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Werbeträger und PR-Knüller: Urban Gardening und Urban Farming sind angesagt

von Rita Schorpp
Sie sind hipp und liegen im Trend: Dach- oder Gebäudefarmen in der Stadt. InFarming, Zero Acreage Farming oder vertikale Landwirtschaft nennen sich die wissenschaftlichen Konzepte. In Deutschland eher noch selten, sind sie in Nordamerika bereits häufiger zu finden: Restaurants bauen auf dem Dach Kräuter und Gemüse für die eigene Küche an, kommerzielle Dachfarmen verkaufen ihre Erzeugnisse lokal oder regional, Obdachlose pflegen den Dachgarten einer karitativen Einrichtung, werden eingebunden und gefördert, tragen gleichzeitig zur Versorgung der Kantine mit frischem Obst und Gemüse bei.

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Gärtner produzieren in Gewächshäusern auf dem Dach von Supermärkten und liefern ihre frischen Produkte direkt dorthin, offene Dachfarmen von 6000 m² auf Hochhausdächern leisten einen Beitrag zur Biodiversität – und Umweltprojekte bringen großen und kleinen Großstädtern die Natur näher. Manchmal wird konventionell in Erde angebaut, in anderen Fällen in einer Nährlösung.

Ressourceneffizienz, ein ausgeklügeltes System der Nutzung von Synergien in den Bereichen Wasser, Energie, Heizung, hochentwickelte Anbaumethoden und der Innovationsschub in der Technik (z.B. bei besonders energiesparenden LEDs) sind Charakteristika dieser neuen Anbauform.

Also ab aufs Dach und loslegen? So einfach ist es dann doch nicht, sagt Susanne Thomaier, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin. Alte Gebäude sind oft ungeeignet. Neben statischen Problemen und der Frage der Versorgung mit Wasser und Strom ist das Planungs- und Baurecht eine große Hürde, zumindest in Deutschland. So gilt etwa hierzulande ein Dachgewächshaus als Vollgeschoss mit allen steuerlichen Folgen.

Sibylle Benning, Bundestagsabgeordnete aus Münster und bis vergangenen September Stadträtin, war begeistert vom InFarming-Konzept des Fraunhofer-Instituts Umsicht. „Vertikale Landwirtschaft“ – einschließlich Dach- und Fassadenbegrünung, das wäre auch was für ihre Heimatstadt, in der eine akademische, junge, an Umwelt-, Klimaschutz- und Ernährungsfragen interessierte urbane Stadtgesellschaft intensiv über die Nutzung und den sorgsamen Umgang mit Flächen diskutierte. Die Menschen und der Rat der Stadt reagierten positiv. Ernüchternd war dagegen die Reaktion der Verwaltung: Sie forderte eine Machbarkeitsstudie, für die allerdings das Geld fehlte. Fazit: Frau Benning vergleicht sich und ihre Mitstreiter mit einer verschworenen Truppe von Bergsteigern: Jeder kennt die Risiken, weiß, dass es manchmal lange dauert und Umwege unvermeidlich sind, lässt sich aber davon nicht vom Gipfelsturm abschrecken. Bei einem großen geplanten Einkaufszentrum könnte es nun klappen mit der Farm auf dem Dach.

Die „deutsche Durchschnittstomate“ hat tausende von Kilometern zurückgelegt, bis sie im Supermarkt angeboten wird. Das hält Nicolas Leschke für unsinnig, besteht doch eine Tomate zu 98% aus Wasser, das wir also häufig aus wasserarmen Gegenden importieren. Ferner stammen 17 bis 35 Prozent der CO²-Emissionen aus der Lebensmittelerzeugung, 70 Prozent des Nutzwassers verbraucht die Landwirtschaft, 85 Prozent der Weltmeere sind überfischt oder stehen kurz davor. Auf der Erde leben rund sieben Milliarden Menschen, bis 2050 werden es neun Milliarden sein, davon 75 Prozent in Städten.

Wie kann man für all diese Menschen effizienter Lebensmittel anbauen? Nicolas Leschke hat einen Lösungsansatz gefunden: Er baut in seinem Startup Unternehmen aquaponische Farmsysteme für den urbanen Raum, die den Wasserverbrauch um 90% senken und Fisch und Gemüse nahezu CO²-neutral produzieren. Er ist davon überzeugt, dass die Kombination von Fischzucht und Agrarproduktion nicht nur im Trend liegt, sondern Sinn macht: Hydroponik ist ein schnellwachsender 150-Milliarden-Dollar-Markt, ein Hochleistungssystem der industriellen Landwirtschaft. Deshalb will er künftig in der europaweit größten Hochleistungs-Stadtfarm in Berlin-Schöneberg jährlich 24 Tonnen Fisch und 30 – 35 Tonnen Gemüse und Kräuter erzeugen. In diesem Markt sei Platz für viele Unternehmen. Aber Leschke will noch mehr: Weltweit sollen in den nächsten Jahren 33 aquaponische Stadtfarmen entstehen, die die Fischzucht in Aquakultur und die Pflanzenzucht in Hydrokultur verbinden. Leschkes Motivation: Er ist ein begeisterter Gründer, liebt gutes Essen und weiß, dass das Interesse an gesunder Ernährung steigt. Er betont, dass diese Stadtfarmen industriell produzieren. Es gehe nicht um Lifestyle- oder Trendfragen. Es handele sich vielmehr um ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit hohen Initialkosten und hohem unternehmerischem Risiko.

Die anschließende sehr sachkundige Diskussion, die Philipp Lerch, Leiter der KommunalAkademie der KAS, moderierte, bezog viele Aspekte ein: Die Energie- und CO²-Bilanz der Anlagen sowie die Ressourceneffizienz waren von besonderem Interesse. Die positiven Umweltbilanzen der urban farming-Projekte beziehen sich nur auf den laufenden Betrieb, nicht auf die Produktion der Anlagen. Für den Betrieb – so Thomaier und Leschke übereinstimmend - könnten Solarenergie, Photovoltaik und Abwärme, etwa aus Unternehmen (Supermärkte, Bäckereien, Aluwerke, Kraftwerke) genutzt werden. Die Energie ist der Hauptkostenfaktor des urban farming. Leschke plant für seine künftige Farm ein Blockheizkraftwerk. Das beim Beheizen entstehende CO² soll ausgewaschen und als Dünger genutzt werden.

Zwischen städtischer und klassischer Landwirtschaft bestünde keine Konkurrenz. Vielmehr entwickeln sich zahlreiche Möglichkeiten der Kooperation, etwa bei der gemeinsamen Vermarktung. Konventionelle Landwirte könnten von der hohen Aufmerksamkeit für das innovative Dachfarm-Modell profitieren, die „Dachfarmer“ könnten ihr Angebot erweitern. Ferner, so Leschke, seien die Produkte der neuen städtischen Landwirtschaft „Nischenprodukte“. Ein zentrales Thema sei die Lebensmittelqualität, die Transparenz bei der Produktion.

Sibylle Benning sieht in der Diskussion um die innerstädtische Landwirtschaft eine große Chance für die Kommunalpolitik: Politik mit und für den Bürger fördere sowohl das individuelle Engagement als auch das Unternehmertum. Die Arbeit für ein gemeinsames (InFarming-)Projekt mache deutlich, wie Politik erfolgreich gestaltet werden könne.

Neben der High-Tech Landwirtschaft wurde auch die allgemeine Bedeutung von Grün in der Stadt, von Mitmach-Projekten für die Bevölkerung gewürdigt, vom Blumentopf auf dem Balkon über die Kleingärten bis zur Freigabe städtischer Brachflächen zur vorübergehenden Nutzung. Betont wurde der umweltbildnerische Aspekt, der für einen Bewusstseinswandel gerade bei jungen Menschen sorgen könnte. Lerch plädierte für die Natur mit Friedensreich Hundertwasser: „Die gerade Linie ist gottlos.“ Thomaier forderte, „Grün am Bau“ bei der städtischen Liegenschaftsplanung stärker zu berücksichtigen und mehr Anreize für private Immobilienentwickler zu schaffen.

Die Wirtschaftlichkeit von Dachfarmen wurde angezweifelt. Die Vorstellung, künftig Solaranlagen zur Energiegewinnung auf den Acker zu bauen und den Ackerbau mit hohem Aufwand auf die Dächer zu schaffen, wurde kritisiert. Die Flächenverschwendung durch Solaranlagen auf Feldern oder die Pflanzenproduktion zur Energiegewinnung sieht auch Benning kritisch.

Leschke betonte nochmals, dass seine und vergleichbare Produkte Nischenprodukte seien, die allerdings Dank der Direktvermarktung nicht wesentlich teurer als diejenigen aus einem Bio-Supermarkt seien. Die geschlossenen Systeme seien ein Schritt in die richtige Richtung. Sein Plädoyer: Wir müssen in allen Bereichen effizienter werden.

Benning betonte die Bedeutung von Grün in den Städten. Sie unterstrich den sozialen Effekt von Begrünung und urban gardening-Modellen: Wo in sozial schwierigen Wohngebieten die Bevölkerung bei Anbau, Pflege und Ernte mitwirke, trüge dies durchaus zur sozialen Beruhigung bei und hätte somit einen doppelten positiven Effekt.

Der riesige soziale Wert des urban gardening sei zwar auch monetär bewertbar, aber der soziale Mehrwert sei eindeutig höher als der produktive. Urban gardening sei Integrationsinstrument, Werbeträger und PR-Knüller in einem, sowohl für Unternehmer als auch für Städte. Noch dazu sei der Werbeeffekt kostenlos und überproportional hoch im Vergleich etwa mit Kleingärten. So sei das grüne Image prägend für Berlin, sei zum Bestandteil der Stadtpolitik geworden und zivilgesellschaftlich verankert. Dies gelte auch für andere Städte wie Münster oder Freiburg.

Wo Berlin in 10 – 15 Jahren stehen wird, wollte Lerch zum Schluss wissen. Thomaier hofft, dass dann urban gardening als Möglichkeit für alle Bürger in jedem neuen Wohnkonzept mit geplant und gedacht wird. Leschke will noch mehr urban farming in die Stadt bringen und insbesondere Brachflächen mit mobilen Beeten, ja sogar Hühnerfarmen nutzen – vom Mobi (mobilen Beet) zum Mochi (mobilen Huhn) zur Motown.

Benning ist sicher, dass Berlin auch in 10 – 15 Jahren noch Trendsetter sein wird. Sie sieht die Hauptstadt als Vorreiter bei der multifunktionalen Nutzung städtischer Flächen und im Bereich der Nachhaltigkeit.

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