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"Ein Kontinent der Widersprüche"

Außenpolitischer Gesprächskreis mit David Gregosz

Seit Anfang 2014 leitet er das Regionalprogramm "Soziale Ordnungspolitik in Lateinamerika" (SOPLA) der Adenauer-Stiftung von Santiago de Chile aus. Damit bearbeitet und bereist David Gregosz einen Zuständigkeitsbereich, der von Mexiko bis Feuerland reicht – ein Kontinent, der wie er sagt sein Potential nicht ausschöpft.

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In der deutschen Öffentlichkeit begegne man Lateinamerika mit seinen 590 Millionen Einwohnern zumeist mit „freundlichem Desinteresse“. „Das liegt in erster Linie an den großen eigenen Problemen, wie Griechenland, Flüchtlingen, IS und der Ukraine-Krise, die Europas Aufmerksamkeit seit geraumer Zeit binden“, so seine Analyse. Und schafften es doch einmal Nachrichten in die deutsche Berichterstattung, handelten sie meist von Krisen, wie der desaströsen wirtschaftlichen Lage Venezuelas, dem schlechten Politikmanagement Argentiniens und Brasiliens oder dem anhaltenden Drogenproblem und sich daraus ergebender Konflikte. Dabei spiele sich in Lateinamerika derzeit spannende Politik zwischen alten und neuen Mächten ab, so Gregosz.

Hätten die USA Lateinamerika nach den Anschlägen des 11. September 2001 den Rücken gekehrt, so zeigten sie sich seit einiger Zeit wieder präsenter auf dem Kontinent „und wollen ihren verloren gegangenen ‚Hinterhof‘ wieder neu bestellen“. Dies geschehe, nachdem China die von den USA hinterlassene Lücke gefüllt hätte und als Modernisierungs- und Industriepartner in Erscheinung getreten sei. „250 Milliarden Dollar will China in den nächsten zehn Jahren in Lateinamerika investieren – das ist ein Vielfaches der von Europa geplanten Investitionsmittel für diesen Zeitraum.“

Betrachte man das chinesische Engagement in Lateinamerika müsse man bedenken, dass es nicht allein um Rohstoffsicherung gehe, sondern China durch gezielten Kauf und Bau von Minen, Häfen und Kanälen „strategisch wichtige Infrastruktur als Gegengewicht zum Westen aufbaut“. Beide Großmächte spielten somit eine herausragende Rolle für Lateinamerika.

Vor einiger Zeit noch als ‚Rohstofflieferant der Welt‘ bezeichnet, hätten die sinkenden Weltmarktpreise für Ressourcen wie Öl zu einer wirtschaftlichen Abkühlung vieler Länder in der Region gesorgt. Deutlich werde das am Beispiel Venezuelas, dessen Einnahmen zu 90 Prozent durch den Ölverkauf entstand und das nun unter der Halbierung der Weltmarktpreise besonders leide. Das Wachstum vieler Länder verlangsame sich und die Haushaltslage werde immer schwieriger. Der sinkende Ressourcen-Bedarf weltweit basiere vor allem auf drei Ursachen: der wirtschaftlichen Stagnation Europas, dem verlangsamten Wachstum der chinesischen Wirtschaft und der zunehmenden Energieautarkie der USA. So betrachtet sei der Ressourcen-Reichtum Lateinamerikas nicht nur Segen, sondern auch Fluch, denn durch den lukrativen Verkauf auf den Weltmärkten habe keine Notwendigkeit bestanden, die eigene Wirtschaft weiterzuentwickeln und zu diversifizieren, so Gregosz.

Heute stehe der Kontinent vor drei großen Herausforderungen. Die wirtschaftliche Basis müsse dringend verbreitert werden, um Krisen in einzelnen Bereichen abfedern zu können. Die Produktivität müsse insgesamt gesteigert werden, wobei der Breitenbildung der Bevölkerung und einer höheren Rate von Berufsabschlüssen eine Schlüsselrolle zukomme. Regional betrachtet führe zudem an der Integration des Wirtschaftsraumes kein Weg vorbei, denn heute liege die Umsatzquote zwischen Nachbarstaaten bei lediglich zirka 20 Prozent. „Doch gerade der letzte Punkt ist schwierig in einer Region, die anders als Europa nicht die Urkatastrophe zweier Weltkriege erlebt hat, um daraus die Lehre zu ziehen, dass Integration und Kooperation die Lösung sind.“

Die politisch-kulturelle Zerrissenheit der Region sei riesig, genauso wie die Entfernungen und eine dafür unterentwickelte Infrastruktur, so Gregosz. Ein Lichtblick sei hingegen die lateinamerikanische Freihandelszone ‚Pazifik-Allianz‘, die das Potential habe, ein „Friedenswerk“ sein zu können. Bei allen Problemen sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Lateinamerika ein Teil des Westens sei. "In einer unübersichtlichen Welt mit aufstrebenden Akteuren bleibt eine Wertepartnerschaft der Amerikas und Europa, die auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte setzt, von unschätzbarem Wert."

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