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Der Sturm auf die Stasi-Zentrale

von Wolfgang Tischner
Am 15. Januar 1990 stürmten Demonstranten die Zentrale der ehemaligen Staatssicherheit der DDR in Berlin, um die Vernichtung der Akten zu verhindern.

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Das Ende der SED-Herrschaft

Sobald im November/Dezember 1989 der konstitutionelle Abbau der SED-Herrschaft in der DDR eingesetzt hatte – am 1. Dezember wurde der Führungsanspruch der „Partei der Arbeiterklasse“ aus der DDR-Verfassung gestrichen – begann sich das Hauptaugenmerk der Öffentlichkeit auf die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit zu richten. Was jeder geahnt und viele genauer gewusst hatten, die flächendeckende Durchsetzung der DDR-Gesellschaft mit „Informellen Mitarbeitern“ (IM) - vulgo Spitzeln - des MfS wurde jetzt offen diskutiert. Sofort erhob sich die Forderung nach Auflösung des selbsternannten „Schwerts und Schilds der Partei“ und der Aufarbeitung ihrer Geschichte.

Die Auflösung der Stasi

Am 4. Dezember 1989 kam es in einigen Städten der DDR zu Demonstrationen vor den örtlichen Stasi-Zentralen, die in Rostock, Erfurt und Leipzig zur Besetzung der Dienstgebäude und Sicherstellung der Akten durch Bürgerkomitees führten. Gleichzeitig mehrten sich die Zeichen, dass die Staatssicherheit einerseits Akten vernichtete und Beziehungen zu IMs „einfror“, andererseits aber auf verschiedenen Ebenen um das institutionelle Überleben kämpfte. So sollten Schmierereien auf dem sowjetischen Ehrenmal in Berlin am 28. Dezember 1989 – aller Wahrscheinlichkeit nach vom ehemaligen MfS selbst inszeniert – wohl der Öffentlichkeit deutlich machen, dass man gegen den angeblichen „Faschismus“ einen starken Sicherheitsdienst brauche. Die Regierung Modrow hatte noch im November 1989 versucht, durch die Umbenennung der Staatssicherheit in „Amt für Nationale Sicherheit“ einen Neuanfang zu signalisieren. Allerdings ließ sich die Öffentlichkeit dadurch nicht täuschen. Der „Runde Tisch“, der sich im Dezember als die einzige allgemein akzeptierte politische Lenkungsstruktur in der DDR durchsetzte, beschloss die Auflösung des „Amtes für Nationale Sicherheit“.

Die Besetzung der Normannenstrasse

Anfang Januar 1990 verstärkte sich der öffentliche Druck, möglichen Vertuschungsaktionen entgegenzuwirken. Der Runde Tisch verlangte in seiner Sitzung am 15. Januar 1990 vom DDR-Ministerpräsidenten Modrow Aufklärung über die Größe und Struktur des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes. Eine von der Bürgerrechtsorganisation „Neues Forum“ organisierte Demonstration am Abend desselben Tages vor der Stasizentrale in der Berliner Normannenstrasse wurde aus dem Gebäude heraus mit Aktenmaterial beworfen. Die Demonstranten drangen in das Gebäude ein, Bürgerrechtler konnten aber eine Eskalation verhindern. Ein ad hoc gebildetes Komitee übernahm die Sicherstellung der noch vorhandenen Unterlagen.

Die Behauptung, dass nur die Besonnenheit der Mitarbeiter des ehemaligen MfS ein Blutbad verhindert habe, gehört in das Reich der Legenden: in Wirklichkeit war die Staatssicherheit zu diesem Zeitpunkt schon im Zerfall begriffen. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass einzelne Stasiführungsoffiziere ihre IMs unter den Bürgerrechtlern ermutigt hätten, sich am Sturm zu beteiligen, um dann im Chaos der Besetzung besser Akten vernichten zu können. Dem steht entgegen, dass es im Vorfeld kaum Hindernisse bei der Aktenvernichtung gab.

Hochproblematisch war, dass nicht nur der sowjetische Geheimdienst sich ungeniert bemühte, aus der Erbmasse der Staatssicherheit Vorteile für eigene geheimdienstliche Aktivitäten in Deutschland zu ziehen. Die amerikanischen Nachrichtendienste etwa besorgten sich ein Verzeichnis der Auslandsmitarbeiter der Hauptverwaltung Ausland des MfS (die sogenannten Rosenholz-Dateien) und gaben dies erst 2003 nach massiven politischen Interventionen an die Bundesrepublik heraus.

Die Aufarbeitung

In den auf die Besetzung folgenden Monaten begannen erst Bürgerrechtler, später verstärkt durch fachlich ausgebildete Historiker und Archivare, mit der Rekonstruktion der Aktenbestände und der Arbeitsweise und Verbrechen des MfS. Organisiert wurde die Arbeit als eigenständige Behörde unter ihrem ersten Chef, dem Rostocker Pfarrer Joachim Gauck. Bei allen Problemen in Einzelfällen ist doch festzuhalten, dass die Aufarbeitung der Arbeit des Staatssicherheitsdienstes in Deutschland, so wie sie im Stasi-Unterlagengesetz von 1991 definiert wurde, wesentlich zur politischen Hygiene und Vertiefung der demokratischen Kultur im vereinten Deutschland beigetragen hat und heute von vielen ehemaligen Oppositionellen aus den früheren Ostblockstaaten als beispielhaft angesehen wird.

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