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Länderberichte

Die NATO und der Norden - Zwischen Partnerschaft und Mitgliedschaft

von Elisabeth Bauer, Kai Gläser, Mikko von Bremen, Maria Tilander

Eine aktuelle Bestandsaufnahme aus Finnland und Schweden

In sicherheitspolitisch unsicheren Zeiten gewinnt die Frage einer möglichen NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens neue Bedeutung. Während einige Experten einen solchen Schritt begrüßen würden, raten andere zur Vorsicht und verweisen unter anderem auf eine mögliche Reaktion Russlands. In den Ländern selbst wird die Debatte in Politik und Gesellschaft ebenfalls geführt und könnte ab Herbst dieses Jahres weiter an Brisanz gewinnen.

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Panzer im Schnee. | © Ministero Difesa / Flickr / CC BY-NC 2.0 © Ministero Difesa / Flickr / CC BY-NC 2.0
Panzer im Schnee. | © Ministero Difesa / Flickr / CC BY-NC 2.0

Die Diskussion über eine mögliche Erweiterung der nordatlantischen Verteidigungsallianz nach Norden ist nicht neu und erfreut sich dennoch immer wieder wachsender Beliebtheit. Im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn der Kämpfe in der Ostukraine im Jahr 2014 wurde sie wieder verstärkt geführt und sowohl in den Ländern selbst, als auch auf internationaler Ebene thematisiert. Beide Staaten verfolgen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell eine Politik der sicherheitspolitischen Neutralität, näherten sich der NATO jedoch bereits in den vergangenen Jahren im Rahmen einer enger werdenden Partnerschaft an .

Enge Koordination zwischen Brüssel, Helsinki und Stockholm

Bereits 1994 institutionalisierten beide Staaten ihre Partnerschaft mit der NATO im Rahmen der sogenannten Partnership for Peace (PFP). Sie nahmen in der Folge an NATO-geführten Manövern Teil oder waren an Auslandseinsätzen – etwa auf dem Balkan oder in Afghanistan – beteiligt. Weitere Schritte der Partnerschaft sollten folgen . Im Rahmen der Enhanced Opportunity Partnership, der Finnland und Schweden im Jahr 2014 beitraten, wurden weitere Schritte zur Vertiefung der Kooperation und des Dialoges zwischen den Partnern geschaffen. So unterzeichnete Finnland noch im selben Jahr das Host Nation Support Agreement, welches es der NATO gestattet, im Krisenfall das Territorium, den Luftraum und die Hoheitsgewässer Finnlands zu nutzen. Schweden ratifizierte dieses Abkommen im Jahr 2016. Trotz dieser Annäherungsschritte war eine Vollmitgliedschaft in der NATO in beiden Staaten bislang jedoch kaum eine Option.

Finnland: Weiterhin großer Skeptizismus in Gesellschaft und Politik

Trotz der jüngsten Veränderungen der außen- und sicherheitspolitischen Gesamtlage scheint sich in Finnland kein grundlegender Wandel in der Position zur NATO anzudeuten. Sowohl in der Bevölkerung, als auch bei einer Mehrheit der politischen Parteien stößt eine finnische Mitgliedschaft in der NATO auf breite Ablehnung. Zwar erreichte die Zustimmung zu einem solchen Schritt unmittelbar nach der Annexion der Krim und dem Ausbruch des Konfliktes in der Ostukraine einen neuen Höchstwert, die Zahlen für das Jahr 2017 zeigen jedoch wieder einen Rückgang der Unterstützung. Hatten sich 2014 noch 26 Prozent der Befragten für einen Beitritt ihres Landes zum Bündnis ausgesprochen, sanken die Zustimmungswerte bis Ende 2017 schrittweise auf 19 Prozent. 53 Prozent der Befragten sprachen sich gegen eine Mitgliedschaft aus und 28 Prozent zeigten sich laut der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Yle unentschieden . Im Mai 2018 sprachen sich 20 Prozent der Befragten für eine Mitgliedschaft aus, 50 Prozent der Befragten dagegen und 30 Prozent waren unentschlossen.

Politische Parteien lehnen NATO-Beitritt mehrheitlich ab

Neben der öffentlichen Ablehnung stehen auch fast alle politischen Parteien des Landes einer Mitgliedschaft kritisch gegenüber. Einzig und allein die Bürgerliche Sammlungspartei (Kokoomus) spricht sich in den vergangenen Monaten und Jahren zunehmend für einen NATO-Beitritt Finnlands aus, ohne diese Forderung jedoch im eigenen Parteiprogramm verankert zu haben. Zuletzt geschah dies beim Parteitag im Juni 2018 in Turku. Die positive Grundeinstellung der Regierungspartei deckt sich mit den Ansichten ihrer Mitglieder, welche sich laut einer aktuellen Umfrage mit rund 62 Prozent für einen solchen Schritt stark machen. Die Finnische Zentrumspartei (Suomen Keskusta), die rechtspopulistischen Wahren Finnen (Perussuomalaiset), die finnischen Sozialdemokraten (SDP), das Linke Bündnis (Vasemmistoliitto) sowie das Grüne Bündnis (Vihreäliitto) lehnen einen NATO-Beitritt ihres Landes ab und geben damit auch die Mehrheitsmeinung ihrer Wähler und Parteimitglieder wieder. Einige Parteien behalten sich jedoch vor, ihre Meinung bei veränderten öffentlichen Mehrheitsverhältnissen zu überdenken, so etwa die Zentrumspartei und das Grüne Bündnis.

Neben den politischen Parteien sprach sich auch der im Januar wiedergewählte Staatspräsident, Sauli Niinistö, am Wahlabend für eine Beibehaltung der bisherigen finnischen Position aus und betonte, dass sich diese nur ändern werde, wenn veränderte außenpolitische Umstände dies nötig machten .

Schweden: Bewegung in öffentlicher und politischer NATO-Debatte

Unterdessen scheint sich im Nachbarland Schweden sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf politischer Ebene ein möglicher Wandel mit Blick auf einen NATO-Beitritt des eigenen Landes anzukündigen. Während im Jahr 2012 über 40 Prozent der Befragten angaben, gegen einen Beitritt zu sein und weniger als 20 Prozent dieser Möglichkeit positiv gegenüberstanden, näherten sich die Werte in den darauffolgenden Jahren immer weiter an und kippten im Jahr 2014 erstmals in Richtung einer Mehrheit für einen Beitritt. In jüngsten Erhebungen schwedischer Meinungsforscher gaben 33 Prozent der Befragten an, eine Bewerbung für eine NATO-Vollmitgliedschaft sei eine gute Idee, 32 Prozent der Befragten stehen einem solchen Schritt weiterhin negativ gegenüber. 35 Prozent der Befragten sind in dieser Frage unentschieden . Neben den außenpolitisch brisanten Entwicklungen in der Ukraine trugen wohl auch innenpolitische Faktoren, etwa ein Statement des schwedischen Oberbefehlshabers, der 2013 eingestehen musste, dass die schwedischen Streitkräfte nur

ausgewählte Bereiche des Territoriums für etwa eine Woche verteidigen könnten, zu dieser Entwicklung bei.

NATO-Mitgliedschaft polarisiert schwedische Politik

Anders als in Finnland können die politischen Parteien in Schweden in ein Pro- und ein Contra-NATO-Lager aufgeteilt werden. Die Trennlinie folgt dabei der Aufteilung zwischen dem von den Sozialdemokraten geführten, linksgerichteten Lager und der bürgerlich-konservativen „Allianz für Schweden“, in der sich vier Parteien des konservativen Spektrums zusammengeschlossen haben. Während die amtierende Regierung aus Sozialdemokraten (Socialdemokraterna) und Grünen (Miljöpartiet de Gröna) die sicherheitspolitisch neutrale Position Schwedens beibehalten möchte und dabei auch von den weiteren Parteien des linken Spektrums unterstützt wird, steht die „Allianz für Schweden“ einem NATO-Beitritt deutlich aufgeschlossener gegenüber. So bekennen sich die konservative Partei (Moderaterna), die liberale Partei (Liberalerna), die Zentrumspartei (Centerpartiet) sowie die Christdemokraten (Kristdemokraterna) seit 2015 zum Ziel eines schwedischen Beitritts zur NATO, um die Sicherheit im Krisenfall zu verbessern. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna), welche keinem der beiden Blöcke zugeordnet werden können, lehnen eine NATO-Mitgliedschaft ab. Die unterschiedlichen Einstellungen zu diesem Thema könnten im kommenden Herbst zusätzlich an Bedeutung gewinnen, wenn in Schweden ein neues Parlament gewählt wird. Nach jüngsten Umfragen könnte es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der bisherigen Regierung und der „Allianz für Schweden“ kommen . Im Falle eines Regierungswechsels könnte die NATO-Debatte in Schweden neu geführt werden.

Mitgliedschaft als Bruch mit bisheriger sicherheitspolitischer Grundhaltung

In beiden Ländern führen die Gegner einer NATO-Mitgliedschaft die bisherige, auf Neutralität ausgerichtete, Haltung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen ins Feld und betonen, dass sich diese für beide Staaten etabliert und bewährt habe. Auch eine mögliche Verschlechterung des vor allem für Finnland wichtigen Verhältnisses zu Russland – beide Staaten teilen eine rund 1300 Kilometer lange Landgrenze – wird im Diskurs immer wieder aufgegriffen. In Schweden wird zudem befürchtet, dass eine Mitgliedschaft in der NATO das Auftreten als neutraler Konfliktlöser und Mediator auf internationaler Ebene erschweren könnte. Die Befürworter halten in beiden Ländern dagegen, dass nur eine Vollmitgliedschaft in der NATO den Sicherheitsinteressen der Länder ausreichend gerecht werde und viele der bereits getroffenen Partnerschaften im Konfliktfall keinen nennenswerten Vorteil erbrächten. Zudem sei man technologisch und ausrüstungstechnisch bereits vollständig auf dem Niveau vollwertiger Mitgliedstaaten.

Fazit

Die Frage über eine Vollmitgliedschaft Finnlands und Schwedens in der NATO ist nicht neu, könnte jedoch aufgrund der politischen Entwicklungen in Schweden im Herbst dieses Jahres neue Aktualität erlangen. Sollte die bürgerliche-konservative „Allianz für Schweden“ als Sieger aus den Parlamentswahlen am 09. September hervorgehen, könnte die insgesamt NATO-freundlichere Stimmung im Land genutzt werden, um einen Beitritt zur nordatlantischen Verteidigungsallianz vorzubereiten und durchzuführen. Spannend dürfte in einem solchen Szenario die Rolle Finnlands sein. Beide Länder betonten bisher einhellig, dass die Entscheidung über einen möglichen Beitritt zur NATO ausschließlich in enger Abstimmung mit dem jeweils anderen Land getroffen werden könne. Aufgrund der Tatsache, dass sich in Finnland weder politisch noch gesellschaftlich eine nennenswerte Veränderung der Zustimmungswerte andeutet, könnte dies zu einer Herausforderung werden. Auch wird die Frage entscheidend sein, ob sich beide Länder durch weitere Entwicklungen auf internationaler Ebene gezwungen sehen könnten, ihre bisherige sicherheitspolitisch neutrale Stellung zu überdenken. Sowohl für die beiden Länder selbst, als auch für die NATO würde ein Beitritt sowohl weitere Vorteile aber auch potenzielle Herausforderungen mit sich bringen. Die schwedischen Parlamentswahlen könnten in jedem Fall bereits einen ersten Hinweis auf mögliche zukünftige Entwicklungen geben.

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14. Dezember 2017
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