Asset-Herausgeber

Die demokratische Erneuerung der CDU 1989/90

Asset-Herausgeber

Seit der Mitte der 1980er Jahre wuchs vor dem Hintergrund der Reformbewegungen in Polen, Ungarn und in der Sowjetunion und angesichts der Aktivitäten der „Unabhängigen Friedensbewegung“ in der DDR auch der Druck der Blockpartei-Mitglieder auf ihre Leitungen. Wichtig waren auch die Folgen des KSZE-Prozesses: Sie führten zur verstärkten Menschenrechts-, Friedens- und Umweltschutzarbeit in den Kirchen. Vor allem kirchlich engagierte CDU-Mitglieder orientierten sich immer mehr an den Vorgaben der Synoden der Evangelischen Landeskirchen als an den Platitüden einer SED-hörigen Parteiführung; In den Informationsberichten aus Kreisen und Bezirken wurde jetzt mehr und mehr sichtbar, dass die Mitglieder an der Basis ihre Parteifunktionäre mit Fragen bedrängten, denen diese meist hilflos gegenüberstanden.

Der „Brief aus Weimar“, den vier CDU-Mitglieder, allesamt Kirchenleute, am 10. September 1989 an ihre Parteileitung schickten, wurde zum Kristallisationspunkt eines breiten Reformverlangens an der Basis, als deren Sprachrohr sich die Verfasser verstanden. Der Brief griff alle wesentlichen Kritikpunkte der vergangenen Jahrzehnte auf, die von der Parteispitze notorisch ignoriert worden waren, insbesondere den Mangel an Eigenständigkeit gegenüber der SED, die Reisebeschränkungen, die Behinderungen der Pressefreiheit, die Schönfärberei in den Medien, das Verschweigen der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Landes und die Manipulationen bei den Wahlen. Die gleichen Anliegen waren bereits in einem Reformschreiben der CDU-Ortsgruppe Neuenhagen bei Berlin im Juni 1988 vorgetragen worden.

Der „Brief aus Weimar“ – seine Hauptverfasser waren der damalige Kirchenrat Dr. Gottfried Müller aus Weimar und die Pastorin Christine Lieberknecht aus Ramsla bei Weimar – wurde zu einem wichtigen Markstein bei der demokratischen Erneuerung der DDR-CDU. Dass sie innerhalb weniger Wochen vonstatten gehen konnte, weist darauf hin, dass an der Basis der Partei christlich-demokratische Ursprungsideale lebendig geblieben waren. Unter dem Druck der Reformer trat der seit 1966 amtierende Parteichef Götting am 2. November 1989 zurück. Schon am nächsten Tag verlangte die CDU-Fraktion die sofortige Einberufung der Volkskammer. Sie forderte die Regierung auf, die Vertrauensfrage zu stellen, eine neues Wahlgesetz auszuarbeiten und die Kommunalwahlen vom Mai 1989 zu wiederholen. Noch im November strich die CDU aus ihrer Satzung die Anerkennung der führenden Rolle der SED und forderte die Auflösung des „Zentralen Demokratischen Blocks“, aus dem sie am 4. Dezember per Vorstandsbeschluss austrat. Die Zusammenarbeit mit der SED war damit beendet.

 

Bei einem kurzfristig anberaumten Sonderparteitag am 15./16. Dezember 1989 in Berlin präsentierte sich eine personell, organisatorisch und programmatisch erneuerte DDR-CDU. Die meisten der knapp 800 Delegierten waren in Urwählerversammlungen in den Ortsgruppen und Kreisen demokratisch gewählt worden; sie bestätigten den im November vom alten Hauptvorstand zum Parteivorsitzenden bestellten Lothar de Maizière eindrucksvoll im Amt. Der Parteitag bekannte die Mitschuld der CDU an den Deformationen und Fehlentwicklungen in der DDR, vollzog die Abkehr vom Sozialismus und sprach sich für innerparteiliche und staatliche Demokratie, für soziale Marktwirtschaft und für die Einheit der deutschen Nation aus.

Angesichts des raschen Autoritätsverfalls der am 17. November 1989 gebildeten Regierung Modrow wurden bereits für den 18. März 1990 Volkskammerwahlen angesetzt. Daraus ging die CDU mit 40,6% der Stimmen als stärkste Partei hervor. Zusammen mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) war sie im Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“ angetreten. Es hatte umfangreiche finanzielle und personelle Unterstützung aus der Bonner CDU-Zentrale erhalten. Die Ost-CDU hatte ihren intakten Apparat – Geschäftsstellen, Zeitungsredaktionen, Verlage – zur Verfügung gestellt. Wahlsieger de Maiziere wurde als neuer Ministerpräsident mit der Regierungsbildung beauftragt. Zusammen mit neuen Koalitionspartnern sah er in der möglichst raschen und zugleich geordneten Herstellung der deutschen Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes sein vorrangiges politisches Ziel, das über die am 1. Juli beginnende Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, den Einigungsvertrag vom 31. August und den am 12. September in Moskau abgeschlossenen „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ am 3. Oktober 1990 erreicht wurde. Beim 38. CDU-Bundesparteitag am 1./2. Oktober 1990 in Hamburg deklarierten sich die im Verlauf des Jahres 1990 neu errichteten Landesverbände der DDR-CDU als „Teil der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands“: So wurde dieser Parteitag zum ersten gemeinsamen einer gesamtdeutschen CDU. Zuvor hatten sich in der Noch-DDR der Demokratische Aufbruch (im August 1990) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (im September 1990) mit der Ost-CDU vereinigt.

Wie das seit dem Umbruch und der Wiedervereinigung zugängliche Aktenmaterial erkennen lässt, entwickelten die DDR-Blockparteien offenbar doch mehr politischen Eigensinn und unterschieden sich stärker voneinander als bislang angenommen. Hinsichtlich der CDU lässt sich zwar nicht leugnen, dass sie in 40 Jahren DDR-Geschichte vornehmlich als Erfüllungsgehilfe der SED auftrat. Doch ist es ebenso offensichtlich, dass die Staatspartei der „befreundeten“ Schwesterpartei trotz deren Unterwerfungsbereitschaft über Jahrzehnte hinweg mit unverhohlenem Misstrauen begegnete und sich ihrer ideologischen Zuverlässigkeit nicht gewiss war. Tatsächlich lässt das dichte interne Informationswesen der CDU erkennen, dass mindestens bis weit in die 1960er Jahre hinein Unmut, Unangepasstheit und kritische Verweigerung an der Basis der Partei vorhanden waren – meist aus christlichen Positionen heraus begründet –, die sich sowohl gegen den Führungsanspruch der SED als auch gegen die Angepasstheit der eigenen Parteileitung richteten. Mit den internen Erneuerungsprozessen seit dem Herbst 1989 fand die Partei zurück zu den christlich-demokratischen Traditionen der Anfangsjahre. Zugleich wurde erneut die Kluft zwischen den kaderpolitisch bereinigten Funktionseliten der Partei und der Mitgliedschaft deutlich. Gerade diese unübersehbare Kluft sollte davor warnen, gegenüber der Ost-CDU allzu undifferenziert das „Blockflöten“-Image ins Spiel zu bringen.

 

Manfred Agethen

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Analysen und Argumente
8. Mai 2015
Jetzt lesen
Einzeltitel
11. Juli 2014
Jetzt lesen

Asset-Herausgeber