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Reuters / Lisi Niesner

Länderberichte

Sebastian Kurz hat die Wahl

von Claudia Crawford

Wahlbericht zu den Nationalratswahlen 2019

Die vorgezogene Wahl zum Nationalrat am 29. September 2019 in Österreich hat zwei Sieger: die Volkspartei mit Sebastian Kurz an der Spitze und die Grünen mit Werner Kogler. Die Verlierer stehen ebenfalls fest: die SPÖ mit Pamela Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin und vor allem die FPÖ mit Norbert Hofer. Die Neos mit Beate Meinl-Reisinger konnten zulegen, sind aber die einzige Partei, die für eine neue Regierung nicht mehrheitsentscheidend sein wird. Der designierte Bundeskanzler Sebastian Kurz hat nun zwischen SPÖ, FPÖ oder Grüne zu entscheiden.

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Noch steht das amtliche Endergebnis nicht fest, die Briefwahlstimmen (Wahlkarten) werden noch ausgezählt. Aber sie beeinflussen die Ergebnisse des Wahlabends nur unwesentlich. Für die Volkspartei werden unter Einbeziehung der Briefwahlergebnisse 37,5 Prozent geschätzt – ein fulminanter Wahlsieg, der in dieser Höhe nicht erwartet wurde. Zweitplatzierte Partei ist die SPÖ mit mageren 21,8 Prozent – das schlechteste Ergebnis für die SPÖ bei einer Nationalratswahl. Noch herber ist die Niederlage für die FPÖ, die mit geschätzten 16,2 Prozent etwa 10 Prozent von ihrem Ergebnis bei den Wahlen 2017 einbüßt. Die Grünen erreichen wiederum ein sensationelles Ergebnis: Mit 13,8 Prozent sind sie nicht nur in den Nationalrat zurückgekehrt, sie haben überdies das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Die Neos konnten mit 8,1 Prozent Zugewinne verbuchen. Nach diesen Zahlen steht der künftige Bundeskanzler Österreichs fest, niemand kommt an Sebastian Kurz vorbei. Der alte ist auch der neue Bundeskanzler. Er kann es sich aussuchen, ob er mit der SPÖ, der FPÖ oder den Grünen regiert. Man könnte meinen, besser geht es für Kurz nicht, er wird jetzt keine Schwierigkeiten haben, eine neue Regierung zu präsentieren. So einfach ist es dann aber doch nicht.

Stabil aber unbeliebt – ein Bündnis mit der SPÖ

Die größte Regierungsmehrheit bekäme die Volkspartei bei einem Zusammengehen mit der SPÖ. Selbst inhaltlich gibt es eine Reihe von Überschneidungen, liegen die Extreme in den Auffassungen nicht so weit auseinander. Zudem hat man viel Erfahrungen im gemeinsamen Regieren. Und genau da fangen die Probleme an. Kaum jemand hat die Jahre der großen Koalitionen in guter Erinnerung. Ständig gab es Streit und Auseinandersetzungen. Was noch schwerer wiegt, die Politik war wie gelähmt, man konnte sich kaum noch auf gemeinsame Projekte verständigen. Vor allem diese Lähmung war der Grund für Kurz, nach der Nationalratswahl 2017 eine Koalition mit den Blauen, der FPÖ, einzugehen. Ihm war ein neuer Politikstil wichtig und er wollte, dass es im Land endlich wieder vorangeht.

Wiederholungsgefahr – eine Koalition mit der FPÖ

Das Experiment Türkis-Blau, also Volkspartei und FPÖ in einer Koalition, ist nach zwei Jahren gescheitert. Probleme gab es allerdings durchgängig. Nicht mit dem eigentlichen Regieren. Im Gegenteil, einiges vom Programm wurde schnell in Angriff genommen und umgesetzt. Der versprochene neue Politikstil wurde gepflegt. Und so genoss die Regierung ein gutes Ansehen bei den Wählern. Das konnte nur nicht übersehen machen, dass die FPÖ eine problematische Nähe zu rechtsextremen und identitären Kreisen pflegt, dass es immer wieder antisemitische Zwischenfälle gab und unakzeptable Verbalangriffe auf Migranten. Die Pflege enger Beziehungen zur russischen Elite gab Anlass zu manchen Spekulationen. Dass alle sicherheitsrelevanten Ministerien in den Händen der FPÖ lagen, brachte zudem Misstrauen bei den Partnern im Ausland ein. Und schließlich brachte der Skandal um das Ibiza-Video das Fass zum Überlaufen. Der Spesenskandal des früheren Parteichefs Strache kam da wie ein Nachschlag und dürfte der FPÖ auf den letzten Metern vor der Wahl noch einige Stimmen gekostet haben. Wer kann ausschließen, dass das schon alles ist? Wie hoch ist das Risiko, dass sich solche Vorgänge bei einer erneuten Koalition wiederholen? Inhaltlich würden sich die beiden Parteien vielleicht am schnellsten einig werden. Aber selbst der jetzige Parteivorsitzende Hofer stellte fest, dass die FPÖ vom Wähler anscheinend keinen Regierungsauftrag erhalten hat.

Unbekannt und unberechenbar – ein Zusammengehen mit den Grünen

Es ist also verständlich, dass nun schnell der Schluss gezogen wird, mit den Grünen wäre es doch gut machbar. Es gäbe die richtige Mischung aus Beständigkeit und Neuem, Wirtschaftsorientierung und Ökologie, Augen für die ländlichen Regionen wie für die urbanen – die Chance, die Gesellschaft zu integrieren, zu modernisieren und doch das Traditionelle zu wahren und gemeinsame Identität zu stiften. Im Idealfall könnte es so sein. In der Regel macht es einem die Realität deutlich schwerer. Sowohl innerhalb der Volkspartei, aber vielleicht noch viel mehr innerhalb der Grünen gibt es erhebliche Vorbehalte gegenüber der jeweils anderen Partei. So viele Jahre steht man sich ideologisch gegenüber, diente der jeweils andere als Schrecken, gab es keine Bemühungen, Gemeinsamkeiten zu entdecken – war man sich nicht grün. Die bodenständigen Schwarzen konnten genauso wenig mit den linken ausgeflippten Grünen etwas anfangen, wie die urbanen, sich zu den Intellektuellen zählenden Grünen mit dem flachen Land. Diese Gräben müssten überwunden werden. Ebenso bedürfte es einer erheblichen Kompromissbereitschaft bei den inhaltlichen Fragen, angefangen von der Steuer- über die Wirtschaftspolitik, Landwirtschaft und Ökologie bis hin zu den Migrationsfragen. Leicht würde das also nicht. Immerhin: Die alten Strukturen haben an Starre verloren. Längst gibt es die urbanen Kurz-Anhänger wie es die bodenständigen Grünen auf dem Land gibt. Und auf Landesebene kann man bereits auf gemeinsame Regierungserfahrungen zurückblicken. Auch das könnte helfen. Eine Garantie fürs Gelingen ist das aber natürlich nicht.

Im Zweifel allein?

Es gäbe noch eine Notlösung: eine Minderheitsregierung. Stabil wäre diese allerdings am allerwenigsten und von daher wohl wirklich nur eine Notlösung. Die nächsten Wochen werden also spannend und die Regierungsbildung dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen.
 


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