Asset-Herausgeber

von Hanns Jürgen Küsters

Über wachsende autoritäre Erosionskräfte

Asset-Herausgeber

Madeleine Albright mit Bill Woodward: Faschismus. Eine Warnung, DuMont Buchverlag, Köln 2018, vierte Auflage, 319 Seiten, 24,00 Euro.

Jens Hacke: Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit, Verlag Suhrkamp, Berlin 2018, zweite Auflage, 455 Seiten, 26,00 Euro.

Steven Levitsky / Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können, Deutsche VerlagsAnstalt, München 2018, vierte Auflage, 320 Seiten, 22,00 Euro.

Wieder geht „ein Gespenst“ um – in Europa und weltweit. Es trägt autoritäre, manchmal faschistoide Züge und gefährdet liberale Demokratien. Schon Konrad Adenauer hatte erkannt: „Historische Ereignisse treten fast nie in stürmischer Entwicklung von heute auf morgen ein.“ Und Adenauer fügte hinzu: „Die auf Grund innerer Entwicklung mit Naturnotwendigkeit eintretenden Veränderungen sind zwar langsamer, aber erfolgreicher.“

Schleichende Entwicklungen gefährden heute die Demokratie mehr als ein Militärputsch oder Revolten. Ihr Zusammenbruch erfolgt allmählich und auf legale Weise wie einst der der Weimarer Republik. Begleiterscheinungen sind ökonomische Krisen, soziale Spannungen und wachsendes Gefälle zwischen Arm und Reich. Für Demagogen ein idealer Nährboden, wenn das Empfinden vieler Wähler hinzukommt, politische Eliten nähmen ihre Sorgen und Nöte nicht ernst und führten keine Änderungen herbei. Selbsternannte Führer bescheinigen der Demokratie, krank zu sein, wollen dem wahren Volkswillen Geltung verschaffen, nehmen sich der Benachteiligten an, versprechen bessere Lebensverhältnisse, Bekämpfung von Korruption und erzeugen so neben Protesten Hoffnungsschimmer. Als Gegenleistung unterstützen breite Wählerschichten Extremisten.

Einmal an der Macht, produzieren diese Herrscher Furcht, booten legale staatliche Institutionen aus, egalisieren Parlamente durch eine Einparteienherrschaft, besetzen Gerichte und Aufsichtsbehörden mit getreuen Gefolgsleuten und stecken Oppositionelle und Medienvertreter ins Gefängnis. Die Führer selbst sind von Ehrgeiz zerfressen, betreiben Personenkult und treffen zweifelhafte Entscheidungen mit katastrophalen Folgen für das Gemeinwohl.

Beispiele gibt es reichlich. Machthaber wie Hugo Chávez in Venezuela, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Viktor Orbán in Ungarn oder Jarosław Kaczyński in Polen zeigen ähnliche Verhaltensmuster: Bewährte demokratische Spielregeln werden abgelehnt, bürgerliche Freiheiten und Medienrechte beschränkt, politische Gegner diskreditiert, teilweise wird gewaltsames Vorgehen toleriert oder propagiert und Legitimität negiert. Dass selbst die Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika anfällig geworden ist, bekümmert Demokratieforscher und politische Praktiker gleichermaßen.

Verlust der Wächterrolle von Parteien

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt identifizieren dafür verschiedene Gründe: zum einen die extreme Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft mitsamt der verhängnisvollen Zerstrittenheit von Demokraten und Republikanern, das ungeklärte Verhältnis der Rassen und die Kultur des Umgangs miteinander. Zum anderen vernachlässigen die politischen Parteien ihre Filterfunktion, sind außerstande, autoritäre Führungspersonen von der Macht fernzuhalten, verlieren somit ihre Wächterrolle, befördern Politikverdrossenheit und mutieren zu Totengräbern der Demokratie. Außenseiter werden an die Macht gespült, weil es parteiintern an Kommunikation und Kompromissfähigkeit mangelt, die Verfassungsordnung durch kleine Missachtungen schrittweise von innen zersetzt und die liberale Demokratie ausgehöhlt wird.

So konnte Donald Trump an die Macht kommen, dessen Verhalten als Hauptgrund für die Demokratiegefährdung angesehen wird. Wer wiederholt Normen bricht, Lügen verbreitet, falsche Tatsachen behauptet, zersetzt allmählich die sonst robuste Demokratie. Unter dem Deckmantel des Patriotismus betreibt der Präsident amerikanischen Nationalismus, polarisiert innen-, außen- und handelspolitisch. Er schürt den weißen Nationalismus, macht Sozialgesetze rückgängig, betreibt die Gleichschaltung der Schiedsrichter, neutralisiert zentrale Gegenspieler und schreibt Spielregeln zu eigenen Gunsten um.

Gegen Trumps autoritäre Neigungen empfehlen Levitsky und Ziblatt Mäßigung bei der Machtausübung. Erforderlich sei Demut vor bewährten demokratischen Institutionen und Kühnheit, Fehlentwicklungen zu korrigieren, integrativ zu wirken, die Demokratie und ethnische Vielfalt zu vereinen. Somit würde die innere Erosion der Demokratie verhindert. Die Amerikaner, nach 1945 die maßgeblichen Demokratieförderer in Deutschland, sollten sich die Gründung der CDU zum Vorbild nehmen. Mit ihr wurden gesellschaftspolitische Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten überwunden, führten Freiheit und Toleranz der Volkspartei zur Befriedung.

Autokraten und Mainstream

Demokratien benötigen „Leitplanken“ wie den Geist der Verfassung, den Konsens der Demokraten über Parteigrenzen hinweg, um extremistischen Auswüchsen zu widerstehen. Gemäßigte Parteien müssen Extremisten aktiv politisch bekämpfen, konsequent innerparteilich isolieren, um zu verhindern, dass opportunistische Verführer die Gunst des Wahlvolkes erobern, die irgendwann in Tyrannei umschlägt. Davor hatte bereits ein Gründervater der Vereinigten Staaten, Alexander Hamilton, gewarnt. Gefahr für liberale Demokratien besteht besonders dann, wenn das Programm extremistischer Autokraten den Mainstream überlappt. Deren Machterwerb lässt sich gegebenenfalls durch Unterstützung des ideologischen Gegners vereiteln, wie die Siege Emmanuel Macrons gegen Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich oder bei der Wahl Alexander van der Bellens gegen Norbert Hofer in Österreich belegen.

Warum die liberale Demokratie heute heftigen Angriffen ausgesetzt ist, bewegt auch Madeleine Albright, früher Bill Clintons Außenministerin. Nach 1990 schienen die westlich-liberalen Demokratien ein Vierteljahrhundert lang konkurrenzlos zu sein, bis die Vertrauenskrise sie erschütterte. Einwanderungsfeindliche Gruppierungen, Neugründungen von Mitte-Rechts-Parteien und populistisch-rechtsextreme Strömungen, dazu soziale Verteilungskonflikte, diffuse Globalisierungsängste und das Verlangen nach starker Führung des Nationalstaates vergrößern die gesellschaftliche Kluft und schüren Misstrauen gegen Eliten jeder Art.

In jungen Jahren hat Albright den Faschismus hautnah in ihrer böhmischen Heimat erlebt; jetzt sieht sie in Trumps Verhalten allen Anlass, um vor Faschismus in den USA und weltweit zu warnen. In Trumps Verunglimpfungen demokratisch legitimierter Institutionen und von Verfassungsprinzipien sowie in der Stilisierung der Medien zu Feinden des amerikanischen Volkes erkennt sie autokratische Tendenzen, die womöglich mit dem Verlust der internationalen Führungsrolle der USA einhergehen. Faschismus definiert sie anhand historischer und aktueller Beispiele weniger als Ideologie denn als Instrument zur Machterlangung und zum Machterhalt.

In Deutschland und Italien waren breite Bevölkerungsschichten enttäuscht über die repräsentative Demokratie. Politisch instabiler Verhältnisse überdrüssig, wandten sie sich aus Angst vor dem Bolschewismus den Heilsversprechern Hitler und Mussolini zu. Beide beteuerten, die gedemütigte nationale Größe wiederherzustellen und Anstandsnormen wieder Respekt zu verschaffen. In Wirklichkeit nutzten sie die Unzufriedenheit für ihren Faschismus aus, unterdrückten Minderheiten, führten den Tagesgruß in der Tradition römischer Cäsaren ein, wollten die Menschen umerziehen, machten Nationalität und Rasse zu Diskriminierungskriterien; Kommunisten dagegen bedienten sich der sozialen Klassenzugehörigkeit. Verfassungsänderungen, mit denen sie das demokratische System unterwanderten, verkauften sie als Reform und Modernisierung.

Macht als Selbstzweck

Nicht viel anders agierte Hugo Chávez. Manche Führer nutzen einen Gefängnisaufenthalt zum Karrieresprung. Sie polarisieren das Volk, rühmen sich der Allwissenheit um den richtigen Weg. Einmal in einer Führungsposition, wird Macht rasch zum Selbstzweck, blüht der Personenkult, und die Demokratie leidet. Solche Verhaltenstypologien lassen sich bei seinem Nachfolger Nicolás Maduro, bei Rodrigo Duterte auf den Philippinen und auch bei Erdoğan, Putin, Orbán oder Kaczyński nachweisen. Zwar sei Putin kein Faschist, meint Albright, er beherrsche jedoch durch das Versagen seiner Vorgänger alle Tricks und Kniffe der Macht eines totalitären Politikers, indem er für Abhängigkeit in seinem Umfeld sorgt, den Nimbus als Repräsentant der ganzen Nation aufbaut, der dieser wieder zur alten Größe verhilft. Er fühle sich eingekreist, unterstelle Oppositionellen Hochverrat und gebe sich als Garant der Stabilität.

Ähnlich wie Putin handeln auch Orbán und Kaczyński. Ohne Scheu vor Provokationen stilisieren sie die EU-Bürokratie zum Feind, bedienen sich gezielt nationalistischer Ressentiments, greifen Pressefreiheit und Justiz an, um im Land der eigenen Partei die Macht zu sichern. Albright fürchtet die Rückkehr zu Verhältnissen der 1920erund 1930er-Jahre, als sich die USA von der internationalen Bühne zurückzogen, Protektionismus und die Verfolgung nationaler Interessen dominierten. Ihre Botschaft lautet: Faschismus kann in jeder Gesellschaft aufkeimen, schrittweise, auf leisen Sohlen. Gefahr besteht vor allem dort, wo Selbstzufriedenheit herrscht, politisches Engagement, Dialog und Respekt ausbleiben. Deutlich benennt sie einige Indikatoren, wie sich Volksverführer klar identifizieren lassen: Diese animieren zur Verachtung staatlicher Institutionen und politischer Wahlverfahren, säen Misstrauen gegenüber unabhängigen Medien und unabhängiger Rechtsprechung, benutzen patriotische Bekenntnisse und Nationalsymbole zur Abgrenzung von Freund und Feind, sprechen Wahlen im Falle eigener Niederlagen Legitimität ab, werben nicht um Stimmen, sondern entfachen Ängste und verweisen auf eigene Befähigungen, das Volksverlangen zu befriedigen, zeigen chauvinistische Attitüden, rufen zur Gewaltanwendung gegen Opponenten auf und lassen ganz im Sinne Mussolinis durchblicken: „Die Masse muss nicht wissen, sondern glauben; sie muss sich unterwerfen und lenken lassen.“

Viele halten solche Alarmrufe von einer Existenzkrise der Demokratie für übertrieben. Umso wichtiger ist es, nochmals die Gründe für das Versagen der liberalen Demokratie zwischen den beiden Weltkriegen zu betrachten. Vielfach wird der politische Liberalismus für den Untergang der Weimarer Republik verantwortlich gemacht. Elitäre Partikularkonzepte, Distanz zur Massendemokratie, fehlendes Verständnis für die Bedeutung der Sozialpolitik, naiver demokratischer Idealismus, schnelle Preisgabe des Parlamentarismus, mangelnde Stabilität des Parteiensystems, Primat der Machtpolitik und die Ausrichtung auf die Führerpersönlichkeit haben Bemühungen um die Stärkung der Demokratie konterkariert.

Liberale Demokratie als Gegenkonzept

Jens Hacke hingegen fragt nach den Stabilitätsankern, die dem Konzept liberaler Demokratie eigen sind und Krisen überdauern. Ausgehend von der liberalen Demokratie als Gegenkonzept zu Kaiserreich und Monarchie, zeichnet er die Auseinandersetzung mit dem Faschismus nach, untersucht die Elemente der Fragilität und Stabilität sowie Versuche, eine Balance zwischen Demokratie und Kapitalismus zu finden. Faschisten reklamierten für sich, alternative Wege in die Moderne zu öffnen, ohne sich an Verfassungsrecht und legitime staatliche Institutionen gebunden zu fühlen. Regelverletzung geriet zur Strategie, das parlamentarische Forum ging angesichts abnehmender Akzeptanz als Mittel und Ort des Konfliktaustrags politischer Gegensätze verloren – und damit die Verteidigung der Freiheit von Minderheiten und der bei Wahlen Unterlegenen. Bürgerliche Milieus bis hin zu Liberal-Intellektuellen erweisen sich als besonders anfällig für faschistisches Gedankengut.

Und was hilft gegen rechtspopulistische, nationalistische Ideologien? Die ständige Aufforderung der Bürger zum aktiven politischen Engagement für die Werte der liberalen Demokratie im Bewusstsein der Fragilität der demokratischen Ordnung. Umgekehrt bleibt den demokratischen Institutionen nicht erspart, zur Gefahrenabwehr ständig ihre Handlungskompetenzen unter Beweis zu stellen. Denn nur eine wehrhafte Demokratie ist eine stabile Demokratie, die imstande ist, autoritären Erosionskräften Paroli zu bieten.

Hanns Jürgen Küsters, geboren 1952 in Krefeld, Dr. rer. pol., apl. Professor an der Universität Bonn, 2009 bis 2018 Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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