Asset-Herausgeber

von Anthony Glees

Akademische Freiheit in Zeiten des Brexit

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In einem Interview mit der Zeit vom 12. Juni 2019 behauptete der gefeierte Historiker und Spezialist für Finanz-, Wirtschafts- sowie europäische Geschichte Niall Ferguson: „Über die Universitäten in den USA und Großbritannien ist eine Welle der Intoleranz hereingebrochen, die ich zutiefst beunruhigend finde. An Universitäten sollten alle Ideen [Hervorhebung durch den Autor] frei diskutiert werden, Professoren sollten frei ihre Meinung sagen. Das Gegenteil ist momentan der Fall. Viele fühlen sich eingeschränkt, frei zu sprechen. Professoren werden angegriffen und mit disziplinarischen Konsequenzen bedroht.“ Ferguson zitierte den Fall eines amerikanischen Kollegen und sagte weiter, die Angriffe träfen alle Professoren, „die aus der Reihe tanzen und sich von der vorherrschenden Orthodoxie der Linken distanzieren. Wir Akademiker stehen unter Beschuss und wir müssen uns organisieren, um unsere akademische Freiheit zu verteidigen.“

Ferguson ist ein konservativer Akademiker, der den Brexit unterstützt. Zunächst vertrat er den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union (EU), wechselte aber die Seiten, als der Brexit siegte. Ausgebildet in Oxford, wo er regelmäßig lehrte, schreibt er auch Leitartikel für die Londoner Sunday Times von Rupert Murdoch. Seine Behauptung, eine Welle linker Intoleranz sei über die britischen und amerikanischen Universitäten hinweggeschwappt und Akademiker seien aus Angst vor Disziplinarmaßnahmen und studentischer Gewalt nicht in der Lage, ihre Meinung frei zu äußern, ist nicht von der Hand zu weisen („britisch“ schließt in diesem Fall Schottland nicht mit ein, das über ein eigenes Universitätssystem verfügt). Nicht weniger beunruhigend ist die Behauptung, dass Akademiker „unter Beschuss“ geraten, wenn sie sich nicht nach „der vorherrschenden Orthodoxie“ richten. Dies sind schwerwiegende Vorwürfe.

Westliche Universitäten müssen grundsätzlich im wahrsten Sinne des Wortes liberal sein, denn ohne akademische Freiheit verlieren alle akademischen Aktivitäten ihren Wert, und die Gesellschaft, die sich auf die Akademien stützt, verliert selbst ihre Freiheit. Universitäten müssen Orte der Rationalität, der objektiven wissenschaftlichen Untersuchung und Begutachtung sein. Freiheit der Forschung, Freiheit der Debatte im Rahmen der Gesetze, Freiheit zur ungestraften Kritik sind Hauptbestandteile des Instrumentariums eines jeden Akademikers an jeder westlichen Universität. Kaum etwas ist illiberaler als die Politisierung von Universitäten. Nur die sachgemäße Ausübung dieser akademischen Freiheiten verleiht den Akademien ihre zentrale Rolle bei der Gestaltung moderner liberaler Demokratien und ihrer Institutionen. Der namhafte britische Pädagoge Lord Dearing zählte 1997 verpflichtende Ziele auf: „Dem Einzelnen die Entwicklung seiner Fähigkeiten zu ermöglichen, Wissen und Verständnis zu mehren und ihre praktische Anwendung zum Nutzen der Wirtschaft und der Gesellschaft zu unterstützen […] sowie eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung einer demokratischen, zivilisierten und inklusiven Gesellschaft zu spielen“.

Falls in den „harten“ Naturwissenschaften und auch in den „weicheren“ Sozialwissenschaften die Freiheit der Rede sowie der Forschung tatsächlich nichts mehr gelten, verlieren die Universitäten sowohl ihren Platz in einer liberalen zivilisierten Gesellschaft als auch ihr Anrecht auf Finanzierung. Mit anderen Worten: Wenn Fergusons Vorwurf gerechtfertigt ist, sind die britischen (und die amerikanischen) Universitäten in großen Schwierigkeiten und bewegen sich auf eine existenzielle Krise zu.

Finanzierungsprobleme

Die Freiheit, objektive wissenschaftliche Urteile zu fällen und unvoreingenommen zu lehren, ist die akademische Seite des „Vertrags“, der es dem Staat erlaubt, Steuergelder für die höhere Bildung auszugeben. Es geht um große Summen. 2017 waren in Großbritannien 49 Prozent einer bestimmten Alterskohorte an einer der 164 Universitäten im Vereinigten Königreich zur höheren Bildung oder zur Weiterbildung eingeschrieben. Bis 1980 war das Studium kostenlos; heutzutage zahlen die Studierenden mindestens 9.250 Pfund pro Jahr. Zwar gibt es für sie Kredite, diese sind jedoch kostspieliger als auf dem freien Markt (aufgrund der langen Rückzahlungsfrist). Laut offiziellen Angaben summierten sich die Außenstände im März 2019 auf 121 Milliarden Pfund; die Regierung geht davon aus, dass siebzig Prozent davon nicht voll zurückgezahlt werden.

Gleichzeitig soll die staatliche Finanzierung der Universitäten bis 2020 um 120 Millionen Pfund verringert werden. Dazu kommt eine seit dem Brexit-Referendum um sieben Prozent gesunkene Zahl von Studierenden aus der EU und ein potenzieller Verlust von sechzehn Prozent an Forschungsgeldern aufgrund des Brexit. Es heißt, dass zumindest eine Universität einen Staatskredit von einer Million Pfund benötigt hätte, um einen Bankrott abzuwenden. 36.000 britische Akademiker sind Bürger der EU. Wenn sie gehen (was einige bereits tun), könnten weniger Lehrende und unzufriedenere Studierende die Folge sein. Es ist nicht schwer, zu erkennen, warum die britischen Universitäten in einer tiefen finanziellen Krise stecken und nur schlecht gerüstet sind, einem Angriff zu widerstehen, bei dem ihnen Pflichtvergessenheit vorgeworfen wird.

Bevor wir das Ganze näher betrachten, müssen wir zwischen der freien Rede von Akademikern und der freien Rede von anderen (Demagogen und Predigern) unterscheiden, die selbst keine Akademiker sind, aber den Universitätscampus für politische Zwecke nutzen wollen und behaupten, das Recht der freien Rede erlaube ihnen, dort alles zu sagen, was sie sagen wollen. Das englische Recht garantiert die akademische Redefreiheit; sie gilt jedoch nur für Akademiker und nur „gesetzeskonform“ (absolute Redefreiheit gibt es für niemanden und nirgendwo, nur für Abgeordnete und selbst dann nur im Parlament), und auch auf dem Campus gelten Gesetze, die Hetze und Verleumdung verbieten.

Der Fall Noah Carl

Ferguson lieferte kein Beispiel für einen britischen Akademiker, der als Opfer eines Angriffs auf die akademische Redefreiheit angesehen werden könnte. Hätte er das getan, dann hätte er womöglich den Fall von Noah Carl zitiert, einem promovierten Soziologen von Oxford. Carl, der auf den Forschungsfeldern Genetik, Intelligenz, Kriminalität und Ethik arbeitet, verlor im Mai 2019 ein Forschungsstipendium am St Edmund’s College in Cambridge, das ihm von einem akademischen Beirat verliehen worden war. Auf den ersten Blick beweist Carls Schicksal gemeinsam mit anderen Ereignissen scheinbar, dass Ferguson recht hat, wenn er eine neue Norm politischer Intoleranz an den britischen Universitäten diagnostiziert. Wenn dem so wäre, dann wäre Carls Entlassung tatsächlich illegal, und das mit gravierenden Folgen. Bei näherer Betrachtung ist jedoch das tatsächliche Problem nicht politisch, sondern eine komplexe Verbindung akademischer Ethiknormen und Wertbegriffe.

Als bekannt wurde, dass Carl für diese prestigeträchtige Stelle vorgesehen war, wandten sich 586 Akademiker schriftlich an das College, bezichtigten ihn einer „rassistischen Pseudowissenschaft“ und forderten „eine öffentliche Erklärung, in der sich das College von jeder Forschung distanziert, die versucht, eine Verbindung zwischen Rasse, Geschlecht, Intelligenz und Kriminalität herzustellen, um einen Faktor mit dem anderen zu erklären“. Sie behaupteten, eines von Carls Forschungsthemen deute auf einen Zusammenhang zwischen Wahlbetrug und der Verheiratung von Cousins und Cousinen unter britischen Pakistanis und Bangladeschis hin. Einige Angehörige des Colleges sagten, dass die Bestellung eines Fellows mit Ansichten wie denen von Carl die Würde der College-Mitglieder verletze und dass seine Forschungsarbeiten und Verbindungen wissenschaftlich von geringer Qualität seien, rechtsextreme Ansichten verbreiteten und Religions- und Rassenhass propagierten.

Aufruf zu Rassen- und Religionshass?

Das College reagierte darauf mit der Einrichtung zweier Gremien, die die Angelegenheit untersuchen sollten. Das erste stellte fest, dass Carl ordnungsgemäß eingesetzt worden und vom intellektuellen Standpunkt her der beste Kandidat gewesen war. Das zweite Gremium, das den Auftrag hatte, Carls Arbeit eher allgemein zu betrachten, stellte jedoch fest, er habe „Arbeiten veröffentlicht, die nicht den Kriterien für Ethik und Integrität in der Forschung entsprechen“, und „dieser problematische Teil der Arbeiten von Dr. Carl“ habe dazu geführt, „dass er nicht den Schutz genieße, der sonst der akademischen Redefreiheit zukommt“. Des Weiteren wurde dargelegt, dass Carl bei der Ausführung seiner Arbeiten mit Personen zusammengearbeitet habe, die bekanntermaßen extremistische Ansichten verträten. Es bestehe ein ernsthaftes Risiko, dass die Einstellung von Carl direkt oder indirekt dazu führen könnte, dass das College als Plattform für die Vertretung von Ansichten genutzt werden könnte, die zu Rassen- oder Religionshass aufrufen und den Ruf des College schädigen könnten. Zum Abschluss forderten sie die sofortige Ablösung Carls von seinem Posten, und so geschah es. Im Endeffekt wurde er entlassen.

Carl antwortete darauf, er sei das Opfer einer politisch linksgerichteten akademischen Kultur. Er schrieb: „1960 zeigten Studien, dass 30 Prozent der Akademiker die Konservativen und 45 Prozent Labour unterstützen. 2015 jedoch bezeichneten sich nur 11 Prozent der Akademiker als konservativ und 70 Prozent als Pro-Labour.“ Seine Gegner (von denen etliche keine Erfahrung auf seinem Gebiet hätten) bestünden darauf, Forschungen zu leugnen und zu verzerren, die angeblich heilige Werte der Linken bedrohten. Nigel Biggar, einflussreicher Theologieprofessor in Oxford, schloss sich dem an und veranstaltete eine Konferenz zur Unterstützung Carls. Er sagte, es müsse eine gegenläufige Spirale zur Dominanz des kulturellen Linksextremismus geben, der bestimme, welche Ansichten auf dem Campus akzeptabel seien.

Aber wurde Carl unrechtmäßig ein Opfer linksgerichteter politischer Vorurteile oder handelte es sich um eine Frage der akademischen Ethik, die die Universität selbst zu beurteilen hatte? Manche wurden von Carls Arbeit an die scheinbare Pseudowissenschaft zweier anderer britischer Akademiker erinnert: Hans Eysenck, ein „rassistischer“ Flüchtling aus dem „Dritten Reich“ und Professor an der London School of Economics and Political Science, der in den 1980er-Jahren einen Bezug zwischen „Rasse“ und Intelligenzquotient hergestellt hatte, oder jüngst Andrew Wakefield, der behauptete, der MMR-Impfstoff zur Immunisierung gegen Masern, Mumps und Röteln verursache Autismus. Beide wurden allgemein diskreditiert, und der Letztgenannte richtete ganz sicher großen Schaden an, weil er Eltern dazu anhielt, ihre Kinder nicht impfen zu lassen, was zu „Tausenden von Todesfällen“ führte. Niemand behauptete, Wakefields akademische Freiheit habe ihn vor Disziplinarmaßnahmen geschützt.

Hippokrates für Akademiker

Wenn Universitäten dazu da sind, der Gesellschaft zivilisierte Werte zu vermitteln, dann muss auch ihre Forschung zivilisiert sein. Die unausgesprochene Ethik der Akademien verlangt, dass Forschung nicht wertfrei sein und niemals Schaden verursachen darf. Wenn sie gehört werden wollen, sollten sich die Akademiker nach einer akademischen Version des Hippokratischen Eides richten. Die Forschung hat keinen sozialen Vorteil zu bieten, der politischen Extremismus oder die Schrecken rechtfertigen kann, zu denen er führt. Die jämmerliche Rolle, die einige europäische Universitäten im letzten Jahrhundert unter faschistischer und kommunistischer Herrschaft gespielt haben, sollte allen Universitäten heute als abschreckendes Beispiel dienen.
 
Wenn Fergusons These korrekt wäre, gäbe es noch einen weiteren Bereich, in dem sie klar zutage tritt: den Brexit. Aus den YouGov-Umfragen geht hervor, dass 65 Prozent der Labour-Wähler für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt haben. Wenn die britischen Universitäten linkslastig wären, müssten eigentlich die Akademiker, die den Brexit unterstützen, darunter gelitten haben. Aber wenn es um die politische Einstellung der Akademiker zum Brexit geht, gibt es, wenn überhaupt, nur spärliche Beweise dafür, dass die britischen Universitäten die Redefreiheit ihrer Beschäftigten unterdrücken, auch jetzt nicht während der Brexit-„Revolution“, bei der es um viel geht und manche Universitäten es für besser halten könnten, sich aus der Politik herauszuhalten, wenn die staatliche Finanzierung, von der sie abhängen, nicht verloren gehen soll.

Boris Johnsons Regierung mit ihrer radikalen Pro-Brexit-Einstellung steht noch am Anfang. 2017 verlangte Chris Heaton-Harris, damals ein Brexit-Befürworter der Tories im Parlament, von allen Politik-Lehrstühlen schriftlich Auskunft darüber, wie und was sie ihren Studenten über den Brexit lehrten. Viele betrachteten das als einen etwas brachialen Versuch, mögliche Befürworter des Verbleibs unter den Akademikern einzuschüchtern. (Lord Chris Patten, selbst ein führender Remainer, bezeichnete den Brief als „idiotischen, abstoßenden Leninismus“.) Jetzt aber ist Heaton-Harris Minister unter Boris Johnson, wenn auch für Verkehr und nicht für höhere Bildung, zweifelsohne zur Erleichterung vieler Akademiker. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber möglich, dass Johnson eine Wahl gewinnt, somit die Wähler seine Vision eines harten No-Deal-Brexit bestätigen und er danach versuchen könnte, die Remainer aus den Akademien zu verdrängen.

Sicherlich gibt es beiläufige Hinweise (gesonderte Abstimmungen gibt es nicht), dass eine Mehrheit der britischen Akademiker den Verbleib befürwortete und immer noch befürwortet, denn die allgemeine Haltung hat sich seit 2016 nicht wesentlich geändert, nur etwas in Richtung Verbleib verschoben. Von den 77.000 Studierenden, die 2018 befragt wurden, sagten 75 Prozent, sie wollten in der EU bleiben. Das wurde öffentlich von drei Universitätsrektoren und einem Nobelpreisträger, Sir Paul Nurse, begrüßt, der sagte, ein No-Deal-Brexit wäre das Schlimmste, was den britischen Universitäten in der heutigen Zeit passieren könne. Er sagte weiter, ein Brexit werde Forschungsnetzwerke bedrohen und die 36.000 Bürger der EU27 benachteiligen, die an britischen Universitäten arbeiten. Ein anderer Rektor sagte: „Ein Brexit ist schlecht für Großbritannien und seine Universitäten; ein Austritt ohne ein Deal wäre eine Katastrophe.“

„Economists for Brexit“

Trotzdem schlagen die Brexit-Befürworter nicht zuletzt unter den Akademikern in Cambridge hohe Wellen. Eine einflussreiche Gruppe hat unter dem Titel Briefings for Brexit einen Blog eingerichtet, der von zwei Brexit-Befürwortern aus Cambridge herausgegeben wird: dem Wirtschaftswissenschaftler Graham Gudgin und dem Europa-Historiker Robert Tombs. Die Liste der Unterstützer umfasst neun Juraprofessoren, einen Professor für öffentliche Politik vom Blavatnik-Institut in Oxford (Tom Simpson), Nigel Biggar (den Verteidiger von Dr. Carl), einen Angehörigen des elitären All Souls College in Oxford, der auch Mitglied der British Academy ist, David Abulafia, sowie Andrew Roberts (Biograph von Winston Churchill).

Ungeachtet ihrer prominenten Rolle in den Medien und der Möglichkeit, ihre akademische Stellung zu politischen Zwecken zu nutzen, beklagt sich die Briefings-Gruppe lautstark darüber, dass sie in der akademischen Welt diskriminiert werde. In einem kürzlich in der Sun erschienenen Feature sagte Tombs: „Ich dachte, Akademiker würden hauptsächlich dafür bezahlt, den Menschen alles Mögliche zu erklären, aber die Universitäten sind mittlerweile so einfach gestrickt (was den Brexit angeht).“ The Sun erklärte ihren Lesern, die Gruppe könnte noch viel größer sein, wenn sich ihre Mitglieder nicht von den EU-Befürwortern unter ihren Kollegen gemobbt fühlten. Andererseits erscheinen bekannte Gegner des Brexit, wie Chris Grey aus London, fast nie in der (rechtsgerichteten) Boulevardpresse oder in den wichtigsten Nachrichtensendungen der BBC.

An der akademischen Wirtschaftsfront liefern die von Patrick Minford von der Cardiff University geleiteten Economists for Brexit eine ihrer Ansicht nach überzeugende Begründung für einen No-Deal-Brexit. Leider haben anscheinend nicht viele Bürger die Vorhersagen von Minford vollständig gelesen (er will eine einseitige britische Freihandelspolitik und hat nichts gegen ein Ende der Pkw-Produktion, der Landwirtschaft und der Fischerei im Vereinigten Königreich als Voraussetzung für massives Wachstum um 2030). An meiner eigenen Universität haben sich die Stimmen für den Brexit durchaus Gehör verschaffen können, nicht zuletzt dank einer Spende in Höhe von acht Millionen Pfund von Lord Vinson, dem vehementen Brexit-Befürworter, zur Unterbringung des Instituts für Wirtschaftsfragen an einer britischen Universität. Damit ist sichergestellt, dass die von dem Institut in vieler Hinsicht geförderte radikale Brexit-Politik nicht nur an die Öffentlichkeit kommt, sondern auch die Imprimatur akademischer Respektabilität erhält.

Schädliche Revolution

An anderer Stelle konnte eine Gruppe jüngerer Akademiker in der Gründung der Full Brexit Group keine Gefahr für ihre Zukunft erkennen. Ihr Manifest ist kurios, eher links- als rechtsgerichtet, fast trotzkistisch. Es richtet sich sowohl gegen „die Nostalgie der Euroskeptiker“ als auch gegen „die mächtige Elite der Remainer, die sich gegen den Brexit verschworen haben“. Es „stellt die Interessen der arbeitenden Bevölkerung ins Zentrum der Argumentation für einen demokratischen Brexit und möchte die historische Gelegenheit, die die politische Klasse Großbritanniens zurzeit vertut, für eine demokratische und wirtschaftliche Erneuerung nutzen. Die Regeln der EU sind nicht neutral; sie fesseln uns mit neoliberalen Richtlinien, die die Regierung stark behindern.“ Der Leiter ist Matthew Goodwin, ein junger, prominenter Umfrageanalytiker von der Universität Kent. Interessant ist, dass zwei bekannte deutsche Akademiker, der Soziologe Wolfgang Streeck und der Politikwissenschaftler André Kaiser, zu den bedeutenden Unterstützern der Gruppe zählen.

Großbritannien steckt heute tief in einer schädlichen, durch den Brexit ausgelösten politischen Revolution. Dass sich 52 Prozent der Wähler am 23. Juni 2016 dafür entschieden, die Europäische Union zu verlassen (ohne zu fragen oder zu wissen, wie das vor sich gehen sollte), hat eine große, immer noch nicht beigelegte Krise der Regierung, der Staatsführung, des politischen Systems und der politischen Kultur Großbritanniens ausgelöst. Die Ursachen dieser Krise sind zahlreich und altbekannt; die irrationalen Aspekte des Brexit sind das Produkt fundamentaler intellektueller Zweifel und Unsicherheiten über unsere kulturellen und politischen Werte in den beiden ersten Jahrzehnten eines neuen Jahrhunderts.

Offensichtlich ist, dass die akademische Welt zutiefst vom Brexit-Prozess betroffen ist und dass es wichtig erscheint, sich nicht mit einer radikalen Brexit-Regierung zu zerstreiten, falls es denn nach den nächsten Wahlen noch eine geben sollte. Niall Fergusons Argumentation lässt sich jedoch aktuell nicht halten. Im Großen und Ganzen tun die Professoren zurzeit ihre Pflicht und schützen das eigene Kernprodukt: ausgewogene und sozial verantwortungsbewusste Lehre und Forschung. Sollte man dem politischen Druck von rechts (oder links) nachgeben, wäre das effektiv das Aus für sie. Das ist ihnen nur allzu klar.

Anthony Glees, geboren 1948 in Oxford, Historiker und Politikwissenschaftler, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, University of Buckingham, und ehemaliger Leiter des Centre for Security and Intelligence Studies (BUCSIS).


Übersetzung aus dem Englischen: Wilfried Becker, Germersheim

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