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Extremismus in Bosnien und Herzegowina

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Überblick

Mit dem Ende des „Kalten Krieges“ zerfielen auch die ideologisch militärischen Blöcke in der Welt. West und Ost standen sich nach 40 Jahren Feindschaft nicht mehr als Gegner gegenüber. Dies bedingte auch das Ende der „blockfreien Staaten“, die sich auf Initiative Jugoslawiens gemeinsam mit Indien, Ägypten, Indonesien und einigen anderen Staaten 1961 formiert hatten. Ihre Rolle und Aufgabe hatte sich 1990 überdauert. Auf dem Balkan zerfiel das kommunistische Jugoslawien nach und nach in seine Teilstaaten. Slowenien und Kroatien machten den Anfang und lösten sich aus dem Druckverband. Die Republik Bosnien und Herzegowina (RBuH) folgte. Es kam zu blutigen Kriegen zwischen den einstigen Föderalrepubliken mit Rest-Jugoslawien /Serbien. Spätestens mit Beginn dieser Kriege modifizierte sich der erstarkende Patriotismus in den Ländern zu fundamentalem Nationalismus, der in jeder der Teilrepubliken ethnisch-religiös bedingt bereits seit Jahrzehnten latent vorhanden gewesen war.

Die großen volksnahen Parteien, die sich bereits bei der Ausrufung der Republik Bosnien und Herzegowina der Demokratie verschrieben hatten, richteten sich indes nach außen und nach innen einzig ethnisch-religiös aus. Die Wirkung war alles andere als demokratisch. Das überwunden geglaubte Freund-Feind-Denken bekam neue Koordinaten und Parameter. In dieser Atmosphäre kam es zu Spannungen und zu ethno-nationalen Konflikten, die letztlich zum Bosnienkrieg (1992-1995) führten. Extremistischen Bewegungen entstanden unter dem Zeichen des jeweiligen Nationalismus. Wechselseitig befruchteten sie sich und heizten die neuen Feindbilder an, die später zu den bekannten, beispiellosen Kriegsverbrechen in Europa nach dem Ende des 2. Weltkrieges führten.

Nach dem Friedenvertrag von Dayton und der damit verbundenen Anerkennung des unabhängigen Staates Bosnien und Herzegowina (BuH) wurden Fragen der religiösen Ausrichtung oder der national-ethnischen Zugehörigkeit nicht mehr tabuisiert wie einst in Jugoslawien. Der Frage nach der Verantwortung der im Namen der kommunistischen Ideologie begangenen Verbrechen wurde indes kaum nachgegangen. Wie viele politische Gegner und Demokraten des Tito-Jugoslawiens verfolgt, verhaftet oder ermordet worden waren und auf Gefängnisinseln wie Goli Otok oder an anderen Orten ihr Leben ließen, wurde, wenn überhaupt, abermals nur unter der Perspektive der ethnischen Zugehörigkeit der Opfer und nicht der totalitären Ideologie des Staates betrachtet. Bis heute gibt es in BuH daher keine Ansätze für ein Lustrationsgesetz. Damit steht BuH gemeinsam mit Serbien und Montenegro in Ost-Europa isoliert.(1) Grund hierfür ist unter anderem, dass es in allen Volksparteien und im Staatsapparat des Landes nicht wenige Funktionäre der ehemaligen kommunistischen Partei Jugoslawiens gibt, die bis heute einem neuen „Herren“ dienen.

Extremistischer Nationalismus

Der mit der Herauslösung der Föderalstaaten aus Jugoslawien erstarkende Nationalismus war zunächst für den jeweiligen Nationalstaat ebenso identitätsstiftend wie die entsprechende religiöse Verwurzelung der Volksgruppe. Mit Kriegsbeginn definierte er sich jedoch immer stärker auch über Ab- und Ausgrenzungsmechanismen. In seiner Extremform mutierte er somit zu einem Ultranationalismus.

In BuH sind daher bis heute Formen des Nationalismus in verschiedenen Ausprägungen zu finden: von gemäßigt liberal, über extrem und ultraradikal. Dabei sind einige stärker sichtbar als andere; manche nicht auf dem ersten Blick zu erkennen, dritte mit einer besonderen Ausformung, die in Geschichte und Kontext der jeweiligen Volksgruppe fußen. Hierbei sind die ethnischen Spannungen heute stets auch als Konsequenz des Krieges und als Resultat der kommunistischen Diktatur zu sehen, die bei den Menschen einen fruchtbaren Boden für extremistische Ideologien, extremistische Religionsauslegung und extremistischen Nationalismus hinterlassen haben.(2)

Im Jahr 2017 führen Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit zu einer starken, bislang beispiellosen Abwanderung von Fachkräften (Brain Drain) aus BuH. Nach innen gerichtet können Jugendarbeitslosigkeit und Tristesse jedoch auch zur Radikalisierung und damit zum Extremismus von jungen Erwachsenen beitragen. Die reale oder seit 22 Jahren empfundene Perspektivlosigkeit dieser Generation (3) resultiert dabei aus ganz verschiedenen Faktoren: Korruption, Vetternwirtschaft, Nicht-Funktionalität des Staates, fehlende Rechtsstaatlichkeit, der andauernde Schwebezustand der EU-Annäherung und nicht zuletzt aus Bereichen der tradierten Mentalität etc. Dass die ethnisch-religiöse Zugehörigkeit – und die dazugehörige Selbstdefinition – im Alltag heute viel präsenter als zur Zeit Jugoslawiens ist, bleibt dabei als ein Resultat des Nationalismus zu konstatieren. Die physisch im Krieg erzwungene und mithin kulturell übernommene und letztlich angeeignete Trennung wie beispielsweise in der Siedlungsstruktur mit über 90% Serben in der Republika Srpska (RS), mit über 70 % Bosniaken in der Föderation (FBiH) und in der Herzegowina mit einer Mehrheit von Kroaten in einigen der Kantone, trägt nach wie vor eher zur Bestätigung bzw. zur Reaktivierung von wechselseitigen Vorurteilen und Feindbildern bei als zu deren Überwindung. Ergänzt wird dies durch das spezifische Bildungssystem im Land: Die großen Universitäten des Landes wenden sich fast ausschließlich ihren jeweiligen ethnischen Zielgruppen zu. Die Universitäten Sarajevo und Bihac den Bosniaken, die Universitäten Pale und Banja Luka den Serben und die Universität Mostar den Kroaten. Selbst im Schulsystem ist dieses Modell fast durchgängig zu finden. Das Prinzip der Zwei Schulen unter einem Dach sorgt dafür, dass sich Schüler mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft kaum begegnen können. Im Unterricht werden sie nach getrennten Lehrplänen unterrichtet, die in einigen Fächern – wie Geschichte, Sprache, Literatur – das Trennende und nicht das Gemeinsame betonen.

Nationalismus in seiner übersteigerten Form ist daher in BuH ein zentrales Problem. Die drei konstitutiven Völker Bosniaken, Serben und Kroaten sind sich ihrer ethnischen Zugehörigkeit und der damit verbundenen Religionszugehörigkeit mehr denn je bewusst. Sie wird gelebt und an exponierten Stellen betont und wirkt gerade deshalb oft ausgrenzend gegenüber den jeweils anderen Volksgruppen. In BuH muss nicht nach der ethnischen Zugehörigkeit gefragt werden. Sie ist in den meisten Fällen bereits am Vor- oder Nachnamen erkennbar.(4)

Rechtsextremismus

Rechtsextremismus speist sich in BuH aus dem Nationalismus. Sowohl bei den Serben in der RS als auch bei den Kroaten in der Herzegowina ist er zu finden. Demgegenüber ist er bei den Bosniaken nur versteckt und eher ex negativo in verschiedenen Ausformungen (zumeist religiös verknüpft) zu erkennen.

Bei allen Volksgruppen in BuH werden die eigenen Kriegsverbrecher sehr häufig verherrlicht und glorifiziert. In der jeweiligen Lesart mutieren Verbrecher zu Freiheitskämpfern und Patrioten.(5) Selbst rechtskräftig vom UN-Tribunal verurteilte Kriegsverbrecher werden nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe bei der Rückkehr in ihre Heimatorte von Vertretern der Kommune und der Kirche öffentlich als Volkshelden gefeiert. Ermittlungen gegen Kriegsverbrechen werden von den politischen Vertretern der jeweiligen Volksgruppe oftmals verschleppt und behindert oder über Jahre blockiert. Damit einher geht die Leugnung von Kriegsverbrechen wie beispielsweise der Genozid von Srebrenica. In Städten wie Stepen, Bileca oder Gacko in der RS ist das Konterfei des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic, der sich in Den Haag für die Ermordung von mehr als 8.300 muslimischen Jungen und Männern zu verantworten hat, an Häuserwänden ebenso zu sehen wie die Bilder von Draza Mihailovic, einem der Gründer der serbisch-ultranationalistischen Tschetnik-Bewegung und Gavrilo Princip, dem Mörder des österreichischen Thronfolgers. Die jeweiligen Opfernarrative der drei Volksgruppen werden mit Darstellungen wie diesen immer wieder reaktiviert. Darüber hinaus ist zu verzeichnen, dass bis heute an Feiertagen nationalistische und ultranationalistische Symbole als Provokation gegen die anderen Gruppen eingesetzt werden. Die Ustascha-Bewegung der Kroaten ist hier ebenso zu nennen wie die Tschetnik-Bewegung der Serben. Regelmäßige Aufmärsche und Feiern von Anhängern dieser Bewegungen sorgen dafür, dass die tradierten Feindbilder am Leben erhalten bleiben. Bei den Bosniaken führt dies ex negativo zur Identität aus der Abgrenzung bzw. zur Radikalisierung: Man definiert sich aus dem, was man nicht ist und stigmatisiert die anderen zum Feind. Als Ergebnis ist damit aber gleichsam der Grundstein für den religiösen Fundamentalismus unter den Bosniaken gelegt: dem politischen Islamismus, da hier die Religion mehr identitätsstiftend wirkt als die Nation. Dabei ist selbst in den Parlamenten auf Staats- oder Entitätsebene mitunter eine politische Rhetorik zu hören, die mehr ausgrenzt als integriert, die Feindbilder evoziert und die inhaltlich von Hass getragen ist. Die zumeist in mehrfachen Abhängigkeiten stehenden Medien nähren mit Hass- und Feindkommentaren ebenfalls diese extreme Form des Nationalismus. In innenpolitischen Krisensituationen, in die das Land regelmäßig zyklisch fällt, wird dann in Politik und Medien eine Verteidigungsrhetorik benutzt, die sich aus dem extremen Nationalismus der neunziger Jahre speist und von den existenziellen Ängsten der Opfer getragen ist.

Bei Fußballspielen (Hooligan-Gruppierungen) oder während anderer Großveranstaltungen tritt dieser Ultranationalismus offen zu Tage. Dabei ist stets eine extrem hohe Gewaltbereitschaft zu konstatieren, die regelmäßig zu Verletzen und zu Toten führt.(6)

Angriffe gegen religiöse Würdenträger oder Anschläge auf Kirchen, Moscheen und Synagogen sind zwar selten, finden aber dennoch regelmäßig in allen Landesteilen statt.

Extremismus gegen sexuelle Minderheiten

Menschen anderer sexueller Orientierungen leiden in BuH bis heute unter Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung.(7) In BuH gilt dies als ‘Tabu-Thema’. 2008, 2014 und 2016 gab es gewaltsame Übergriffe auf die LGBT-Community in Sarajevo, die deutlich einen rechtsextremen Hintergrund aufweisen.

Islamismus

Während des Bosnienkrieges erhielten Muslime in der RBuH über einen langen Zeitraum militärische Unterstützung einzig aus anderen islamischen Ländern. Westliche Waffenembargos trafen die um ihre Existenz kämpfenden Bosniaken am stärksten. Die Unterstützung durch islamisch geprägte Länder brachte fremde Waffen, fremde Kämpfer und fremde Ausrichtungen des Islam ins Land, die nach dem Friedensabkommen von Dayton nicht automatisch wieder verschwanden. Im Gegenteil, rückblickend bildeten sie das Fundament des politischen Islamismus aus.

In BuH gibt es derzeit etwa 65 salafistische Gemeinschaften und drei rurale Enklaven, die als Quelle bzw. als Refugium für Sympathisanten des „IS“ gelten.(8) Weder diese Gemeinschaften noch die Enklaven gab es vor dem Krieg 1992.

Im aktuellen State-Department-Bericht zur Bekämpfung des Terrorismus ist festgehalten, dass die gewalttätige islamistisch extreme Ideologie und regionale extremistische Gruppen weiterhin eine potenzielle Quelle von gewalttätigem Extremismus in BuH bleiben.(9) Dem ist nicht zu widersprechen, auch wenn der Staat mit Polizei und Geheimdienst sowie mit schärferen Gesetzen versucht, den Gefahren zu begegnen.

Auch wenn westliche Medien kaum Notiz davon nehmen, so gab es in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von gewalttätigen Übergriffen mit islamistischem Hintergrund in BuH:

  1. 2010 Anschlag auf eine Polizeistation in Bugojno, dabei wurde ein Polizist getötet
  2. 2011 Beschuss der amerikanischen Botschaft durch einen Einzeltäter, dabei wurde ein Polizist verletzt
  3. 2015 Angriff auf die Polizeistation in Zvornik durch einen Einzeltäter, dabei wurden ein Polizist getötet und zwei schwer verletzt
  4. 2015 erschoss ein Einzeltäter zwei Männer der bosnische Armee in einem Wettlokal und verletzte mehrere Zivilisten in einem Linienbus bei seiner Flucht.(10)
Seit der Verschärfung der Gesetze gegen Rückkehrer (2014 /2015), die als foreign fighters in Syrien und anderen Ländern für den „IS“ gekämpft haben, sind extremistische Angriffe mit salafistischem Hintergrund im Land nicht mehr zu verzeichnen. Dennoch sind Festnahmen von Extremisten, von Individuen oder Gruppen, die Anschläge planten, alle zwei Monate in den Medien nachzulesen. Eine der Theorien, warum Bürger aus BuH offen für diese Form des Extremismus seien, geht auf die Anfänge der salafistischen Bewegung in BiH zurück: die Ankunft der dschihadistischen Kämpfer, die während des Bosnien-Krieges ins Land kamen. Nach Schätzungen kamen damals bis zu ca. 4.000 Freiwillige aus dem Ausland (Mudschahedin), um für die Befreiung ihrer muslimischen Brüder zu kämpfen. Überwiegend kamen sie aus Jordanien, Libanon, Iran, Pakistan, Tschetschenien, Afghanistan, Saudi-Arabien, Sudan, Türkei, Jemen und Ägypten. Von diesen relativ autonom operierenden Gruppierungen wurden zahlreiche schwere Kriegsverbrechen an Serben und Kroaten begangen. Es gab Training-Camps im Land, wo Kämpfer systematisch für ihren Einsatz ausgebildet wurden. (Zudem wurde die bosnische Armee mit Waffenlieferungen und mit finanzieller Hilfe auch direkt unterstützt). Viele der ausländischen Kämpfer haben in den 1990er Jahren die bosnische Staatsbürgerschaft und damit bosnische Pässe bekommen. Nach dem Krieg blieben sie im Land, teilweise auch legitimiert durch Eheschließung. Im Jahr 2005, zehn Jahre nach Kriegsende, gab es eine Anzahl von Ausweisungen dieser ehemaligen Kämpfer durch bosnische Behörden. Dass alle ehemaligen Kämpfer ausgewiesen worden sind, kann indes nicht angenommen werden; vor allem deshalb nicht, weil viele von ihnen in den Jahren des Krieges nicht registriert worden waren, 2. weil sie seit Jahren eine doppelte Staatsbürgerschaft haben oder 3. weil sie sich zwar registriert, aber dennoch zurückgezogen haben und in schwierig zugänglichen, von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Gemeinden leben.

Beispiele für die Komplexität des Themas sind

  • die Tatsache, dass sich 1992 ein Zweig der Terrororganisation Al-Qaida in der RBuH niederließ. Osama Bin Laden und weitere enge Mitarbeiter von ihm erhielten 1993 bosnische Pässe. Bin Laden bekam seinen Pass von der Bosnische Botschaft in Wien ausgehändigt.
  • Die „Hilfsorganisation“ Saudi High Commission for Relief of Bosnia and Herzegovina (SHC) wurde 1993 von einem Mitglied der Saudi-Arabischen Königsfamilie gegründet. Nach dem 11. September 2001 fand der bosnische Geheimdienst terroristisches Material in den Räumen von SHC, worauf die Organisation verboten und die Büros geschlossen wurden. Nach Untersuchungen ist davon auszugehen, dass SHC über e in Vermögen von ca. 600 Millionen US-Dollar verfügte, die während des Krieges direkt zur Unterstützung der bosnischen Armee und der Mudschahedin eingesetzt wurden.
  • Die Aktive Islamische Jugend (AIO) war eine der ersten salafistischen Gruppierungen in BuH, die im Land foreign fighters für die Kriege im Kosovo und Tschetschenien rekrutierte.
Dabei haben die Salafisten in BuH (11) seit 1995 ein Netzwerk aufgebaut, das weit über die Landesgrenzen hinausgeht, vor allem aber auch nach Westeuropa. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Diaspora. Die österreichische Salafisten-Szene ist von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien geprägt. Der Verein zur Förderung islamischer Kultur in Österreich gibt Bücher mit fragwürdigem Inhalt und fragwürdiger Ideologie in bosnischer Sprache heraus, die ihren Weg regelmäßig nach Bosnien finden.

Darüber hinaus gibt es aktuell in BuH mehrere Dörfer, die als Hort des djihadistischen Salafismus einzuordnen sind. In der Vergangenheit wurden aus ihnen immer wieder foreign fighters für den sogenannten IS rekrutiert. Moscheen und Gebetsräume werden dort nicht von Imamen der moderaten Islamischen Glaubensgemeinschaft BuH betrieben, sondern von radikalen Predigern genutzt, um „ihre Lehre“ zu verbreiten. Somit liegen diese „Paramoscheen“ und Gebetshäuser auch außerhalb der Kontrolle und Einflussnahme der gemäßigten Islamischen Glaubensgemeinschaft und des Groß-Muftis von Sarajevo. Im Juli 2017 kam es in der bosnischen Ausgabe der IS-Hetzschrift „Rumiyah“ sogar dazu, dass zur Ermordung von gemäßigten Muslimen in BuH aufgerufen wurde.(12)

In Westeuropa, aber auch in den direkten Nachbarländern von Bosnien wird BuH deshalb nicht selten als der „Salafistische Brückenkopf in die EU“ bezeichnet.

Generell kann festgehalten werden, dass die Investitionen aus den Ländern der arabischen Halbinsel kontinuierlich zugenommen haben. Das ist beim Tourismus zu verzeichnen, aber auch beim Bau von Moscheen, Bibliotheken, Kulturhäusern, Koran-Schulen, Schulen und vielem anderen mehr. Während ein Teil der Bevölkerung die neuen Gäste wegen ihres Geldes willkommen heißt, ist der andere Teil von Ängsten geplagt, dass mit den wirtschaftlichen Investitionen auch die ideologische Einflussnahme dieser Länder auf BuH wächst. Ein Grund für diese Ängste ist, dass die islamische Ausrichtung des Wahhabismus, der in Saudi-Arabien als Staatsreligion prägend ist für den hanbalitischen Islam, ein anderes Religionsverständnis und eine andere Ausübung von Religion beinhaltet als der als tolerant geltende bosnische Islam.(13) Die größte Moschee auf dem Balkan, die König-Fahd-Moschee inklusive Kulturzentrum, Religionsschule, Bibliothek und Turnsaal, wurde in Sarajevo mit Geld aus Saudi-Arabien erbaut. Die Golfstaaten finanzieren neben zahlreiche Moscheen und Bildungseinrichtungen neuerdings auch Einkaufszentren, Wohngebiete und Freizeitparks in BuH. Die Gazi-Husrev-Begova Bibliothek in der Altstadt von Sarajevo ist ein sichtbares Beispiel dafür. Die größte Shopping-Mall in der bosnischen Hauptstadt (Sarajevo City Center) wurde von der arabischen Investoren Gruppe Al Shiddi Group finanziert. Von dieser Investoren-Gruppe wird auch das Projekt Poljine Hills umgesetzt: eine geschlossene, beschützte Siedlung mit über 200 Villen auf 180.000 m² Fläche am Rand von Sarajevo. Der Freizeitpark Sunnyland am Trebevic, einem der Hausberge Sarajevos, finanzierte Saudi-Arabien ebenfalls. Auch das Sarajevo Resort Osenik in der Nähe von Hadžići ist von Investoren aus Kuwait erbaut worden. Dies sind nur einige Beispiele neuer Investitionen mit Geld aus den Golfstaaten.

Salafistische Dorfstrukturen: Beispiele Gornja Maoca, Osve und Dubnica

Drei Beispiele für salafistische Gemeinden in BuH sind bekannt, die sich in Dörfern niedergelassen haben und dort abgeschnitten von der Mehrheitsgesellschaft zurückgezogen in ihrer Gemeinde leben.(14) Die Einwohner der Dörfer lehnen den Staat und seine Rechtsordnung ab und leben nach den Gesetzen der Scharia. Flaggen des sogenannten Islamischen Staates (15) und der Mudschaheddin, die in BuH gekämpft haben, sind in diesen Dörfern mehrfach zu finden.

Gerüchte halten sich, dass in dieser Abgeschiedenheit Training-Camps für den „IS“ etabliert worden seien und dass diese Dörfer als Rückzugsort für gesuchte Verbrecher und mögliche Terroristen dienen könnten.(16)

Bei allen terroristischen Aktivitäten, die in BuH durchgeführt worden sind, gab es direkte oder indirekte Kontakte zu einem dieser drei Dörfer. Geheime Waffenlager, die von der Polizei in den Dörfern ausgehoben wurden, ergänzen das Bild.

IS- und Al-Nusra-Rekrutierung

Es wird geschätzt, dass ca. 200 - 300 Bosniaken aus BuH für den sogenannten Islamischen Staat in Syrien oder im Irak kämpfen bzw. kämpften.(17) Das Netzwerk BIRN (Balkan Investigative Reporting Network) gibt in einer Studie vom März 2016 die Gesamtzahl mit 163 Männern an, die zwischen 2012 und 2015 das Land verließen. Hinzu kommen 61 Frauen und 80 Kinder. Etwa 30 Kämpfer gelten als gefallen und 50 seien nach Bosnien zurückgekehrt.(18) BuH hat somit eine der höchsten Ausreiszahlen von foreign fighters gemessen an seiner Inlandsbevölkerung.(19)

Die drei signifikanten Regionen auf dem Balkan, aus denen Menschen zum „Islamischen Staat“ ausgereist sind, sind der Kosovo, BuH und die Region Sandzak im Süden Serbiens bzw. im Norden Montenegros, die größtenteils von Bosniaken bewohnt wird.

BuH reagierte auf die Ausreise von Kämpfern, indem die Regierung die Beteiligung an den Kämpfen oder die Anstiftung, an bewaffneten Konflikten im Ausland teilzunehmen, unter Strafe gestellt hat.

Linksextremismus

Die Sozialdemokratische Partei (SDP BiH) ging direkt aus der ehemaligen Kommunistischen Partei Jugoslawiens auf dem Gebiet Bosniens hervor. In den vergangenen Jahren spalteten sich von ihr unterschiedliche Flügel ab und gründeten eigenständige neue Parteien. Diese neuen Parteien planen seit einiger Zeit, sich zu einem Bündnis „Vereinte Linke in BuH“ zu formieren. All diesen Parteien ist eigen, dass sie aus einer gemeinsamen kommunistischen Plattform stammen.

Trotz ihres behaupteten „nichtnationalistischen und multikulturellen Ansatzes“ haben es die Sozialdemokraten angesichts mehrfacher Regierungsbeteiligung nicht geschafft, ein Gesetz zum Verbot von totalitaristischen, nationalistischen, faschistischen und neonazistischen Symbolen, geschweige denn ein Gesetz über das Verbot von Organisationen, die solche Symbole nutzen, zu verabschieden.

So verwundert es auch nicht, dass kommunistische Symbole oder Tito-Bilder in Gebäuden oder Büros von Sozialdemokraten oder in den Häusern und Räumen anderer linker Parteien in BuH fast überall zu finden sind. Der antitotalitäre Konsens von Demokraten wird zum antinationalistischen bzw. antifaschistischen Konsens umgedeutet und für die eigene Ideologie instrumentalisiert. Ein „Wir-Gefühl“ mit der alten Zeit Jugoslawiens wird damit bewusst in Kauf genommen, ein Gefühl, das gleichsam gefährliche Abgrenzungs-Rhetorik und bewusst initiierte Ausgrenzungsmechanismen darstellt. Besonders in Wahlkampagnen werden Begriffe wie Antifaschismus, Gleichberechtigung und Freiheit der Gemeinschaft (von nationalen Zwängen) durch die linken Parteien systematisch instrumentalisiert. Auf Internetportalen finden sich dann identische Hassreden wieder, wie sie auch bei den Nationalisten zu finden sind.

Keine der linken Parteien in BuH hat die Aufarbeitung des totalitären Regimes während der Tito-Zeit ernsthaft thematisiert oder die Verbrechen der kommunistischen Herrschaft öffentlich verurteilt. Dass sich linke Parteien in BuH von der kommunistischen Ideologie längst noch nicht gelöst haben, ist unter anderem daran zu erkennen, dass sie bei Ausschreitungen von Linksextremisten wie beispielsweise während des G 20 Gipfels in Hamburg diese Gewalt nicht verurteilt haben. Im Gegenteil, sie wurde im Netz öffentlich als gerechter „Kampf gegen Nationalisten und Kapitalisten“ bewertet.

Linksextremismus stellt in BuH gegenwärtig kein akutes Problem dar. Latent sind Tito-Verehrung und links-ideologisches Gedankengut als tradierte oder übernommene Erbmasse indes vorhanden. Es steht damit zu befürchten, dass Teile der Gesellschaft in der Hoffnung auf die „lichte Zukunft“ und zur Erreichung eines „höheren Ziels“ Menschenopfer billigend in Kauf nehmen würden.

Dr. Karsten Dümmel

Fußnoten

  1. In Kroatien liegen seit Ende 2016 im Parlament zwei unterschiedliche Entwürfe zu einem Aktenöffnungsgesetz vor. Slowenien versucht ebenfalls in diese Richtung mit der Vergangenheitsarbeit und Erinnerungskultur zu gehen.
  2. Vgl.: Huseinovic, Samir; Dikic, Mirjana: Bosnien vom Extremismus durchsetzt. In: Deutsche Welle, 25.11.2011. Abrufbar unter: http://www.dw.com/de/bosnien-vom-extremismus-durchsetzt/a-15555656 (abger. 11.04.2017).
  3. Vgl.: Taleski, Dane; Hoppe, Bert: Jugendliche in Südosteuropa. Lost in Transition. (Friedrich-Ebert-Stiftung Regionaler Dialog Südosteuropa, Juli 2015). http://library.fes.de/pdf-files/id-moe/11503.pdf (abger. 21.03.2017).
  4. Vgl.: Wölfl, Adelheid: Bosnien-Herzegowina. Namen als kleine Gefängnisse. (Der Standard, 28.03.2017). http://derstandard.at/2000054944712/Bosnien-Herzegowina-Namen-als-kleine-Gefaengnisse (abger. 02.06.2017).
  5. Vgl.: Barth, Rebecca: Was das Karadžić-Urteil für Bosnien bedeutet. (Süddeutsche Zeitung, 24.03.2016). http://www.sueddeutsche.de/politik/bosnienkrieg-was-das-karadi-urteil-fuer-bosnien-bedeutet-1.2921749 (abger. 02.06.2017).
  6. Vgl.: Brentin, Dario: „Juden, auf Wiedersehen“. In: Frankfurter Rundschau, 23.06.2015. Abrufbar unter: http://www.fr.de/sport/fussball-in-ex-jugoslawien-juden-auf-wiedersehen-a-462295.; Vgl.: Kempkens, Sebastian: Wenn der Krieg ins Stadion zurückkehrt. In: Die Zeit, 06.12.2012. Abrufbar unter: http://www.zeit.de/sport/2012-12/bosnien-herzegowina-fans-gewalt; Matic, Brecko: Welle von Fussball-Krawallen auf dem Balkan löst Debatte nach den Ursachen aus. In: Deutsche Welle, 08.10.2009. Abrufbar unter: http://www.dw.com/de/welle-von-fussball-krawallen-auf-dem-balkan-l%C3%B6st-debatte-nach-den-ursachen-aus/a-4775315.
  7. Vgl.: Maja Shwayder : Gays in Bosnia still living life in the closet. (Deutsche Welle, 27.10.2016). http://www.dw.com/en/gays-in-bosnia-still-living-life-in-the-closet/a-36174436 (abger. 01.06.2017).
  8. Vgl.: Wölfl, Adelheid: Wahlkampf in Oesterreich. Frankfurter Rundschau 24.08.2017. http://www.fr.de/politik/wahlkampf-in-oesterreich-sebastian-kurz-entdeckt-das-thema-islam-a-1337052
  9. Vgl.: Aljazeera Balkans: State Departement: in Buh besteht weiterhin das Terrorismusgefahr http://balkans.aljazeera.net/vijesti/state-department-i-dalje-postoji-opasnost-terorizma-u-bih
  10. Vgl.: Dzihic, Vedran: Neuer Islamismus und islamische Radikalisierung am Balkan. Aktuelle Entwicklungen und Gefahrenpotentiale. In: Österreichisches Institut für internationale Politik, Juni 2016. Abrufbar unter: http://www.oiip.ac.at/fileadmin/Unterlagen/Dateien/Publikationen/Arbeitspapiere/Arbeitspapier_Islamische_Radikalisierung_Balkan.pdf (abger. 11.04.2017).
  11. Vgl.: Wölfl, Adelheid: Bosnien hat ein Salafisten-Problem. In: Frankfurter Rundschau, 19.12.2016. Abrufbar unter: http://www.fr.de/politik/islamismus-bosnien-hat-ein-salafisten-problem-a-732502 (abger. 11.04.2017).
  12. Vgl.: Martens, Michael: Einmal Dschihad und zurück. In: FAZ 14.08.2017 , Nr. 187, S. 5.
  13. Vgl.: Häuer-Schmidt: Auf Seelenfang in Bosnien. In: Die Zeit, 14.03.2002. Abrufbar unter: http://www.zeit.de/2002/12/200212_saudisinbosnien_xml (abger. 11.04.2017).
  14. Vgl.: Andreas Ernst: Der Pietist aus Osve. (Neue Züricher Zeitung, 12.09.2016). https://www.nzz.ch/international/europa/salafismus-in-bosnien-der-pietist-aus-osve-ld.116126 (abger. 15.03.2017).
  15. Vgl.: Stephan Ozsváth: IS-Flagge zur Begrüßung. (Deutschlandfunk, 08.02.2016). http://www.deutschlandfunk.de/salafistendorf-gornja-maoca-in-bosnien-is-flagge-zur.795.de.html?dram:article_id=344927 (abger. 15.03.2017).
  16. Darko Jakovljevic: Bosnien-Herzegowina Brückenkopf der Islamisten? (Weltspiegel ARD Wien, 08.02.2016). http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/bosnien-islam-weltspiegel-100.html (abger. 15.03.2017)
  17. http://www.spiegel.de/international/europe/islamic-state-presence-in-bosnia-cause-for-concern-a-1085326.html
  18. Balkan Jihadists. The radicalisation and recruitment of fighters in Syria and Iraq. In BIRN Report. March 2016. S. 10-17.
  19. Vgl.: Una Hajdari: Im Hinterland. (Der Tagesspiegel, 08.03.2015). http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/is-rekrutierung-in-bosnien-im-hinterland/11474860.html (abger. 15.03.2017).

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