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Die Staats- und Regierungschefs der EU beschließen die Auszeichnung Helmut Kohls als Ehrenbürger Europas

von Christine Bach
Ehrenbürger Europas: Mit dieser Auszeichnung, die vor ihm nur Jean Monnet zuteil geworden war, würdigten die Staats- und Regierungschefs der EU Helmut Kohls historische Verdienste um die europäische Integration. „ Die Gestaltung der deutschen Einheit und die Festigung der europäischen Einigung bis hin zur Wirtschafts- und Währungsunion“ seien „Kohls Lebenswerk“ - so lautete die Begründung der Staatsmänner.

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Ende der Ära Kohl

Mit der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag am 27. September 1998 endete die 16jährige Kanzlerschaft Helmut Kohls. CDU und CSU erlangten zusammen 35,1 Prozent der Wählerstimmen, die SPD dagegen 40,9 und konnte nun zusammen mit den Grünen eine Koalitionsregierung bilden. Für die Niederlage übernahm Kohl noch am Wahlabend die Verantwortung und erklärte, beim nächsten CDU-Bundesparteitag im November 1998 nicht mehr als Vorsitzender kandidieren zu wollen.

Angesichts des Endes seiner Kanzlerschaft bilanzierten und würdigten Politiker und Publizisten die historischen Leistungen des Pfälzers. „Ein deutscher Patriot und europäischer Staatsmann nimmt Abschied von der Macht“ schrieb der Tagesspiegel, einen „Kanzler, der Maßstäbe gesetzt hat“ nannte die Frankfurter Allgemeine Zeitung den scheidenden Bundeskanzler. Freunde wie Kritiker der Politik Kohls kamen nicht umhin, die herausragenden Verdienste des CDU-Mannes um die deutsche Demokratie, die Stabilität Europas und die transatlantischen Beziehungen anzuerkennen.

 

Europapolitische Bilanz

Zu den besonderen staatsmännischen Leistungen Kohls gehörten die großen Fortschritte beim Ausbau der europäischen Institutionen in den 16 Jahren seiner Kanzlerschaft. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung hatte Kohl am 13. Oktober 1982 vor dem Deutschen Bundestag angekündigt, er wolle „neue Wege zur Einigung Europas“ eröffnen:

„Die europäische Idee hat Versöhnung über die Grenzen hinweg geschaffen und den Grundstein für eine dauerhafte Friedensordnung in Europa gelegt. Europapolitik war und ist immer zuerst eine Politik für den Frieden in Freiheit.“

Kohls Amtsantritt als Bundeskanzler fiel in eine Phase der Eurosklerose, also eine Zeit der Krise und Stagnation des europäischen Integrationsprozesses. Doch bereits im Laufe des Jahres 1983 nahm, ausgelöst durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr, der Prozess der europäischen Einigung neu an Fahrt auf. Kennzeichnend hierfür war die Feierliche Deklaration zur Europäischen Union, die die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften beim Stuttgarter Gipfel am 19. Juni 1983 verabschiedeten. Am 14. Juni 1985 unterzeichneten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande das Schengener Übereinkommen (Schengen I) über den schrittweisen Abbau der gegenseitigen Grenzkontrollen. Das Übereinkommen ging auf eine Initiative der Bundesrepublik und Frankreichs zurück. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte zum Ausbau der EG einigte sich der Europäische Rat in Luxemburg am 2./3. Dezember 1985 auf eine grundlegende Reform zum Ausbau der europäischen Institutionen. Zusammen mit Jaques Delors, dessen Berufung zum EU-Kommissionspräsidenten er nachdrücklich unterstützte, trieb der deutsche Bundeskanzler seit 1985 die Vollendung des EG-Binnenmarktes voran. Beide, Kohl wie Delors, waren überzeugte Fürsprecher eines europäischen Bundesstaats. Im Rückblick auf die Zusammenarbeit mit Kohl in den 1980er Jahren schrieb Jaques Delors: „Das Klima in der Gemeinschaft veränderte sich radikal, die Wirtschaft bekam wieder frischen Wind. Besser sogar: Noch bevor der Vertrag der Einheitlichen Akte von allen Ländern ratifiziert war, gab es schon immer mehr mit qualifizierter Mehrheit gefällte Entscheidungen, die dem Vorhaben des Binnenmarktes eine umfassende Glaubwürdigkeit verliehen.“(PM 389/02, Link) Ein kaum zu überschätzender Faktor dabei war auch die politische und persönliche Freundschaft zwischen Kohl und dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand, die dazu beitrug, den Boden für wichtige Einigungsschritte zu bereiten.

 

Weitere historische Wegmarken in der Entwicklung der Europäischen Union seit 1982 waren der Vertrag von Maastricht (1992) zur Gründung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Vertrag von Amsterdam (1997), der die Position des Europäischen Parlaments und des Kommissionspräsidenten stärkte. Wenige Monate vor dem Ende der Kanzlerschaft Kohls stimmte der Deutsche Bundestag am 23. April 1998 für die Einführung des Euro.

 

Deutsche Einheit und EU Osterweiterung

Kohls politische Grundprinzipien standen im Einklang und in der Tradition Konrad Adenauers, dies galt für seine Europa- wie für seine Deutschlandpolitik. Ebenfalls in seiner ersten Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 erinnerte er an den Auftrag des Grundgesetzes:

„Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir alle können die Einheit der Nation nicht erzwingen; aber für uns alle gilt die Präambel des Grundgesetzes: Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“

Als nach dem 9. November 1989 unerwartet die Möglichkeit der Wiedervereinigung denkbar wurde, ergriff er die Chance und erwirkte in Verhandlungen mit dem Generalsekretär der KPDSU, Michail Gorbatschow, dem amerikanischen Präsidenten Georg Bush und den Regierungschefs der europäischen Partnerländer deren Zustimmung. Am 12. September 1990 unterzeichneten die Außenminister der Sowjetunion, der USA, Frankreichs, Großbritanniens sowie der Bundesrepublik und der DDR den sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag und beendeten damit die Nachkriegsordnung in einem formal gültigen Rechtsakt. Mit dem Vertrag erhielt Deutschland die volle staatliche Souveränität zurück, einschließlich des Rechts der freien Bündniswahl – eine überragende diplomatische Leistung der Regierung Kohl. Das Fundament für diesen Erfolg war Kohls Renommee als verlässlicher Bündnispartner und überzeugter Europäer. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Herstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 vollzog sich auch der Beitritt des ehemaligen Staatsgebiets der DDR zu den Europäischen Gemeinschaften.

„Von Beginn meiner politischen Tätigkeit an war es immer mein Traum, dass die deutsche Einheit und die europäische Einigung einmal Wirklichkeit würden. Was mich also in diesen Tagen vor allem erfüllt -ungeachtet der Stürme der Tagespolitik -, ist ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass jetzt beides möglich ist, dass ich es erleben durfte und erleben darf, und dass ich ein Stück dazu beitragen kann. [...]“ (Helmut Kohl bei seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Coudenhove-Kalergi-Preises in Bonn am 29. April 1991).

Der Zerfall des Ostblocks und der Sowjetunion öffneten aber nicht nur neue Perspektiven für das wiedervereinigte Deutschland, sondern auch für die Staaten in Mittel- und Osteuropa, die nun eine Demokratisierung ihrer Gesellschaftsordnung betrieben. Kohls ausdrückliches Ziel war es, die Reformstaaten an die Europäische Gemeinschaft heranzuführen. 1992 sprach er von einer Beitrittsperspektive von zehn Jahren für die ČSFR, Polen und Ungarn. Am 17. Juni 1991 unterzeichnete er zusammen mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher sowie mit dem Ministerpräsidenten Polens, Jan Krzysztof Bielecki und dem polnischen Außenminister Krzysztof Skubiszewski den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag, der den Wunsch nach Frieden, Versöhnung und guter Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten zum Ausdruck brachte. Am 6. Februar 1992 folgte die Unterzeichnung des Vertrags über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn.

Bei seinem letzten Auslandsbesuch als Bundeskanzler wurde Kohl am 20. Oktober 1998 in Polen mit dem „Weißen Adler“, dem höchsten polnischen Orden, für seine Unterstützung Polens in der Frage des NATO- und des EU-Beitritts ausgezeichnet.

 

Ehrenbürger Europas

Kohls Auszeichnung als Ehrenbürger Europas stellte die nationenübergreifende Würdigung seines politischen Wirkens dar, das stets selbst von dem Ziel nach nationenübergreifendem Ausgleich geprägt war. Den Beschluss zu dieser Ehrung trafen die Staatschefs der EU bei einem informellen Gipfel im österreichischen Pörtschach am 25. Oktober 1998. Es war der erste EU Gipfel seit 15 Jahren ohne deutsche Beteiligung, denn der scheidende Kanzler hatte auf seine Beteiligung verzichtet und sein Nachfolger Gerhard Schröder war noch nicht offiziell im Amt, er durfte allerdings einige Stunden dabei sein. Für die Auszeichnung Kohls warb im Vorfeld des Gipfels der sozialdemokratische österreichische Bundeskanzler Viktor Klima und war dabei in den europäischen Hauptstädten überall auf Zustimmung gestoßen.

Die feierliche Verleihung des Titels fand dann bei einem Treffen des Europäischen Rats in Wien am 11./12. Dezember statt. Viktor Klima übergab Kohl im Festsaal der österreichischen Nationalbibliothek die Ehrenbürgerurkunde. Als Kohl vor 16 Jahren in Deutschland das Regierungsruder übernommen habe, erinnerte Klima, sei von Eurosklerose die Rede gewesen, seither sei es mit der Union stetig vorwärts gegangen. Kohl sei das Symbol des Aufschwungs der europäischen Integration in den letzten 15 Jahren. Diesen Worten dankte Kohl, „sichtlich bewegt“, wie die Presse berichtete. Sein besonderer Dank galt den europäischen Partnern für ihr Vertrauen in den Jahren 1989 und 1990, als diese sich trotz der "Erfahrungen mit der Nazi-Barbarei“ der deutschen Wiedervereinigung nicht entgegengestellt hatten.

 

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