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Veranstaltungsberichte

Wohin entwickelt sich die Türkei?

von Dr. Silke Bremer
Veranstaltungsbeitrag

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Wohin entwickelt sich die Türkei? Wie ist die AKP einzuschätzen? Wie sehr bestimmt der Islam diese Partei?

Diesen Fragen stellte sich der Journalist

Dr. Seufert

in einer sicherheitspolitischen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung, die zusammen mit dem Landeskommando M-V u.a. am 25.11.2010 im Festsaal des Schweriner Schlosses durchgeführt wurde.

Einige Stationen der

geschichtlichen Entwicklung Türkeis

wurden zunächst ins Gedächtnis gerufen.

Die Türkei wurde nach dem ersten Weltkrieg als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches gegründet. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sei bestrebt gewesen, die Türkei durch gesellschaftliche Reformen nach dem Vorbild verschiedener europäischer Nationalstaaten zu modernisieren. Der Islam als Staatsreligion wurde 1928 unter Atatürk abgeschafft. Die Türkei sehe sich seither als laizistischen Staat an. Die Leitlinien der Politik Atatürks werden heute unter dem Begriff Kemalismus zusammengefasst.

Von 1923 bis 1946 herrschte mit der Einheitspartei CHP ein Einparteiensystem. Erst 1946 wurden erstmalig weitere politische Parteien zugelassen. Eine Vielzahl von Parteien sei seitdem entstanden. Zunehmend seien auch Parteien aufgetreten, die den Islam programmatisch in ihr Parteiprogramm aufnehmen. Vor allem in den weniger entwickelten östlichen Landesteilen würden pro-islamische Parteien Erfolge erringen.

Das Vorhaben, ein Ermächtigungsgesetz zur Ausschaltung oppositioneller Kräfte einzuführen, führte 1960 zu einem Putsch durch das Militär. Nach einer Verfassungsreform wurde schließlich die Macht wieder an eine Zivilregierung abgegeben.

Die heute dominierende erst 2001 gegründete

AKP

sehe sich selbst als konservativ-demokratisch ausgerichtete Partei, einer Einordnung als ‚muslimisch-demokratisch’ stehe sie distanziert gegenüber. Sie ‚spiele’ mit der Religion, lasse sich aber nicht davon leiten. Sie vertrete eine realistische Politik.

Die Partei verfüge über ein in sich weitgehend geschlossenes politisches Programm. Die Wirtschaftspolitik habe darin die höchste Priorität, Umweltpolitik sei kaum entwickelt. Eine Verschlankung der Bürokratie werde propagiert, zugleich würden Innovationen und Leistungsbereitschaft gefördert, die EU habe einen hohen Stellenwert, das Militär würde eher zurückgedrängt.

Die gemeinsame muslimische Identität werde unterstrichen und verbinde und schaffe Orientierung; der säkular orientierte Kemalismus, der auf eine Politik ‚entweder Islam / oder Westausrichtung’ ausgerichtet sei, werde hingegen abgelehnt. Zugleich würden westliche Begriffe wie Unternehmertum, Emanzipation verwendet. Dadurch erhielten auch ungebildete Bevölkerungsteile Impulse zur Modernisierung.

Der Ideologie-Mix erweise sich als erfolgreich, denn unterschiedliche Gruppierungen mit verschiedenen Geisteshaltungen könnten angesprochen werden. Die muslimische Identität bewahren und sich zugleich nach Europa hin orientieren, entspreche dem Lebensgefühl eines großen Teiles der Bevölkerung.

Die AKP habe sich so innerhalb der türkischen Partienlandschaft zur stärksten politische Kraft entwickelt.

Demokratische Prozesse im Inneren der Partei seien kaum auszumachen. Der AKP-Vorsitzende entscheide und erwarte Gehorsam. Übertretungen eigener Gruppierungen würden tabuisiert, Korruptionsfälle träten immer wieder auf. Dennoch gebe es in der Partei eine innere Zufriedenheit.

Trotz einer hohen Stabilität sei die AKP aber nicht in der Lage, das Land in eine bestimmte ideologische Richtung zu verändern.

Die Wählerschaft der AKP fühle sich nicht an die Partei gebunden, viele Wähler seien Wechselwähler, Wähler müssten immer wieder neu überzeugt werden,

Die anderen Parteien hätten sich eher zu ‚Neinsager’ entwickelt, es gebe große innere Unzufriedenheiten, die Parteienprogrammatik sei oftmals nur auf einen Programmpunkt reduziert, die Rechte habe sich zu sehr auf die Gefahr einer Spaltung des Landes konzentriert, die prokurdische Partei sei ausschließlich auf die kurdische Problematik fixiert.

Im Konflikt mit den Kurden hätte die AKP eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Türkei sei ein geteiltes Land. Die AKP sei die einzige Partei mit einer Verankerung in allen Teilen des Landes, sie könne mithin vermittelnd und ausgleichend auftreten.

Mit dem sehr umfassenden

Referendum

vom September 2010 sollte die Verfassung Türkeis in wesentlichen Teilen geändert werden. Die politische Rechte stellte sich vehement dagegen und wollte dieses Vorhaben unbedingt scheitern lassen. Eine ungewöhnlich scharfe und kontroverse Diskussion sei im gesamten Land geführt worden.

Schließlich habe ein unerwartet klares Wählervotum diese Auseinandersetzung beendet: knapp 58% befürworteten die Verfassungsänderung, ca. 42 % votierten dagegen.

Zu den außenpolitischen Konstanten der Türkei gehört der Wunsch nach einem Beitritt zur

EU

sowie einer Westbindung. Die Frage nach einer perspektivischen EU-Mitgliedschaft war somit nahezu unumgänglich. Der Referent hielt sich in dieser Frage bedeckt. Es gebe eine ganze Reihe an Gründen, weswegen die Türkei Mitglied oder eben nicht Mitglied werden sollte. In der zeitnahen Perspektive sei es wichtig, gute Beziehungen zur EU zu haben und auszubauen, dies aus den unterschiedlichsten Gründen, etwa die geostrategische Lage der Türkei sei ein gewichtiges Argument.

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