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Meister der politischen Zuspitzung

von Julia Klöckner

In memoriam Heiner Geißler

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Heiner Geißler ist gestorben – friedlich im Kreise seiner Familie, nach schwerer Krankheit. Wir haben damit einen der bekanntesten und vor allem einen der profiliertesten Köpfe unserer Partei verloren. Bis ins hohe Alter war er in der Öffentlichkeit präsent und hat uns alle durch seine intellektuelle Brillanz fasziniert. Jede Begegnung, jedes Gespräch mit ihm, einem der Urgesteine der rheinland-pfälzischen CDU, war für mich Inspiration und Herausforderung. Lernen konnte man von ihm unglaublich viel.

Heiner Geißler hatte viele Facetten: Wir kennen ihn als engagierten Erneuerer und Sozialpolitiker, scharfzüngigen Generalsekretär, Querdenker, Mitglied von Attac, Schlichter, aber auch als begeisterten Bergsportler, Skifahrer und Gleitschirmflieger – viele Nachrufe sind ihm zuteilgeworden, auch vom Deutschen Alpenverein. Das zeigt die Breite seines Engagements.

Es gibt nur wenige Politiker, zu denen nahezu jeder eine Haltung hatte. Heiner Geißler gehörte dazu, weil er selbst ein Mann mit Haltung war. Er war unbequem und konnte und wollte provozieren, aber nicht um der bloßen Provokation willen, sondern um Dinge anzustoßen. Als Landesund Bundesminister, als Generalsekretär und auch als Mitglied der Globalisierungskritiker von Attac. Letzteres hat ihm in seiner eigenen Partei wahrlich nicht nur Lob eingebracht. Das hielt er aus, wie er auch vieles andere ausgehalten hat. Er folgte aber letztlich seiner Maxime: „Ich habe Loyalität nie mit Gehorsam verwechselt“ – gemeint war damit die Loyalität zu seiner Partei, der CDU, die er auch durch unbequeme Gedanken voranbringen wollte. Mehr noch: Er wollte Deutschland voranbringen. Das ist ihm gelungen. Genutzt hat er dazu seine vielen guten Eigenschaften: blitzgescheit, humorvoll, streitbar, scharfsinnig, unerschrocken, mitfühlend und warmherzig.

Ein CDU-Politiker nicht nur mit zahlreichen Talenten, sondern auch vielen Ämtern, die ihm Gestaltungsmöglichkeiten gaben: Als Sozialminister in Bund und Land prägte er die Sozial-, Familien- und Sportpolitik entscheidend mit. In Rheinland-Pfalz gehen das erste Kindergartengesetz, die Gründung der Sozialstationen, das erste Krankenhausreformgesetz und das erste Sportförderungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland auf ihn zurück. Als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat er im Bund die bis heute gültige Neuordnung des Kriegsdienstverweigerungs- und Zivildienstgesetzes, das Erziehungsgeld, den Erziehungsurlaub, die Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung, die Reform der Approbationsordnung und den Arzt im Praktikum auf den Weg gebracht.

Zugleich war er immer ein Kämpfer für die Interessen von Frauen und ein Mahner bei der Integration. Oft war er dabei seiner Zeit und seiner Partei voraus. Vielen hat es sicherlich nicht gefallen, als er einmal formulierte: „Helfen Sie vor allem mit, den jüngeren Männern und den Männern der mittleren Generation zu sagen, dass sie von ihrem Paschathron – es gibt viele, die da noch drauf sitzen – herunter müssen.“

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist Heiner Geißler als Generalsekretär der CDU Deutschlands. Ein Amt, in dem ihm seine begnadeten rhetorischen Fähigkeiten zupass kamen. Er war ein Meister der politischen Zuspitzung, konnte die Mitbewerber reizen bis aufs Blut, bewahrte sich aber zugleich immer seine Unabhängigkeit. Seine wertorientierte Haltung, sein tiefer christlicher Glaube und sein kreativer Fortschrittsgeist machten ihn zu einem Modernisierer und Bewahrer gleichermaßen. Das hat der CDU sehr genützt. Gemeinsam mit Helmut Kohl hat er die CDU reformiert. Er machte sie sozialer und weiblicher, und er machte sie zu einer Programmpartei.

Heiner Geißler hat sich eigentlich nie wirklich zur Ruhe gesetzt – auch das ist typisch für ihn. Vor Ort in der Pfalz war er, auch lange, nachdem er alle politischen Ämter abgegeben hatte, im Kleinen in seiner Heimat aktiv, zum Beispiel als langjähriger Vorsitzender des Verwaltungsrates der Ökumenischen Sozialstation Edenkoben-Herxheim-Offenbach – eben in jenem Projekt, das er Jahrzehnte zuvor als rheinland-pfälzischer Sozialminister begründet hatte. Aber auch in größeren Bezügen hat er sich in seinem Unruhestand viel Anerkennung und Respekt erworben. Über zwei Jahrzehnte hinweg zeigte er als Schlichter zahlreicher Tarifkonflikte und anderer Auseinandersetzungen sein Geschick als Brückenbauer – zuletzt im so schwierigen Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21. Auch da hat er viele überrascht.

Was bleibt, sind viele wegweisende und dauerhafte Reformen und die Erinnerung an einen streitbaren, unabhängigen Geist, an eine großartige Persönlichkeit, die parteiübergreifend geschätzt wird. Unser Land hat ihm viel zu verdanken. Er wird uns fehlen.

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Julia Klöckner

Vorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz,

Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz,

stellvertretende Vorsitzende der CDU Deutschlands

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