Dr. Wolfgang Sender, Auslandsmitarbeiter Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung (c) BelTa Nachrichtenagentur Belarus.

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