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Interview der Zeitung "Nasha Niwa" mit Dr. Wolfgang Sender

von Dr. Wolfgang Sender

Zur Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Belarus

In einem Interview mit der unabhängigen belarussischen Zeitung "Nasha Niwa" äußert sich der Auslandsmitarbeiter für Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Wolfgang Sender, zur Arbeit der Stiftung in Belarus und zur Zusammenarbeit zwischen der Republik Belarus und der Europäischen Union.

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Arbeitsübersetzung ins Deutsche

Nasha Niva (NN): Die Beziehungen zwischen der Führung von Belarus und den politischen Stiftungen sind in den letzten 20 Jahren traditionell nicht einfach gewesen. Trotz gewisser „Tauwetterphasen“ in den Beziehungen waren sie durch eine Vertrauenskrise von den beiden Seiten gekennzeichnet. Die belarussischen Vertretungen der ausländischen politischen Stiftungen kritisierten an der belarussischen Führung die Menschenrechtsverletzungen und undemokratischen Wahlen. Die belarussische Führung verdächtigte ihrerseits die politischen Stiftungen der Absicht, in Belarus eine „bunte“ Revolution herbeizuführen.

Aber nach der Verbesserung der Beziehungen zwischen Belarus und der EU ist das Verhältnis des belarussischen Staates zu den Aktivitäten der ausländischen politischen Organisationen loyaler geworden. Was ist künftig hinsichtlich der Beziehungen zwischen Belarus und der EU zu erwarten? Wie die belarussische Führung ihre Einstellung zu den Vorschlägen der westlichen Partner ändert und ob die EU ihre Grundsätze und Werte nicht verrät, indem sie den Dialog mit der autoritären belarussischen Macht intensiviert? Diese und zahlreiche andere Fragen hat die Zeitung „Nasha Niwa“ mit dem Leiter des Auslandsbüros für Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung, Wolfgang Sender, besprochen.

NN: Dr. Sender, die Beziehungen zwischen der belarussischen Führung und den europäischen Stiftungen waren immer nicht einfach. Wir erinnern uns sehr gut an die Schließung der Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung und an sonstige Skandale. Wie entwickeln sich jetzt die Beziehungen zwischen Ihrer politischen Stiftung und der belarussischen Regierung?

Wolfgang Sender (WS): Ja, die Beziehungen waren nicht einfach. Aber in den letzten Monaten gelangten die beiden Seiten zum Verständnis, dass es einfach notwendig ist, angesichts neuer Realitäten in Europa intensiver zusammenzuarbeiten. In dieser Hinsicht stellt die Arbeit der deutschen politischen Stiftungen eine Möglichkeit für die belarussische Führung dar, ihre Sicht der Dinge der europäischen politischen Szene besser als bisher mitzuteilen und in einen Dialog zu treten. Aufgabe der politischen Stiftungen ist es Kontakte herzustellen und politische Fragen mit beiden Seiten – der belarussischen und der europäischen Seite, zu diskutieren.

Es lohnt sich dabei insbesondere, auf die Sicherheitsfragen zu schauen. Gerade in den letzten Monaten entdeckte ja Belarus diesen Bereich für sich. Und wir als Konrad-Adenauer-Stiftung wollen diesen Prozess unterstützen, damit Belarus im Bereich der europäischen Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik aktiver werden kann. Gerade das machen wir auch, d.h. wir arbeiten aktiv sowohl mit der Regierung, als auch mit unterschiedlichen Experten im Sicherheitsbereich zusammen. Und dieser erfolgreiche Prozess der Kontaktherstellung ist für die beiden Seiten jeweils von Bedeutung. Es liegt im Interesse der EU, dass Belarus aktiv an der Gestaltung seiner eigenen Sicherheitspolitik arbeitet.

Ich denke, dass die belarussische Führung jetzt diesen Prozess der Annäherung beobachtet und einsieht, dass die Zusammenarbeit mit den politischen Stiftungen nützlich ist. Leider wurden in den letzten Jahren die Möglichkeiten eines Dialogs unterschätzt und nicht alle Voraussetzungen waren gegeben. Ich glaube aber, dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der wir das Vertrauen zueinander wieder aufbauen und dadurch unseren Beitrag zur Stabilisierung der Situation in Europa leisten können.

Außerdem beraten wir Politiker sowohl in Europa, als auch in Deutschland, damit sie ihre Politik in Bezug auf Belarus auf Basis objektiver Informationen gestalten können. Z.B. werden jetzt die deutschen Truppen nach Litauen rotiert. Wir beraten deutsche und europäische Politiker, damit sie der belarussischen Führung und Gesellschaft beispielsweise besser aktiv erklären, dass diese Truppen dort ausschließlich zum Schutz und im Rahmen geltenden Rechts stationiert sind und dass sich dies keineswegs gegen Belarus richtet. Als politische Stiftung haben wir Zugang und Kontakte zu Entscheidungsträgern jenseits der diplomatischen Kanäle. Wir haben Möglichkeiten, die Rolle zu spielen, die andere Institutionen manchmal nicht übernehmen können.

NN: Einzelne Vertreter des belarussischen Staates haben Angst, dass die Adenauer-Stiftung und andere ähnliche Stiftungen nur dafür agieren, um einen „Majdan“ im Lande auszulösen und die Regierung zu stürzen. Wie würden Sie es kommentieren?

WS: Richtig ist, dass sich die Adenauer-Stiftung für die Demokratie einsetzt. Dies bedeutet aber nicht, dass es zu unseren Zielen gehört, Regime zu stürzen. Dies ist nicht unser Ansatz. Das vergangene Jahrzehnt hat außerdem auch deutlich gezeigt, dass die von außen unterstützen Regierungswechsel in der Regel nicht erfolgreich waren.

Wir möchten in Belarus vielmehr die Idee des Rechtsstaates propagieren, damit sich die belarussische Führung an die Grundsätze der Demokratie und Menschenrechte hält. Im Rahmen von verschiedenen Bildungsmaßnahmen diskutieren wir diese Fragen mit Experten, Staatsbediensteten sowie einfachen Menschen. Wir diskutieren, wir schlagen vor, wir regen an.

Ich betrachte die Arbeit unserer Stiftung daher nicht als Risiko für eine Revolution, sondern vielmehr als Chance für die Entwicklung des Landes in einem friedlichen und kooperativen Europa.

NN: Dies ist wohl sehr gut, dass Sie bestrebt sind, Beziehungen zu der belarussischen Führung aufzubauen. Manche in Belarus sind aber der Meinung, dass Sie dadurch solche wichtige Aspekte verdrängen, wie Verletzungen der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Belarus. Sind Sie mit dieser Einschätzung einverstanden? Und wie findet man die Balance zwischen dem Pragmatismus und der Wahrung seiner Werte?

WS: Ich bin mit der Meinung nicht einverstanden. Die Situation in Belarus ist in den letzten Monaten durch eindeutige Fortschritte in zahlreichen Aspekten gekennzeichnet. Wir haben beispielsweise die Freilassung der politischen Gefangenen erlebt und die Wiederaufnahme des Menschenrechtsdialogs mit der EU und die Verabschiedung des ersten Menschenrechtsplanes. Das muss man ja auch einmal anerkennen.

Und angesichts dessen verstehe ich nicht ganz den Vorwurf, dass die EU angeblich auf ihre Werte verzichten würde. Es ist umgekehrt: Gerade die Diskussion von Menschenrechtsfragen hat die EU wiederholt gefordert und gerade das hat Belarus umgesetzt. Aus meiner Sicht stellt dies eine Etappen-, schrittweise Verwirklichung unserer Absichten einerseits und der belarussischen Ziele andererseits dar.

Selbstverständlich sind die Ergebnisse dieser Schritte nicht immer so, wie wir uns das erhofft haben. Wichtig ist aber, dass wir vorankommen. Einen gewissen Anteil des Pragmatismus haben wir ja, ich würde es aber als Realpolitik bezeichnen, die weiterhin auf Werten beruht und für diese eintritt.

Praktisch jede Stellungnahme von Seiten der europäischen Politik spricht immer solche Fragen wie Menschenrechte, Todesstrafe an. Und anstelle das Bestreben der EU für einen Dialog mit der belarussischen Führung zu kritisieren, würde ich jedem vorschlagen, doch eher zu überlegen, welche konkreten sachpolitischen Vorschläge es für einen konstruktiven Dialog gibt.

In zahlreichen Bereichen zwischen Belarus und der EU ist es heute einfach erforderlich, noch grundlegende Basisarbeit zu verrichten. Man muss sich das einmal vorstellen: Wir haben immer noch nicht einmal ein Basisabkommen zwischen der EU und Belarus! Deswegen möchte ich, dass wir nicht so viel nach angeblichen versteckten Absichten jeweils der Gegenpartei suchen, sondern vor allem auf die Sachfragen schauen und einen Weg für ein besseres Miteinander zum Wohle der Menschen in Europa finden.

NN: Wie bewerten Sie die Aussichten von Belarus als Verhandlungsplatz?

WS: Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine hat sich Belarus sehr positiv positioniert. Die Bereitstellung des Verhandlungsplatzes, die Unterstützung einer trilateralen Kontaktgruppe der OSZE und zahlreiche Beratungen, die die belarussische Führung mit den Konfliktparteien führt, sind wichtige Schritte zur außenpolitischen Emanzipation von Belarus. Das ist eine sehr positive Rolle, die davon zeugt, dass Belarus sogar bereit ist, über seine eigenen engen Interessen hinauszugehen. Aus meiner Sicht ist dies ein völlig europäischer Ansatz: Nicht nur auf sich selbst und eigene Probleme zu schauen, sondern auch dran zu denken, was ich für meine Nachbarn tun kann.

Ich denke, dass Belarus auch künftig ein guter Verhandlungsplatz sein kann. Ich erinnere mich in diesem Kontext an die erste Strophe aus der belarussischen Hymne: “Мы, беларусы, мірныя людзі” (Wir, Belarussen, sind friedliche Menschen).

Ich möchte das Recht von Belarus betonen, im außenpolitischen Bereich selbständig zu handeln. Diese aktive Position hilft auch den Menschen in Belarus selbst.

Wenn sich aber Belarus auf Dauer als Verhandlungsplatz positionieren will, muss man auch neue Themen jenseits der Ukraine entdecken. Z.B. könnte Belarus zum Verhandlungsplatz über die 4. Industrierevolution (Industrie 4.0) werden. Selbst Präsident Lukaschenko hat bereits bemerkt, dass die Ära von Öl und Gas vorbei und die Zeit von Tabletts und Smartphones angebrochen sind. Da gibt es viel zu besprechen, weil zahlreiche Fragestellungen in diesem Themenbereich weltweit ungelöst sind. Warum also sollte dies nicht in Belarus diskutiert werden? Die Konrad-Adenauer-Stiftung möchte daher 2017 eine solche Konferenz in Minsk durchführen.

NN: Kann man die Beziehungen zwischen Belarus und der EU einerseits verbessern, ohne zugleich die Beziehungen zu Russland zu verschlechtern? Ist dies machbar, ohne dass man den russischen „Bären“ reizt?

WS: Die Vorschläge, die von Seiten Deutschlands und der EU bezüglich Belarus ausgehen, sind nicht gegen Russland gerichtet. Die deutsche Kanzlerin beispielsweise hat immer betont, dass die Östliche Partnerschaft und sonstige Aktivitäten der EU in Osteuropa nicht gegen Russland gerichtet sind.

Aber heutzutage bietet die Zusammenarbeit mit Russland und in der Eurasischen Wirtschaftsunion immer weniger echte wirtschaftliche Perspektiven für Belarus. Und wenn dies so ist, muss jeder verantwortliche Politiker nach Wegen suchen, wie man bei bestehender Ostintegration von Belarus dennoch zu einer besseren Zusammenarbeit mit dem Westen gelangen kann. Die belarussische Führung hat von sich aus eine Nachfrage nach der westlichen Ausrichtungen der belarussischen Politik entwickelt, und der Westen reagiert einfach darauf. Und wir machen das redlich und offen.

Selbstverständlich sind unsere Aktivitäten nicht gegen Russland gerichtet. Ich denke, dass man in Moskau versteht: Die stärkere Zusammenwirkung zwischen Belarus und dem Westen wird dem belarussischen Volke nur nutzen.

NN: Sind Sie einverstanden damit, dass die Östliche Partnerschaft ein abgestorbenes Projekt ist, und die EU eine neue Form für den Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn entwickeln sollte?

WS: Wenn wir uns die Östliche Partnerschaft anschauen, dann können wir feststellen, dass sie für Belarus nicht so erfolgreich war, wie wir es ursprünglich erwartet haben.

Es ist offensichtlich, dass wir differenzierte Ansätze für jedes Land anwenden sollten. Man darf nicht einen universellen Ansatz nutzen und alle Länder dieser Region in einen Topf werfen, wie es bisher manchmal den Anschein hatte.

Es lohnt sich auch, der belarussischen Seite aufmerksam zuzuhören. Deswegen möchte ich auch, dass die belarussische Seite uns ihre Wünsche deutlicher und vor allem konkret sagt und dass diese Wünsche auch realistisch sind. Es ist an Belarus, konkrete Vorschläge auszuarbeiten.

NN: Heute verzeichnen wir die Zunahme der Beliebtheit von ultrarechten Parteien in Europa: Partei von Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, AfD in Deutschland finden immer mehr Zuspruch. Ihre Stiftung ist unmittelbar mit der konservativen Mitterechtspartei der Kanzlerin Angela Merkel CDU verbunden. Wie können die traditionellen rechten Parteien auf die Herausforderungen seitens der Ultrarechten antworten?

WS: Wir sollten unsere Werte, für die wir uns einsetzen, und das, was wir in Europa erreicht haben, noch stärker hervortun und betonen. Heute können wir auf die längste friedliche Zeit in Europa in seiner ganzen Geschichte zurückblicken. Die Menschen leben bei uns im Wohlstand. Viel besser, als sie noch vor einigen Jahrzehnten gelebt haben. Die Menschen empfinden aber eine große Unsicherheit unter anderem wegen des Globalisierungsprozesses. Dies spiegelt sich in der Zunahme der Popularität dieser Parteien wider.

Wir sollten die Menschen in Europa einfach beruhigen, beweisen, dass wir auch künftig imstande sind, die Entwicklung positiv zu gestalten. Eine Rückkehr zur Konzeption des „Nationalstaates“ und Abschwächung von Integrationsanstrengungen wird die Situation nicht verbessern. Wir können uns von der Globalisierung nicht isolieren. Gerade umgekehrt – wir müssen alle Ressourcen mobilisieren, um zu lernen, unter den Bedingungen einer noch größeren Integration zu leben.

NN: Was ist Ihr Lieblingsgegenstand, der mit Belarus zusammenhängt? Z.B. irgendwelches Gericht, Musik, Buch oder Ort?

WS: Ich mag es, mit meinen Freunden und Kollegen Schaschlik am Minsker Meer zu essen. Ich hoffe, dass es dort nicht verboten ist, ich weiß es einfach nicht genau!

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Dr. Wolfgang Sender

Dr. Wolfgang Sender, Auslandsmitarbeiter Belarus der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS Belarus

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