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Veranstaltungsberichte

Junge Menschen im kulturellen Konvergenzprozess von Gesellschaften in Systemtransitionen

VERANSTALTUNGSREIHE "25 JAHRE FRIEDLICHE REVOLUTION IN DEUTSCHLAND" DER KAS KOREA

Der Workshop mit dem Thema „Junge Menschen im kulturellen Konvergenzprozess von Gesellschaften in Systemtransitionen“ des Auslandsbüros Korea der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Yeo-Myung Schule war bereits die dritte gemeinsame Veranstaltung beider Partner seit 2012. KAS und Yeo-Myung Schule widmen sich in ihrer Projektarbeit der Erforschung von Prozessen und Instrumenten im Kontext der Fusion von Bildungssystemen in gegensätzlichen politischen Systemen.

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Dr. Norbert Eschborn, Leiter der KAS in Korea, lobte das Engagement der Yeo-Myung Schule. Die Partnerschaft der Stiftung mit der Schule sei inhaltsreich und effektiv. Das Problem, das derzeit in Südkorea bestehe und auch vor 1989 in Westdeutschland existierte, war, dass eine große Kluft zwischen der Wiedervereinigungsrhetorik der Regierung und dem individuellen Glauben des einzelnen Bürgers an eine tatsächliche Wiedervereinigung geherrscht habe. Ergebnisse von Umfragen in Südkorea heute würden zeigen: Je jünger der Befragte, desto geringer das Interesse an dem Thema Wiedervereinigung. Daher sei es wichtig, das Bewusstsein der jüngeren Generation für dieses Thema zu schärfen.

Deutsche Erfahrungen beim Zusammenwachsen der Bildungssysteme von Ost und West

Den ersten Vortrag hielt Jürgen Scharf, Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt, unter dem Titel „Junge Menschen im kulturellen Konvergenzprozess von Gesellschaften in Systemtransitionen“. Scharf wurde 1952 in einer Kleinstadt in Ostdeutschland geboren und wuchs dort mit christlichem Hintergrund auf. Aufgrund seiner Religion sei er immer wieder in Konflikt mit dem atheistisch geprägten kommunistischen Staat gekommen.

Die friedliche Revolution 1989/90, so erläutert er rückblickend, sei durch eine Reihe von Vorgängen ermöglicht worden. Zum einen sei die Führung der DDR stets darauf bedacht gewesen, als zweiter deutscher Staat anerkannt zu werden, ein Ziel, dem sie ihr erst ab Ende der 1960er Jahre näher kam. 1972 gelang der Abschluss des Grundlagenvertrages zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, durch welchen die Normalisierung der Beziehungen der beiden Staaten gelang. In ihm wurde auch die Bewerbung beider Staaten um eine Aufnahme in die Vereinten Nationen vereinbart, welche 1973 erfolgte. Das Interesse an einer weitreichenden Verständigung sei in der Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gemündet, an deren Ende 1975 die gleichnamige Schlussakte unterschrieben werden konnte. Für den Ostblock habe dies zwar die Anerkennung der Grenzen der osteuropäischen Staaten in einem internationalen Vertrag gebracht, allerdings habe der sich mit Menschenrechten befassende Teil später als Grundlage für die Arbeit vieler Dissidenten und Bürgerrechtsbewegungen gedient. In den 1970er Jahren gelang es deswegen mehr Bürgern, sich auf die Verpflichtungen, die die DDR bei Unterzeichnung der Schlussakte eingegangen war, zu berufen.

Diese Entwicklung begünstigte in der DDR-Bevölkerung die Forderung nach Freiheit (insbesondere Reise- und Informationsfreiheit) und zeigte ihnen, dass ein freieres System möglich sei. Der Informationsaustausch zwischen Ost und West nahm zu und habe die Zivilcourage der Bürger gestärkt sowie Funktionäre der SED in argumentative Schwierigkeiten gebracht. Besuche und Pakete hätten zusätzlich das Band zwischen Osten und Westen aufrechterhalten. Schlussendlich habe diese Entwicklung maßgeblich zum Zusammenbruch des Ostblocks beigetragen.

Rechtlich gesehen sei die deutsche Wiedervereinigung mit dem Beitritt der DDR zum bisherigen Bundesgebiet vollzogen worden und wurde 1990 im Vertrag über die „Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion“ sowie im „Einigungsvertrag“ geregelt. Praktisch galt also das bundesdeutsche Recht auch für den Osten Deutschlands.

Nach der Wiedervereinigung wurden dann Verwaltungshilfen sowie allgemeine Berater und Helfer aus den alten Bundesländern in fast allen Behörden der neuen Länder gebraucht. Es habe sich gezeigt, so Scharf, dass die Helfer umso besser wirken konnten, je mehr sie versucht hätten, sich durch Umzug in das entsprechende Gebiet und in die lokalen Gemeinschaften zu integrieren.

Die schulische Ausbildung in Ostdeutschland sei vor allen Dingen in den mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern auf hohem Niveau erfolgt. In den Fremdsprachenfächern habe dies anders ausgesehen, da Auslandskontakte nur schwer gepflegt werden konnten. Hauptfremdsprache war Russisch, danach kam Englisch. Pflicht für alle war der „Staatsbürgerkundeunterricht“. Dieser sei zur Vermittlung der offiziellen Staatsideologie bestimmt gewesen. Jeder Lehrer, der dies unterrichtete, musste Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sein. Eine der ersten Forderungen der friedlichen Revolution war deshalb die Forderung nach einer Demokratisierung der Schule. Diese sei allerdings nur schwer umzusetzen gewesen, da sowohl die ostdeutschen Lehrer als auch die Schulverwaltungen sich erst an das neue System anpassen mussten.

Die Übergangszeit von 1989 bis zum Inkrafttreten des Schulreformgesetzes in Sachsen-Anhalt am 24. Mai 1991 sei von rechtlichen Unsicherheiten geprägt gewesen. Alle 1990 im staatlichen Schuldienst tätigen Lehrer mussten sich für eine Übernahme in den Landesdienst neu bewerben, was wegen der Staatsnähe der DDR-Schulen unvermeidbar war. Nach Einschätzung Scharfs wurden 90 Prozent der Lehrer übernommen. In Sachsen-Anhalt wurden, auch wegen einem Überbestand an Lehrpersonal, allerdings auch Bedarfskündigungen ausgesprochen. Das betraf zumeist die sogenannten „Ein-Fach-Lehrer“, Lehrer für Staatsbürgerkunde oder Pionierleiter sowie jene, denen besonderes politisches Fehlverhalten wie z.B. eine informelle Tätigkeit für die Staatssicherheit nachgewiesen wurde. Um festzustellen, ob eine Person die alte Ideologie tatsächlich zurückgelassen hatte, gab es örtliche Überprüfungskomitees. Staatsbürgerkundelehrer wurden allerdings grundsätzlich als ungeeignet für eine Weiterführung des Lehrerberufes eingestuft.

Die Überführung des Lehrpersonals der Schulen der DDR in das neue, nach dem Vorbild der Bundesrepublik gegliederte Schulwesen erwies sich als schwer. Eine Lehrerfortbildung war nötig, um fachliche Defizite zu beseitigen. Vor allen Dingen Sprachlehrer konnten ihre Kenntnisse durch Auslandsaufenthalte verbessern. Anstelle des Staatsbürgerkundeunterrichts wurde Sozialkundeunterricht eingeführt. In diesem Fach lehrende Lehrer wurden z.T. berufsbegleitend ausgebildet oder sie kamen aus den alten Bundesländern. Was die Reaktion der Schüler betraf, galt: Je jünger, desto unkomplizierter gestaltete sich der Unterrichtswechsel. Die Schüler der höheren Klassen fragten die Schüler die Lehrer nach den Gründen für den plötzlichen deren Meinungswechsel. Die Kinder, die in den 1990ger Jahren zur Schule gingen, fragten die Geschichtslehrer, wie sie vor 1989 Geschichte unterrichtet hätten und welche Geschichtsauffassung die wahre sei. Geschichtsunterricht wurde in der DDR ab der fünften Klasse erteilt. Dort wurde, so Scharf, ein marxistisch-leninistisches Geschichtsbild vermittelt. Alle konkreten geschichtlichen Ereignisse seien mit interpretatorischer Gewalt in dieses Schema eingeordnet wurden. Der Geschichtsunterricht musste deswegen gründlich umgestaltet werden. Heute werde ein differenziertes Geschichtsbild vermittelt. Deswegen seien große Anstrengungen unternommen worden, über die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten auf bisher vernachlässigte und falsch dargestellte geschichtliche Ereignisse einzugehen. Lehrer bräuchten, so Scharf, auch Unterstützung und Hilfe, was den Umgang mit der eigenen Biografie angeht.

In Sachsen-Anhalt sei ein Ersatzschulwesen entstanden: Schulen in freier Trägerschaft, meist in der Hand von Kirchen, Stiftungen und Vereinen. Diese wurden bei ihrer Gründung damals von der Regierung tatkräftig gefördert.

Insgesamt habe der wirtschaftliche Aufholprozess Ostdeutschlands zwar deutlich länger als erwartet gedauert. Zusammenfassend könne man aber sagen, dass es materiell fast allen besser als vor 25 Jahren gehe und fast niemand mehr die DDR zurückwolle. Für alle jetzt zur Schule gehenden Kinder sei die Vereinigungsgeschichte einfach nur Geschichte. Alles in allem zähle aber die Wiedervereinigung zu den glücklichsten Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte.

Schlussfolgerungen und Vorschläge für die koreanische Vereinigung

Den zweiten Vortrag hielten Shin-dong Kim und Myeong-suk Cho von der Yeo-Myung Schule über die Schlussfolgerungen, die sie im Zuge eines von der KAS geförderten Studien- und Informationsprogramms in Sachsen-Anhalt für die Vereinigung der koreanischen Bildungssysteme in Nord und Süd gezogen hatten.

Kim wies darauf hin, dass die Unterschiede zwischen den Rahmenbedingungen der deutschen und der koreanischen Wiedervereinigung sehr groß seien. Deswegen sollte die deutsche Vorgehensweise nicht als Lösung, sondern viel eher als Hilfe gesehen werden. Die Unterschiede sollten zunächst einmal klar herausgearbeitet werden. Ein Unterschied sei, das Deutschland nach 45 Jahren die Wiedervereinigung gelang, während Korea schon fast 70 Jahren getrennt sei. Auch habe es keinen innerdeutschen Krieg gegeben, der mit dem koreanischen „Bruderkrieg“ vergleichbar sei. Weiterhin gab es in der DDR einen Christenanteil von 15 Prozent, während in Nordkorea Religionsanhänger verfolgt würden. Zwischen der DDR und Westdeutschland fand außerdem ein Informationstausch durch Telefon, Briefe und Medien statt. In Nordkorea dagegen stehe der Austausch mit dem Süden unter höchster Strafe und geschehe, so Kim, deswegen nur heimlich. Während die DDR von den Vorgängen in der Sowjetunion beeinflusst wurde und Reformen einführte als Folge der Veränderungen in der früheren UdSSR, ändere sich Nordkorea trotz der Öffnung seines Partners Chinas nicht. Für die innere Einheit, so Kim, habe Nordkorea seine wirtschaftliche Entwicklung aufgegeben. Als die Lehrer der Yeo-Myung Schule ihren Schülern Bilder von der innerdeutschen Grenze zeigten, hätten diese sie, verglichen mit der innerkoreanischen Grenze, für nicht schlimm gehalten.

Der zweite Punkt im Vortrag von Kim war die Entwicklung der Bildungssysteme bei der Wiedervereinigung. In Südkorea beträgt die Regelschulzeit zwölf Jahre, während man in Nordkorea nur elf Jahre zur Schule gehe. Was die Unterrichtsfächer angeht, so müssten bei einer koreanischen Wiedervereinigung viele Fächer wie z.B. „Unsere Mutter Kim Jong-suk“, „Der Große Führer“, etc. abgeschafft werden. Sowohl Erdkunde als auch Geschichte müssten inhaltlich völlig geändert und neue Fächer, wie z.B. verschiedene Fremdsprachen und Demokratieunterricht, eingeführt werden. Was die Lehrbücher betreffe, so wurden in Ostdeutschland zunächst einmal die Bücher aus dem Westen verwendet, bevor eigene entworfen wurden. Es seien damals Bücher von Städten in den alten Bundesländern an ihre Partnerstädte in den neuen Bundesländern verschickt wurden. Auch im Falle einer koreanischen Wiedervereinigung, so Herr Kim, müssten wahrscheinlich erst einmal die Lehrbücher aus Südkorea verwendet werden. Ein Problem werde ein Mangel an Lehrkräften sein, da aufgrund ihres ideologischen Hintergrundes nur wenige nordkoreanische Lehrer übernommen werden können.

Falls es zu einer „Übernahme“ komme, so müsste das Gros der nordkoreanischen Lehrer zunächst einmal intensiv neu ausgebildet werden. Nordkoreaner, so Kim, hätten ein großes Selbstbewusstsein, das zu würdigen sei. Bevor südkoreanische Lehrer nach Nordkorea geschickt werden, müssten sie u.a. deswegen zunächst auf ihre Eignung geprüft werden. Wichtig sei zudem, dass auch die Eltern der Schüler, sowohl im Norden als auch im Süden, eingewiesen würden. Viele Nordkoreaner würden anfangs zudem nicht wissen, wie sie mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen sollten, so dass man sie dabei auch unterstützen müsse. Außerdem sollte ein Komitee für Wahrheitsfindung gegründet werden. Viele frühere Lehrer in Ostdeutschland mit Verbindungen zur Staatssicherheit hätten gleichwohl auch nach der Wiedervereinigung gute Jobs gefunden, was ihre Opfer stark belastet habe.

Anschließend sprach Frau Cho über die Lehren für Südkorea aus der deutschen Wiedervereinigung. Sie berichtete, dass es wichtig sei, nicht zu diskriminieren. Man solle auch nicht versuchen, den Nordkoreanern alles auf einmal beizubringen, sondern Geduld wahren. Auch Fehler zu machen sei wichtig, da man aus Fehlern lerne. Wenn Südkoreaner nordkoreanische Flüchtlinge sähen, dächten sie, dass diese sich grundsätzlich nicht von ihnen unterscheiden, aber sie müssten auch die Unterschiede zwischen ihnen begreifen. Als die Westdeutschen den Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung belehrend deren Fehler aufgezählt hätten, sei es für diese schwer gewesen, das zu verstehen, da sich niemand gern belehren lasse.

Zuletzt widmete sie sich der Vorbereitung auf eine mögliche Wiedervereinigung. Eine Wiedervereinigung ohne Vorbereitung könne zum Trauma werden. In Deutschland hatte man keine Zeit, sich auf eine Wiedervereinigung vorzubereiten, aber in Korea habe man diese und sollte sie auch nutzen. Bevor es zu einer Wiedervereinigung komme, so Cho, müsse man die Kontaktpunkte zwischen den beiden Ländern erweitern. Was neue Schulbücher angehe, so habe das Ministerium für Wiedervereinigung ein Buch entwickelt. Allerdings sei dies momentan noch zu teuer, als das dies in der Yeo-Myung Schule benutzt werden könne. Nordkoreanern falle es schwer, mit südkoreanischen Büchern zu lernen. Dies habe man zunächst an der Yeo-Myung-Schule versucht, aber ohne Erfolg.

Nach der Einführung eines neuen Systems, so warnte sie, werde auch innerhalb Nordkoreas diskriminiert werden. Deswegen sei es wichtig, dass die Südkoreaner zeigten, dass sie bereit seien, auch Nachteile für sich zu akzeptieren. In Deutschland, so Cho abschließend, war es keine Strategie, sondern eine Philosophie, die eine erfolgreiche Wiedervereinigung möglich gemacht habe.

Im Anschluss an die Vorträge standen die Redner dem Publikum für Fragen zur Verfügung. Eine Frage drehte sich darum, ob man nordkoreanische Flüchtlinge als Ausländer betrachten solle. Cho sah dies skeptisch. Ihrer Meinung nach sollte man ihnen vielmehr eine besondere Stellung geben, da sie später bei der Wiedervereinigung eine große Rolle als Vermittler spielen würden. Dies würde den Flüchtlingen selbst auch Hoffnung geben.

Der Abgeordnete Scharf antwortete auf die Frage, welche Maßnahmen gut zur Integration der Nordkoreaner wären, dass in Deutschland ab dem 3. Oktober 1990 alle, ohne Unterscheidung, zu Deutschen wurden. Dies sei wichtig für das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gewesen und so würde er diese Vorgehensweise auch den Koreanern empfehlen.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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