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Veranstaltungsberichte

Lehrerausbildung zur Vorbereitung auf die Wiedervereinigung durch deutsche Erfahrungen

„Bildung ist Zukunft!“: So lautet einer der zahlreichen Slogans aus aktuellen Bildungsdebatten. Südkorea wird oftmals in solchen Diskussionen als Beispiel für ein erfolgreiches Bildungssystem genannt. Damit dies auch im Falle einer künftigen Wiedervereinigung gelten und damit man pädagogisch angemessen auf die Flüchtlingskinder aus dem Norden reagieren kann, hatte das Auslandsbüro Korea der KAS in Kooperation mit der Yeomyung School in Seoul zu einem Workshop zum Thema „Lehrerausbildung zur Vorbereitung auf die Wiedervereinigung durch deutsche Erfahrungen“ eingeladen.

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Die Yeomyung School gilt rechtlich als Sonderschule im südkoreanischen Schulsystem, die sich der Betreuung nordkoreanischer Flüchtlingskinder widmet, aber nur zum Teil staatlich finanziert wird.

Bereits in seiner Begrüßung wurde die enge Verbindung von Politik, im Besonderen der Demokratie, und schulischer Bildung von Dr. Norbert Eschborn, dem Leiter des Auslandsbüros Korea der KAS, hergestellt. Der Leiter der Yeomyung School, Heung Yoon Shin, sowie Young-Tak Kim (North Korea Refugees Foundation) pflichteten der großen Bedeutung der Bildungsdebatte bei, wobei Kim betonte, dass das Bildungssystem im Fall einer koreanischen Wiedervereinigung als Integrationsmechanismus dienen könne und müsse.

Reformierung des ostdeutschen Bildungssystems im Zuge der Wiedervereinigung – Erfahrungen eines westdeutschen Lehrers

Um sich Anregungen für diese Aufgabe zu holen, waren die deutschen Experten Winfried Willems (Staatssekretär a.D. im Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt) sowie Ronny Heine (Leiter des Bildungszentrums Wendgräben der KAS) eingeladen worden, da sie den Wandel im ostdeutschen Bildungssystem nach der Wiedervereinigung als Lehrer bzw. Schüler selbst mit gestaltet bzw. miterlebt haben.

Willems, der nach der Wende viele Jahre in Ostdeutschland als Schulleiter tätig war, betonte zunächst, dass die umfangreichen Veränderungen bedingt durch die Wiedervereinigung auch das Schulsystem umfasst hätten. Dies erläuterte er konkret am strukturellen Aufbau des Bildungssystems der DDR. Bei der Betrachtung fiel v.a. auf, dass jede einzelne Stufe von der politischen Ideologie der sozialistischen DDR durchdrungen gewesen sei. Dies habe vom Aufbau des Feinbildes Westdeutschland bis hin zu einer starken Militarisierung des Schulsystems gereicht. Es ging aber nicht nur um reine Propaganda, sondern gleichzeitig seien die Schulen auch dazu genutzt worden, junge Menschen danach auszurichten, dem sozialistischen System einen Nutzen im wirtschaftlichen Sinne zu bringen.

Zentral sei weiterhin die Werteausrichtung im schulischen Sektor gewesen. So habe die Autorität der Lehrkörper eine dominante Rolle eingenommen. Kreativität und Eigenständigkeit hingegen seien nicht gefördert, sondern gehindert worden. Die Ursache dafür liege in der Art des sozialistischen Regimes selbst.

Ein weiteres Merkmal des ehemaligen ostdeutschen Schulsystems sei laut Willems die überbetonte Rolle von Schulnoten gewesen. Diese galten nicht nur als Bewertungsmaßstab für Schüler, sondern auch für das Lehrpersonal. Für die Schüler sei neben Noten das politische Engagement entscheidendes Kriterium für eine Bildungskarriere gewesen. Da weniger als 10 Prozent der Schüler eine Erlaubnis zum Besuch der Oberstufe erhalten hätten, habe das System stark selektiv gewirkt. Positiv merkte er im Rahmen der Vorstellung allerdings noch an, dass die ostdeutschen Schüler durchschnittlich größere Kenntnisse in den Naturwissenschaften aufgewiesen hätten als westdeutsche Schüler.

Die Umwandlung des Schulsystems im Rahmen der Wiedervereinigung bezeichnete Willems als dynamischen Prozess, der in großer Eile umgesetzt werden musste. Anforderung sei es gewesen, bisher fehlende Individualität und Chancengleichheit im Bildungssystem zu gewährleisten. Willems kritisiert rückblickend, dass keine Reform des ostdeutschen Systems im eigentlichen Sinne stattgefunden habe, sondern das westdeutsche System schlichtweg kopiert und übergestülpt worden sei. Dies sei insofern problematisch gewesen, als dass dabei auch die Fehler des Westens übertragen wurden. Darin sieht Willems eine Ursache für die bis heute anhaltende Rechtfertigungs- und Verteidigungshaltung vieler Ostdeutscher in Bezug auf das alte System.

Problematisch sei zudem gewesen, dass die alte Lehrerschaft fast vollständig übernommen wurde. Dies habe die Lehrer vor die Anforderung gestellt, dass sie plötzlich und ohne umfangreiche Vorbereitung ein völlig anderes Gedankengut repräsentieren mussten. Ein negativer Affekt davon sei teilweise gewesen, dass ein falsches und oftmals verklärtes Bild der DDR vermittelt wurde. Dabei wäre laut Willems gerade eine offene Diskussion zur Vergangenheitsbewältigung dringend notwendig gewesen. Diese Konsequenzen seien jedoch zu spät erkannt worden.

Zusammenfassend beschrieb er die Erneuerung des ostdeutschen Bildungssystems als langen und schwierigen Weg, auf dem man jedoch nach mehr als 20 Jahren deutliche Erfolge erkennen könne. Nichtsdestotrotz gelte es, das Bildungssystem in West und Ost immer wieder zu reformieren.

Da die anwesenden koreanischen Lehrer sehr interessiert an den Erfahrungen des Wiedervereinigungsprozesses in Bezug auf Bildung waren, wurde im Folgenden neben Erfahrungsberichten bezüglich der Zusammenarbeit zwischen ost- und westdeutschen Lehrern v.a. die Bedeutung der Fortbildung für die ostdeutschen Lehrer diskutiert. Wichtigste Erkenntnis hier: Es gelte, die betroffenen Lehrer zu einem offenen Diskurs sowie dem Einsatz der neuen Medien zu ermutigen. Wichtig sei bei den Fortbildungen neben dem Inhalt die Methodik der Weiterbildung. Die Vermittlung der Kompetenzen müsse unbedingt in einem interaktiven Rahmen stattfinden, anderenfalls sei der Erfolg gering, so Willems.

Abschließend betonte der ehemalige Schulrektor und Staatssekretär nochmals, ihm liege es am Herzen, dass alle Schüler die gleichen Chancen hätten und man in einem so schwierigen Umwandlungsprozess immer wieder den Dialog suche.

Erfahrungen und Herausforderungen der außerschulischen Bildung im Wiedervereinigungsprozess

Um ein historisches Ereignis angemessen verstehen zu könne, gilt es eine möglichst vielschichtige Perspektive zu gewinnen. Aus diesem Grund berichtete Ronny Heine als Pendant zu Winfried Willems aus der Sicht eines Schülers seine Eindrücke zur Reformierung des ostdeutschen Schulsystems sowie von seiner jetzigen Tätigkeit in der politischen Bildung im Osten Deutschlands.

Rückblickend auf seine Jugend in der DDR falle ihm die Überbetonung des Kollektivs auf, so Heine. Auch das Bildungssystem sei in all seinen Facetten auf das Ziel der Gemeinschaft ausgerichtet gewesen. Dass sich daraus eine völlig andere Art der Sozialisation ergeben habe, dürfe heute nicht vergessen werden, wenn man Probleme in Bezug auf die Wiedervereinigung betrachte. Zwar hätten viele Bürger das System (zumindest im Privaten) nicht befürwortet, es habe aber durchaus gewisse Effekte auf die sozialen Kompetenzen seiner Bürger gehabt.

Die emotionale Situation der ehemaligen DDR-Bürger während der Wiedervereinigung beschrieb Heine mit dem Begriff der Orientierungslosigkeit. So seien alle bisher gültigen Werte plötzlich in Frage gestellt oder verurteilt worden. Dies zu bewältigen, sei eine enorme Herausforderung für die ostdeutschen Bürger im Allgemeinen und für Schüler und Lehrer im Speziellen gewesen. Positive Effekte in der Schule, z.B. Freiheit an Stelle von Disziplin, seien zwar für die Schüler eine große Chance gewesen, dennoch habe es schlichtweg unglaubwürdig gewirkt, dass die gleichen Lehrpersonen plötzlich gegenteilige Werte und Anschauen lehrten.

Die entstandene Verwirrung bleibe selbstverständlich nicht ohne Folgen für das politische System der Bundesrepublik. Berücksichtig werden müsse hierbei auch, dass den ostdeutschen Bürgern das kritische Denken vorher untersagt war, dieses aber essentiell für mündige Bürger und einen demokratischen Staat sei. In Anbetracht dieser enormen Umbrüche und plötzlichen Veränderungen der gesellschaftlichen Normen ließe sich auch erklären, weshalb in Umfragen nur ca. 40 % der Ostdeutschen mit der deutschen Demokratie zufrieden seien. Es fehle am Verständnis für Demokratie sowie an Vertrauen in den Staat, so Heine. Er warnte deshalb langfristig vor einem Legitimationsproblem der deutschen Demokratie.

Da man „nicht als Demokrat geboren, sondern erzogen wird“, so Heine, sei es eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Bildung, um dem beschriebenen Zustand der Unsicherheit und einer daraus resultierenden Ablehnung durch Aufklärung entgegenzuwirken. Dies müsse unbedingt in Form eines Dialoges erfolgen, um sich deutlich von der sozialistischen Praxis der Indoktrination der Ideologien abzugrenzen. In einer freiheitlichen Ordnung gelte es, in Diskussionen durch schlagkräftige Argumente zu überzeugen.

Politische Bildung müsse erzielen, dass der Enttäuschung über die Freiheit, welche sich die DDR-Bürger doch selbst erkämpft hatten, entgegengewirkt werde. Anderenfalls bestehe die Gefahr steigender Politikverdrossenheit und eines Machtzugewinns des Extremismus. Inhaltlich heiße dies, man müsse den Bürgern klar machen, weshalb beispielsweise die Soziale Marktwirtschaft sinnvoll und nicht schädlich für die Bürger der Deutschlands sei. Man müsse aktiv Aufarbeitung leisten, um eine Verklärung der sozialistischen DDR zu verhindern.

Den anwesenden Lehrern riet er, sollten sie einmal vor der gleichen Herausforderung stehen, bei der Didaktik und Methodik unbedingt auf aktives Erleben zu setzen. Beispielsweise Planspiele oder das Einbinden von Zeitzeugen könnten den Bürgern abstrakte Problematiken näherbringen. Auch das Medium des Internets biete hierbei zahlreiche Chancen und Möglichkeiten.

In der abschließenden Diskussion wurden ein Bildungs- und Informationsprogramms der KAS zur ehemaligen DDR vorgestellt, aber auch die Rolle der Medien im Bildungsprozess kritisch beleuchtet. Sie hätten neben Schule und außerschulischen Bildungsinstitutionen ohne Zweifel den größten Einfluss auf die Meinungsbildung der Bürger. Hierbei sei laut Heine eine gewisse Vorsicht geboten, welcher Medien man sich bediene. Bürger müssten sich unbedingt eine gewisse „Medienkompetenz“ aneignen.

Als Schlusswort zog die stellvertretende Schulleitern der Yeomyung School aus den informativen Vorträgen das Resümee, dass Korea aus den geschilderten Problematiken lernen könne, indem es frühzeitig einen Dialog mit nordkoreanischen Flüchtlingen aufnehme. So könne man im Falle einer Wiedervereinigung die Umstrukturierung mit viel Empathie vornehmen.

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Kontakt

Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

stefan.samse@kas.de +65 6603 6171

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