Asset-Herausgeber

Absetzung der Berliner CDU-Vorsitzenden Jakob Kaiser und Ernst Lemmer durch die SMAD aufgrund der Weigerung, an der Volkskongressbewegung teilzunehmen

Jakob Kaiser und Ernst Lemmer mussten am 20. Dezember 1947 auf Anweisung der SMAD von ihren Ämtern zurücktreten. Der Hintergrund hierfür war ihr Widerstand gegen die Volkskongressbewegung.

Asset-Herausgeber

Am 19. Dezember 1945 wurden Andreas Hermes und Walther Schreiber, die Vorsitzenden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) und in Berlin, wegen ihres Widerstandes gegen eine Bodenreform nach sowjetischem Gutdünken von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) offiziell abgesetzt, nachdem sie einen 'freiwilligen' Rücktritt verweigert hatten. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr ihren Nachfolgern Jakob Kaiser und Ernst Lemmer. Sie mussten am 20. Dezember 1947 auf Anweisung der SMAD von ihren Ämtern zurücktreten.

Kaiser und Lemmer kamen aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung. In seiner ersten programmatischen Rede als Parteivorsitzender hatte Kaiser am 13. Februar 1946 das Modell eines "Sozialismus aus christlicher Verantwortung" proklamiert, dessen Grundzüge bereits im Berliner Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945 angeklungen waren: Betriebliche Mitbestimmung, straffe Planung des Wirtschaftslebens, Verstaatlichung der Bodenschätze und wichtiger Industriezweige. Kaiser und Lemmer waren wegen der ausgeprägt sozialen Akzente ihrer Politik bei den Sowjets anfangs durchaus beliebt. Doch mussten diese rasch erkennen, dass Kaisers "Christlicher Sozialismus" mit dem atheistischen und klassenkämpferischen Marxismus nichts gemein hatte. Beim 2. CDU-Parteitag im September 1947 in Berlin beschwor Kaiser seine Partei geradezu, "Wellenbrecher des dogmatischen Marxismus und seiner totalitären Tendenzen" zu sein. Entschieden setzte er sich zusammen mit Ernst Lemmer den sowjetischen Versuchen entgegen, die bürgerlichen Parteien mit der kommunistischen SED gleichzuschalten und dieser zugleich den Führungsanspruch zu sichern. Kaisers Eintreten für den Marshall-Plan und seine Ablehnung der Oder/Neiße-Grenze machten ihn bei den Sowjets im Laufe des Jahres 1947 zunehmend missliebig.

Zum entscheidenden Bruch mit SMAD und SED und schließlich zur Entlassung Kaisers und Lemmers kam es in der Frage der Volkskongressbewegung. Die SED rief überraschend am 26. November 1947 im "Einheitsblock" offiziell zur Teilnahme an einem "Deutschen Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden" auf, der am 6./7. Dezember 1947 in Berlin stattfinden sollte. Parteien, Organisationen und Großbetriebe der SBZ sollten hier über Wege zur überzonalen Zusammenarbeit und zur Wiedervereinigung beraten. Obwohl auch Kaiser und Lemmer ständig um eine nationale Repräsentation, um eine Art gesamtdeutsches Parlament bemüht waren, lehnten sie die Teilnahme der CDU in der SBZ am Volkskongress ab. Insbesondere Kaiser sah in der Volkskongress-Idee den Plan der SED, die Führungsrolle, die sie in der SBZ schon innehatte, auf die übrigen Zonen auszudehnen, und fürchtete - so in einem Gespräch mit Oberst Tjulpanow am 19. November 1947 - , dass "eine Kundgebung mit rein östlichem Charakter ... den deutschen Gedanken schädigen würde". So beschloss der CDU-Vorstand in einer Sitzung vom 2. Dezember 1947, nicht am Volkskongress teilzunehmen. Dieser werde "nach allen Gegebenheiten keinen wirklich gesamtdeutschen und überparteilichen Charakter tragen".

 

 


Sergei Iwanowitsch Tjulpanow: 1945–1949 Leiter der Propaganda- und Informationsabteilung der SMAD

 

 

Bei der Weigerung des CDU-Vorstandes zur Teilnahme am Volkskongress spielte auch die berechtigte Sorge eine Rolle, dieser werde im wesentlichen die sowjetische Deutschlandpolitik unterstützen. Diese lief, nachdem sich im Verlauf des Jahres 1947 das Scheitern einer Einigung der Alliierten über die Zukunft Deutschlands abgezeichnet hatte, darauf hinaus, in der SBZ das sowjetische Herrschaftssystem zu etablieren und diese in ein von der Moskauer Zentralgewalt kontrolliertes Satellitensystem einzubinden. Schon Ende September 1947, zwei Monate vor Beginn einer alliierten Außenministerkonferenz in London, bei der die Siegermächte noch einmal über eine Lösung der Deutschlandfrage verhandeln wollten, hatten die Sowjets offiziell die "Zwei-Lager-Theorie" verkündet, nach der eine neutrale Haltung in der weltpolitischen Auseinandersetzung unmöglich sei. Ziel des Volkskongresses konnte also in den Augen der Sowjets nur die Ausweitung ihres Einflusses auf ganz Deutschland oder die Teilung des Landes sein. Tatsächlich äußerte Stalin im Januar 1948 gegenüber jugoslawischen und bulgarischen Kommunisten: "Der Westen wird sich Westdeutschland zu eigen machen, und wir werden aus Ostdeutschland unseren eigenen Staat machen." Vor diesem Hintergrund war die Londoner Außenministerkonferenz praktisch von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Kaiser, der diese Zusammenhänge innerhalb des CDU-Vorstandes am schärfsten durchschaute, wollte es in der Volkskongressfrage auf einen Bruch mit den Sowjets ankommen lassen. Die meisten Landesvorsitzenden und Teile der Parteibasis dagegen fürchteten bei einer völligen Verweigerung gegenüber dem Volkskongress das Ende aller Arbeitsmöglichkeiten in der Zone. So kamen die Landesvorsitzenden in der Nacht des 19. Dezember 1947 unter dem ultimativen Druck der Sowjets und in der Sorge um die Auflösung ihrer Partei zu dem Entschluss, zwar Jakob Kaiser das Vertrauen auszusprechen, sich aber "so lange von der Zonenleitung zu trennen, bis die Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dieser und der SMAD wiederhergestellt ist."

Den mit dieser Formel angedeuteten Übergangsstatus überführte die SMAD in Endgültigkeit, indem sie schon am nächsten Tag erklärte, "bis auf weiteres die Vorsitzenden der sechs Landesverbände als oberste Vertretung der Partei unter dem Vorsitz Lobedanz/Hickmann" zu betrachten. Zugleich entließen die Sowjets die Kaiser-treuen Hauptschriftleiter und fast den gesamten Redaktionsstab der Neuen Zeit, des Zentralorgans der CDU.

Kaiser und sein Kreis versuchten von Westberlin aus, weiter auf die Geschicke der CDU in der SBZ Einfluß zu nehmen. Dies erwies sich als unmöglich, und so konstituierte sich aus dem "Büro Kaiser" 1950 offiziell die Exil-CDU, die sich als einzig legaler Hauptvorstand der SBZ-CDU verstand und als solcher auch von der 1950 in Goslar gegründeten gesamtdeutschen CDU anerkannt und im Status einem Landesverband der CDU gleichgestellt wurde.

 

Literatur:

  • AGETHEN, Manfred: Die CDU in der SBZ/DDR 1945 - 1953. In: 'Bürgerliche' Parteien in der SBZ/DDR: Zur Geschichte von CDU, LDP(D), DBD und NDPD 1945 - 1953; hrsg. von Jürgen Frölich. Köln 1994, S. 47 - 72.

  • CONZE, Werner: Jakob Kaiser. Politiker zwischen Ost und West, 1945 - 1949. Stuttgart (u.a.) 1969.

  • GRADL, Johann Baptist: Anfang unter dem Sowjetstern. Die CDU 1945 - 1948 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Köln 1981.

  • JAKOB KAISER: 1888 - 1961. Katalog zur Ausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung/Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Verantwortlich für Konzeption, Auswahl und Texte: Günter Buchstab, Brigitte Kaff, Hans-Otto Kleinmann. Sankt Augustin 1991.

  • JAKOB KAISER - Gewerkschafter und Patriot. Eine Werkauswahl; hrsg. u. eingel. von Tilman Mayer. Köln 1988.

  • LEMMER, Ernst: Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten. Mit einem Vorwort von Helmut Kohl. Überarb. u. mit einem Vor- und Nachwort versehene Neuaufl. München 1996.

  • RICHTER, Michael: Die Ost-CDU 1948 - 1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 19). 2. korrig. Aufl., Düsseldorf 1991.

  • SCHLEGELMILCH, Arthur: Hauptstadt im Zonendeutschland. Die Entstehung der Berliner Nachkriegsdemokratie 1945 - 1949. Berlin 1993.

 

Asset-Herausgeber