Asset-Herausgeber

von Ulrich Klaus Becker

Verhalten im Straßenverkehr

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Verstehen wir Ordnung als übersichtlichen Zustand, so müssen wir doch oftmals feststellen, dass uns im Straßenverkehr ab und an die Übersicht fehlt. Wir begegnen uns auf unterschiedlichen Wegen, mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln – und das gerade in Städten auf immer engerem Raum. Nicht immer klappt das fair und rücksichtsvoll. Betrachten wir den Straßenverkehr als sozialen Raum mit all seinen Beteiligten und all den äußeren Bedingungen, so scheinen Konflikte nur allzu gewöhnlich. Gefühlt nehmen diese jedoch stetig zu. Wir fühlen uns immer öfter verloren, fühlen uns eben kaum mehr so, als hätten wir noch die Übersicht. Doch wird der Ton tatsächlich rauer? Halten wir uns tatsächlich immer weniger gern an Regeln? Oder verlieren wir im heutigen Alltagsstress nur viel schneller das Verständnis für andere? Betrachten wir die drei Aspekte zunächst getrennt.

Unfallzahlen sinken

Der Ton wird in der Tat rauer. Wir Menschen übertragen viele Facetten unserer Persönlichkeit auf unser Verhalten im Straßenverkehr. Die entsprechende Gruppenzugehörigkeit ist uns wichtig, das Gefühl, ein Radfahrender zu sein, ein Autofahrender oder ein zu Fuß Gehender. So grenzen wir uns automatisch von der anderen Gruppe ab. Macht, die wir im Alltag nicht spüren, möchten wir im Straßenverkehr erleben – weil einfacher, weil anonymer. Ein vermeintlicher Angriff wird schnell persönlich genommen, schnell schlagen wir auch entsprechend zurück, um unsere Stärke zu demonstrieren. Wir schimpfen, beschimpfen, hupen. Eine Gegenreaktion lässt oftmals nicht lange auf sich warten. Und schon haben wir ihn: einen handfesten Konflikt. Nun könnte man meinen, das sei alles kein Problem, solange man nur Regeln aufstellt, die für alle gelten.

Schon sind wir wieder beim Thema Ordnung: der Straßenverkehrs-Ordnung. In ihrer ersten Fassung bereits 1934 aufgestellt, wurde die gegenseitige Rücksichtnahme zum Leitgedanken des Teils zum Verhalten im Straßenverkehr. Immer wieder werden neue Regeln aufgenommen, bestehende angepasst. Unsicheres Verhalten wurde dadurch beständig und anhand der Unfallzahlen auch nachweislich reduziert. 1957 wurden die uns heute bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt, Unfälle zwar damit gesenkt, die Emotion steckt jedoch bis heute im Thema. Denken wir auch an die Gurtpflicht auf Vordersitzen, die 1976 eingeführt und 1984 bei Nicht-Einhaltung mit einem Bußgeld belegt wurde. Erst 1998 wurde die 0,5-Promille-Grenze eingeführt, alkoholbedingte Unfälle ebenfalls nachweislich dadurch verhindert.

Diese drei Beispiele zeigen eindrücklich: Unser Verhalten passt sich den äußeren Bedingungen an. Es wird beeinflusst von Kulturstandards, erwarteten Rückmeldungen in Form von Belohnung und Bestrafung und inneren Überzeugungen. Leider kann jedes erlernte Verhalten auch wieder verlernt werden. Und so scheint die Regelbefolgung je nach individueller Erfahrung und Risikoeinschätzung situativ wieder zu schwanken. Zwar kennen wir häufig die geltenden Regeln, nehmen sie aber dann doch nicht allzu ernst – besonders, weil wir unsere Fahrkompetenz zu oft überschätzen. Anderen können dieses Überlegenheitsgefühl und das daraus resultierende unerwartete Verhalten schnell gefährlich erscheinen. Oder zumindest provozierend. Und wieder: ein Konflikt. Nur warum erscheinen die meisten Verkehrssteilnehmenden unterwegs so dünnhäutig? Wir geraten alle unter immer mehr Druck. Da ist der Druck, flexibel zu sein, vor allem auch in der Mobilität. Da ist der Druck, ständig verfügbar und erreichbar zu sein. Und da ist der Druck, unsere Zeit sinnvoll nutzen zu wollen. Das alles wiegt schwer, zerrt manchmal an unseren Nerven.

Für andere mitdenken

Die positive Nachricht: Den Umgang damit können wir selbst beeinflussen. Und es ist gut zu wissen, dass es den anderen auch so geht. Nicht jedes Fehlverhalten ist absichtlich provokant gemeint. Es geht darum, auch mal die Perspektive zu wechseln. Auch mal Fehler anderer kompensieren. Verständnis zeigen. Und uns selbst so fair und rücksichtsvoll wie möglich zu verhalten. Und auch mal auf unser Recht zu verzichten. Denn ein sicheres Miteinander resultiert daraus, dass jeder auch ein wenig für den anderen mitdenkt. Eines haben schließlich alle Verkehrsteilnehmenden gemeinsam: Wir wollen sicher ankommen!

Ulrich Klaus Becker, geboren 1952 in Schleswig, Rechtsanwalt und Notar, Vizepräsident für Verkehr des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs e. V. (ADAC).

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