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Veranstaltungsberichte

Partizipative Methoden der Politischen Bildung

Gemeinsamer Workshop von KAS und KADE

Seit Langem beherrscht die Debatte um die richtigen Strukturen, Formate und Inhalte den fachwissenschaftlichen Kurs koreanischer Sozialwissenschaftler. Dabei ist die Fragen der Methoden der Politischen Bildung bisher nicht angemessen behandelt worden, so die Erfahrung der Konrad-Adenauer-Stiftung während ihrer langjährigen Projektarbeit in Korea. Anfang November 2013 unternahmen die Stiftung und ihr bewährter Partner KADE (Korean Association of Democratic Civic Education) einen erneuten Versuch, ausgewählte Akteure der Politischen Bildung mit partizipativen Methoden vertraut zu machen.

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Diese Aufgabe lag in den Händen von Dr. Michael Holländer, einem in der entwicklungspolitischen Auslandsarbeit in Asien erfahrenen Didaktiker. Ihm oblag es vor allem, die scheinbare Kluft zwischen der von der konfuzianischen Bildungstradition Koreas favorisierten und kaum jemals hinterfragten Frontalunterrichtsmethodik und den moderneren, meist im Westen entwickelten Bildungsmethoden der jüngeren Zeit zu überbrücken. Diesem Ziel diente der KAS-KADE-Workshop in Kjungju, wozu Lehrer und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen als Träger der Politischen Bildung in Korea eingeladen worden waren.

Erwartungen formulieren – Methodenhintergründe verstehen

Zu Beginn wurden die Teilnehmer aufgefordert, ihre Erwartungen an den Workshop zum Ausdruck zu bringen. Dazu stellte Dr. Holländer die Methode „Stummer Dialog“ vor. Ihre Ziele sind Brainstorming, Einstieg in ein neues Thema, abfragen von Teilnehmererwartungen, die Aktivierung aller Teilnehmenden und die (Selbst) Reflektion. Zielgruppe der Methode sind in der Regel Schüler, junge Erwachsene, Erwachsene, zwischen 15 und 30 Personen. Schreibfähigkeit wird vorausgesetzt, der Aufwand ist mittelgroß. Bei einem Stummen Dialog wird nicht gesprochen. Weil nicht geredet und nicht kommentiert wird, entstehen Freiräume für Gedankensplitter, die sonst eventuell untergehen bzw. gar nicht erst benannt werden. Ziel ist es, Assoziationen, Erfahrungen oder auch bestehende Vorurteile zu einem Thema sichtbar und damit einer weiteren Bearbeitung zugänglich zu machen. Die Methode eignet sich nicht nur besonders für den Einstieg in die Bearbeitung eines Themas, sondern auch um alle Beteiligten, z.B. Schüchterne oder Menschen mit Redehemmungen, einzubeziehen.

Der erste Teil des Methodenworkshops diente der Vermittlung der sogenannten „Ziel-Inhalt-Methoden“-Logik. Diese ist ein Grundprinzip in der demokratiepolitischen Erwachsenenbildung, denn der Erfolg einer Bildungsmaßnahme ist unauflöslich an eine logische Verbindung von Zielen, Inhalten und Methoden gebunden. Doch welche Ziele und, davon abhängig, welche Methoden sollten im Vordergrund stehen?

Um diese Frage zu diskutieren, wurden die Teilnehmer vom deutschen Referenten eingeladen, ihm mittels der Methode „Positionslinie“ ihre Haltung zu einer inhaltlichen Frage zu verdeutlichen. Ziel dieser Methode ist es, Kontroversität zu fördern, aber auch einen Interessenausgleich herbeizuführen, die Interessen- und Meinungsartikulation zu unterstützen und damit auch die informierte Meinungsbildung. Zielgruppe sind junge Erwachsene und Erwachsene, maximal in Gruppen zu 30 Personen. Der Aufwand ist gering.

Ein methodisch-didaktisches Grundprinzip demokratiepolitischer Bildung ist es, die Kontroversen in der realen Politik und in der Wissenschaft auch in den Bildungsmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Dabei geht es darum, Kompetenzen für ein mündiges soziales und politisches Handeln einzuüben. Teilnehmende sollen dadurch lernen, mutig und für alle sichtbar Stellung zu beziehen, einen klaren Standpunkt zu formulieren und diesen mit Argumenten zu vertreten – dabei aber weiter offen für Gegenargumente zu bleiben.

Dazu wird mit Klebeband eine Linie von ca. zehn Metern quer durch den Veranstaltungsraum geklebt. Wichtig ist, die Mitte der Linie zu markieren. Die Position in der Mitte steht für „unentschieden“ bzw. „unentschlossen“. Das eine Ende der Linie ist die „Ja-Position" (pro), der entgegen gesetzte Pol die „Nein-Position" (contra). Nun wird die Streitfrage gestellt und schriftlich fixiert im Raum ausgehängt (z.B. auf einem Flipchart oder auf der Wandtafel). Alle Teilnehmenden bekommen daraufhin kurze individuelle Bedenkzeit bevor sie gebeten werden, sich ohne Absprache mit anderen auf der Linie zu positionieren. Dabei stellen sie sich an der Stelle auf die Linie, die ihrer Position in der Streitfrage entspricht: Beantworten sie die gestellte Frage mit „ja“, so stellen sie sich auf der „Ja-Position“ auf; sind die Teilnehmenden dagegen, so platzieren sie sich auf der „Nein-Position“. Wenn sich jemand nicht eindeutig für die eine oder andere Position entscheiden kann, so stellt sie sich in entsprechendem Abstand zu den Polen auf. Je näher die Teilnehmenden der einen oder anderen Meinung zustimmen, desto näher müssen sie an den entsprechenden Pol rücken. Es ist wichtig, dass die Bewegung auf der Linie zum Stillstand kommt und wirklich alle ihre Position gefunden haben. Danach bleiben die Teilnehmenden auf ihrer Position stehen. Freiwillige werden gebeten, „Stellung zu beziehen“ und ihre Position zu begründen. Weshalb sind sie dafür, weshalb dagegen, weshalb können sie nicht eindeutige Position beziehen? Sollten die Standpunkte sehr kontrovers und gegensätzlich sein – die Teilnehmenden also eindeutig auf dem „Ja“- bzw. „Nein“-Pol der Linie stehen – kann aus der Positions- eine Streitlinie werden. Es wird eine Pro- und eine Contra-Gruppe gebildet. Daraufhin bekommen die beiden Gruppen fünf Minuten Zeit, sich zu besprechen und Argumente zu sammeln.

Anschließend tragen Vertreter der Pro- und Contra–Seite abwechselnd ihre Positionen vor. Hier sind keine langen Plädoyers gefragt, sondern die Formulierung kurzer und knapper Argumente. Auf ein Argument der Pro-Seite folgt in lebendiger Diskussion und „im offenen Schlagabtausch“ ein Argument der Contra-Seite.

Am Ende wiederholt der Moderator die gleiche Streitfrage wie zu Beginn, und alle Teilnehmenden werden noch einmal gebeten, ihre Position auf der Linie zu suchen. Es könnte ja sein, dass sich der ein oder die andere von den Argumenten der anderen Seite hat überzeugen lassen. Vielleicht hat ja sogar jemand „die Fronten gewechselt“ und steht nun an einer anderen Position auf der Linie? Welches waren die überzeugenden Argumente? Oder haben sich die Fronten sogar verhärtet? Wie fühlt sich so ein Konflikt in der Gruppe an?

„Mündige Bürger durch Politische Bildung – eine Lebensaufgabe

Auf der Basis der Erfahrungen mit der Methode „Positionslinie“ wurde im zweiten Workshopteil der Austausch der Teilnehmer über die „Ziel-Inhalt-Methoden“-Logik weitergeführt. Die Entwicklung zu einem „mündigen Bürger“ sei eine komplexe und meist lebenslange Aufgabe, so Dr. Holländer. Vor diesem Hintergrund seinen die grundsätzlich konsensfähigen Aufgaben demokratiepolitischer Bildung leichter einzuordnen: Interesse an Politik wecken; Grundwissen und Verständnis für Politik vermitteln; demokratische Einstellungen und Wertorientierungen sowie die Identifizierung mit demokratischen Werten fördern; Voraussetzungen für eine selbstständige politische Analyse schaffen; selbstständiges politisches Urteilen fördern; zur aktiven demokratischen Partizipation am politischen Geschehen motivieren und qualifizieren/Bürgerkompetenzen entwickeln und fördern.

Diese Aufgaben spiegeln sich in den methodisch-didaktischen Grundprinzipien wider:

Überwältigungsverbot: Statt Belehrung oder gar Indoktrination werden Ansätze des ganzheitlichen, selbstständigen und emanzipatorischen Lernens z.B. in Form partizipativer Einzel- und Gruppenarbeiten betont. Der Lehrende tritt dabei als Moderator des Lernprozesses auf und nicht als Dozierender oder gar „Guru“, der durch seine fachliche oder strukturelle Autorität den Lernprozess und die Lernenden dominiert. Dennoch soll der Lehrende eine Orientierung in Gesellschaft und Politik ermöglichen, um damit dem Eindruck der Undurchschaubarkeit und dem Gefühl des Ausgeliefertseins entgegenzuwirken.

Wissenschafts- und Lernzielorientierung: Die Rolle des Lehrenden als Moderator entbindet ihn weder vom Gebot, sich bei der Planung und Umsetzung der Bildungsmaßnahme am aktuellen Fachwissen zu orientieren (Wissenschaftsorientierung) noch von seiner Verantwortung, die definierten Lernziele möglichst zu erreichen (Lernzielorientierung). Dies gelingt am ehesten, wenn schriftliche Trainingsdesigns vorliegen, die auch mehr Verbindlichkeit und Transparenz garantieren.

Kontroversität und Problemorientierung: Es gilt, die Kontroversen in der realen Politik und in der Wissenschaft auch in den Bildungsmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Dafür eignen sich Methoden wie die Positionslinie, Pro-Kontra-Diskussionen oder Perspektivenwechsel in Rollenspielen, etc., um Kontroversen nicht nur anzusprechen, sondern auch im Plenum erlebbar und erträglich sowie in der Austragung für alle fruchtbar (weil rational-konstruktiv) zu machen.

Kompetenzorientierung: Neben der Vermittlung von spezifischen Inhalten rückte immer mehr auch die Vermittlung von Demokratie- oder Bürger-Kompetenzen in den Vordergrund. Es geht darum, Kompetenzen zu entwickeln, um Informationen aufnehmen zu können, diese individuell zu bewerten bzw. zu beurteilen und daraus selbstständig Handlungsoptionen und tatsächliche Aktivitäten abzuleiten (z.B. Kommunikations- und Medienkompetenzen). Für die demokratiepolitische Bildung interessant sind auch Gestaltungskompetenzen. Damit werden für die demokratische Entwicklung eines Landes relevante Kompetenzen wie vorausschauend und in komplexen Systemzusammenhängen zu denken, eine weltoffene und tolerante Wahrnehmung oder die Fähigkeit zu Empathie, Mitleid und zur Solidarität betont. In der Praxis kann dies durch angewandte Methoden, die unterschiedliche Kompetenzen fördern, umgesetzt werden (z.B. Rotierende Partnergespräche, Arbeiten mit Primärquellen, Erstellen von Wandzeitungen, Simulationen, Rollenspiele).

Handlungsorientierung: Demokratiepolitische Bildung hat nicht nur die intellektuelle Aneignung von Sach- & Fachwissen zum Ziel, sondern vielmehr die politische Handlungsfähigkeit der Lernenden im jeweiligen gesellschaftlichen und politischen System. Diese Handlungskompetenzen erwerben Lernende durch praktisches, forschendes, problemlösendes, soziales, kommunikatives, projektartiges, produktorientiertes, ganzheitliches Lernen. Je nachdem, ob reales bzw. simulatives Handeln oder produktives Gestalten als Handlungsebene in einer Bildungsmaßnahme im Vordergrund stehen, lassen sich wiederum eine Vielzahl von handlungsorientierten Methoden benennen (z.B. Planspiel, Pro-Contra-Diskussion, Rollenspiel, Zukunftswerkstatt).

Interessen- und Teilnehmerzentrierung: Was inhaltlich bearbeitet wird und in welcher Weise dies geschehen soll, wird weitgehend gleichberechtigt zwischen Lehrenden und Lernenden verhandelt. Dies bedingt eine besondere Berücksichtigung von aneignungsorientierten Methoden, also eine konsequente Orientierung am Lernen und nicht am Lehren.

Aktualität und Anschaulichkeit: Auch wenn demokratiepolitische Bildung kaum ohne Grundwissen des jeweiligen historischen Kontextes erfolgreich sein kann, bezieht sie sich i.d.R. auf aktuelle Probleme & Lösungsvorschläge. Dies steigert meist nicht nur das Interesse der Lernenden, sondern ermöglicht auch viel eher ein Aktivwerden in der politischen Realität. Lerninhalte sollen zudem zielgruppengerecht aufgearbeitet werden und möglichst wenig abstrakt, sondern anschaulich und einprägsam vermittelt werden. Diesbezüglich ist zum Beispiel besonders auf die Visualisierung und Präsentation von Lerninhalten zu achten sowie auf eine für die Lernenden verständliche Sprache.

Feedback – unerlässlicher Bestandteil demokratiepolitischer Bildungsarbeit

Nachdem einige weitere partizipative Bildungsmethoden vorgestellt wurden, kam es am Veranstaltungsende ebenfalls zur Einübung von einfachen, aber wirksamen Methoden der Messung von Teilnehmerfeedback. Dies ist unter den Bedingungen des koreanischen Lern- und Studierkontextes häufig nur sehr schwer von den Zielgruppen zu erhalten, da des als unangemessen gilt, Kritik am Lehrenden zu üben.

Die Methode „Stimmungsbarometer“ hat das Ziel einer partizipativen Zwischenbilanz und/oder Auswertung einer Bildungsmaßnahme. Zielgruppe sind Schüler, junge Erwachsene und Erwachsene. Sie ist auch für große Gruppen bis zu 100 Personen geeignet, da der Aufwand gering ist. Das Stimmungsbarometer dient der Zwischenbilanz sowie der Auswertung. Mit Hilfe dieser Methode ist es möglich, die Befindlichkeiten in einer Gruppe sichtbar und damit auch kommunizierbar zu machen. Auf einer Wandzeitung werden die einzelnen Arbeitseinheiten der Veranstaltung bzw. des Seminars aufgezeichnet und mit einer Bewertungsskala (Nummern oder Symbole) versehen. Am Ende jeder Arbeitseinheit werden die Teilnehmer jeweils gebeten, ihre momentane Stimmung mit einem Klebepunkt (Ein-Punkt-Abfrage) zu signalisieren. In der Auswertung am Schluss des Seminars können dann die Ursachen für die Befindlichkeiten diskutiert werden. Das Stimmungsbarometer ist dann geeignet, wenn Stimmungen und Befindlichkeiten der Gruppe für alle sichtbar und damit „besprechbar“ gemacht werden sollen. Das kann zwischendurch sein, das kann aber auch am Ende einer Veranstaltung geschehen.

Die Methode „Kofferpacken“ hat das Ziel einer kurzen und einfachen Bilanz am Ende einer Veranstaltung, es soll ein visualisiertes und transparentes Teilnehmer-Feedback entstehen. Zielgruppe sind junge Erwachsene und Erwachsene bis zu 50 Personen. Schreibfähigkeit wird vorausgesetzt, der Aufwand ist gering. Am Ende einer Veranstaltung soll Bilanz gezogen werden. "In den Koffer packen“ bzw. „in den Papierkorb werfen“ stehen hier als Metaphern für Positives („das nehme ich mit, das ist mir wichtig“ usw.) beziehungsweise Negatives („das soll hier bleiben, das kann ich nicht gebrauchen“ usw.). Dazu werden am Ende der Veranstaltung am Ausgang ein Koffer und ein Papierkorb bereitgestellt. Die Teilnehmenden erhalten Papier (mindestens zwei Zettel) und Stift, um die jeweils relevanten Aspekte zu notieren. Die Moderation macht den Teilnehmenden bewusst, dass nun bald die Zeit des Abschieds gekommen ist. Sie bittet sie, sich noch einmal an den Anfang der gemeinsamen Zeit zurück zu versetzen und die Veranstaltung im Geiste zu durchleben, die Erlebnisse, Ereignisse, Erfahrungen usw. Revue passieren zu lassen. Nun sollen sie entscheiden, was sie mitnehmen wollen (in den Koffer packen), und was sie lieber zurücklassen und vergessen wollen (in den Papierkorb werfen). Dabei sollen die wichtigsten Aspekte auf ein Blatt geschrieben (oder auch gemalt) werden. Nach Beendigung der Veranstaltung werfen die Teilnehmenden beim Verlassen des Raums ihre Zettel jeweils in die Tonne oder den Koffer.

Gemeinsam war den Teilnehmenden des Workshops ein sehr großes Interesse für die vorgestellten Methoden und ein hohe Überzeugung gegenüber deren Anwendbarkeit im koreanischen Kontext. Dabei blieb im Einzelfall durchaus die Überzeugung bestehen, dass bei aller modernen Methodik die reine Wissensvermittlung nicht zu kurz kommen dürfe. Dennoch bestand Einigkeit, dass die Anwendung moderner, partizipativer Methoden in der Politischen Bildun g unerlässlich sei, um die Teilnahme junger Menschen an politischen Prozessen auch künftig sicherzustellen.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

stefan.samse@kas.de +65 6603 6171

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