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Peter Lorenz, Portrait. (Quelle: Slomifoto/KAS-ACDP) Peter Lorenz, Portrait. (Quelle: Slomifoto/KAS-ACDP) © (Quelle: Slomifoto/KAS-ACDP)

Peter Lorenz

Rechtsanwalt und Notar, Parlamentarischer Staatssekretär Dr. h.c. 22. Dezember 1922 Berlin 6. Dezember 1987 Berlin
von Christopher Beckmann
„Ich hatte Gottvertrauen, aber natürlich auch Angst.“ - Mit diesen Worten beschrieb Peter Lorenz seine Gefühle während der Entführung durch die „Bewegung 2. Juni“ im Jahre 1975. Der langjährige Vorsitzende der Berliner CDU war der erste deutsche Politiker, der von Terroristen entführt wurde. Vor allem aber war er ein christlicher Demokrat der ersten Stunde, der der Bundesrepublik und seiner Heimatstadt über vier Jahrzehnte hinweg gedient hat.

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Überlebender von Stalingrad und Mitgründer der Freien Universität Berlin

Der am 22. Dezember 1922 in Berlin geborene Peter Lorenz legte 1941 das Abitur ab und absolvierte anschließend den Reichsarbeitsdienst, bevor er als Soldat in den Zweiten Weltkrieg ziehen musste. Er kämpfte in der Sowjetunion und in Rumänien, wurde mehrfach ausgezeichnet, überlebte die Schlacht von Stalingrad und bekleidete zuletzt den Rang eines Leutnants. Kurz nach Kriegsende gelang ihm die Flucht aus einer sowjetischen Kriegsgefangenensammelstelle. Er tauchte kurzzeitig beim früheren Zentrumspolitiker, Widerstandskämpfer und Mitbegründer der CDU Andreas Hermes unter. Zunächst war er Sachbearbeiter beim Berliner Magistrat, dann bei der deutschen Verwaltung für Handel und Versorgung der Sowjetisch Besetzten Zone, arbeitete ab 1947 als freier Journalist und nahm ein Jurastudium an der Humboldt-Universität auf. Als diese immer stärker unter den Einfluss der kommunistischen Machthaber in Ost-Berlin geriet und Studenten und Dozenten, die sich gegen den Gleichschaltungsdruck wehrten, ausgeschaltet wurden, setzte Lorenz sich engagiert für die Gründung der Freien Universität ein. In dieser Zeit entstand die Freundschaft zum späteren Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (SPD), die trotz der politischen Gegnerschaft Bestand hatte. An der FU Berlin, wo er auch der erste Vorsitzende des Studentenparlaments wurde, setzte Lorenz ab 1948 sein Studium fort, das er 1952 mit dem Ersten und 1956 mit dem Zweiten juristischen Staatsexamen abschloss. Nach den Examina arbeitete er als Rechtsanwalt und Notar und war von 1967 bis 1977 Justitiar des Senders RIAS (Radio im amerikanischen Sektor).

 

Profilierter CDU-Politiker in der Frontstadt Berlin

Kurz nach Kriegsende 1945 in die Partei eingetreten, gehörte Peter Lorenz bereits 1946 dem Vorstand der Berliner CDU an. Von 1946 bis 1949 und dann noch einmal 1953 war er Vorsitzender der Jungen Union in Berlin und von 1950 bis 1953 Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands. Im Dezember 1953 kandidierte er auf dem Deutschlandtag der JU in Bad Honnef für das Amt des Bundesvorsitzenden, unterlag aber deutlich gegen den Amtsinhaber Ernst Majonica. Von 1961–1965 und 1967–1969 war er stellvertretender Vorsitzender der Berliner CDU und übernahm im April 1969 von Franz Amrehn das Amt des Landesvorsitzenden, das er bis 1981 behielt. Unter seiner Führung vollzog sich der Wandel der Berliner CDU von der Honoratioren- zur modernen Großstadt- und Regierungspartei. Mit Lorenz an der Spitze konnte sie ab den 1970er Jahren ihren Stimmenanteil bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus kontinuierlich auf über 40% steigern, während die SPD zeitgleich durch erodierende Wählermilieus und parteiinterne Differenzen stetig an Zuspruch verlor. 1975 wurde die Union mit 43,9% erstmals stärkste politische Kraft in Berlin. Gleichzeitig verdoppelte der Landesverband nahezu seine Mitgliederzahl auf 14.490. Dem Abgeordnetenhaus gehörte Peter Lorenz von 1954 bis 1980 an und amtiert von 1967 bis 1975 als dessen Vizepräsident. Da Toleranz und Fairness zu seinen hervorstechenden Charakterzügen zählten, galt er in der politischen Szene Berlins trotz aller Auseinandersetzungen als Mann ohne Feinde.

 

 

Entführung durch die Terrorgruppe „Bewegung 2. Juni“

Am 27. Februar 1975, drei Tage vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, bei der Peter Lorenz als Spitzenkandidat der CDU antrat, wurde sein Dienstwagen gerammt und der Fahrer niedergeschlagen. Er selbst wird nach heftiger Gegenwehr (die Frontscheibe des Wagens geht dabei zu Bruch) mittels einer Spritze betäubt und in einen Kellerraum in Berlin-Kreuzberg verschleppt, den seine Entführer in einer Mischung aus Zynismus und Hybris als „Volksgefängnis“ bezeichneten. Am nächsten Tag ging ein Foto an die Presse, das sich in das kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. Es zeigte einen sichtlich mitgenommenen Peter Lorenz mit einem Plakat mit der Aufschrift „Gefangener der Bewegung 2. Juni“. Durch die Namenswahl spielten die Terroristen auf die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg während der Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in Berlin am 2. Juni 1967 durch den Polizisten Karl-Heinz Kurras an. Mit dem Foto übermittelten die Entführer ihre Forderungen: Sechs Gesinnungsgenossen, darunter der heute für die NPD als rechtsextremistischer Agitator tätige Anwalt Horst Mahler, sollten binnen drei Tagen aus dem Gefängnis entlassen und ausgeflogen werden. Unmittelbar nach der Entführung wurden in Berlin und Bonn mehrere Krisenstäbe gebildet. In Bonn trat erstmals der sog. „Große Krisenstab“ unter Vorsitz von Bundeskanzler Helmut Schmidt und unter Einschluss führender Oppositionspolitiker zusammen, darunter der CDU-Vorsitzende und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl. Die Verantwortlichen sahen sich vor eine Grundsatzentscheidung gestellt: Darf der Staat sich erpressen lassen und den Forderungen von Verbrechern nachgeben, um Menschenleben zu retten, oder muss er seinen Anspruch auf die Ahndung von Straftaten auch dann durchsetzen, wenn damit das Leben eines Einzelnen gefährdet wird? Es war der ihm seit Studienzeiten freundschaftlich verbundene Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz (SPD), der die Marschroute vorgab, der Unversehrtheit von Lorenz seien alle anderen Erwägungen unterzuordnen. Schütz wurde in seiner Haltung von Kohl unterstützt, der seit gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union ebenfalls mit Lorenz befreundet war. Man entschloss sich, auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Ein Rechtsgutachten des Bundesministeriums der Justiz bestätigte die Vereinbarkeit eines Gefangenenaustauschs mit dem Grundgesetz. Am 3. März wurde live im Fernsehen übertragen, wie fünf der Inhaftierten – Horst Mahler hatte sich geweigert, den Flug ins Ungewisse anzutreten – in Begleitung des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Pfarrer Heinrich Albertz, eine Lufthansa-Maschine bestiegen. Sie landet nach über zehnstündigem Irrflug in Aden, der Hauptstadt des sozialistischen Südjemen. Albertz kehrte am nächsten Tag nach Berlin zurück und verlaß im Fernsehen eine Botschaft der Freigelassenen, in der die Worte „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ enthalten waren. Sie waren das Signal für die Entführer, Lorenz frei zu lassen. Kurz vor Mitternacht meldete er sich aus einer Telefonzelle bei seiner Frau.

Im Verlauf des folgenden Jahres wurden fünfzehn der Beteiligung an der Tat Verdächtige gefasst, fünf von ihnen wurden nach einem langwierigen Verfahren im Oktober 1980 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. In einer Pressekonferenz am Tag nach seiner Freilassung erklärte Lorenz, dass er von den Entführern „korrekt“ behandelt worden sei. Auf die Frage, was er von den Vorschlägen einiger Parteifreunde halte, angesichts der terroristischen Bedrohung die Todesstrafe wieder einzuführen, betonte er nachdrücklich, dass er derartige Bestrebungen auch in Zukunft bekämpfen werde. Als ihn ein Journalist fragte, ob er Todesangst gehabt habe, antwortete er: „Ich hatte Gottvertrauen, aber natürlich auch Angst.“ Es war das erste und einzige Mal, dass Peter Lorenz öffentlich über die sechs Tage sprach, die einen tiefen Einschnitt in seinem Leben bedeuteten.

Die Entlassung der Inhaftierten im Gegenzug für die Freilassung des Entführten war bis heute der einzige Fall, in dem die Bundesregierung den Forderungen von Terroristen nachgegeben hat, um ein Menschenleben zu retten. Dieses – menschlich nur allzu verständliche – Nachgeben war umstritten. So kritisierte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, man habe damit „die Entführung als Mittel des politischen Kampfes (...) legalisiert“. Auch wenn dieses Urteil sicherlich über das Ziel hinausschoss: Die an der Entscheidung beteiligten Politiker waren sich bald darüber im Klaren, dass die Freilassung der Inhaftierten ein Fehler war, der nicht wiederholt werden darf. „Der Staat war“, so Kohl in seinen Erinnerungen, „erpressbar geworden. Für mich und meine Freunde war das ebenso wie für unsere politischen Gegner ein unhaltbarer Zustand. Die Lehren aus der Lorenz-Entführung mussten schon bald gezogen werden. Ein zweites Mal durfte der Rechtsstaat nicht nachgeben.“ Insofern stellte das Geschehen einen Wendepunkt in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus dar: Es war das „zentrale Ereignis für die staatlichen Antworten auf den Terrorismus“ (Stephan Scheiper). Zudem veränderte „die Lorenz-Entführung das Sicherheitsgefüge der Bundesrepublik nachhaltig“, da nun das Bundeskriminalamt die schon zuvor geforderte „Zentralfunktion“ erhielt (Matthias Dahlke).

Nicht einmal zwei Monate später, am 24. April 1975, überfiel eine Gruppe von Terroristen die bundesdeutsche Botschaft in Stockholm und fordert die Freilassung von 26 Gesinnungsgenossen, darunter Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Als Reaktion auf die Weigerung aus Bonn, wo Regierung und Opposition entschlossen waren, sich nicht ein weiteres Mal erpressen zu lassen, wurden die Diplomaten Mirbach und Hillegaart von den Terroristen erschossen. Auch bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer im sog. „Deutschen Herbst“ 1977 verweigerte der Staat die Kooperation mit den Tätern, die ihr Opfer schließlich kaltblütig ermordeten.

 

Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler

Peter Lorenz und die CDU waren zwar die Sieger der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 2. März 1975, blieben jedoch in der Opposition, weil SPD und FDP ihre Koalition erneuerten. Da der Union aber als stärkster Fraktion nach parlamentarischem Brauch der Posten des Parlamentspräsidenten zustand, wurde Lorenz kurz nach seiner Entführung und Freilassung zum Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses gewählt. Er behielt dieses Amt bis 1980. Ihm gelang in dieser Zeit der ungewöhnliche und schwierige Spagat, zugleich Parteivorsitzender und über den Fraktionen stehender Parlamentspräsident zu sein. Obwohl er 1979 gerne noch einmal angetreten wäre, zumal die Chancen der CDU für die Regierungsübernahme nach dem Rücktritt von Bürgermeister Klaus Schütz gut standen, verzichtete Peter Lorenz aus Loyalität zu seiner Partei auf Bitten Helmut Kohls im September 1978 zugunsten Richard von Weizsäckers auf eine erneute Spitzenkandidatur in Berlin, blieb aber noch bis 1981 Landesvorsitzender der CDU. Nachdem er schon 1976/77 kurzzeitig dem Deutschen Bundestag angehört hatte, zog er 1980 erneut als Berliner Abgeordneter in das Bonner Parlament ein und war dort u. a. deutschlandpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Nach der Regierungsübernahme durch die christlich-liberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl holte dieser Lorenz als Parlamentarischen Staatssekretär und Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin ins Bundeskanzleramt. Nach der Bundestagswahl vom Januar 1987 schied er aus diesen Ämtern aus, wurde aber erneut als Vertreter Berlins in den Bundestag entsandt.

Peter Lorenz, der bis zu seiner Entführung als Mann „mit robuster Gesundheit und guten Nerven“ galt (Die Zeit vom 7.3.1975), hatte unter den Erfahrungen der Entführung und der Bedrohung des eigenen Lebens gelitten und war, wie langjährige Vertraute und Freunde berichteten, „nie ganz davon losgekommen“. Sein Fahrer Werner Sowa, der noch einige Jahre für ihn tätig war, erinnerte sich, man habe ständig in der Anspannung gelebt, „dass erneut etwas passiert“. Auch belastete Lorenz die Tatsache, dass er überlebt hatte, während sein Freund Hanns-Martin Schleyer nach wochenlangem Martyrium von seinen Entführern ermordet wurde. Nachdem er im November 1983 einen Herzinfarkt überstanden hatte, erlag Peter Lorenz am 6. Dezember 1987, kurz vor seinem 65. Geburtstag, einem Herzversagen. Er hinterließ seine Frau Maria Anna und die Söhne Christian und Andreas.

 

Lebenslauf

  • 22. Dezember 1922 geboren in Berlin, evangelisch
  • 1941 Abitur, danach Kriegsdienst
  • 1945 Mitglied der CDU, Tätigkeit im Magistrat von Berlin
  • 1946 Deutsche Verwaltung für Handel und Versorgung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)
  • 1946-1949, 1953 Landesvorsitzender der Jungen Union, Berlin
  • 1946 Vorstandsmitglied der CDU Berlin
  • 1947 freier Journalist
  • 1948 Mitgründer der Freien Universität Berlin, dort Jura-Studium
  • 1950-1963 stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union
  • 1951-1958 Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Union
  • 1954-1980 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses
  • 1958-1987 Mitglied des CDU-Landesvorstands Berlin
  • 1961-1965, 1967-1969 stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbands Berlin
  • 1967-1975 Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses
  • 1967-1977 Justiziar des Senders RIAS
  • 1975-1980 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses
  • 27.02.-03.03.1975 Entführung durch die Terroristengruppe „Bewegung 2. Juni“
  • 1969-1981 Vorsitzender des CDU-Landesverbands Berlin
  • 1980-1987 Mitglied des Deutschen Bundestags
  • 1982-1987 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin
  • 06.12.1987 gestorben in Berlin

Auszeichnungen und Ehrungen

  • 1977 Großes Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
  • 1980 Großes Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern
  • 1982 Ernst-Reuter-Plakette

 

Literatur

  • Eduard Ackermann: Politiker. Vom richtigen und vom falschen Handeln. Bergisch-Gladbach 1996.
  • Matthias Dahlke: „Nur eingeschränkte Krisenbereitschaft.“ Die staatliche Reaktion auf die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975. in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55(2007), S. 641–678.
  • Helmut Kohl: Erinnerungen 1930–1982. München 2004.
  • Klaus Weinhauer/Jörg Requate/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren. Frankfurt a. M. 2006.
  • Tobias Wunschik: Die Bewegung 2. Juni. In: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 1. Hamburg 2006, S. 531–561.

 

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