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von Viola Neu

Die Landtagswahlen 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen aus Sicht der Wahlforschung

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Nachdem im Mai die Wahlen zum Europaparlament und die Bürgerschaftswahlen in Bremen stattgefunden haben, werden im Herbst drei weitere Landtagswahlen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken: Am 1. September wählen die Brandenburger und Sachsen, am 27. Oktober die Thüringer ihre Landesparlamente. Nach den Wahlen im Mai wird vermutlich spekuliert, was die Ergebnisse für den Wahlausgang im Herbst bedeuten könnten. Allerdings muss vor solchen Mutmaßungen gewarnt werden.

Die Parteiensysteme in den neuen Ländern weisen seit 1990 mehrere Besonderheiten auf, da sie auf den unterschiedlichen Wahlebenen und durch ihre zum Teil erheblichen Verschiebungen im Stärkeverhältnis der Parteien besonders dynamisch sind. Seitdem die Alternative für Deutschland (AfD) bei Wahlen kandidiert, kann sie zudem vor allem in den neuen Ländern überdurchschnittlich stark mobilisieren.

Zu den oft zu lesenden Klischees gehört, dass Sachsen und Thüringen Hochburgen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) seien und Brandenburg ein Zentrum der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) darstelle. Bei näherer Betrachtung ist dies jedoch nicht zutreffend, wenn auch die SPD in Brandenburg ebenso wie die CDU in Sachsen und Thüringen Anfang der 1990er-Jahre bei Landtagswahlen das jeweilige Parteiensystem klar dominiert hat. In den 2000er-Jahren konnten sie ihre Position als stärkste Partei zwar bewahren, doch auf einem deutlich niedrigeren Niveau als zuvor. Die Linke konnte ihre Position zunächst ausbauen, stagniert aber in Sachsen und Thüringen und verliert in Brandenburg.

Grüne und Liberale spielen eher Nebenrollen, auch wenn sie gelegentlich aufgrund des Bundestrends ihre Wahlergebnisse verbessern konnten, die über die Zeit stabil sind und nur kleinere Schwankungen aufweisen. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Rolle im Parteiensystem zunehmen könnte, sollte ihnen die Funktion als Zünglein an der Waage zufallen.

 

Wahlebene und Parteiensystem

 

Je nachdem, welche Ebene man betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild des Parteiensystems. Wenn man die Bundestagsund Europawahlen hinzuzieht, lag die CDU in Sachsen bei mehreren Bundestagswahlen (1998, 2002, 2005 und 2017) erheblich unter ihren Landtagswahlergebnissen. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so stark im Ausmaß, verhält es sich in Thüringen: Dort erreichte die CDU bei den Bundestagswahlen 1998 und 2002 deutlich schlechtere Ergebnisse, als aufgrund des Landesresultats zu erwarten gewesen wäre. In Brandenburg sind die Wahlergebnisse einheitlicher; dort erzielte die Partei bei den Bundestagswahlen 1990 und 2013 ihre besten Ergebnisse überhaupt.

Die SPD in Sachsen konnte auf der Landeswie auf der Europaebene zu keinem Zeitpunkt überzeugen. Teilweise rangieren ihre Ergebnisse nur knapp im zweistelligen Bereich. Sieht man von der Bundestagswahl 2017 ab, ist die Bilanz bei Bundestagswahlen erheblich positiver. Mitte der 1990erbis Mitte der 2000erJahre gewann sie bis zu einem Drittel der Wählerstimmen. Auch in Thüringen war die SPD bei Bundestagswahlen zum Teil deutlich stärker als bei Wahlen für den Landtag oder das Europäische Parlament. Doch haben sich diese Unterschiede Ende der 2000er-Jahre eingeebnet, und seitdem rangieren ihre Ergebnisse unter 20 Prozent. In Brandenburg hingegen konnte die SPD lange sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene eine dominante Position einnehmen. Auf Bundesebene verliert die Partei hingegen seit 2002 konstant an Rückhalt und lag zuletzt bei 17,6 Prozent (2017). Auf Landesebene hat sie bis 2014 Ergebnisse von gut 30 Prozent erreicht und ist somit auf Landesebene etwa doppelt so stark wie bei der letzten Bundestagswahl.

Bei der Linken verteilen sich die Wahlergebnisse auf den drei Wahlebenen deutlich homogener. In Thüringen hat sie seit 2004 auf Landesebene recht stabile Ergebnisse erzielt, zuletzt 2014 mit 28,2 Prozent der Stimmen, was ausreichte, um den Ministerpräsidenten zu stellen. In Brandenburg hatte sie 2014 einen erheblichen Stimmenverlust zu verzeichnen, und in Sachsen sind ihre Ergebnisse eher stabil.

Bei der AfD können aufgrund der kurzen Wahlgeschichte keine Langzeittrends verfolgt werden. Generell hat sie seit 2014 ihre Zustimmung bei Wahlen ausbauen können. Ihre Wahlergebnisse bewegten sich 2014 in den Ländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen etwa im unteren zweistelligen Bereich. Bei der Europawahl schnitt sie etwas schwächer ab. Bei der Bundestagswahl 2017 hat sie ihre Ergebnisse hingegen erheblich ausgebaut und in Sachsen auch drei Direktmandate gewonnen.

 

Wechselfreudiges Wahlverhalten

 

Eine Übersicht der langfristigen Trends verdeutlicht, dass man weder von der Vorwahl noch von einer anderen Wahlebene begründbare Schlussfolgerungen auf den Wahlausgang ziehen kann. Auch das Bundesklima wirkt im Osten in jedem Bundesland anders. Die Konstellation des Parteiensystems hat eine hohe Dynamik, vor allem aufgrund der sehr niedrigen Zahl sogenannter Stammwähler. Dieses wechselfreudige Wahlverhalten folgt keinen ideologischen Positionierungen der Parteien. So hat die AfD in den neuen Ländern bei der Wählerwanderung bislang zum Teil überproportional stark aus dem Potenzial der Linken Zuspruch gefunden und besitzt ihre Hochburgen dort, wo etwa die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zuvor stark war. Dies gilt übrigens auch für die alten Länder: Hochburgen der AfD befinden sich dort, wo zum Beispiel in den 1990erJahren die Republikaner (REP) in Baden-Württemberg überdurchschnittlich gut abschnitten.

Dass die AfD ihren Zenit bereits überschritten hat, scheint aufgrund von Umfragedaten durchaus möglich. Zum einen stagniert sie in Umfragen bei leicht sinkendem Niveau, zum anderen profitiert sie vor allem vom Flüchtlingsthema, welches deutlich an Relevanz eingebüßt hat. Unklar ist auch, ob die Grünen, die in den neuen Ländern traditionell schwach verankert sind, ihren Höhenflug bei Meinungsumfragen in Wählerstimmen ummünzen können. In den alten Ländern profitieren sie vor allem von einer Wählerschaft, die sich klar gegenüber der AfD abgrenzt, was in den neuen Ländern ebenfalls eine geringere Rolle spielen dürfte. Zudem stoßen in den neuen Ländern Themen wie Strukturwandel auf andere gesellschaftliche Einstellungsmuster, Umweltthemen finden eine geringere Resonanz als in den alten Ländern.

In welche Konstellationen die Wahlergebnisse münden werden, ist Kaffeesatzleserei, da mit zu vielen Unbekannten gerechnet werden muss und – wie die „Kenia“-Koalition in Sachsen-Anhalt zeigt – mit durchaus ungewöhnlichen Bündnissen gerechnet werden kann. Dort haben zum ersten Mal CDU, SPD und Grüne eine Koalition gebildet. Da das Meinungsklima volatil ist, werden auch Umfragen selbst im unmittelbaren Vorfeld der Wahlen nichts anderes als grobe Pegelstandsmessungen sein. 2019 verspricht ein spannendes Wahljahr zu werden.

 

Viola Neu, geboren 1964 in Ludwigshafen am Rhein, Stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Politik und Beratung, Leiterin Team Empirische Sozialforschung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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