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„Politik wie vor 20 Jahren bringt keine Wahlergebnisse wie vor 20 Jahren“

Die Bundestagswahlen liegen bereits über eine Woche zurück, die Koalitionsverhandlungen haben jedoch noch nicht Fahrt aufgenommen – zumindest noch nicht offiziell. Vor diesem Hintergrund analysierten Nico Lange, Büroleiter der KAS Washington, und Jeffrey Rathke, Senior Fellow und stv. Leiter des Europa-Programms am Washingtoner Think Tank Center for Strategic and International Studies (CSIS), das Ergebnis der Wahl und wagten eine Vorausschau auf die Koalitionsverhandlungen.

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„Die Kanzlerfrage ist beantwortet und es kann keine Mehrheit gegen die CDU/CSU Fraktion im Bundestag gebildet werden“, fasste Nico Lange das für die CDU/CSU wichtigste Ergebnis der Wahl zusammen. Die erlittenen Verluste müssten natürlich analysiert werden, dies sei jedoch parteiintern vorzunehmen, so der Politik-Experte. Die Parteien in Deutschland müssten sich von der Idee, Wähler würden ihnen „gehören“ und man könne sie einfach „zurückgewinnen“, verabschieden, so Nico Lange. Die Gesellschaft habe sich verändert. So gäbe es mehr Wechselwähler, Kurzentschlossene und das Parteiensystem wie die Gesellschaft an sich seien fragmentierter als noch vor 20 Jahren. „Wenn also manche glauben, mit einer Politik wie vor 20 Jahren bekommen wir auch die Wahlergebnisse von damals zurück, so ist das schlichtweg die falsche Strategie“, so der Leiter der KAS Washington.

Ein Ansatz, der sich jedenfalls sicher nicht bezahlt gemacht habe, so Nico Lange weiter, war der Versuch einiger Landesverbände der Union, der Alternative für Deutschland (AfD) in manchen Politik-Belangen nachzueifern: die schlechtesten Ergebnisse habe die Union nämlich dort eingefahren, wo die Partei diese Strategie gefahren sei. Das Rennen um den dritten Platz – nach CDU/CSU und SPD - sei die spannendste Frage dieser Wahl gewesen, so Lange.

Dr. Steven Sokol vom American Council on Germany moderierte die anschließende Diskussion. Ihm gegenüber sagte Lange, dass die Ankündigungen mehrerer Politiker, in die Opposition bzw. nicht notwendigerweise in die Regierung gehen zu wollen, für ihn sehr überraschend waren. Wenn man davon ausgehe, so Lange weiter, dass es eigentlich das Ziel von Parteien sei, mitzuregieren, dann seien diese Äußerungen unmittelbar nach Schließung der Wahllokale doch als recht ungewöhnlich zu bezeichnen.

Die Koalitionsverhandlungen werden erst nach den Wahlen in Niedersachsen am 15. Oktober offiziell starten. Ob sie schon vor Weihnachten zu einem erfolgreichen Abschluss kommen, stellte Nico Lange in Frage. Aber auch, wenn die Verhandlungen sich in die Länge ziehen werden, so Lange weiter, sei zumindest eine stabile Mehrheit als Ergebnis zu erwarten, was für Deutschland wichtig sei. Er bestätigte des Weiteren, was bereits in aller Munde ist: die aller wahrscheinlichste zukünftige Regierung sei eine sog. „Jamaika-Koalition“ aus CDU/CSU, FDP und den Grünen. Dabei könnte der Finanzminister an die FDP gehen und das Auswärtige Amt – was eine originelle Variante wäre – nach längerer Zeit wieder einmal an CDU/CSU.

Der erste Test für die neue Bundesregierung stünde schon bald auf der Tagesordnung, schloss Lange seine Ausführungen: das dritte Rettungspaket für Griechenland läuft im August 2018 aus – die Diskussionen in den Monaten davor werden wohl für einige Spannung sorgen.

Vor dem Hintergrund einer möglichen Jamaika-Koalition nannte Jeffrey Rathke drei außenpolitische Herausforderungen für eine derartig zusammengesetzte Bundesregierung:

  • Russland: Manche Äußerungen aus den Reihen der Grünen sowie der FDP mit Blick auf die Politik gegenüber Russland ließen die Frage aufkommen, ob es zu einer Neuausrichtung der deutschen Russlandpolitik kommen könnte. Rathke erachtet in diesem Fall auch potentielle Missverständnisse mit den USA als möglich. Nico Lange, seinerseits, meinte jedoch, dass sich die Linie der Bundesregierung gegenüber Russland auch bei einer Jamaika-Koalition nicht maßgeblich ändern werde.
  • Erhöhung der Ausgaben für den Verteidigungshaushalt: Auch, wenn sich das grüne Verständnis von Verteidigungspolitik von jenem der CDU/CSU und dem der FDP klar unterscheide, sieht es Jeffrey Rathke doch als sehr wahrscheinlich, dass an der Erhöhung des Verteidigungshaushaltes festgehalten wird. Dieser Punkt würde auf der anderen Seite des Atlantiks wohl mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden, so der Think Tanker.
  • Iran: Sollte US-Präsident Donald Trump seine Drohungen umsetzen und aus dem Iran-Atomdeal aussteigen, würde das Deutschland stärker unter Druck setzten. Dies könnte, waren sich Jeffrey Rathke und Nico Lange einig, auch negative Auswirkungen auf die Koalitionsverhandlungen haben.

Auch auf der europäischen Ebene werde die „Stabilitätsgarantin“ Angela Merkel vor großen Herausforderungen stehen, so der amerikanische Europa-Experte. Diese stünden auch teilweise schon länger im Raum, seien aber in den vergangenen Monaten auf die Zeit nach den Wahlen verschoben worden: der Reformbedarf der Europäischen Union (Stichwort: Emmanuel Macrons Reformvorschläge); der Brexit; die nach wie vor ungelöste griechische Schuldenkrise; die Diskussion um eine gemeinsame EU-Verteidigung; die Frage der Flüchtlinge und Migranten, die nach wie vor nach Europa aufbrechen.

Das Verhältnis zur Türkei bezeichnete Rathke als besondere Herausforderung für die zukünftige deutsche Außenpolitik auf europäischer Ebene: nicht nur wegen des Flüchtlingsabkommens oder abgesagter Wahlauftritte türkischer Politiker in Deutschland, sondern auch wegen der Inhaftierung von deutschen Journalisten und Menschenrechtlern in der Türkei sei hier eine Extra-Portion Fingerspitzengefühl gefragt.

Eines sei sicher, so Rathkes Resümee: Deutschland müsse eine wichtige Rolle auf der politischen Weltbühne spielen, ob es wolle oder nicht. Besonders innerhalb der EU – und hier nannte er abermals die Herausforderungen Brexit und EU-Reformen – sei ein starkes Auftreten Deutschlands gefragt, so der Experte.

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Andrea Ellen Ostheimer

Andrea Ostheimer

Director KAS Genf Office

andrea.ostheimer@kas.de +41 79 318 9841

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