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Veranstaltungsberichte

Innere Einheit: Gemeinsame Herausforderung für Deutschland und Korea

in Kooperation mit dem Nationalen Vereinigungsrat und dem Wiedervereinigungsministerium der Republik Korea

Die innere Einheit als komplexe Herausforderung für Deutschland und Korea stand im Zentrum einer Veranstaltung vom 5. Juni 2013, die gemeinsam von den vier in Südkorea vertretenen deutschen Politischen Stiftungen sowie dem Vereinigungsministerium und dem Nationalen Vereinigungsrat der Republik Korea organisiert wurde. In den Willkommensreden wurde die besondere Beziehung zwischen Deutschland und der Republik Korea hervorgehoben. Dass die beiden Länder 2013 130 Jahre diplomatische Beziehungen feiern dürfen, sei ein besonders erfreulicher Anlass für die Maßnahme.

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Aus deutschen Erfahrungen lernen

Die in Deutschland trotz vorhandener Schwierigkeiten erlangte innere Einheit sei für Korea beispielhaft, wie der Generalsekretär des Nationalen Vereinigungsrates, Prof. Sung-wook Nam, konstatierte. Vor diesem Hintergrund freue er sich besonders über die Beiträge der deutschen Gastreferentinnen und Gastreferenten. Auch Korea müsse die Bemühungen zur Erlangung einer inneren Einheit verstärken, da diese wichtig sei, um Koreas Position nach innen und außen zu stärken. Dies könne nur gelingen, wenn an einem gemeinsamen Grundverständnis der gesamten koreanischen Gemeinschaft gearbeitet werde.

Inwiefern die Schaffung eines solchen Verständnisses momentan Schwerpunkt der Regierung Park sei, beantwortete der Vize-Vereinigungsminister Nam-sik Kim. Er stellte heraus, dass die Regierung Park an einer Konfliktlösung, insbesondere mit Blick auf die Schließung der gemeinsamen Wirtschaftszone Kaesong, arbeite. Bei der Thematisierung der innerkoreanischen Annäherung sei der Blick auf Deutschland grundsätzlich nicht zu vernachlässigen. Vereinbarungen wie der Grundlagenvertrag oder Ansätze wie die Ostpolitik seien wichtige Meilensteine für die deutsche Wiedervereinigung gewesen und deshalb auch für Korea interessant. Auch habe es das wiedervereinigte Deutschland geschafft, die Arbeitslosenquote im Osten des Landes zu senken, was als große Leistung anzuerkennen sei. Trotz der Erfolge sei es aber wichtig, die Unterschiede zwischen Deutschland und Korea zu berücksichtigen. So seien die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Nord- und Südkorea weitaus massiver als zwischen Ost- und Westdeutschland zu Beginn der 1990er Jahre. Die deutsche Wiedervereinigung sei deshalb als Orientierungshilfe geeignet, aber dennoch müsse Korea einen eigenen Weg finden, der die koreanischen Besonderheiten angemessen berücksichtige.

Die Bedeutung der wissenschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur

Dr. Norbert Eschborn, Leiter des KAS-Auslandsbüros Korea in Seoul, moderierte den ersten Teil der Veranstaltung. Dr. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, thematisierte in ihrem Vortrag die Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur in Ost und West. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in der SED-Diktatur sei von entscheidender Bedeutung für die Festigung demokratischer Strukturen in einem wiedervereinigten Deutschland gewesen. Gleichwohl fiel die Bewertung der Erfolge diese Aufarbeitung höchst unterschiedlich aus. So entbrannte beispielsweise zu Beginn der 1990er Jahre eine hitzige Diskussion über die Öffnung der Stasi-Akten. Eine solche Debatte fand auch im Hinblick auf den strafrechtlichen Umgang mit Tätern der DDR-Diktatur statt. Insbesondere die geringe Zahl an Verurteilungen stieß bei Opfern des kommunistischen Regimes auf Unverständnis und Enttäuschung.

Aufgrund der Grenzen der juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, so Dr. Kaminsky, komme der wissenschaftlichen und historischen Auseinandersetzung ein entsprechend großer Stellenwert zu. Den Opfern müsse „eine angemessene materielle und moralische Wiedergutmachung geleistet werden“. Zur moralischen Wiedergutmachung könne die Wissenschaft einiges beitragen. Ein Grundpfeiler dieser Arbeit sei es, sicherzustellen, dass auch das Unrecht der zweiten deutschen Diktatur in Gegenwart und Zukunft nicht in Vergessenheit geriete. Dafür seien im wiedervereinigten Deutschland nicht nur verschiedene Institutionen gegründet, sondern auch schulische und außerschulische Bildungsarbeit geleistet worden. Das Interesse der jüngeren Generation sei in Ost- wie Westdeutschland ferner auch durch zahlreiche Kinofilme geweckt worden.

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland nicht verschwunden

Ungeachtet eines gewissen „Aufarbeitungskonsens“ seien auch 23 Jahre nach der Wiedervereinigung Mentalitätsunterschiede in Ost und West unverkennbar. Angesichts der 40-jährigen Teilung sei es auch nicht verwunderlich, dass in politischer, ideologischer und auch wirtschaftlicher Hinsicht Diskrepanzen bestünden. Problematischer sei vielmehr, dass sich viele Ostdeutsche im wiedervereinigten Deutschland als „Bürger zweiter Klasse“ empfinden, was einer inneren Einheit im Weg stehe. Die Aufarbeitung, so Dr. Kaminsky in ihrem Schlusswort, sei ein längst nicht vollendeter Prozess, den es aufrechtzuerhalten und erfolgreich abzuschließen gelte.

Intensive Vorbereitung auf eine mögliche Wiedervereinigung der beiden Koreas

Die ehemalige Bürgerrechtlerin und heutige Regisseurin und Schriftstellerin Freya Klier thematisierte das Thema der Vergangenheitsbewältigung ebenfalls, setzte ihren Schwerpunkt aber verstärkt darauf, die Menschen in Südkorea zu ermutigen, konsequent an der Befreiung der nordkoreanischen Bevölkerung zu arbeiten. Auch in Deutschland habe vor 1989 fast niemand geglaubt, dass die Wiedervereinigung rasch folgen würde. In beiden Landesteilen sei man deshalb auf die nach 40 Jahren folgende Einheit entsprechend unvorbereitet gewesen. Für die Republik Korea sei es wichtig, sich deshalb so gut wie möglich auf die Wiedervereinigung vorzubereiten, auch wenn diese in weiter Ferne zu liegen scheine. Gerade da die Unterschiede zwischen Nord- und Südkorea noch immenser seien als zwischen Ost- und Westdeutschland Ende der 1980er Jahre, sei es unverzichtbar, sich intensiv Gedanken zur Schaffung einer äußeren, aber eben auch inneren Einheit zu machen und damit aus der deutschen Vergangenheit zu lernen.

Verantwortung der in Freiheit Lebenden

In ihrem Vortrag teilte die in Dresden zur Welt gekommene Künstlerin ihr persönliches Schicksal mit den Teilnehmenden und berichtete von ihren Erfahrungen in der SED-Diktatur. Da sie selbst ein Jahr in einem Kinderheim verbrachte, wusste sie aus erster Hand von den Erziehungsmethoden in der DDR zu berichten. Die ideologische Indoktrination von Kindern als Schlüssel des diktatorischen Machterhalts beschrieb Klier besonders anschaulich. Entsprechend wichtig sei es in einer Demokratie, junge Menschen über vergangene, aber auch gegenwärtige menschenverachtende Diktaturen aufzuklären. Freya Klier machte in ihren Ausführungen zudem deutlich, welche Gefahren sich hinter einer Abwendung vom Wiedervereinigungsgedanken verbergen. Menschenrechtsverletzungen im Osten seien in den 1980er Jahren in Westdeutschland vernachlässigt worden. Dabei sei es für die Unfreien besonders wichtig zu wissen, dass sie bei den in Freiheit Lebenden nicht in Vergessenheit geraten sind. Dies gelte auch für Nord- und Südkorea. Diejenigen, die in einer Demokratie leben dürften, stünden in der Verantwortung, sich für diejenigen einzusetzen, denen die gleiche Freiheit nicht gewährt werde.

Biographiegespräche als Mittel der Verständigung

Auch in der zweiten Sitzung, moderiert vom Landesvertreter der FES, Christoph Pohlmann, wurden Wege ergründet, die dazu dienen sollen, die innere Einheit zu stärken. Axel Schmidt-Gödelitz, der im Kindesalter von der sowjetischen in die französische Besatzungszone fliehen musste, berichtete, wie ihn seine Erfahrungen dazu veranlassten, sich für zwischenmenschliche Begegnungen einzusetzen, um einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Nachdem er mit seiner Familie 1991 in seine Heimat zurückkehrte und das Gut Gödelitz, wo er lebte, bevor es 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet wurde, restauriert war, gründete er das Ost-West-Forum. Ziel dieses Forums war es von Beginn an, den demokratischen Rechtsstaat im wiedervereinigten Deutschland zu festigen, aber auch eine Plattform für den Austausch zwischen Ost- und Westdeutschen zu bieten. Die Biographiegespräche, so Schmidt-Gödelitz, seien dabei besonders hilfreich, um selbst tiefgehende Vorurteile zu überwinden und Brücken zu bauen. Gerade durch die in diesen Gesprächen erzeugte Emotionalität könne Geschichte auf eine neue Art und Weise erfahrbar gemacht werden. Nicht komplexe Geschichtsprozesse, sondern vielmehr individuelle Erfahrungen seien Gegenstand der Unterhaltungen. Die große emotionale Sprengkraft, die entstanden sei, als beispielsweise ein ehemals hauptamtlicher Offizier der DDR-Staatssicherheit und ein langjähriger politischer Häftling aufeinandertrafen, sei nicht zu unterschätzen. Gerade diese sei aber geeignet, vielleicht sogar notwendig, um die Voraussetzung für Verständigung zu schaffen.

Der Erfolg der Gespräche sei so durchschlagend, dass diese auch in der Republik Korea, nämlich zwischen Südkoreanern und Flüchtlingen aus dem Norden, durchgeführt worden seien. Trotz der Errungenschaften sei eine innere Einheit längst nicht erreicht. Wie auch Dr. Kaminsky betonte, sei es besonders alarmierend, dass sich viele Ostdeutsche als Deutsche zweiter Klasse empfänden, was insbesondere für die Älteren gelte. Für die fehlende innere Einheit benannte Schmidt-Gödelitz verschiedene Gründe, stellte aber heraus, dass insbesondere die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen Ost und West eine entscheidende Hürde sei. Während die Biographiegespräche in diesem Bereich keine Verbesserungen ermöglichen könnten, seien sie aber geeignet, um in Zukunft mehr Toleranz zu schaffen.

Bildung als Mittel zur Stärkung der inneren Einheit

Im letzten Vortrag thematisierte Elke Urban, Leiterin des Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig, die Bedeutung von Bildung für die Schaffung eines demokratisch gefestigten und geeinten Landes. Bereits in der DDR setzte sie sich für freie Schulen ein, deren wichtigstes Ziel die Förderung von unabhängigem Denken und Pluralismus sein müsse. Das Leipziger Schulmuseum biete regelmäßige Ausstellungen, aber auch verschiedene Seminare und Workshops an, um das Bewusstsein über Diktaturen zu schärfen und Demokratie erfahrbar zu machen. Unter dem Motto „Wer in der Demokratie einschläft, wacht in der Diktatur auf“ versucht Frau Urban auch im Rahmen von Rollenspielen zu zeigen, wie schnell Schülerinnen und Schüler ihre Mitschüler ausgrenzen, wenn diese beispielsweise die Rolle eines Außenseiters übernehmen. Solche Erfahrungen sollten, so Frau Urban, nicht nur im Leipziger Schulmuseum gesammelt werden dürfen, sondern auch in anderen ostdeutschen Schulmuseen, um einen umfassenden Erfahrungsaustausch gewährleisten zu können. Ihre Forschungsarbeit zu Unterrichtsmethoden in der Geschichte und Gegenwart seien wichtig, um mit Hilfe der Forschungsergebnisse Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem Denken zu erziehen. Dazu wolle sie durch eine Ausstellung über die Erziehung zur Wehrbereitschaft in der DDR-Schule gern einen weiteren Beitrag leisten.

Keine Nachahmung des deutschen Wiedervereinigungsprozesses

In der anschließenden Diskussion, moderiert vom Landesvertreter der Hanns-Seidel-Stiftung, Dr. Bernhard Seliger, wurde das zuvor Gehörte auf Nordkorea bezogen und wurden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen der vergangenen Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands und der potenziellen Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas herausgearbeitet. Prof. Hak-sung Kim von der Chungnam Nationaluniversität betonte, dass Korea viel vom deutschen Wiedervereinigungsprozess lernen könne. In diesem Sinn habe auch die deutsche Ostpolitik eine gewisse Vorbildfunktion für die Sonnenscheinpolitik in Korea gehabt. Allerdings dürfe nicht in Vergessenheit geraten, dass Korea seinen eigenen Weg finden müsse und den Wiedervereinigungsprozess in Deutschland nicht einfach nachahmen könne.

Kosten und Vorzüge einer koreanischen Wiedervereinigung

Dr. Gi-woong Son vom Korea Institute for National Unification untermauerte diese Aussage. Wichtig sei es zudem, nicht nur positive Seiten der deutschen Wiedervereinigung hervorzuheben. In Korea seien auch Stimmen laut geworden, die beispielsweise die hohen Kosten als Hemmfaktor wahrnehmen würden. Allerdings, so Son, sollten die Kosten weniger eindimensional betrachtet werden. Schließlich sei eine Wiedervereinigung auch für Südkorea von Vorteil. Neben Familienzusammenführungen seien in diesem Zusammenhang ferner politische, wirtschaftliche und strategische Vorteile wie die Verringerung der Verteidigungskosten zu nennen. Auf den Kostenfaktor ging auch Schmidt-Gödelitz ein und verwies wie Son darauf, dass Korea aus den Fehlern der deutschen Wiedervereinigung lernen solle. Wichtig sei es beispielsweise, das Steuersystem derart zu gestalten, dass sich in Nordkorea verstärkt Betriebe ansiedeln könnten.

Freya Klier wiederum rückte den Fokus auf soziale Aspekte. Von entscheidender Bedeutung sei es, den Menschen im Norden, die nicht das Glück hatten, in einer Demokratie zu leben, nicht mit Überheblichkeit zu begegnen. Dazu könne, so Frau Urban, auch die Erziehung einen Beitrag leisten. Der Bevölkerung müsse eingehend vermittelt werden, wie Meinungen kontrovers ausgetragen und Debatten geführt werden können.

Der internationale Rahmen für die innere Einheit

Vonseiten des Publikums wurde schließlich verstärkt der internationale Kontext thematisiert, in dem sich Korea eingebettet sieht. Die Republik Korea versuche, die in der Region relevanten Mächte in den Wiedervereinigungsprozess einzubeziehen. Die Weltmächte allerdings, insbesondere die USA und China, seien nicht daran interessiert, Verantwortung für die Wiedervereinigung zu übernehmen.

Innere Einheit braucht…

Bernhard Seliger fasste das Seminar zum Abschluss wie folgt zusammen: Innere Einheit brauche Aufarbeitung und einen durch diese zustande kommenden Konsens. Außerdem bedürfe das Zustandekommen innerer Einheit Ehrlichkeit und Begegnung. Schließlich müssten Wunden verheilen, was Zeit in Anspruch nehme und eine umfassende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfordere.

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Kontakt

Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

stefan.samse@kas.de +65 6603 6171
130 Jahre Deutsch-Koreanische Beziehungen Deutsche Botschaft Seoul

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