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Veranstaltungsberichte

Überwindung von 70 Jahren nationaler Teilung Koreas und Gedenken an 25 Jahre deutsche Einheit

Vergangenheitsaufarbeitung und Erfolge im Kontext der deutschen Wiedervereinigung und Lehren für Korea

Welche Erfolge konnte Deutschland in der Vergangenheitsaufarbeitung der SED-Diktatur erzielen? Wie verlief die gesellschaftliche Integration in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung? Welche Rolle spielte dabei politische Bildung? Und welche Lehre kann die koreanische Halbinsel aus der deutschen Erfahrung ziehen? Mit diesen Fragen beschäftigte man sich anlässlich der internationalen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung (Auslandsbüro Korea) und deren Partner, des Data Base Center for North Korean Human Rights (NKDB), am 11. September 2015 im Pressezentrum in Seoul.

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Warum es so wichtig sei, dass wir uns an unsere Vergangenheit erinnern – mit dieser Frage eröffnete Dr. Norbert Eschborn, Leiter des KAS-Auslandsbüros Korea, die Konferenz. Bei Vergangenheitsaufarbeitung gehe es um Gerechtigkeit für die Opfer und Verantwortungsübernahme der Täter. Dr. Eschborn betonte, dass es wichtig, sei sich an die Vergangenheit zu erinnern, um eine Wiederholung grausamer Verbrechen zu vermeiden. Letztendlich gehe es aber um Menschlichkeit, Anteilnahme und Versöhnung.

Oliver Sperling, Erster Sekretär der Deutschen Botschaft Seoul, bezeichnete in seinem Grußwort den Fall der Mauer als wichtigsten und emotionalsten Moment der deutschen jüngeren Geschichte. Die Wiedervereinigung sei ein Segen gewesen. Die Mauer sei ein Symbol politischer und gesellschaftlicher Trennung gewesen, so Sperling. Das Ergebnis seien zwei Gesellschaften gewesen, die 45 Jahre in unterschiedlichen Welten lebten. Doch Deutsche hätten tiefe Gräben überwunden, damit ihre Gesellschaft wieder zusammenwachsen konnte. Sperling appellierte an die Teilnehmer der Veranstaltung, sich Gedanken zu machen, welche Werte und Normen wir benötigten, um Gerechtigkeit wiederherzustellen. Diese Frage müsse sich auch Korea stellen, sobald eine Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel erreicht worden sei.

Ein weiteres Grußwort hielt Dr. Jong Hun Park, Vorsitzender der NKDB. Er nahm auf die jüngsten Spannungen zwischen Nord- und Südkorea an der gemeinsamen Grenze Bezug. Vielleicht, so habe er gedacht, seien diese erneuten Spannungen Auslöser für eine Wiedervereinigung. Auch für Deutschland sei die Wiedervereinigung völlig unvorhergesehen gekommen. Doch eines Tages würde die koreanische Wiedervereinigung realisiert und dann würde Vergangenheitsaufarbeitung eine große Rolle spielen. Deutschland bemühe sich stets, ein gutes Beispiel für die koreanische Wiedervereinigung zu sein. Doch was täten sie selbst dafür, fragte er seine koreanischen Zuhörer. Wie könnten sich die Südkoreaner effektiv auf eine Wiedervereinigung und Verbesserung der Menschenrechtslage in Nordkorea vorbereiten?

Jae Chun Lee, Vorstandmitglied des NKDB und ehemaliger Botschafter, sah keine Lösung in Sicht, solange Nordkorea Atomwaffen besäße, Menschenrechte verletze und sein diktatorisches Regime aufrechterhalte. Die Menschenrechtslage in Nordkorea sei nicht akzeptabel, Nordkorea könne nicht als Mitglied der internationalen Gesellschaft anerkannt werden, so Lee. Er fragte, wie lange Südkorea und die Welt dies noch akzeptieren wollten. Im Falle der koreanischen Halbinsel sei das Beispiel der deutschen Wiedervereinigung seiner Meinung nach nur begrenzt anwendbar. Trotzdem betonte Lee die Wichtigkeit der Analyse der deutschen Aufarbeitung des SED-Regimes, denn alle Beispiele, auch Fehler anderer, seien lehrreich.

Vergangenheitsaufarbeitung und gesellschaftliche Integration in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung: Aktivitäten der Bundesstiftung Aufarbeitung

Dr. Jens Hüttmann, Leiter der Abteilung Schulische Bildungsarbeit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, hielt den ersten Vortrag. Hüttmann bezeichnete die deutsche Einheit zu Beginn seines Vortrags als eine „unvollendete“. Zwar sei die politische, soziale und wirtschaftliche Einheit im Großen und Ganzen vollendet, von einer kulturellen Einheit könne aber noch nicht gesprochen werden. Ein relevanter Teil der Ostdeutschen sei bis heute nicht in der Gesellschaft der Bundesrepublik angekommen, trotz Übernahme des westdeutschen Rechts-, Währungs- und Wirtschaftssystems sowie der Angleichung der Infrastruktur und des Bildungssystems. Dies bezeichnete Dr. Hüttmann als „Anerkennungsproblem“ der Ostdeutschen, welches sich aktuell auch anhand der fremdenfeindlichen Proteste gegen Flüchtlinge beobachten lasse.

Besonders umstritten sei bis heute die juristische Aufarbeitung der SED-Zeit. Nach über 100.000 Ermittlungsverfahren hätten nur 40 verurteilte Funktionsträger der SED eine Haftstrafe antreten müssen. Dies zeige, laut Hüttmann, die Grenzen der Justiz auf, Verbrechen der Diktatur strafrechtlich zu verfolgen. Denn ohne gesetzliche Grundlage hätte der bundesrepublikanische Rechtsstaat auch offensichtliches Unrecht nicht ahnden können. Hüttmann betonte, dass dies für unseren Rechtsstaat spräche, leider aber eine Enttäuschung und Desillusionierung für die Opfer bedeutete. Diese hätten Gerechtigkeit gewollt, aber den Rechtsstaat bekommen, so drückte es Dr. Hüttmann mit den Worten der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley aus.

Hüttmann erklärte, warum die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR so wichtig gewesen sei. Zum einen sollten die Verbrechen des SED-Regimes nicht verschwiegen werden, wie es nach 1945 mit den Verbrechen der NS-Zeit geschah, zum anderen sollte einer nostalgischen Verklärung der DDR entgegengewirkt werden. Die Bundesstiftung Aufarbeitung habe einen wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur durch Veranstaltungen und Opferbetreuung geleistet. Hüttmann fügte hinzu, dass es außerdem wichtig sei, die innergesellschaftliche Integration zu fördern. Denn durch widersprüchliche Erinnerungen und Emotionen gegenüber der Geschichte könnten Konflikte zwischen den Bürgern ausgelöst werden. Zeitgeschichte sei somit auch immer Streitgeschichte.

Der Diskutant der ersten Runde, Se-Jeong Jang, Reporter der Jung-Ang Zeitung, fragte, welche Art von Vergangenheitsaufarbeitung Korea bereits geleistet habe. Im Falle Japans sei eine saubere Aufarbeitung schwierig, da Schuldige nie vollständig bestraft worden seien. Im Falle Nordkoreas stellte sich Jang die Aufarbeitung nach einer Wiedervereinigung so vor, dass zunächst Unterlagen offengelegt und eine objektive Wahrheitsfindung erfolgen müsse, um dann Verantwortliche zu bestrafen sowie Entschuldigungen und Entschädigungszahlen zu fordern. Jang fragte Dr. Hüttmann, wie mit der nordkoreanischen Elite umzugehen sei, schürten doch vor allem viele nordkoreanische Flüchtlinge Hass gegenüber jener. Hüttmann erwiderte darauf, dass er Gefühle von Rache verstehen könne, den einzig richtigen Weg aber in Versöhnungsprozessen auf demokratischer, rechtsstaatlicher Ebene sehe.

Bedeutung und Aufgaben eines Forschungszentrums für Vergangenheitsaufarbeitung und soziale Integration

Dr. Jeong Won Park, Direktor des Institute for Transitional Justice and Integration der Kookmin University, gab die zweite Präsentation, in der er die Arbeit des Forschungsinstituts vorstellte. Dessen Ziel sei die Entwicklung eines Modells zur Vergangenheitsaufarbeitung und Integration der beiden Koreas. Die Arbeit der Bundesstiftung sei dabei ein Vorbild, doch Dr. Park betonte, dass die Wunden in Korea aufgrund der Menschenrechtsverletzungen im Norden noch tiefer seien als in Deutschland. Nordkoreas Verbrechen gegen die Menschlichkeit forderten Gerechtigkeit, dabei solle die Objektivität aber nicht aus den Augen verloren werden. Auch in Korea stünde Aufklärung der Öffentlichkeit durch Zugang zu Informationen und Bildungsprogrammen im Vordergrund. Nach der Wahrheitsfindung stelle sich dann aber die Frage, wie mit den Tätern umzugehen sei. Dr. Park zog für den Fall Koreas eine juristische Aufarbeitung mit möglicher Amnestie und Integration der Täter in Betracht. Er fügte hinzu, dass es für die Forschung des Instituts weiterhin wichtig sei, die Erfahrungen der nordkoreanischen Flüchtlinge zu berücksichtigen und jene in ihrem Integrationsprozess zu unterstützen.

Der Diskutant der zweiten Runde, Rechtsanwalt Meong-Seob Han, vertrat die Meinung, dass eine Bestrafung der Täter wichtig sei, da sie sonst die Wahrheit unter den Teppich kehren würden. Es müsse einen gesellschaftlichen Konsens über die Ereignisse der modernen Geschichte geben. Zum Thema Bildung und Darstellung der Geschichte gab es Fragen aus dem Publikum, wie die Geschichtsbücher der Schulen konzipiert werden sollten, da momentan in diesen noch kontroverse Inhalte stünden. Dr. Hüttmann beantwortete diese Frage damit, dass es wichtig sei den Schülern die verschiedenen Standpunkte näherzubringen und ihnen zu zeigen, dass es diese Kontroversen in der Gesellschaft gebe.

Ein weiterer Kommentar aus dem Publikum bezog sich auf die Sammlung von Beweismaterial über die Verbrechen Nordkoreas nach dem Beispiel der früheren deutschen Erfassungsstelle Salzgitter. Diese Sammlung spiele eine enorme Rolle für die Arbeit des NKDB, da es als Grundstock seiner Analysen diene.

Außerdem wurde gefragt, weshalb die Nachfolgepartei der PDS, die Linke, in Deutschland nicht verboten worden sei. Dr. Hüttmann wies darauf hin, dass die Partei möglicherweise auch trotz Verbot weiterbestanden hätte, man aber vermeiden wollte, dass dies auf intransparente Weise im Untergrund geschieht.

Aktivitäten und Herausforderungen zur sozialen Integration durch politische Bildung am Beispiel einer Landeszentrale für politische Bildung

Den ersten Vortrag der zweiten Session hielt Bernd Lüdkemeier, ehemaliger Direktor der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt. Lüdkemeier berichtete von seinen Erfahrungen als Gründungsdirektor dieser Zentrale, die 1991 ihre Arbeit aufnahm. Politische Bildung sei unverzichtbarer Bestandteil einer pluralen Bildungslandschaft sowie einer lebendigen und funktionierenden Demokratie. Die Ziele der Landeszentrale seien die Förderung eines freiheitlichen demokratischen Bewusstseins innerhalb der Gesellschaft sowie die Vermittlung der Werte Toleranz, Respekt, Weltoffenheit und Kritikfähigkeit gewesen.

Ferner erklärte Lüdkemeier, wer die speziellen Zielgruppen der politischen Bildung in den neuen Bundesländern gewesen seien. Dazu habe der gesamte Bereich des öffentlichen Dienstes gehört, darunter Bundeswehr und Polizei, vor allem aber Lehrpersonal. Letztere seien in der DDR besonders intensiver Indoktrination ausgesetzt gewesen und ideologisch damit noch immer dem alten System verhaftet geblieben. Dem neuen Bildungsangebot sei mit Verdrossenheit und Skepsis begegnet worden. Wesentliche Multiplikatoren politischer Bildung und ebenfalls stark indoktriniert seien aber auch Medienvertreter gewesen. Lüdkemeier fügte hinzu, dass politische Bildung für die ostdeutschen Bürger außerdem als Orientierungshilfe in einer für sie völlig neuen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Rechtsordnung gedient habe.

Des Weiteren trug Lüdkemeier die inhaltlichen Schwerpunkte der Bildungsarbeit der Landeszentrale vor. Diese seien die Grundlagen der Demokratie, der Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft, das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Föderalismus sowie politische Willensbildung und Entscheidungsprozesse auf kommunaler und regionaler Ebene gewesen. Lüdkemeier betonte außerdem, dass den Ostdeutschen, die mit persönlichen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, habe erklärt werden müssen, dass diese nicht in der neugewonnenen demokratischen Grundordnung ihren Ursprung hatten, sondern im vorangegangenen System der Diktatur.

Ein weiterer, neuer Schwerpunkt sei ab Mitte der 1990er Jahre dann der politische Extremismus in all seinen Erscheinungsformen gewesen. Abschließend hielt Lüdkemeier fest, dass politische Bildung immer einen Angebots- und Freiwilligkeitscharakter haben sollte und sowohl auf Rahmenbedingungen der Politik auf nationaler Ebene, aber eben auch auf die Mitarbeit der einzelnen Länder angewiesen sei. So habe letztendlich ein entscheidender Beitrag für die Integration der Menschen, die Überwindung traumatischer Erlebnisse und den Abbau innerer und äußerer Politikdistanz geleistet werden können.

Die Rolle und Aufgaben der politischen Bildung bei der Förderung der sozialen Integration im Kontext der koreanischen Wiedervereinigung

Die letzte Präsentation der Konferenz hielt Dr. Shin Hee Kim von der University of North Korean Studies. Dr. Kim stellte zunächst die Frage, welche Werte Korea wieder vereinen könnten und welche Richtung das Land nach einer Wiedervereinigung einschlagen sollte. Die Menschen im Norden und Süden seien so unterschiedlich, und Südkorea habe sich politisch und wirtschaftlich so rasant weiterentwickelt, dass Nordkorea nicht mehr mithalten könne. Freiheit, so Kim, bedeute in beiden Ländern aufgrund differierender Wertvorstellungen etwas anderes. Für Südkoreaner habe das Wort Freiheit früher einen sehr viel emotionaleren Wert gehabt. Heute stelle Freiheit, zumindest in Südkorea, vieles dar: Wohlstand, Multikultur, Digitalisierung. Auch das berge neue soziale Probleme.

Das größte Problem schien Dr. Kim aber in den gesellschaftlichen Unterschieden von Nord und Süd zu sehen. Nordkoreaner seien den Kommunismus gewohnt, hätten keine Ahnung von freier Marktwirtschaft und Multikultur. Dr. Kim bezweifelte, dass sich diese beiden Menschengruppen verstehen könnten. Selbst mit Migranten aus Bangladesch könne man sich wahrscheinlich noch besser verstehen, fügte sie hinzu.

Dem stimmte Diskutantin Dr. Jeong-Ah Jo vom Korean Institute for National Unification zu. Auf dem Weg zur Wiedervereinigung gebe es viele soziale Hindernisse. Das Argument, Koreaner seien gleichen Blutes, gelte nicht mehr, zu groß seien die Unterschiede. Auch unter Studenten lasse der Wunsch nach einer Wiedervereinigung nach. Dr. Jo fragte sich, welche Identität die beiden Koreas gemeinsam teilen könnten. Auch Rechtsanwalt Byung Joo Sun, Moderator der zweiten Session, stimmte zu, dass die soziale Integration nicht leicht werden würde. Das Zusammenführen der Mentalitäten werde lange dauern, aber man würde aus den deutschen Erfahrungen, sowie Fehlern, lernen wollen.

Die Schlussbemerkung hielt Woong Ki Kim, Direktor der NKDB. Wie auch schon im Jahr zuvor seien in der Diskussionsrunde viele interessante Lösungsansätze gesammelt worden, bemerkte Kim positiv. Das Thema der Vergangenheitsaufarbeitung sei von großer Bedeutung, da es für Korea in der Vergangenheit einige Ereignisse gab, die es noch aufzuarbeiten gelte, wie die Kolonialzeit unter Japan, Militärputsche und Konfrontationen mit Nordkorea. Abschließend fügte Kim hinzu, dass die NKDB sich auch weiterhin für die Vergangenheitsaufarbeitung engagieren werde und dabei auf weitere Zusammenarbeit mit der KAS zu diesem Thema hoffe.

Auch Dr. Eschborn hatte ein paar abschließende Worte zu sagen. Ihm war es wichtig zu betonen, dass im Zentrum der Wiedervereinigung der Mensch (und nicht etwa ökonomische Motive) stehen müsse, wenn diese denn funktionieren soll. Er bezweifelte außerdem, dass 70 Jahre Teilung Koreas eine stärkere Prägung besäßen als eine Jahrtausende lange, gemeinsame Vergangenheit. Denn jedes Kind, das nach der Wiedervereinigung geboren werden würde, sei ein Brückenbauer zwischen den beiden Koreas.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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