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Veranstaltungsberichte

Integration und Wohlfahrt

3. Koreanisch-Deutscher Roundtable „Grundfragen des Staatsrechts

Am 17. September 2015 fand der dritte koreanisch-deutsche Roundtable zu Grundfragen des Staatsrechts statt. Die Veranstaltung, die in der Korea Universität abgehalten wurde, hatte das Ziel deutsche und koreanische Rechtsexperten zusammenzubringen, um sich über soziale Grundrechte auszutauschen. Organisiert wurde sie vom Auslandsbüro Korea der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der School of Law der Korea-Universität und der Constitutional Academic & Professional Association. Die Veranstaltung war Teil des dreitägigen Rechtsstaatskolloquiums der Stiftung und der Korea-Universität.

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Thomas Kunz, Ministerialdirigent im Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, widmete sich der Entwicklung des Freiheits- und Rechtsbewusstsein der Ostdeutschen nach der deutschen Einheit. Kunz, der 1958 in Westdeutschland geboren wurde, trat seinen Dienst im Erfurter Justizministerium im Januar 1991 an. Eine große Frage nach der deutschen Einheit, so Kunz, sei der Umgang mit den ehemaligen DDR-Richtern gewesen. In der DDR seien Richter niemals von ihrer Verantwortung gegenüber der Partei entbunden gewesen. Ihre Rechtsprechung hätten sie nach der Parteilinie ausrichten müssen. Bei einer Befragung im Sommer 1990 seien 96,4% der Richter Mitglieder der SED gewesen. Letztlich seien aber 101 von vormals 194 DDR-Richtern, nach vorheriger umfangreicher Überprüfung, übernommen worden. Dies habe sich, so Kunz, als der richtige Weg herausgestellt. Die Entfernung sämtlicher DDR-Juristen aus der Rechtspflege wäre nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar gewesen. Die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat sei angemessen, wenn man bedenke, dass je nach Wille der Funktionäre, für egal welche Sachlage, ein passender Paragraph gefunden werden konnte, um eine Person zu verurteilen.

Wiedervereinigung und Aufarbeitung der Vergangenheit

Den zweiten Vortrag hielt Prof. Dr. Bang, Seung-Ju von der Hanyang Universität. Er betonte die Wichtigkeit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Korea habe bereits die Erfahrung unzureichender Aufarbeitung gemacht. Vieles aus der Zeit der diktatorischen Yushin-Verfassung (1972) sei in Südkorea, genauso wie Vieles aus der Zeit der japanischen Kolonialherrschaft, nicht genügend aufgearbeitet worden. Deshalb müsse man sich verbessern und für den nordkoreanischen Fall eine Erfassungsstelle, ähnlich der früheren deutschen in Salzgitter, einrichten. Die Verfassung beschreibe zwar nicht konkret, wie Aufarbeitung stattfinden solle. Dort würde nur von einer friedlichen Wiedervereinigung gesprochen. In jedem Fall müsse man aber Täter richtig bestrafen, auch wenn es in manchen Fällen kompliziert würde, etwa bei Spionage-Angriffen von Nordkorea auf Südkorea.

Südkorea sei erst seit der Verfassung von 1987 rechtsstaatlich sei. Doch obwohl es in jedem Rechtsstaat auch Unrecht gebe, dürfe jeder Nordkoreaner in Südkorea rechtsstaatliche Ansprüche stellen. Denn laut Verfassung gehöre das Gebiet Nordkoreas zum südkoreanischen Staat. Nordkoreaner verfügten so über gleiche Rechte. Problematisch werde bei einer koreanischen Vereinigung vor allem die Rückübertragung von Eigentumsrechten bei vorhergegangen staatlichen Enteignungen werden. Bang hob Deutschland als Vorbild für Korea hervor, denn Korea werde bei einer Wiedervereinigung vor den gleichen Herausforderungen stehen wie Deutschland bei seiner. Gleichzeitig verfüge Deutschland über eines der besten Modelle eines Rechtsstaates.

Erste Diskussion: Rechtsstaat, Grundrechte und Ahndung von Vergehen

Besondere Beachtung fand der Begriff des Rechtsstaates. Thomas Kunz bezeichnete den Rechtsstaat in seinem Vortrag als stete Herausforderung für alle Bürger. In der Diskussion fügte er hinzu, dass man daher in Ostdeutschland nach der Wende im Schulunterricht intensiv für ihn geworben habe. Denn man solle die ganze Gesellschaft integrieren und für den Rechtsstaat gewinnen. Hierzu bemerkte Rechtsanwalt Dr. Daniel Mundil, er habe bei Mandanten in Brandenburg gemerkt, dass manche einen Fürsorgestaat gewollt hätten, nicht unbedingt einen Rechtsstaat. Im Osten sei man es nicht gewohnt gewesen, um sein Recht kämpfen zu müssen und viel Geld dafür aufzubringen. „Der Kampf ums Recht“ wie es das Bundesverfassungsgericht nenne, sei für die ehemaligen DDR-Bürger etwas ganz neues gewesen.

Carsten Kalla LL.M. von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hob hervor, dass der Rechtsstaat ein hervorragendes Konzept sei, aber mitunter schwer durchsetzbar. In einigen Situationen sei es schwer zu entscheiden, was Recht und was Unrecht sei. Daher sei eine Einschätzung, ob der Rechtsstaat, bei so komplexen geschichtlichen Ereignissen, wie der Wiedervereinigung, funktioniert habe, sehr schwer. Schützen an Grenzposten etwa seien nicht bestraft worden, da sie nur Befehle befolgt hätten.

Dem Begriff der Grundrechte wurde viel Aufmerksamkeit zuteil. Die Frage von Dr. Mundil, ob nordkoreanische Bürger sich auf die Grundrechte der südkoreanischen Verfassung berufen könnten, beantwortete Prof. Bang. Er sagte, dass wenn man von nordkoreanischen Gerichten schuldig gesprochen worden sei, man die Grundrechte in Südkorea in Anspruch nehmen könne. Auch Flüchtlinge aus Nordkorea hätten die gleichen Grundrechte wie Südkoreaner. Aufhebungen von Urteilen seien möglich. Dies habe auch die Erfahrung mit Urteilen aus der Zeit Yushin-Verfassung gezeigt. Auch diese seien zum Teil vom südkoreanischen Gerichtshof aufgehoben worden. Die Frage der Entschädigung sei schwieriger. Wenn Nordkoreaner die Wiederaufnahme von Verfahren verlangten, sollte aber in jedem Fall überprüft werden, ob eine falsche Bestrafung vorlege.

In jedem Fall müssten die Rechtsverletzung dokumentiert werden. Seit zehn Jahren gebe es zwar eine private Einrichtung zur Unrechtsdokumentation, eine offizielle Stelle der Regierung sollte es aber auch längst geben. Dem stimmte auch Thomas Kunz zu. Er sehe beim nordkoreanischen Fall ebenfalls die Notwendigkeit der Dokumentation. Fehle sie, hieße das „im Zweifel für den Angeklagten“.

Dr. Albin Nees, Staatssekretär a.D. des sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie nahm zum Thema Bestrafung von Vergehen Stellung. Er machte deutlich, dass ihm vor allem die Chance zur Rehabilitation wichtig sei. Jeder müsse die Chance erhalten, über sein Unrecht nachzudenken und einzusehen, was er falsch gemacht habe. Wenn man Buße getan habe und danach eine Aussage tätigen könne, im Sinne von, „ich habe den Rechtsstaat verinnerlicht“, dann dürfe man auch wieder auf der Karriereleiter aufsteigen. Diesen Ansatz begrüßte auch Staatsanwältin Jeong, indem sie positiv hervorhob, dass Deutschland die ostdeutschen Juristen übernommen habe. Damit sei viel Vertrauen geschaffen und ein wichtiger Schritt für die Integration getan worden.

Als eine weitere Möglichkeit warf Dr. Mundil die Frage einer generellen Amnestie für die nordkoreanischen Vergehen auf. Prof. Bang entgegnete dem mit der Aussage, bei der Aufarbeitung dürfe nie zu extrem vorgegangen werden. Für ihn sei zwar eine beruhigende Übergangszeit wichtig, eine komplette Amnestie fände er aber zu schwierig.

Reorganisation des Sozialversicherungsrechts

Danach wurde das Programm mit dem Vortrag von Dr. Albin Nees fortgeführt. Er sprach zum Thema Neu- bzw. Umorganisation des deutschen Sozialversicherungsrechts nach 1990 im Kontext der Erfordernisse der vereinten Deutschlands. Er vertrat den Standpunkt, dass ohne die Ausdehnung der Sozialversicherung auf den Osten und ohne Änderungen des Sozialversicherungsgesetzes die Wiedervereinigung nicht gelungen wäre. Nach der Wiedervereinigung habe es eine Massenflucht von Menschen, die in den Westen wollten, gegeben. Mehr als 600.000 Menschen seien so in kürzester Zeit übergesiedelt. Hilfreich dagegen seien zeitlich begrenzte Sonderregelungen und Übergangszeiten gewesen, in denen Menschen im Osten Zugeständnisse gemacht worden seien.

Besonders stark profitiert von dem Angleichen der Sozialsysteme hätten vor allem Rentner aus Ostdeutschland. Die starke Rentenerhöhung sei nötig gewesen, um ähnliche Lebensverhältnisse zu schaffen. Während dieses Prozesses wurde das Rentenüberleitungsgesetz angewendet. Zum Thema Gesundheitspolitik führte Dr. Ness aus, dass die westdeutschen Krankenversicherungen, die sich im Osten niederließen, eine Anschubfinanzierung von drei Milliarden DM von der Bundesregierung erhalten hätten. Auch dies sei nötig gewesen. Als der Osten westliche Strukturen zulassen musste, wären die meisten Polykliniken aufgelöst und durch private Praxen ersetzt worden. Auch habe es ein großes Modernisierungsprogramm für die Krankenhäuser des Ostens in Höhe von 2,1 Milliarden DM gegeben. Ein weiteres Problem nach der Wiedervereinigung habe der rasante Anstieg der Arbeitslosigkeit dargestellt. Von 1990 bis 1993 habe sich die Arbeitslosenrate etwa verdoppelt. Zugleich habe der Westen ein Vielfaches des Ostens in die Arbeitslosenkasse eingezahlt.

Finanzierung der Wiedervereinigung

Der vierte Vortrag wurde von dem Rechtsanwalt Kim Jae-Young über die Finanzierung der Wiedervereinigung gehalten. Er führte aus, in der südkoreanischen Gesellschaft gebe es Bedenken wegen der hohen Kosten. Viele Südkoreaner seien derzeit nicht bereit, viel Geld für die Wiedervereinigung auszugeben. Deutschland sei ein Beispiel dafür, wie hoch die Kosten für eine Wiedervereinigung werden könnten. Dabei sei der Unterschied in der Wirtschaftsleistung noch beträchtlicher. Der Unterschied im Entwicklungsgrad zwischen der DDR und Westdeutschland sei viel geringer gewesen, als der aktuelle Unterschied zwischen Süd- und Nordkorea. Auch in Südkorea seien nicht alle Regionen gleich entwickelt. So sei es schwierig zu sagen, ein vereinigtes Korea solle insgesamt gleichmäßig entwickelt sein.

Bezüglich der Zustimmung in der Bevölkerung zur Wiedervereinigung hob er hervor, dass es in der älteren Generation viel höhere Zustimmungsraten gebe als in der jüngeren. Die Teilung liege nun schon wesentlich länger zurück, als zu dem Zeitpunkt als Deutschland wiedervereinigt wurde. Zur Finanzierung der Wiedervereinigung zählte Kim als mögliche Finanzierungsmittel die Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit zehn Prozent, die Ausgabe von Staatsanleihen, die Nutzung bestehender Fonds zur Wiedervereinigung, ausländische Investitionen und die Zuhilfenahme der asiatischen Infrastrukturinvestmentbank auf. Eine einseitige Finanzierung durch den Süden sei jedoch unwahrscheinlich, zumal auch wirtschaftliche Vorteile Nordkoreas, wie etwa Rohstoffvorkommen, genutzt werden könnten.

Gleichheitsrechte

Der fünfte und letzte Vortrag wurde von Dr. Lee, Jae-Hee gehalten, Dozentin an der juristischen Fakultät der Korea-Universität. Sie sprach über die politischen Gleichheitsrechte zwischen der süd- und nordkoreanischen Bevölkerung nach der Wiedervereinigung und meinte, eine wahre Integration Nordkoreas sei nur möglich, wenn man eine gleichberechtigte Lösung für alle Bürger fände. Bei der Ausübung von Souveränität müsse man diesen gleichberechtigten Status immer anerkennen. Denn eine Wiedervereinigung werde nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf juristischer Ebene stattfinden. Das Gerechtigkeitsprinzip zu beachten, bedeute allerdings keinesfalls alle immer gleich zu behandeln. Etwa müsse auf die schlechtere Lage Nordkoreas Rücksicht genommen und Vergünstigungen gegeben werden. Auch da das Territorium Nordkoreas nach der südkoreanischen Verfassung zu Südkorea gehöre, würden Nordkoreanern gleichberechtigt behandelt. Die Grundprinzipen Gleichheit und Freiheit müssten Anwendung finden, wenn man einen gemeinsamen Rechtsstaat bilden wolle.

Es gebe auch die Idee, in einer Übergangszeit Nordkoreaner nicht wählen zu lassen, da ihnen die Erfahrung der demokratischen Partizipation fehle. Dies dürfe wegen des Gerechtigkeitsprinzips nicht geschehen, so Dr. Lee Jae-Hee. Zu einer möglichen gesamtkoreanischen Demokratie führte sie aus, im Parlament werde es doppelt so viele südkoreanische Abgeordnete geben wie nordkoreanische, wenn die Anzahl der Abgeordneten gemäß der Bevölkerungsanzahl festgesetzt würde. Da nordkoreanische Bürger auch Repräsentation benötigten, könne überlegt werden, Nord- und Südkorea die gleiche Sitzanzahl in einem gemeinsamen Parlament zu geben.

Zweite Diskussion: Kosten, Sozialversicherung, Gleichheitsrechte

Der erste Beitrag zu den Kosten der Wiedervereinigung kam von Dr. Mundil. Er sagte, die Wiedervereinigung sei wirtschaftlich unvernünftig gewesen, aber politisch korrekt. Man habe diesen Spagat machen müssen.

Auch Prof. Bang sprach die Kosten der Wiedervereinigung an und meinte, wenn man vor der Hochzeit über Geld spräche, dass dann das Paar breche. So könnte es auch für die Wiedervereinigung gelten. Auch müsse man Kosteneinsparungen bedenken, die sich aus geringeren Verteidigungskosten ergeben würden. Auch Staatsanwältin Jeong argumentierte in diese Richtung, als sie über den deutschen Fall bemerkte, dass man nicht nur die Kosten sehen dürfe, sondern auch die Einsparungen bedenken solle.

Zum Thema Sozialversicherung sprach Prof. Choi das Problem an, dass nordkoreanische Versicherte eine längere Versicherungsdauer als Südkoreaner hätten. Dazu sagte Dr. Nees, die deutschen Rentenanwartschaften seien umgerechnet worden, als ob ehemalige DDR-Bürger ihr ganzes Leben im Westen gearbeitet hätten. Wenn jemand nachweisen konnte, er sei Abteilungsleiter gewesen, habe er auch eine dementsprechende Rente bekommen. Ein Unterschied sei gewesen, dass Frauen in Ostdeutschland berufstätig gewesen seien, auf westdeutscher Seite viele Frauen aber zuhause geblieben seien. Auf diese Weise gab es für viele Frauen in der DDR höhere Renten.

Dr. Lee Kyu-Chang stzte sich dafür ein, darüber nachzudenken, Sozialleistungen differenziert in Norden und Süden aufgeteilt zu gestalten. Carsten Kalla betonte, es sei wichtig, nicht nur Geschenke zu geben, sondern einen Rechtsanspruch auf Unterstützung zu gewährleisten. Dr. Nees fasste schließlich zusammen: Zur Umgestaltung des Sozialversicherungsrechts nach der Wende in Deutschland könne er selbst keine bessere Alternative sehen. Anders als mit einer finanziellen Überlastung, sei die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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