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"Wir haben großes Glück gehabt"

Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister Berlins a.D., blickt zurück auf Berlin als geteilte Stadt und die Wende

Vor 25 Jahren fiel die Mauer, ein Jahr später folgte die Deutsche Wiedervereinigung. Kaum einer hat die Wendezeit und ihre Auswirkungen intensiver miterlebt und mitgestaltet, als Eberhard Diepgen, der von 1984 bis 2001 – mit kurzer Unterbrechung - Berlin regierte. In der Akademie der Adenauer-Stiftung sprach er auf Einladung des Politischen Bildungsforums Berlin über das Regieren einer besetzten Stadt, historische Glücksfälle und die heutige Bedeutung Berlins als Hauptstadt.

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Gerade in einem so wichtigen Jubiläumsjahr wie diesem müsse man mit der Geschichte vorsichtig umgehen, mahnte Eberhard Diepgen gleich zu Beginn seiner Rede. Denn die eigene Erinnerung führe in der Regel mit zunehmendem Abstand zu einer gewissen Verklärung. „Wenn wir aber auf die Entwicklungen im Jahre 1989 blicken, sich vom Sozialismus zu emanzipieren, dann müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass diese in Osteuropa um einiges ausgeprägter waren als bei uns“ , so der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins. Nicht wenige im Westen hätten sich seinerzeit unter dem Gesichtspunkt einer europäischen Sicherheitsstrategie vom Gedanken der deutschen Wiedervereinigung verabschiedet.

Wie werden DDR-Führung und Moskau reagieren?

Die Entwicklungen, die zum Fall der Mauer führten, hätten in der DDR ihren Ursprung genommen, „denn angesichts der immer schlechter werdenden wirtschaftlichen Entwicklung, fassten die Menschen dort immer mehr Mut und suchten in den Kirchen Zuflucht, um Widerstand zu leisten und Freiheit einzufordern“. Diese freiheitliche Revolution habe einen Druck erzeugt, dem das Regime nicht mehr standhalten konnte.

In seiner Funktion als Bürgermeister Westberlin hätten ihn vor allem die Fragen umgetrieben, wie das Regime auf diesen Druck reagieren würde und ob die Sowjetunion am Ende bereit sein würde, ihre Präsenz und ihren absoluten Einfluss auf die DDR aufzugeben. Angesichts des Ausmaßes der Proteste habe sich in der DDR-Führung jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass anders als bis dahin eine reine Unterdrückung nicht mehr möglich sei. Vielmehr wollte man versuchen, diese Bewegung durch eigene „Oppositionsgruppen“ zu lenken, was am Ende aber misslang.

Der anschließende machtpolitische Rückzug der Sowjetunion und das Brechen mit dem jahrhundertealten russischen Paradigma, sich als europäische Macht zu installieren, sei unerwartet gekommen. „Wir haben damals das Glück gehabt, dass Michail Gorbatschow diesen Weg eingeschlagen hat, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen würde.“ Als die russischen Streitkräfte 1994 aus Berlin abzogen und sangen, ‚Deutschland, wir reichen dir die Hand und kehren zurück ins Vaterland. Die Heimat ist empfangsbereit – wir bleiben Freunde allezeit‘ sei das ein in der Geschichte einmaliger Vorgang gewesen.

Berlin als Hauptstadt

Diepgen appellierte an die Zuhörer, mit mehr Selbstverständlichkeit die Unterschiedlichkeit von historischen Daten zur Kenntnis zu nehmen und sich über den 9. November 1989 zu freuen, „auch wenn dieses Datum mit Blick auf die Reichsprogromnacht 1938 eine weitere, sehr traurige Bedeutung hat“.

Trotz der heutigen internationalen Popularität Berlins müsse man sich die Frage stellen, ob Berlin tatsächlich vom Rest der Republik als Hauptstadt oder nur als Metropole akzeptiert werde. „Es wäre für Spanien etwa unvorstellbar, dass die großen Medien, Flughäfen oder Telekommunikationsunternehmen nicht in seiner Hauptstadt Madrid beheimatet sind. Bei uns sitzen die jedoch in Hamburg, Mainz oder Bonn.“ Auch habe der 3. Oktober als Nationalfeiertag keinen eindeutigen Fokus, sondern ziehe „als Wanderzirkus von Landeshauptstadt zu Landeshauptstadt“. Dabei müsse vor allem an diesem Tag die ‚Einheit‘ Deutschlands im Vordergrund stehen und nicht seine ‚Vielfalt.

25 Jahre nach dem Fall der Mauer wies Diepgen darauf hin, dass die Wiedervereinigung nicht „vollendet“ werden könne, wie von manchen gefordert. Vielmehr handele es sich um einen natürlichen Prozess, der Zeit brauche. „Es gibt auch heute noch Menschen, die sich als Verlierer der Wende sehen. Um das zu überwenden, braucht es sicher zwei Generationen.“

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