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Reportajes internacionales

100 Tage Regierung Santos

de Prof. Dr. Stefan Jost
Die Bilanz der ersten 100 Tage der Regierung Santos ist überwiegend äußerst positiv beurteilt worden. Santos hat seit seinem Amtsantritt Zustimmungswerte von teilweise über 80 Prozent. Selbst bisherige offene Gegner oder Skeptiker sind überrascht und signalisieren Zustimmung. In der Essenz ist diese Zustimmung eine Verlängerung des im Wahlergebnis vom Juni 2010 zum Ausdruck gekommenen Vertrauensvorschusses. Im nächsten Jahr werden konkrete Ergebnisse die Grundlage einer Bewertung bilden.

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Dieser fulminante Start der Regierung Santos ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen.

Wahlversprechen ernst genommen

Santos hat unmittelbar nach Amtsübernahme unter Beweis gestellt, dass er seine im Wahlkampf gemachten Ankündigungen ernst nimmt und umsetzen will. Dies gilt für das Angebot an die Parteien, der Regierungskoalition der „Unidad Nacional“ (Nationale Einheit) beizutreten, aber auch für die in Rekordtempo vorgelegten Gesetzesvorhaben zu zentralen Politikbereichen.

Hinzu kommt, dass Santos ein Kabinett gebildet hat, mit dem zwar nicht unbedingt alle Parteien gleichermaßen zufrieden sind, das jedoch in den zentralen Positionen mit ausgewiesenen Fachleuten besetzt ist, die trotz ihres jeweiligen parteipolitischen Hintergrunds weder als „politiqueros“ noch als schlichte Manövriermasse der jeweiligen Parteien gelten.

Politischer Stil und Atmosphäre

Die Endphase der achtjährigen Regierungsperiode von Staatspräsident Uribe war gekennzeichnet durch eine starke Polarisierung weniger in der Bevölkerung als in der politischen Klasse und zwischen einigen Institutionen, allen voran der „choque de trenes“ (gemeint ist damit die Aufeinandersetzung zwischen verschiedenen Staatsgewalten) zwischen der Exekutive und Teilen der Judikative. Santos hat hier rasch und erfolgreich eine atmosphärische Entspannung erreicht.

Dennoch wird am Beispiel der trotz eines kompletten Austausches der Vorschlagsliste durch Santos noch immer nicht erfolgten Wahl des Generalstaatsanwaltes durch den Obersten Gerichtshof deutlich, dass es nicht nur Probleme zwischen Uribe und dem Obersten Gerichtshof gab, sondern dass auch justizinterne Interessenkonflikte Entscheidungen verhindern.

Da Santos, zweites Beispiel, bereit war, die nach ersten Debatten umstrittene Justizreform auf Anfang nächsten Jahres zu vertagen, machte er deutlich, dass er Wert auf weitgehenden Konsens legt.

Reformstimmung

Die Kombination zwischen Personalentscheidungen, den thematischen Schwerpunkt- und Prioritätensetzungen der Regierung Santos, dem dialogbereiten Stil, aber auch der erkennbaren Entschlossenheit, trotz Konsensorientierung dieses Programm durchzusetzen haben zu einem Eindruck der „aire reformista“ (Reformluft) geführt, der die Grundlage des in den Umfragen zum Ausdruck kommenden Optimismus bildet.

Inhaltliche Schwerpunkte

Santos hat zentrale, teilweise seit Jahrzehnten ungelöste Problembereiche auf die politische Agenda gesetzt.

Zu nennen sind vor allem:

  • das „Ley de Tierras“, mit dem die Rückgabe des Landes an die von gewaltsam vertriebene Bevölkerung erfolgen soll, in Rede stehen rund 2 Mio. ha;
  • das mit diesem „Ley de Tierras“ im Zusammenhang stehende Konzept einer Neuorientierung der Agrarpolitik;
  • das „Ley de Víctimas“ (Opfergesetz), mit dem Anerkennung und Entschädigung von Opfern illegaler Gewaltmassnahmen, auch sofern von staatlichen Organen begangen, erstmals in Kolumbien geregelt werden soll;
  • das „Ley de Regalías“, das eine grundsätzliche Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen den 32 Departments beabsichtigt;
  • „Ley del primer empleo“, das die Schaffung von Arbeitsplätzen zum Ziel hat.

Hinzu kommen neben der auf den Weg gebrachten Schaffung eines eigenständigen Justiz – und Umweltministeriums auch ambitiöse Programme bspw. im Bereich des Wohnungsbaus oder der Bildungspolitik.

Politik der „Seguridad Democrática“

Santos bezieht sich, dieser Ansatz zeichnete sich bereits im Präsidentschaftswahlkampf ab, in seinen Reden und Statements relativ selten auf die Politik der „demokratischen Sicherheit“, das Markenzeichen der Regierung Uribe. Daraus zu folgern, dass er sich von dieser Politik, die er als Verteidigungsminister von Uribe über Jahre selbst umgesetzt hat, abzusetzen gedenkt, wäre ein großer Irrtum. Die Erfolge, die in den ersten Monaten unter Santos gegen die Guerilla erzielt wurden, sind beachtlich. Vor allem der Tod des obersten militärischen Führers der FARC, „Mono Jojoy“ sowie weiterer Anführer verschiedener militärischer „frentes“ sind Ergebnisse mit Langzeitwirkungen.

Santos hat in seiner Antrittsrede die Tür für Verhandlungen nicht geschlossen, allerdings durch eine Gesetzesänderung klargemacht, dass es künftig keine staatsfreien Gebiete wie die Caguán-Zone unter der Regierung Pastrana geben werde.

Seitens der Regierung besteht , wie bereits unter Uribe, Verhandlungsbereitschaft. Allerdings müssen hierfür bestimmte Bedingungen wie bspw. das Ende der Entführungen, die Freilassung der teilweise seit 18 Jahren im Dschungel festgehaltenen Personen und das Ende des Drogenhandels seitens der Guerilla erfüllt werden.

Die Attacken der Guerilla mit zahlreichen Toten deuten aktuell aber nicht darauf hin, dass dies für sie eine kurzfristige Option sein könnte.

Außenpolitik

Zu nennen ist schließlich die Außenpolitik. Hier ist es, allerdings bereits unter Uribe eingeleitet, zu einer deutlichen Verbesserung der Beziehungen zu Ecuador gekommen, die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen bis Ende dieses Jahres ist realistisch. Die Beziehungen zu Venezuela sind im Tonfall moderater geworden und um Lösung der konkreten Fragen bemüht.

Angesichts der im Kongress erforderlichen Beratungsdurchgänge wird 2010 kein Gesetz endgültig den Kongress passieren. Die ersten Beratungen zeigen jedoch, dass trotz so mancher Kritik an Einzelaspekten kein eingebrachtes Gesetz auf unüberwindbare Hindernisse stoßen wird.

Auf der anderen Seite fehlt es nicht an Skeptikern und von der Santos-Linie Enttäuschten, vor allem im konservativen Spektrum. Auch wenn das Ende des honeymoons der „Unidad Nacional“ nicht zu früh ausgerufen werden sollte, dürfen die bislang überwiegend positiven Faktoren nicht überlagern, dass es auch erkennbare Sollbruchstellen gibt, die mittelfristig zu einem anderen Regierungskontext führen können.

Einige der wesentlichen Faktoren sollen kurz skizziert werden:

Heterogenität der „Unidad Nacional“

Die „Unidad Nacional“ ist eine sehr heterogene Koalition. Die beiden grössten Parteien sind die Präsidentenpartei „de la U“ und die Konservative Partei (PCC). Mit deutlichem Abstand folgt der historische Rivale der PCC, die liberale Partei (PL) , und der aus der PL entstandene Cambio Radical (CR). Die Schwierigkeiten zwischen PL auf der einen und der PCC und der „la U“ auf der anderen sind unübersehbar.

Es wird eifersüchtig darüber gewacht, welche Meriten Santos öffentlich verteilt, welche Partei sich welche politischen Vaterschaftsrechte an welchen Gesetzesprojekten auf die Fahnen schreiben darf. Gegenseitige Vorwürfe, bestimmte Vorhaben des jeweils anderen zu blockieren, gehören zum Geschäft.

Erkennbar sind auch inhaltliche Unterschiede beispielsweise mit Blick auf das Ley de Tierras, das Ley de Víctimas und die Neuordnung des Finanzausgleichs, obwohl diese bislang nicht zu den Zusammenhalt der Koalition gefährdenden Konflikten geführt haben. Da die „Unidad Nacional“ über eine breite Mehrheit im Kongress verfügt, können Abweichler aus den verschiedenen Koalitionsparteien geduldet werden.

Hinzu kommt natürlich, dass in einer Vierer-Koalition der zu verteilende Anteil an Posten (cuota burocrática) deutlich geringer ist als in der vorangegangenen Zwei-Parteien-Koalition unter Uribe.

Koalitionspräsidentialismus der „Unidad Nacional“

Die Fülle von grundlegenden Gesetzesprojekten stellt den Kongress vor erhebliche Schwierigkeiten. Die verfahrensmäßig erforderliche Priorisierung der Projekte im Kontext von politischer Eifersucht einerseits und der wünschbaren Parallelität andererseits bedarf einer operationablen und effizienten politischen Entscheidungsstruktur.

Diese ist in der „Unidad Nacional“ signifikant vertikal und exekutivdominiert ausgestaltet. Der engste Kreis besteht aus dem Staatspräsidenten und seinem Vize, den Parteivorsitzenden und den Präsidenten von Senat und Abgeordnetenkammer. Aus diesem Gremium heraus werden, zum zunehmenden Unmut der Parlamentarier, die Direktiven zur Umsetzung der Politiken der „Unidad Nacional“ an die Fraktionen verkündet und Gefolgschaft erwartet.

Das weitere Funktionieren dieser Entscheidungsstrukturen hängt von vielfältigen Faktoren ab, deren Entwicklung abgewartet werden muss.

Zurück zu den Quellen?

Im Gegensatz zu seinem ebenfalls dem liberalen Lager entstammenden Vorgänger Uribe bezieht sich Santos erkennbar häufiger auf seine liberale Herkunft.

Auch wenn dies oberflächlich aktuell allenfalls als Seismograph dafür genommen wird, inwieweit Santos der PL oder dem CR Bewegungsspielraum und Anerkennung innerhalb der „Unidad Nacional“ einräumt, was bereits zu Verstimmungen zwischen den Koalitionspartnern geführt hat, so sollte eine andere, tiefer gehende Lesart dieses politischen Bekenntnisses nicht aus dem Blick geraten.

Santos gilt als Stratege. Hinter der „Unidad Nacional“ dürfte ein langfristigeres Konzept als das einer puren umfassenden Regierungskoalition stehen. Denkbar ist vielmehr, dass die „Unidad Nacional“ den Kontext dafür schaffen soll, unter dem Dach einer primär zeitlich begrenzten Regierungskoalition eine Annäherung bzw. Wiedervereinigung der parteiorganisatorisch getrennten Kräfte des kolumbianischen Liberalismus zu erreichen und damit mittelfristig den Weg zu einem im Kern von zwei großen Parteiformationen geprägten Parteiensystem zurückzukehren.

Die faktische Einheit der Kongressfraktionen von CR und PL sind durchaus als Versuch oder Vorstufe einer weitergehenderen Einigung des liberalen Lagers zu deuten.

Der weitere Schritt könnte in einer für die Kommunal- und Regionalwahlen 2011 erwarteten Vorwahlkoalition zwischen dem CR und der PL bestehen.

Die größte Gefahr besteht in einer solchen Strategie für die Präsidentenpartei „de la U“. Auch wenn erwartet wird, dass deren Mehrheit sich in einer solchen Konstellation für ein Zusammengehen mit den Liberalen entscheiden würde, würde die Partei auseinanderbrechen und ein aktuell schwer einzuschätzender Teil sich der Konservativen Partei anschließen.

Eine angestrebte Rückkehr zum traditionellen „bipartidismo“ dürfte das kolumbianische Parteiensystem vor schwierige Herausforderungen stellen.

Santos vs Uribe?

Nicht zuletzt in diesen Kontext ist die immer wieder thematisierte Frage einzuordnen, inwieweit Santos als der politische Nachfolger von Uribe bezeichnet werden kann, oder ob er das Erbe von Uribe verrät und wann es zum „showdown“ zwischen den Beiden kommt.

Diese Diskussion wird teilweise künstlich hochgefahren und politisch instrumentalisiert. Santos ist weder der Klon von Uribe noch wirft er dessen Politik völlig über Bord.

Santos wird kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit Uribe nachgesagt.

Das Problem der Santos-Perzeption in den politischen Parteien dürfte auch darin liegen, dass in den Parteien in den vergangenen Jahren selbst so gut wie keine Diskussionen darüber stattgefunden haben, wie denn auf der Grundlage der durch die Politik der „seguridad democrática“ erreichten Fortschritte der kolumbianischen Politik aufgebaut werden könnte. Angesichts dieser Parteienverunsicherung fällt es der Exekutive leichter zu dominieren und gewisse abweichende politische Personalismen gewinnen eine in der Konsequenz noch nicht einzuschätzende Bedeutung.

Unabhängig von in Einzelfragen existenten Unterschieden dürfte eine liberale Einigungsstrategie von Santos auf den erbitterten Widerstand von Uribe stoßen, der auf eine Kernkoalition zwischen „de la U“ und der PCC setzt. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz von Uribe zu sehen, in den Kommunal- und Regionalwahlen 2011 seine eigene Machtposition auszubauen und auf dieser Ebene ein Gegengewicht zur nationalen „de la U“ und deren Kongressfraktionen zu bilden. Ob er dabei so weit geht, für das Amt des Bürgermeisters von Bogotá zu kandidieren, bleibt abzuwarten.

Wahljahr 2011

Eine Unbekannte in der Entwicklung der nächsten Monate stellen die Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober 2011 dar. Nach dann knapp über einem Jahr der Regierung Santos werden diese zu einem ersten landesweiten Stimmungsbarometer und determinieren die kommunale und regionale Machtverteilung für die nächsten vier Jahre. Dies wiederum kann erste Aufschlüsse über denkbare Positionierungen für die Präsidentschaftswahlen des Jahres 2014 ergeben.

Die pre-elektoralen Bündnisse zwischen Koalitionspartnern der „Unidad Nacional“, eine Wiedervereinigung von Cambio Radical und der Partido Liberal scheint absehbar, könnte eine Spaltungsdynamik in die „Unidad Nacional“ bringen, von der am stärksten als Partei die „de la U“ betroffen sein könnte.

Ausblick

Die Regierung Santos hat ein beeindruckendes Reformprogramm auf den Weg gebracht. Diesem Programm steht zu seiner parlamentarischen Umsetzung aus verschiedenen koalitionsinternen wie externen Gründen ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung.

Die erste Bewährungsprobe steht in der Sitzungsperiode des Kongresses zwischen März und Juli 2011 an. Hier muss der Grossteil der Reformen verabschiedet werden.

Danach müssen bei einigen Gesetzen die anschließende Verordnungsgebung oder im Falle verfassungsändernder Gesetze deren einfachgesetzliche Umsetzung auf den Weg gebracht werden.

Die mittel- und langfristige Bewertung der Regierung Santos wird von der Qualität und Nachhaltigkeit der Implementierung der vom Kongress verabschiedeten Reformen abhängen.

Vor allem im Bereich der Landrückgabe und der Neuorientierung der Agrarpolitik wird es zu schwerwiegenden Interessenkonflikten kommen, die Kolumbien vor äußerst schwierige Herausforderungen stellen wird.

Der Härtetest steht der Regierung Santos noch bevor.


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