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Veranstaltungsberichte

Reise durch vier Jahrzehnte Berliner Zeitgeschichte

Der Autor Hanns-Josef Ortheil beschloß die Reihe „Europa erzählen“ vor einem vollbesetzten Forum. Vor ihm hatten bereits Marica Bodrožić, Janne Teller und Michael Köhlmeier gelesen.

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Einleitend erzählte er kurz seine Lebensgeschichte und erwähnte dabei, dass seine Mutter die vier älteren Brüder im Krieg und in den ersten Nachkriegsjahren verloren hatte und darüber sprachlos wurde. Diese Sprachlosigkeit übertrug sich dann vom 3. bis zum 7. Lebensjahr auch auf ihn. Die Eltern, die Angst vor seiner sprachlosen Entwicklung hatten, erteilten ihm daraufhin einen improvisierten Schreibunterricht. Sie brachten ihm bei, Erlebnisse und Erfahrungen, die er während des Tages gemacht hatte und Dinge, die ihn beschäftigten, aufzuschreiben. An dieser Notierpraxis hält er bis heute fest, sodass er über einen immensen Fundus an Notaten verfügt, aus denen immer wieder neue Bücher hervorgehen. Mit Hilfe dieser Notizzettel, der Musik und der Literatur gelang es ihm schließlich sich aus der stillen Welt der Mutter zu befreien und bereits als Achtjähriger publizierte er erste Erzählungen in Tageszeitungen.

Ortheil las aus „Die Berlinreise“ und Blauer Weg“ und nahm die aufmerksamen Zuhörer dabei mit auf eine Reise durch Berlin von 1964-1995. In „Die Berlinreise“ beschreibt er eine Reise, die ihn 1964 als Zwölfjährigen mit seinem Vater an die Spree führt. Damals herrscht noch der kalte Krieg und die Mauer steht bereits seit drei Jahren. Aus der Sicht eines Jungen schildert er wie die Stadt und seine Menschen auf ihn wirken. Er besticht dabei durch eine stark ausgeprägte Beobachtungsgabe und ist in der Lage seinen Gefühlen und Empfindungen gekonnt Ausdruck zu verleihen. Ost-Berlin, wohin ihn ein Tagesausflug mit seinem Vater führt, schildert er dabei als farblos und blass. Sein Vater bezeichnet die Mauer als beschämendes Bauwerk. Er fordert den Sohn auf, Berlin, das für die Eltern durch ihre schlechten Erlebnisse in den Jahren 1939-1945, in denen sie dort lebten, sehr negativ behaftet war, zukünftig immer wieder aufzusuchen. Überdies äußert er sich schon fast prophetisch, als er behauptet, dass Deutschland und Berlin eines Tages sicherlich wieder vereint sein werden.

In „Blauer Weg“ schreibt Ortheil über private und politische Ereignisse des Zeitraums 1989 bis 1995, wobei der Mauerfall für ihn eine „Art große Bescherung“ ist. Das Leitmotiv des Buches ist die Auseinandersetzung einer einzelnen Person und eines einzelnen privaten Raums mit den Ereignissen der größeren Geschichte. Anfänglich ist er nur Beobachter, aber später nimmt er leiblich teil: So hält er sich in Prag auf, als Ostdeutsche zu Tausenden die deutsche Botschaft besetzen oder sitzt in der Nacht der Wiedervereinigung gemeinsam mit Helmut Kohl an der Bar im Kempinski. Zwischendurch kommt er in seinem Gartenhaus, das am „Blauen Weg“ in Stuttgart liegt, zur Ruhe und schaut eben nicht nur auf den Süden der Stadt, sondern auch auf die Veränderungen in Berlin, Deutschland und Europa. Das Berlin, das er in „Die Berlinreise“ beschrieben hat, ist nun ein völlig anderes und wandelt sich rasant schnell.

Ortheil berichtet, dass er in den 80er Jahren noch vor dem Mauerfall häufig in Berlin war und ganz bewusst auch oft den Ostteil der Stadt aufgesucht hat. Die Wiedervereinigung holt ihn dann verstärkt nach Berlin, wo er später auch phasenweise lebt, überwiegend in einer Wohnung, die er sich ganz bewusst im Osten genommen hat, um diesen Teil der Stadt noch besser zu erfahren und kennen zu lernen.

Somit lässt Hanns Josef Ortheil an diesem Abend vier Jahrzehnte Zeitgeschichte am Beispiel Berlins sehr anschaulich und einfühlsam in Romanform Revue passieren.

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Christian Schleicher

Christian Schleicher bild

Stellvertretender Leiter Politische Bildungsforen und Leiter Politische Bildungsforen Süd

Christian.Schleicher@kas.de +49 30 26996-3230 +49 30 26996-53230

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