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Griechenland nach dem Referendum, vor einem entscheidenden Moment

von Jeroen Kohls
Im Nachgang des Referendums vom vergangenen Sonntag steht die griechische Regierung vor weiter reduzierten Verhandlungsoptionen, gesteigerten Erwartungen der eigenen Bevölkerung und einem klar umrissenen Zeitplan von Seiten der europäischen Partner.

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In gutem Glauben – in einigen Fällen aus Verdruss motiviert – an die innenpolitischen Botschaften ihrer Regierung haben die Griechen mit einem starken Mandat den Kurs der SYRIZA-ANEL-Koalition am vergangenen Sonntag gestützt. Während davon auszugehen ist, dass die „Ja“-Wähler mehrheitlich wussten, wofür sie stimmten, haben die „Nein“-Wähler sich mit über 60 Prozent für das „Ende des Spardiktats“ ausgesprochen. Sie sind, wie Umfragen zeigen, in der Mehrzahl nicht davon ausgegangen, dass sich das Ergebnis des Referendums negativ auf die Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone auswirken könnte.

Ernüchterung

Je länger das Referendum zurückliegt, desto mehr wächst die Ernüchterung nach der Euphorie: Inzwischen wurde weder – wie zuvor angekündigt – binnen 48 Stunden nach der Abstimmung eine Einigung mit den Gläubigern erzielt, noch haben die Banken wieder geöffnet; sie werden dies auch mindestens bis kommenden Montag nicht tun. Stattdessen zeichnen sich über den am Mittwoch eingegangenen Antrag für ein drittes griechisches Kreditprogramm über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM deutlich härtere Reformauflagen für das Land ab, als man noch vor zwei Wochen bereit war einzugehen; diese Ablehnung war der Auslöser für das Referendum. Die Abstimmung sollte über ein klares „Oxi“ das Verhandlungsmandat der griechischen Regierung stärken. Heute, am Tag der Frist für die Einreichung substanzieller Reformvorschläge von griechischer Seite in Brüssel, ist nicht zu erkennen, wo diese Strategie verfangen haben mag. Das hütet die Regierung gleichwohl nicht davor, der eigenen Bevölkerung abermals zu vermitteln, man sei kurz vor einer Einigung: da es sich um eine politische Lösung handle, sei diese auf kurzem Wege erreichbar. In dieser Logik knüpfte auch der neu berufene Finanzminister Euklid Tsakalotos an die Vorgehensweise seines Vorgängers an, am Dienstag ohne substantiierte Vorschläge zum Eurogruppentreffen nach Brüssel zu reisen.

Demoskopische und mediale Krise

Erneut haben sich die griechischen Umfrage-Institute im Vorfeld des Referendums mit ziemlich falschen Prognosen hervorgetan. Auch unter Berücksichtigung geringer Erfahrung mit der Wählerbefragung vor Volksabstimmungen und vermuteten, abweichenden Angaben der Befragten von ihrem tatsächlichen Wahlverhalten (neben der Politik- ist auch eine deutliche Demoskopieverdrossenheit im Land festzustellen) wirft dies Fragen auf: Fragen der politischen Einflussnahme auf Umfrageergebnisse sowie deren Veröffentlichung.

Dieselbe Einflussnahme beeinträchtigt die Medienlandschaft Griechenlands – vor dem Referendum wie danach: Nun müssen sich SYRIZA-kritische Journalisten voraussichtlich vor dem Staatsanwalt verantworten, nachdem der staatliche Rundfunk- und Fernsehrat sowie der von SYRIZA kontrollierte Disziplinarrat der Vereinigung der Journalisten Athener Tageszeitungen eine Untersuchung angestrengt haben. Den Journalisten wird vorgeworfen, gegen gesetzliche und berufsethische Vorgaben verstoßen zu haben, die eine zeitlich ausgewogene Darstellung der verschiedenen Argumente verlangen.

Insbesondere die einzelnen Fernsehkanäle ließen sich im Wahlkampf vor dem Referendum durchaus klar bestimmten Positionen zuordnen. Das hat in einem Land, in dem Parteivorsitzende eigene Fernsehkanäle besitzen, allerdings schlechte Tradition über die letzten Jahrzehnte hinweg. Ausgenommen von der staatsanwaltlichen Prüfung ist der öffentliche Rundfunksender ERT mit seiner klaren Positionierung für das „Oxi“ ebenso wie die SYRIZA-eigene Zeitung und Radiostation. In den sozialen Netzwerken müssen sich derweil regierungskritische Analysten als Germanotsoliades (auf Griechisch Synonym für Kollaborateure der Nazis) beschimpfen lassen.

Innerparteiliche Probleme bleiben

Neben der bereits großen Herausforderung einer Einigungsfindung mit den europäischen Partnern wird nach einem möglichen Kompromiss am Sonntag eine weitere, hohe Hürde auf den griechischen Ministerpräsidenten bei Rückkehr nach Athen warten: die Zustimmung seiner Regierungskoalition und seiner eigenen SYRIZA-Fraktion im Besonderen. Es war Finanzminister Tsakalotos selbst, der noch vor dem Referendum – zum Erstaunen mancher – in aller Öffentlichkeit eingeräumt hatte, dass man das Referendum einberufen musste, da man den letzten Vorschlag aus Brüssel nicht durch die eigene Fraktion im Parlament hätte bringen können. Auch hier ist schwer zu erkennen, wie sich seit dem Referendum die Situation für die Regierung Tsipras verbessert haben könnte.

Schon nach dem letzten Vorschlag, der den Institutionen von griechischer Seite vor dem Abbruch der Verhandlungen unterbreitet worden war, hatte es koalitionsintern Widerstand gegeben: der kleine Koalitionspartner ANEL hatte jegliche Kürzungen im Bereich der Militärausgaben ebenso abgelehnt wie die Erhöhung von Mehrwertsteuersätzen auf den begünstigten Ägäis-Inseln – wo traditionell ein wichtiger Teil der ANEL-Klientel lebt. Und die linke Plattform der SYRIZA hatte einfach den gesamten Vorschlag abschlägig beschieden.

Noch am Montag hatte die Regierung in einem siebenstündigen Treffen mit den Vorsitzenden aller demokratischen Parteien im Parlament beim Staatspräsidenten eine gemeinsame Linie ausgearbeitet. Man einigte sich darauf, die Regierung in ihrer Suche nach einem Kompromiss zu unterstützen, um die Eurozonenmitgliedschaft des Landes zu sichern. Doch nach den ergebnislosen Sitzungen von Eurogruppe und Euro-Gipfel am Dienstag in Brüssel sowie dem Auftritt von Alexis Tsipras im Europäischen Parlament am Mittwoch scheint dieser Konsens zu bröckeln. Evangelos Meimarakis, Interims-Vorsitzender der ND nach dem Rücktritt von Antonis Samaras noch am Sonntagabend, fand erneut sehr kritische Worte über Alexis Tsipras und dessen Vertrauenswürdigkeit. Auch die PASOK-Vorsitzende Fofi Genimata äußerte sich besorgt über die nach ihrer Ansicht gefährliche Verhandlungsstrategie der Regierung.

Die politische Situation in Griechenland hat auch viel mit dem aktuellen Zustand der Opposition zu tun: ND und PASOK stehen vor wichtigen personellen und inhaltlich-strategischen Neuausrichtungen, nachdem sowohl die Wahl von Januar als auch das Ergebnis des Referendums beide Parteien extrem geschwächt haben. Die jüngste Parteigründung To Potami bleibt weiterhin in Inhalten und Strategie zu wenig greifbar. Die kommunistische KKE ergeht sich in wenig konstruktiver Fundamentalopposition – und bleibt damit lediglich ihrer Linie treu.

Neue Stufe des Krisenalltags

Das seit sechs Jahren in der Krise befindliche Griechenland hat seit zehn Tagen nun einen neuen „Alltagsmodus“ entwickelt – in dem es zum Stadtbild in Athen gehört, dass an jedem Geldautomaten eine Schlange von geduldig wartenden Bankkunden ihrer täglichen Barabhebung von 60 Euro (faktisch oft nur 50 Euro aufgrund fehlender Scheine) harrt. Solange die Geldautomaten noch Scheine ausgeben, geschieht dies in geordneten Verhältnissen. Da unklar ist, wie lange die Liquidität der Banken diese Woche noch reichen wird, ist ebenso schwer abzuschätzen, wie lange die oberflächliche Ruhe andauern wird. Unter dieser Oberfläche müssen sich ganze Familien mit den geringen Mitteln arrangieren – was zunächst noch zu gelingen scheint, da Erspartes bereits zuvor in bar zu Hause vorgehalten wurde. Aber die Situation spitzt sich für immer mehr Menschen sozial weiter zu.

Die Bankenschließung wirkt sich bereits negativ auf den ohnehin geschwächten Arbeitsmarkt aus, Arbeitnehmer werden in den Zwangsurlaub geschickt – unter Berufung auf „höhere Gewalt“. Noch weiter steigende Arbeitslosenzahlen sind absehbar, sollte die Situation länger anhalten. Auch die Versorgung mit Produkten aus griechischer Fertigung ist betroffen: Griechische Lebensmittel erreichen den Markt wegen fehlender Verpackungsmaterialien aus dem Ausland nicht mehr und auch das Transportgewerbe ist von den Kapitalverkehrsbeschränkungen betroffen. Kreditkartenzahlungen werden aus Unsicherheit über die Vollendung des Geldtransfers teilweise bereits abgelehnt.

Das fehlende Sicherheitsnetz einer staatlichen Sozialhilfe belastet in der Folge die nun weiter unter Druck geratenen Familien. Hier insbesondere die Rentner, die (auch in Ermangelung von Geldkarten) auf die monatliche Barabhebung ihrer Rente am Bankschalter angewiesen waren, um oftmals ganze Familien zu unterstützen – von arbeitslosen Kindern bis zu studierenden Enkeln. Mit den für viele Rentner sehr begrenzt verfügbaren Barmitteln ist dieses für den griechischen sozialen Zusammenhalt besonders wichtige Element gefährdet. Und bezeugt ein Versagen an anderer Stelle: die ordnungspolitische Fehlsteuerung von sozialer Mindestsicherung, aufgrund derer Rentenkürzungen schlussendlich politisch kaum durchsetzbar werden – da die Renten etwas leisten müssen, wofür sie eigentlich nicht geschaffen sind, und zugleich in ihrer teilweise immer noch unverständlich großzügigen Ausstattung faktisch unreformierbar werden.

Durch die neuerliche Situation verschärft sind darüber hinaus Probleme, mit denen Griechenland bereits vor der Zuspitzung sehr zu kämpfen hatte: die Aufnahme und Versorgung der in immer größeren Zahlen auf den Inseln ankommenden, irregulären Migranten hat sich weiter verschlechtert. Und die generelle wirtschaftliche Misere setzt sich nun in Anbetracht des blockierten Bargeld- und Bankenverkehrs fort: zu importierende Konsumgüter, Rohstoffe und Vorprodukte für die griechische Industrie können nicht bezahlt werden, Waren aus dem Ausland werden von Lieferanten im Gegenzug zurückgefordert. Auch Medikamentenlieferungen sind beschränkt auf die Menge, die Apotheken in bar im Vorfeld zahlen können – was unweigerlich zu Engpässen führt.

Ausblick

Die seit elf Tagen geschlossenen Banken bringen die griechische Bevölkerung, in Kombination mit den Kapitalverkehrskontrollen, in eine sehr schwierige Situation. Es ist schwer abzuschätzen, wie sich eine mögliche Senkung der an den Geldautomaten verfügbaren Bargeldmenge, wie derzeit für möglich gehalten, auswirken würde. Auch die Option eines Bail-In griechischer Bankguthaben wird befürchtet. Ebenso schwer ist vorherzusehen, wie die Bevölkerung die Ankündigung weiterer, verschärfter Spar- und Reformmaßnahmen im Falle einer Einigung am Sonntag aufnehmen würde. Die Erwartungen sind nach dem Referendum ganz anders gelagert.

Noch am Donnerstag machte Energieminister Lafazanis (SYRIZA) klar, dass man kein neuerliches „Memorandum of Understanding“ als Vereinbarung mit den Kreditgebern unterschreiben werde. Es ist nicht erkennbar, wie Alexis Tsipras – sollte die Einigung am Sonntag in Brüssel gelingen – die völlig disparaten Erwartungen daheim wird in Einklang bringen können.

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